Nieder mit den Streikbrechern und Arbeitermördern!
Das war ein fortwährendes Kommen und Gehen. In und vor dem Lokal von Horning stauten sich die streikenden Arbeiter. Zahlreiche Fahrräder standen am Straßenrand. Auf der anderen Seite patrouillierten zwei Sipos, die das Lokal beobachteten.
Melmster trug jetzt die ganze Last der Streikleitung. Er organisierte den Kurierdienst, er hielt die Verbindung mit der Gewerkschaftsabteilung der Partei aufrecht, er musste auf Hunderte Fragen, Pläne und Vorschläge der Kollegen Antwort geben, er musste in der bevorstehenden Belegschaftsversammlung einen zusammenfassenden Bericht über den Streik und die gegenwärtige Situation geben. Melmster war von morgens bis abends im Klubzimmer des Streiklokals und hinterher auf den Sitzungen und Zusammenkünften der Partei tätig.
Dabei war die Streiklage hoffnungslos. Unternehmer, Gewerkschaft und Polizei bildeten eine einheitliche Front gegen die dreihundert streikenden Arbeiter. Die übrigen Metallbetriebe waren nicht zum Streik zu bewegen. Einige Unternehmer hatten raffiniert - „zur Beruhigung" - minimale Lohnerhöhungen bewilligt, in anderen Betrieben war der Einfluss der Reformisten noch zu groß.
Melmster dachte an das gemeine Grinsen Olbrachts, an Kühnes selbstbewusst gravitätische Schritte - eine Wut, eine unbändige Wut packte ihn. Diese Leute würden triumphieren, würden von der Unfähigkeit der Kommunisten, einen Streik erfolgreich zu Ende zu führen, schwafeln, würden weiter zu jedem Diktat der Betriebsleitung eine tiefe Verbeugung machen und weiter unliebsame, revolutionäre Arbeiter diffamieren. -
Der Wirt Karl Horning kam selbst ins Klubzimmer und überreichte Melmster einen Brief, der an seine Adresse gerichtet war. Staunend öffnete ihn Melmster. Er war von Dora Timm. Melmster las:
Lieber Alfred!
Da ich ja mit Hans keine Verbindung mehr haben kann, wende ich mich an Sie und teile Ihnen nun folgendes mit: Es besteht ein Abkommen zwischen der Firma und der Gewerkschaft, den Betrieb unter allen Umständen aufrechtzuerhalten. Polizei soll fürs erste in der Fabrik bleiben. Zweihundertvierzehn Arbeiter erhalten heute mit der Post ihre Entlassungspapiere. Außer den bereits Arbeitenden erhalten noch zirka neunzig Arbeiter die Aufforderung, die Arbeit am Freitag wieder aufzunehmen oder sich die Entlassungspapiere abzuholen. Sie sind leider nicht unter den Wiedereingestellten.
Gruß Dora!
Vernichten Sie diesen Brief sofort.
Famose Deern, dachte Melmster, als er zum Erstaunen aller anwesenden Kollegen den Brief verbrannte. Dann setzte er sich hin und schrieb an die Gewerkschaftsabteilung der Partei.
Seine Vorschläge waren: Abbruch des Streiks. - Weiteres revolutionäres Arbeiten im Betrieb. - Die neunzig Arbeiter, die wieder eingestellt würden, sollten die Arbeit wieder aufnehmen. - Die Ursachen und Erfahrungen dieses Streiks in den übrigen Betrieben der Metallindustrie behandeln. - Auf breiterer Grundlage neue Kämpfe vorbereiten.
Kaum war ein Kollege mit den Vorschlägen Melmsters
zur Parteileitung gefahren, um dann deren Meinung zurückzubringen, als vor dem Lokal eine lebhafte Bewegung entstand. Alles lief aus dem Lokal auf die Straße...
Ein geschlossener Trupp Arbeiter marschierte die Straße herauf. Man hörte den Gesang eines revolutionären Liedes.
