XII
Ein Sonntag. Kinder spielten in Trupps in der Sonne. Die Jungen frische Hemden und Hosen an. Die Mädel in saubergewaschenen Kleidern, mit bunten Schleifen im Haar. Die Kumpels trugen ein sauberes Sonntagshemd, die Ärmel aufgekrempelt, die Pfeife im Mund. Sie betätigten sich in ihren Gärten, begossen das wenige Grün, unterhielten sich ernsthaft über ihr Gemüse, ihre Kaninchen oder Tauben. Oder sie sprachen über die Arbeit im Pütt.
Der Vorfall mit Plaschewski schien ausgelöscht zu sein. Brand lag halbtot im Krankenhaus; Plaschewski saß im Gefängnis. Marie Plaschewski hockte trübsinnig in ihrer Wohnung und schämte sich hinauszugehen. Nur ihre Kinder saßen draußen vor der Tür und erzählten sich mit andern Kindern über den bösen Mann, den der Vater gehauen hat.
Die Frauen hatten noch keinen Sonntag. Hier und dort sah eine aus dem Fenster, rief den Kindern warnende Worte zu, die Haare versträhnt, schwitzig im Gesicht; denn der Mann und die Kinder bereiteten ihnen am Sonntag mehr Arbeit als an Wochentagen. Nach dem Frühstück sollte das Geschirr gespült werden. Hernach das Mittagessen aufsetzen. Gemüse reinigen, Kartoffeln schälen. Das macht Arbeit. Die Kleinsten brüllen, sie sind die letzten, die noch gereinigt werden müssen. Die größeren stürmen mit irgendeiner Neuigkeit in die Stube. Im Moment liegt alles durcheinander, denn Kinder wissen wenig von der Mühe, die sie ihrer Mutter machen.
Aus den Fenstern strömen die verschiedensten Gerüche. Da und dort riecht es nach verbranntem Essen. Der Hausflur, die Treppe müssen nachgewischt werden. Eine Weile aus der Küche, schon stinkt es. Der Ofen qualmt. Heiß ist es in den Buden. Der Sonntag wird den Frauen in der Kolonie oft zur doppelten Qual. Eine Freude ist da: die ist kurz nach Abschlag. Nicht alle hatten mehr als vierzig Mark herausbekommen. Aber es reichte für den Sonntag. An die andern Tage dachte man nicht gern. Es waren Tage voll Sorgen, an denen Mann und Weib verbittern und sich streiten. Tage voll Trostlosigkeit und wiederum Hoffnungen auf den nächsten Zahltag, der nichts Besseres brachte.
Frau Jaschinski stellte das Essen auf, das ihr Mann kochen sollte, denn sie machte sich für die Kirche fertig; so tat sie es seit Jahren.
Sie verließ das Haus und ging den gewohnten Weg zur Stadt. Ihr Gesicht sah recht sorgenvoll aus. Sie wollte sich in der Kirche neuen Mut erbeten, wie sie es bisher getan hatte, wenn sie nicht ein noch aus wusste.
Früher einmal ging sie froh, voll gläubigen Herzens in die Kirche. Seitdem Jaschinski körperlich immer mehr zusammenfiel und immer weniger Geld brachte, ging sie nicht mehr so froh hin. Sie musste darüber oft während des Gottesdienstes nachdenken, vergaß das Beten und quälte sich mit ihrer Erbitterung, sie sah keinen Ausweg.
Der Geschäftsmann, von dem sie die Küche gekauft hatte, erschien prompt alle zehn Tage und verlangte Geld. Der Bäcker fragte nicht danach, wo sie es herbekam; er forderte die Schulden, oder er gab kein Brot mehr her. Auch die Falzmann war unerbittlich, gab keine Ware, wenn Frau Jaschinski nicht Geld brachte.
In letzter Zeit ging sie nur in die Kirche, weil sie sich schämte auszubleiben, nachdem sie bisher jeden Sonntag dort gewesen war. Aber ihr Herz war nicht mehr so gläubig. Die Worte, die sie vor sich hinsprach, erschienen ihr leer, wenn sie in der Kirche kniete; denn an eine Hilfe aus ihrer Not war nicht zu denken.
