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Willi Bredel - Maschinenfabrik N.& K. (1930)
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Meister Westmann. 

„Also kommen Sie mit!" Meister Westmann von der Dreherei ging voraus, und ein „Neuer", ein großer schlanker Arbeiter, Ende der Zwanziger, mit pieksauberem blauem Arbeitszeug, folgte.
„Sie übernehmen diese Bank!" Es war eine mittelgroße Spindelbank, nicht gerade das neueste, aber auch nicht das älteste Modell. Sie sah stabil und doch handlich aus.
„Hier im Schrank liegt das Werkzeug, das Sie bekommen, sehen Sie her!... Drei Schlüssel liegen hier! Zwanzig Stähle. Zählen Sie!"
„Eins, zwei, drei, vier... Stimmt!"
„Einen Stahlhalter - einen Handfeger - eine Ölkanne - und hier zehn Werkzeugmarken. Sie haben Nummer sechsundsiebzig. - Nun unterschreiben Sie den Empfang!
Ich habe Ihnen bereits gesagt, hier wird im Akkord gearbeitet. Die ersten Tage drücke ich natürlich ein Auge zu, aber sehen Sie zu, dass Sie sich bald eingearbeitet haben. Es ist in Ihrem eigenen Interesse!"
Meister Westmann war schon einige Schritte fort, da kehrte er wieder um.
„Melmster, sind Sie organisiert?"
„Wie meinen Sie das?"
„Ich meine gewerkschaftlich. Ihre Kollegen hier dulden keine Unorganisierten!" „Ich bin organisiert!"
„Ist gut, und Arbeit wird Ihnen gleich gebracht!" Alfred Melmster, der „Neue", sah sich um. Sein Platz war mitten in der Reihe der Dreher. Seitlich von ihm stand ein riesiges Biest von einer Karusselldrehbank. Ein älterer Dreher würgte an ihr mit einem verlängerten Schraubenschlüssel herum. Vor ihm stand ein jüngerer Mensch mit rötlichen Haaren. Er schien peinlichst ordentlich zu sein, denn an seinem Platz lag alles sauber und geordnet. Hinter ihm stand ein kleinerer, bejahrter, schlau aussehender Arbeiter. Melmster hatte das Gefühl: Den magst du nicht.
Die Arbeit war nicht außergewöhnlich schwierig, aber gearbeitet wurde im Galopp, das sah er. „'n Morgen, Kollege!" - „Morgen!"
„Ich heiße Endrusch und bin der Vertrauensmann der Dreher, bist du im Verband?" „Ja - warte -, hier ist mein Buch!"
Inzwischen hatte der Arbeitsbursche auf einem Rollkarren die erste Arbeit gebracht. Einhundert Flansche und einige Enden Metall.
Melmster sah sich die Zeichnung an. Ganz gute Arbeit. Meister Westmann kam wieder. „Werden Sie draus schlau?" „Natürlich."
„Sehen Sie", und nun erklärte er ihm bis ins einzelne, worauf es bei den Flanschen ankam und wie die Arbeit am besten in verschiedenen Arbeitsteilungen fertig zu stellen sei. Ein anständiger Kerl, sagte sich Melmster, als der Meister wieder weiterging.
„Hier, Kollege, dein Buch!"
„Hör mal, Kollege En... En... !"
„Endrusch!" half dieser nach.
„Ja, richtig, wie ist dieser Betrieb organisiert?"
„Sehr gut - fast hundertprozentig. Es sind nur drei bis vier Arbeiter, die sich hartnäckig weigern."
„Das ist ja fabelhaft. Und der Arbeiterrat?"
„Sieben Kollegen. Von uns, von der Dreherei, dort der Kollege Schmachel!"
„Wie ist der Arbeiterrat politisch zusammengesetzt?"
„Alles Sozialdemokraten!"
„Gibt es hier gar keine Kommunisten?"
„Doch - aber die sind hier nicht die Mehrheit!"
„So!" sagte Melmster, aber er wurde aus der Zusammensetzung des Arbeiterrats nicht recht schlau.
„Dort hinten, der junge Hobler, das ist der Wortführer der Kommunisten!"
„Sooo", sagte Melmster wieder und lachte dem Gewerkschaftsfunktionär ins Gesicht.
Dieser lachte aus Verlegenheit mit und ging. Dann arbeitete Melmster. Er überholte die Bank, ölte sie ab, schliff sich die Stähle so, wie er sie brauchte, setzte einen Flansch in die Planscheibe und begann zu schruppen und zu bohren. Als er aber sah, dass der junge Hobler hinter der Meisterbude seine Hobelmaschine abstellte und aus der Halle ging, fragte er seinen Vordermann nach dem Abort. „Aus der Halle hier, bei der großen Tür, links übern Hof!" Da stellte auch Melmster seine Bank ab. Auf dem Hof stieß er auf den Hobler. „Ich hab schon gesehn, hast heute angefangen, was?"
