XXXI
In den Verwaltungsbüros wurde fieberhaft geschrieben. Kündigungen für alle Kumpels. Das sollte ein neues Schreckmittel sein, um sie für den Lohnabbau, über den verhandelt wurde, mürbe zu machen.
Die Verhandlungen wurden auf den einunddreißigsten Dezember vertagt.
Die Postboten hatten am ersten Januar viel zu tun. In die Krankenhäuser kam durch Angehörige die Nachricht, dass den Kranken die Kündigung durch die Post zugeschickt worden sei.
Das war der Neujahrsgruß der Zechenverwaltungen.
Die Verhandlungen vom einunddreißigsten Dezember waren wieder abgebrochen und auf den siebenten Januar vertagt worden.
In Gelsenkirchen tagte am Vormittag der Zentrale Kampfausschuss der Ruhrkumpels.
In Schecks Wohnung waren am Nachmittag die Funktionäre der RGO versammelt. Ein Kurier kam. »Schickt sofort Leute nach Essen! Morgen werden die Pütts stillgelegt!«
Dränger und Lotte machten sich auf den Weg zur Stadt. Sic kamen gegen die fünfte Stunde zurück. Die andern hatten voller Ungeduld gewartet. »Was gibt's?«
»Streik!« berichtete Dränger. »Sofort alle RGOleute zusammengeholt, morgen früh darf die Belegschaft von Zeche >Hoffnung< nicht mehr einfahren!«
Radfahrer wurden losgeschickt, die RGOkumpels zur Wirtschaft Kreibel hinbestellt. Der Beschluss des Kampfausschusses wurde ihnen bekanntgegeben. Es gab nur ein Bedenken: Wer sollte sprechen? Scheck und Dränger hatten ihre Papiere bekommen.
Scheck erklärte sich bereit, nach der Waschkaue hinzukommen, um dort zu sprechen.
Lotte bat sich Männerkleidung aus, sie wollte mit nach der Waschkaue hin. »Ich hau mit unter die Kumpels!« sagte sie kampfeifrig.
Man besorgte ihr die Sachen.
Die übrigen RGOleute hatten den Auftrag, an der Tür der Waschkaue zu stehen und während der Belegschaftsversammlung keinen nach dem Schacht hindurchzulassen.
Am selben Abend wurden noch alle bekannten Kumpels in ihren Wohnungen aufgesucht und von dem Streik am nächsten Morgen verständigt. In der Nacht huschten kleine Gruppen durch die Kolonie, beklebten die Mauern mit Plakaten und schrieben Aufrufe für den Streik.
Morgens, gegen drei Uhr, kamen die Genossen von ihrer Nachtarbeit zurück. Sie wollten sich wieder um fünf Uhr in der Nähe der Zeche treffen.
Scheck und Dränger waren mit Lotte nach Hause gegangen. Lotte kochte schnell Kaffee, den sie gemeinsam tranken. Die Zeit war herum. Lotte zog die Männerkleidung an, die ihr der Stefan Mihallek geliehen hatte, schob sich die Mütze auf die schwarzen Haare, hängte die Blechflasche über die Schulter und ging, wie sonst einer der jungen Schlepper, voraus zur Zeche.
Die anderen machten einen Umweg, denn die Polizei war alarmiert und passte in den Straßen auf.
An der Zeche warnte sie ein Kumpel, der wusste, dass Böß alle seine Steiger vor der Waschkaue und an der Markenbude zum Achtgeben hingestellt hatte, damit kein Unberufener auf den Zechenplatz kam. Böß hatte sich von Zeche »Jakob« Werkfeuerwehrleute ausgebeten, die ebenfalls, vor dem Zechentor und auf dem Zechenplatz verteilt, aufpassten. Einige hatten Hunde bei sich.
»Rauf müssen wir, da mag's kosten, was es will!« sagte Scheck und überlegte. Es war höchste Zeit, denn die Bergleute gingen schon zur Schicht.
»Komm, ich weiß einen Weg«, sagte Dränger, »aber wir müssen laufen!«
Sie setzten sich in Trab, immer an der Zechenmauer entlang, hinten herum waren die Steinhalden. Es war noch sehr dunkel. Dränger suchte in dem Drahtzaun, der vor den Steinhalden als Sperrschranke diente, nach einem Loch, durch das sie hindurch schlüpfen konnten. Nach langem Suchen fand er eine kopfbreite Öffnung, packte mit seinen kräftigen Händen hinein, riss die Maschen breiter auseinander und hieß Lotte und Scheck hindurchkriechen. Er nach. Es ging auf allen vieren die Steinhalden hinauf. Der Dreck war durch den Regen, der nachts gefallen war, glitschig, sie rutschten ständig aus und gerieten dadurch in Schweiß. Endlich waren sie über die Steinhalden hinweg und mussten über die Gleise, die voll leerer und voller Kohlenwaggons standen. Während sie vorwärtshasteten, pfiff eine Lokomotive. Sie erschraken, denn sie durften von dem Maschinisten nicht gesehen werden. Die Reihe der Waggons setzte sich in Bewegung. Sie konnten nicht hindurch und mussten warten; eine harte Geduldsprobe. In der Waschkaue warteten die Kumpels, und Reger war ein Fuchs, der sie irgendwie bluffen und zum Einfahren überreden konnte. Endlich waren die Waggons vorüber, und sie huschten wie die Katzen über die Schienen.