Die Sonne meinte es gut mit denen in der Kolonie. Sie begann heiß herunterzubrennen.
Die Männer hockten mit müden Gesichtern in Gärten und Lauben. Die Luft war erhitzt, roch nach Gasen, die von der Schachtanlage herüber geweht wurden. Ruß flatterte in Flocken herab, setzte sich auf die sauberen Hemden, tupfte sie mit schwarzen, hässlichen Flecken, flog in Gesichter und Augen, brannte lästig. Die Kumpels waren das gewöhnt.
Frau Ragnitzki steckte den roten Kopf, von dem der Schweiß floss, zum Fenster hinaus. Ragnitzki hockte vor seinem Haus und spielte mit Flecks Köter.
»Schön Wetter, was?« fragte sie und wischte sich den Schweiß mit der Schürze aus dem dicken glänzenden Gesicht.
»Dat will eck meinen!« nickte er.
»Bin bald mit dem Essen fertig, dann kannst du reinkommen!«
»Mack nur 'nen gehörigen Pott fertig, Olle!« sagte Ragnitzki nickend und sah in die Sonne.
Aus der Laube seines Gartens schollen lautes Sprechen und Streit. Dort spielten seine drei Jungen mit einigen aus der Nachbarschaft Karten. Sie hatten dazu Bier geholt von der Falzmann, die hintenherum Flaschenbier verkaufte. Ein paar Mädel waren auch in der Laube und kreischten und lachten zuweilen.
In einem Haus wurde Bandonion gespielt. Es war Bontzeck, der einen neuen Schlager einübte. Dann kam eine kleine Abwechslung: ein Trupp Hofsänger. Es waren drei junge Leute. Zwei davon begleiteten den Gesang mit Ziehharmonikas. Die Stimmen waren ungeschult, aber klangvoll. Im Augenblick bevölkerten sich alle Fenster. In manchem finsteren Gesicht erschien Freude und Behagen, Hände streckten sich heraus und warfen kleine Geldmünzen hinunter. Die Lieder waren schwermütig, sie stimmten sentimental und weich. In manchen Augen schimmerte es feucht.
Frau Ragnitzki schnaubte, wischte mit der Schürze über ihre Augen. »Ich schwitz, dat is ein Wetter!«
Die Sänger verschwanden in eine andere Straße. Ihr Gesang hinterließ Wehmut.
Der Jarzack kam aus der Kirche. Seine Frau schickte ihn immer hin, obwohl er lieber zu Kreibel ging. Jarzack hatte sich trotzdem einen angetrunken, er versuchte, aufrecht zu gehen. »Na hat's geschmeckt?« Ragnitzki lachte.
»Verdammte Hitze!« schimpfte Jarzack und hielt sich am Zaun fest, um zu verschnaufen. Seine Augen blinzelten gläsern und schläfrig. »Hast ja die ganze Woche 'n Dreck, Mann, hab mir 'n Halben rausgeholt, verstehste, Kumpel, der geht auf sechs Räder.«
»Pass auf, dat dich deine Olsche nich süht!« grinste Ragnitzki und nickte nach Jarzacks Wohnung hin.
»Die hat nichts zu sagen!« prahlte Jarzack. Ragnitzki warnte scherzhaft: »Kriegst Wichse, Pitter, pass nur op!«
Jarzack schimpfte auf das Wetter und torkelte weiter. Seine Frau hatte ihn schon gehört und erschien am Fenster. »Der verdammte Hund kommt wieder besoffen!« rief sie wütend. Kurze Zeit später war der Krach im Gange.
Die Sonne schien in die Stuben und verursachte eine unerträgliche Wärme. Langsam leerten sich die Gärten. In den Wohnungen wurde mit Geschirr geklappert.
Am Nachmittag kam Ragnitzkis Hanne. Sie war neunzehn Jahre alt, ein hübsches, kräftiges Mädel und diente beim Direktor Arisch. Hanne hatte die Haare onduliert, einen farbigen Hut auf, ein kurzes, blaues Kleid an und trug seidene Strümpfe und neue Lackschuhe.
