XXV
Es war hoch im Herbst. In den Gärten der Kolonie wurde es kahl. Hier und dort zupfte eine Ziege an dem wenigen Grün und an dürren Kohlstümpfen.
An einem Morgen lief flink und mit gerötetem Gesicht ein junges Weib durch die Franzstraße, nahm aus einer braunen Tasche Zeitungen und steckte sie unter die Türen.
»He, langsam, Lotte!« rief Dränger aus seinem Fenster.
»Immer wie 'n Dzug!« lachte die Frau und verschwand wieder in einem Haus.
Lotte Burmeister trug die kommunistische Zeitung aus. Sie wohnte unten am Schlackenberg in einer alten, baufälligen Bude. Vor einigen Wochen hatte sie den Jakob Dinta, mit dem sie drei Jahre lang zusammen gewirtschaftet hatte, raus gejagt; denn Dinta soff und hatte ihr an dem letzten Tag die Möbel zerschlagen. Nun bewohnte sie allein die beiden engen, verräucherten Räume.
Lotte verlor nicht den Mut, denn sie hatte sich im Leben schon viel schlimmer durchhauen müssen. Wohl hatte es bei der Trennung von Dinta in ihrem Innern einen schmerzlichen Riss gegeben, denn drei Jahre Zusammenleben mit einem Menschen binden auch dann, wenn der eine oder der andere nicht das war, was man sich unter einem verträglichen Menschen vorstellte.
Dinta war in seiner Trunkenheit wüst und roh. Lotte hatte in den Tagen, in denen er seine Sauftour bekam, viel auszustehen. Bis sie es endlich satt bekam.
Lotte war mit dem Zeitungaustragen fertig und schritt den Weg hinauf, der sich an den Schächten entlang wand.
Hinter den Schächten lag die Steinhalde. Sie betrat ihre Wohnung und warf den Mantel und die Zeitungstasche ab. Dann ging sie ans Aufräumen.
In dem Haus wohnte der arbeitslose Rogger. Roggers Frau ging jeden Abend in die Stadt und verdiente zu der Wohlfahrtsunterstützung ihres Mannes ein paar Mark hinzu.
Lotte wischte gerade den Tisch ab, als Frau Rogger in ihre Stube trat. Frau Rogger konnte den ganzen Tag von ihren nächtlichen Abenteuern erzählen. Auch jetzt hatte sie sichtlich was auf dem Herzen. »Es wird immer schlechter, Lotte«, begann sie. »Man kann sich die Beene in den Hintern stehen, die Männer haben einfach keene Marie, weißte. Da mäckt keen Minister wat dran!« Sie lachte. »Heute morgen hab ich mal Schwein gehabt, hab eenen mitgebracht, 'nen Ferkelhändler; besoffen wie 'ne Sau, natürlich; nun pennt er mit meinem Ollen im Bett!«
Frau Rogger wurde noch vertraulicher. »Ich muss das Aas mal auf 'n Arm nehmen, der hat die Patte voll, sag ich dir!«
In ihrer Wohnung erhob sich ein Grunzen. Sie lauschte durch die offene Tür hinüber. »Ich muss aufpassen, dat sich die beiden nich beißen!« sagte sie. »Wat möckste, wenn die Kerls nichts mehr verdienen?« fuhr sie entschuldigend fort, als sie in Lottes Gesicht Widerwillen bemerkte.
Rogger musste Bier holen, das hörte Lotte. Frau Rogger brachte ihre beiden Kinder in Lottes Stube und ging mit dem Händler ins Bett. Die Kinder hatten große Tüten mit Bonbons, von denen sie mit schmutzigen Fingern aßen.
Drüben bei Roggers wurde tüchtig getrunken. Nachmittags kam die Frau zu Lotte herein. Sie schwankte. »Ich bin wieder kanonenvoll, Lotte, wat sagste dazu. Mein Gott, mäck doch nich son blödes Gesicht, Mädel; der eine verdient seine Marie mit dem Maul oder mit seinen Händen; ich verdien sie mit meinem Hintern. Was is denn viel dabei, ha?« Sie schüttelte sich vor Lachen.
»Komm mal 'nen Augenblick mit bei mich rein, es geht lustig zu, Lotte, der Kerl will Weiber sehen, dann rückt er erst recht mit den Kröten raus!«
Lotte wehrte ab.
»Ach ich weiß, wir sind dich nicht koscher genug!« sagte Frau Rogger ärgerlich, »Mensch, Lotte, bist du eine blöde Trine!« Sie schwankte hinaus.
Lotte hatte die Kinder in ihr Bett gelegt, hieß sie schlafen und verließ ihre Wohnung. Sie hatte eine Versammlung. Es dauerte bis in die Nacht. Als sie heimkam, war es in Roggers Wohnung still. Sie hörte Schnarchen.
Lotte zündete ihre Petroleumlampe an und nahm sich ein Buch vor. Sie wartete.
In der Versammlung war beschlossen worden, nachts Plakate zu kleben. Auf allen Zechen im Ruhrgebiet gärte es, und es drohte, mit den Zechenbesitzern zu einem Zusammenstoß zu kommen. Nicht nur, dass in den Pütts jeden Monat die Löhne reduziert wurden - die Zechenbesitzer hatten nach Ablauf des Tarifabkommens zwölf Prozent Lohnabbau als Forderung aufgestellt. Darüber fanden Verhandlungen mit den Gewerkschaftsführern statt, von denen jedoch die Kumpels wussten, dass sie nichts Besseres brachten. Der Streik war unvermeidlich.
Um zwei Uhr nachts klopfte jemand an Lottes Fenster. Sie war ein wenig eingenickt, sprang aber sofort auf, als sie das Klopfen hörte. Draußen standen Dränger und Scheck mit einigen Männern.
»Kommst mit, Lotte?« fragte Dränger.
»Sicher!« sagte Lotte und rieb sich den Schlaf aus den Augen.
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