Ein Hund kläffte in der Nähe des Schachtgebäudes. Die Feuerwehr suchte den Zechenplatz ab. Schnell verschwanden sie zwischen Kohlenhaufen, die sie in der Dunkelheit gegen Sicht schützten.
Lotte schrie leise auf. Sie war mit den nassen Stiefeln in brennende Kohlen getreten. Es zischte und roch nach verbranntem Leder. Hässlicher Kohlenbrandgeruch erstickte sie fast, und sie mussten wieder aus dem Kohlenhaufen hervor.
»Kommt«, sagte Scheck wütend, »jetzt geht's aufs Ganze! Wir müssen eilen, sonst fahren die Kumpels ein!«
Sie sprangen geduckt zwischen den Holzstapeln, die herumlagen, wanden sich zwischen alten Förderwagen und Eisenschrotthaufen hindurch und waren im Rücken der Waschkaue. Drinnen rasselten die Kleiderketten. Sie wussten, die Kumpels zogen sich zur Schicht um.
»Wie nun hinein?« fragte Dränger.
»Durchs Fenster!« riet Lotte und zeigte hinauf. »Bück dich, Langer!« Sie bog Dränger den Nacken und kletterte ihm auf die Schultern. Scheck half nach. Hopp!
Lotte saß oben auf dem Fenster. Hopp! Sie schwang sich hinüber und war im Innern der Waschkaue verschwunden. Auch die beiden anderen turnten durchs Fenster hinein.
»Hooo!« ging es sofort in der Waschkaue los. Die Bergleute, die wussten, dass jemand zu ihnen in der Waschkaue sprechen sollte, hatten gewartet. Als es ihnen aber zu lange wurde, begannen sie sich umzukleiden. Die RGOleute befürchteten, dass Scheck und die anderen Genossen von den Werkposten, die Böß aufgestellt hatte, abgeschnappt worden wären. Sie versuchten auf die Bergleute einzureden, noch mit dem Umziehen zu warten. Böß selbst erschien in der Waschkaue und hatte die Kumpels unter Androhung von Strafe aufgefordert, sich sofort umzuziehen und einzufahren. Ein Teil war schon zur Seilfahrt umgezogen und drängte sich zur Tür, als das Geschrei am Fenster, wo Lotte, Scheck und Dränger hindurch geklettert waren, erscholl. Alle drängten rasch nach der Mitte der Waschkaue hin, wo Scheck auf eine Bank gesprungen war. »Nicht ein Kumpel darf einfahren!« rief er. »Beschließt den Streik!«
Ein Betriebsrat war auf eine andere Bank gesprungen und warnte vor einem unüberlegten Schritt. »Meine Gewerkschaft kann die Verantwortung nicht übernehmen, einen wilden Streik zu billigen!« rief er und ermahnte die Kumpels, doch noch abzuwarten, was die Verhandlungen ergeben würden, dann wäre immer noch Zeit genug, an einen Streik zu denken.
Da fuhr ihm aber die Lotte dazwischen. »Sicher, Kumpels, damit es euch wieder so geht wie im Mai neunzehnhundertvierundzwanzig. Die Kapitalisten holten die dicken Brocken weg, und euch hat man den Lohn fortgestohlen! Geschuftet habt ihr wie die Hunde, und nun sollt ihr wieder abwarten, bis es den Bonzen gefällt, euch wieder an der Nase herumzuführen.« Die Kumpels waren überrascht, in der Waschkaue eine Frau zu sehen. Sie hörten gespannt auf Lotte, die sich neben Scheck auf die Bank gestellt hatte und in ihrem sprudelnden Temperament, so wie ihr der Mund stand, die Worte herab feuerte.
Die Kumpels nickten ihr anerkennend zu und schrien Beifall, als Lotte zu Ende war. Der Betriebsrat versuchte es noch einmal und schrie den Kumpels zu: »Was haben denn Weiber in unserer Versammlung zu suchen? Wir sind doch Manns genug, Kumpels.«
»Ohooo! Ohaa! Haut ihn von der Bank herunter!« Der Lärm ging los.
Warneck, von Freude erfüllt, machte einen Satz auf die Bank. »Kumpels, wer gegen den Streik ist, einen Arm hoch!«
Drei, vier, die den Arm erhoben.
»Streik!« brüllte Warneck. »Heraus aus der Waschkaue !«
Böß war mit zorngerötetem Gesicht in der Tür erschienen, hinter ihm die Steiger und ein paar Werkfeuerwehrleute. Sie wurden durch die hinausdrängenden Bergleute in den Flur gestoßen. Die Bergleute verhinderten deren Absicht, Scheck, Dränger und Lotte festzuhalten.
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