Sie hatte ganz die Manieren eines Fräuleins und rümpfte das Näschen, als sie die Wohnung ihrer Eltern betrat. »Puh, was 'ne Luft! Wie könnt ihr's hier nur aushalten!« Der alte Ragnitzki hüstelte. Frau Ragnitzki wischte mit der Schürze schnell über den Tisch.
Hanne war etwas Besseres gewöhnt. Direktor Arisch hatte ein eigenes Haus mit zwölf schönen Räumen voller Teppiche und Blumen. »Ein einziger Teppich«, erzählte Hanne, »kostet mehr Geld als die ganze Wohnungseinrichtung der Ragnitzkis.« Der Ring, den Frau Direktor an ihrem kleinen Finger trug, wog bestimmt zwei Jahreslöhne von Hannes Vater auf.
Einen Kummer hatte Hanne: Von der ganzen Pracht war ihr nur ein kleines Dachstübchen eingeräumt worden, in das sie abends spät hinaufstieg, um für die Arbeit des nächsten Tages auszuruhen, denn zwölf Räume machen viel Arbeit. Frau Direktor Arisch war eine sparsame Frau und hatte vor einigen Monaten das zweite Dienstmädel entlassen, ohne ein neues wieder einzustellen. Hanne bekam für ihren Dienst monatlich fünfundzwanzig Mark und ein billiges Essen. Ihre Hände waren so rau und aufgesprungen wie die Hände ihrer Mutter.
Gegen Abend kam eine Schar Jungen und Mädel und holte Ragnitzkis Jungen und Hanne zu Mihalleks ab, wo der Willi Verlobung feierte. Willi hatte trotz Einwänden seiner Mutter von den fünfunddreißig Mark Abschlag ein paar billige Ringe erstanden und ein kleines Fässchen Bier nebst etlichen Litern Schnaps besorgt. Für die nötige Tanzmusik wurde der Bontzeck geholt.
Stefan, der jüngere Mihallek, der mit Fredi Barnik gut Freund war, hatte den und noch ein paar Schlepper zu der Feier eingeladen. Stefan Mihallek hatte aus Vorsicht von seinem Abschlag zwei Liter kalt gestellt. Die steckten wohl verwahrt unter der Kohle im Keller. Die Wohnung füllte sich. Die Mädel kamen: Fiedlers Lene, Sofie Worbas, Grete und Anna Szepanneck, Labrachs Luise und andere. Sie schoben sich mit Kichern und Zieren in die Stube, in der schon ein großer Teil der eingeladenen Jungen saß, die Willi mit Schnaps traktierte. Sie hatten neue Hüte und Mützen keck auf den Ohren sitzen und neue Schlipse und Kragen.
Stefan hatte in einer Ecke in der Küche Fredi und seine Freunde um sich, die von den älteren nicht beachtet wurden, weil sie noch »Kroppzeug« waren. Die geringschätzige Behandlung reizte den sechzehnjährigen Stefan, der schon vor Beginn der Verlobung, die erst kommen sollte, im Keller war und einen Schluck genommen hatte. Seine Augen glänzten recht verdächtig, und er begann, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, dem Bahnläufer Muralla aus seinem Revier nachzusprechen. Muralla sprach ein drolliges Gemisch von Polnisch und Deutsch. Stefan ahmte nun Muralla äußerst täuschend nach und erzielte damit Lachsalven, die ihn noch mehr anspornten. »Verfluchter Kaaze, gääst du ronder von die Kamode, hast pschakreff rondergeschmissen Marie und Jupp, willst noch ronderschmeeßen Kindchen Gristus? Verdammte Kaaze, raus, sag ich aus Buuude!«
Die Mädel kreischten und schüttelten sich vor Lachen. Der alte Mihallek saß in der Nähe des Herdes auf einer niedrigen Bank, kniff die Augen zu und lachte gezwungen mit; denn er selbst sprach so wie der Muralla. Er wurde es endlich leid; denn die Burschen zwinkerten ihm zu und stießen sich an. »Här auf mit Quatsch, pschakreff!« sagte er ärgerlich. Das gab ein neues Gelächter. Mihallek stand auf und ging in die Kammer, wo er sich hinterm Schrank auch einen »Halben« bereitgestellt hatte.