Sie gaben sich die Hände. „Du, ich möchte was von dir wissen. Wer sind meine Nebenleute?"
„Sozialdemokraten. Wirst es nicht leicht haben. Und der hinter dir steht, Olbracht, ist eine Kanaille, vor dem musst du dich in acht nehmen."
„Aber wie kommt es, dass hier nur SPD-Arbeiterräte sind?"
„Wir sind in der freigewerkschaftlichen Versammlung in der Minderheit geblieben, und weil wir ihnen tüchtig Zunder gaben, haben sie sich auf keine Verhältniswahl eingelassen und uns an die Wand gedrückt."
„Haben wir denn keine eigene Liste aufgestellt?"
„Doch - aber nur in der freigewerkschaftlichen Betriebsversammlung, und da blieben wir in der Minderheit, und die SPD besetzte den ganzen Arbeiterrat!"
„Dann ist also gar keine richtige Betriebsratswahl gewesen?"
„Nein!"
„Wie stark ist unsere Zelle?" „Achtundzwanzig Genossen!" „Mit mir also neunundzwanzig!"
„Und dann noch zirka vierzig in der RH und fast ebenso viele in der IAH. Man muss gegen einen Kreis ganz verknöcherter Leute boxen, die hier in der Wiege reingefahren wurden und die auch wieder im Sarg rausgekarrt werden möchten!"
„Weißt du, Hans, ich mach mich die ersten Tage noch nicht mausig - ich will erst Grund fassen!"
„Wenn du mit irgend etwas nicht zurechtkommst oder etwas wissen willst, dann frag mich nur, ich bin hier altes Inventar und weiß so ziemlich Bescheid", hatte Melmsters Hintermann zu ihm gesagt. Melmster hatte sich freundlichst bedankt, aber die Antipathie gegen diesen schwammigen Menschen mit den unruhigen Augen war nur gestiegen.
Als es Mittag heulte, fragte Melmster, wo der Frühstücksraum sei. Olbracht lachte.
„Der ist so verdreckt und so ungemütlich, dass da keiner hingeht", sagte er.
„Also gibt's hier keinen Frühstücksraum?"
„Doch!"
„Nein! - Ein dreckiger, ungemütlicher Frühstücksraum ist so gut wie keiner!"
Nach Mittag kam Meister Westmann. Er beobachtete, wie Melmster seine Arbeit handhabte, und war anscheinend zufrieden, denn er legte, ohne ein Wort zu sagen, einen Akkordzettel auf die Drehbank und ging wieder.
In vierzehneinhalb Stunden mussten die Flansche fertig sein, das heißt geschruppt, gebohrt, Messingbuchsen abgestochen, gedreht, in die Flansche gepasst und diese dann auf einem Dorn endgültig fertig gedreht werden. Da war jede Minute einkalkuliert.
„Stimmt der Preis?" fragte Melmster seinen Hintermann und zeigte ihm den Akkordzettel.
„Wieso?-Natürlich!"
„Nun, ich meine nur, einem Neuen können sie ja alles in die Hand drücken!"
Kurz vor vier Uhr wurde es unruhig. Heimlich wurden die Hände in Öl und Seifenwasser gewaschen, die Frühstückstaschen mit den Thermosflaschen bereitgelegt, und als es heulte - jagte, rannte, stolperte alles zum Mittelausgang.
„Was ist denn das?" fragte sich Melmster. „Die sind ja total meschugge!"
Er stand noch allein hinter seiner Drehbank, aber als er fortgehen wollte, sah er, dass er sich anschließen musste, eine lange Kette Arbeiter stand vor dem Ausgang.
„Warum muss man sich anschließen?" fragte er den, der vor ihm stand.
„Weil man an der Kontrolluhr stempeln muss!"
„Steht denn da nur eine Uhr?"
„Ja!"
„Na, Mensch, das ist aber 'n Betrieb!" Als Melmster seine Karte abstempelte, war es fünf Minuten nach vier. Im Wasch- und Umkleideraum war ein wildes Durcheinander. Jetzt sah man es erst, der Raum war viel zu klein. Einige Minuten musste er warten, bis ein Becken frei wurde. Die Lehrlinge durften sich sogar erst dann waschen, wenn die Gesellen fertig waren.
„Toller Betrieb", murmelte Melmster, als er aus dem Fabriktor schritt... „Frühstücksraum - Waschraum - Kontrolluhr... "


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