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Hans Marchwitza - Schlacht vor Kohle (1931)
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IX

Balasz suchte Arbeit; auf den Zechen bekam er keine. Ein Schachtmeister riet ihm, zu einem seiner Bekannten nach Wanne zu gehen, der dort mit Kanalisationsarbeiten beschäftigt war. Balasz begab sich dorthin. »Es hat nicht viel Zweck!« wurde ihm gesagt. »Wir sind in wenigen Tagen zu Ende!«
Balasz musste den weiten Weg wieder zu Fuß zurück. Auf dem Heimweg kam er an den mächtigen Eisenwerken von Gelsenkirchen vorbei. Arbeiter standen vor sengenden Feuern, Schutzbrillen vor den Augen, und stachen mit großen Eisenstangen in die Glut. Dicker, stinkender Gasgeruch erschwerte Balasz das Atmen, und die Luft war voll von feinem Aschestaub, der in dichten grauen Schichten den ganzen Stadtteil überdeckte. Riesenkräne hoben kreischend plumpe, glühende Eisenblöcke auf, zogen sie spielend leicht in die Höhe, tanzten damit über den Köpfen der Männer. Das Werk war wie eine gewaltige Feueruhr, zahllose Räder, Bohrmaschinen, Feilbänke - dazwischen die Arbeiter.
Balasz passierte ein Tor des Werkes. Auf der Straßenseite war ein Schild angebracht: »Arbeiter werden bis auf weiteres nicht eingestellt.« Hinter dem Tor sah er eine Kolonne Arbeiter ausschachten. »Darf ich mal zu den Leuten hin?« fragte Balasz den Portier.
»Sie können doch lesen!« sagte der Portier brummig und machte eine Kopfbewegung nach einem zweiten Schild, darauf stand: »Unbefugten ist der Eintritt streng verboten.«
»Ich möchte nur wegen Arbeit anfragen!« versuchte Balasz den Portier zu überreden.
»Warten Sie, bis der Meister herauskommt!« sagte der Portier und verschwand in seinem Bau.
Balasz wartete eine Stunde und noch länger, bis endlich der Meister zum Tore herauskam.
»Brauchen Sie nicht noch Arbeiter?« fragte Balasz und griff mechanisch an den Rand seiner Mütze.
»Nein!« sagte der Meister kurz und ging mit langen Schritten einer Schenke zu, die auf der andern Werkseite lag. Balasz ärgerte es, dass er den groben Kerl überhaupt angesprochen hatte. Er tippelte weiter, fragte noch hier und dort, bekam aber nirgends Arbeit. Wie ein abgehetzter Hund kam er abends heim und streckte sich auf die Lehnbank aus.
»Hast nichts gekriegt?« fragte ihn seine Frau. »Nein!«
So ging es jeden Tag, wochenlang.
Balasz tippelte die ganze Stadt ab, lernte dort manchen Arbeitslosen kennen, der wie er vergeblich Arbeit suchte. Auf diesen Gängen bekam er verschiedene Ratschläge. Einer schlug ihm vor, auf die Höfe singen zu gehen, das wäre ein kleiner Nebenverdienst. Balasz lehnte das ab. Zu Hause jedoch ertappte er sich dabei, dass er seine Stimme in Liedern versuchte. Seine Frau schüttelte darüber den Kopf. »Mann, bist du denn nimmer gescheit?«
»Es ist ein Nebenverdienst, wenn du nicht verhungern willst.« Es erschien ihm, der sonst nur mit ernsten Dingen beschäftigt war, wirklich närrisch, den Leuten auf den Höfen Schlager vorzukrähen, denn seine Stimme war alles andere als schön. Er verwarf den Gedanken und stürzte sich in seine Organisationsarbeit. Kam er nach Hause, empörte ihn das Schweigen seiner Frau und das eindringliche Fragen seiner Kinder nach Essen.
Eines Morgens floh Balasz wieder hinaus. Wohin, das war ihm völlig gleich. Nur hinaus aus der Bude, in der er es nicht mehr aushalten konnte. Der Weg führte ihn an der Ruhr entlang. Überall Fabriken, Kohlenschächte. Er versuchte abermals, Arbeit zu bekommen; umsonst.
In Werden stand in der Nähe der Ruhr eine Reihe kleiner Landhäuser. Er hatte am Morgen kein Brot mitgenommen.
Er schämte sich, den Kindern das wenige fortzunehmen. Die Schwäche in seinen Beinen wurde größer. Er empfand sie schon alle Tage - das war der Hunger.
Balasz stand vor einem der Häuser und wusste nicht, ob er hineingehen sollte oder nicht. Er fluchte über seine Unschlüssigkeit; die Scham hielt seine Füße zurück. Er ging nicht hinein. So stand er noch immer vor dem Haus, bis eine Frau den Kopf durchs Fenster schob und ihn fragte, ob er sich verlaufen hätte. Balasz nickte verwirrt.
»Wo wollen Sie denn hin?« fragte die Frau.
Balasz nannte Zeche »Hoffnung«. Die Frau erklärte ihm, welchen Weg er zu gehen habe, und schloss das Fenster. Er wandte sich um und trottete zurück. Das ganze Grauen der Arbeitslosigkeit kroch vor ihm her, eine endlose Kette von hungrigen Gespenstern.
Es war ein böser Tag. Als Balasz heimkam, erzählte ihm seine Frau, dass sie am nächsten Tage geräumt werden sollten.
»Auch das noch!« sagte er heiser.
Am nächsten Morgen kam der Wagen der Wohnungsverwaltung. Drei Übertagearbeiter betraten Balasz' Wohnung, hinterher der Wohnungsverwalter. »Sie werden geräumt!« erklärte der Verwalter Balasz.
Balasz musste zähneknirschend zusehen, wie ein Möbelstück nach dem anderen hinausgeschleppt und auf dem Wagen verstaut wurde. Zehn Jahre lang hatte er die hübsche, geräumige Wohnung bewohnt. Es graute ihm vor dem engen Loch in der Ludwigsgasse, das ihm der Wohnungsverwalter als Ersatzwohnung bereitstellte.
Der Wagen fuhr ab. Frau Balasz trug eins der Kinder auf dem Arm und schob das Kleinste vor sich im Wagen. Balasz hielt den vierjährigen Jungen an der Hand und schritt mit hängendem Kopf und finsterer Miene hinterher.

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