»Gottverdammich!« Willi Mihallek duckte sich. »Passt auf, der wird spucken!« Er hatte dem Alten über die Hälfte der Flasche ausgetrunken. Es ging schon los: Der alte Mihallek kam mit wutentstelltem Gesicht zurück, in der Hand die halbleere Flasche. »Wer hat, verdammt, hier gesoffen?« Er sah über die anderen hinweg zu Stefan, der eben Stühle stemmte. »Stefan, Sau, verfluchtes, hast du gehabt Frässe dran?«
Es wäre zu einem Krach gekommen, da war aber der Bontzeck mit seinem Bandonion erschienen, und in dem frohen Lärm der Jugend blieb der Groll des Alten unbeachtet. Mihallek ging gekränkt hinter die Kammertür und trank wütend und mit berechtigter Vorsicht den Rest in der Flasche aus.
Bontzeck breitete eine abgenützte Samtdecke über die Knie und präludierte ein Vorspiel, während die anderen verstummten.
Willi Mihallek holte eine Flasche hervor und goss ein. Den ersten bekam der alte Mihallek, der sich neben Koßmalla, dem Vater der Verlobten, niedergelassen hatte. Der große Schnaps versöhnte ihn. Er nahm das Glas, probierte erst an einem kleinen Schluck, kniff anerkennend die Augen zu und goss dann das Ganze mit einem geübten Schwung hinunter. Er hielt dem Willi das Glas hin und sagte schmatzend: »Bin bässer auf zwee Beine, giß noch ein drinn!« Auch der zweite Schnaps schoss hinunter.
Darauf kam der Koßmalla auch mit zweien dran. Nach ihm ging die Flasche in der Runde herum. Auch die Mädel tranken. Sie teilten sich zu zweit den Inhalt eines Glases.
Stefan und seine Kumpels, die vor Ungeduld zitterten, kamen zuletzt dran. Stefan konnte nicht abwarten, bis man ihm einen einschenkte; er hatte Fredi gewinkt, und sie waren beide in den Keller gegangen. Dem Fredi, der das Zeug nicht gewöhnt war, stieg das Feuer in den Kopf, als er einen langen Zug genommen hatte. Stefan nötigte ihm noch einen auf, dann gingen sie zurück in die Küche.
Bontzeck riss einen Schlager herunter, dann noch einen. Die jungen Leute begannen erst schüchtern, dann immer forscher und wilder drauflos zu tanzen.
Stefan Mihallek fühlte sich ganz Mann, er schleifte, als mit ihm kein Mädel mehr tanzen wollte, den mittlerweile völlig betrunkenen Fredi herum. Beide flogen hin und her.
Selbst der alte Mihallek nahm sich die halblahme Frau Koßmalla und schleppte sie im Kreis durch die Stube, stampfte mit den schweren Stiefeln und jauchzte, bis sich Frau Koßmalla die Ohren zuhielt.
Um zehn Uhr waren Bier und Schnaps ausgegangen. Fredi hatte sich heimlich in eine Ecke der Küche verdrückt, hockte, den Kopf auf den Knien, und schnarchte. Stefan Mihallek war schon zum drittenmal hinaus getorkelt und hing mit aufgeblähtem Gesicht über den Zaun. Kotzte sich die Seele aus dem Leib.
In der Stube wurde noch mal zusammengelegt, und einer machte sich auf den Weg zu Kreibel. Johlend wurde die frische Ladung empfangen. Die Flasche kreiste weiter. Bontzeck wiederholte seine Schlager. Der Tanz und der trunkene Lärm wurden lauter. Gläser klirrten! Zwei eifersüchtige Burschen hatten sich beim Kragen. Die Weiber schrien. Mit Fäusten schlugen die erhitzten Burschen aufeinander los. Unter großem Lärm wurde der Streit geschlichtet; die Streitsüchtigen lachten einander aus, reichten sich die Hand, umhalsten und küssten sich. Bontzeck spielte einen neuen tollen Schlager. »Hoi!« schrie er dazu und trat mit den Stiefeln den Takt. Bis der Morgen graute. »Montag!« sagte einer. Die Freude war aus.
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