„Die Erwerbslosen!" kam der Rotkopf ins Klubzimmer gestürzt. „Die wollen uns unterstützen!"
„Wie viele sind es?" fragte Melmster.
„Oh, sicher über vierhundert!" Bei einer Kohlenhandlung mitten auf der Straße sprach ein Arbeiter zu der Masse. Melmster konnte von der Gastwirtschaft aus einige Sätze des Redners verstehen.
„Wir lassen uns nicht dazu missbrauchen, unseren kämpfenden Kollegen in den Rücken zu fallen... Erwerbslose Reichsbannerarbeiter wurden durch die Bürokratie zum Streikbruch angehalten... Heute haben eine Anzahl dieser Auch-Arbeiter in der Maschinenfabrik N. & K. zu arbeiten angefangen, trotzdem seit fünfzehn Tagen die Belegschaft im Streik steht... Dieser Streich der reformistischen Gewerkschaftsbürokratie und das schuftige Verhalten einiger gesinnungsloser oder betrogener Erwerbsloser fällt auf uns alle zurück!"
„Sehr richtig!" riefen einige.
„Wir wollen den streikenden Arbeitern von N. & K. zeigen, dass wir ihnen nicht in den Rücken fallen, sondern sie in ihrem Kampf gegen das Unternehmertum unterstützen!"
„Bravo! Bravo!"
„Und wir wollen den Streikbrechern zeigen, zu welchen schuftigen Handlungen sie sich durch eine korrupte Gewerkschaftsbürokratie missbrauchen lassen. Nieder mit den Streikbrechern und Arbeitermördern!"
„Nieder! Nieder! Nieder!" brüllte es aus Hunderten von Arbeiterkehlen.
Die Straße war jetzt schwarz voll Menschen, und plötzlich kam eine Unruhe über sie.
„Sipo! Sipo!" wurde geschrieen. Einige liefen in die Treppenhäuser.
Über die ganze Breite der Straße nahte eine Sipokette, den Sturmriemen unterm Kinn. „Stra-aße - frei!"
Alles lief durcheinander, einige stolperten und stürzten. Nieder-Rufe wurden ausgebracht. Eine Frau fiel in Schreikrämpfe.
Einige Erwerbslose gingen furchdos mit ausgebreiteten Armen der Sipo entgegen und riefen: „Wir haben Hunger! Huu-unger! - Schießt doch!"
Mit Gummiknüppeln schlugen die Sipos auf sie ein, bis sie blutend zu Boden stürzten.
Die ganze Straße wurde geräumt. Hinter der ersten Sipokette nahte eine zweite, die prügelte die in die Treppenhäuser und Terrassen geflüchteten Arbeiter heraus. In den Nebenstraßen sammelten sich die Arbeiter wieder. Ununterbrochen ertönten Nieder-Rufe auf die Polizeibestialitäten. Der gesamte Verkehr stockte. Immer mehr Menschen sammelten sich an. Ein Trupp Erwerbsloser war in großem Bogen zur entgegengesetzten Seite des Stadtviertels gezogen und hatte dicht vor der Fabrik im Sprechchor Nieder-Rufe auf den Streikbruch ausgebracht. Die Einwohner des ganzen Stadtteils gerieten über das brutale Verhalten der Polizei in Erregung. Überall sammelten sich Arbeiter an, die über den Streik, den Streikbruch und die Aktion der Erwerbslosen diskutierten. Nach einiger Zeit kam der Kurier mit der Antwort der Parteileitung zu Melmster zurück. Nach dem Vorschlag, der Situation entsprechend zu handeln, lautete die Antwort. - Für heute war an eine Versammlung nicht zu denken. Sie wurde auf den kommenden Tag verschoben.
Am Nachmittag waren sämtliche um die Fabrik liegenden Straßen polizeilich überwacht. In zwei Autobussen, die die Hoch- und Straßenbahn AG auf Veranlassung des reformistischen Metallarbeiterverbandes den Streikbrechern zur Verfügung stellte, fuhren diese unter Polizeiaufsicht in ihre Wohnbezirke.
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