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Hans Marchwitza - Schlacht vor Kohle (1931)
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XIV

Jaschinski schleppte sich müde von der Zeche und wie zerschlagen zur Zeche. In seinen Rippen saß ein Feuer, das stach bei jedem Atemholen.
Nun hockte er wieder in seinem Kohlenloch. Um sieben Uhr kam Schacke und nörgelte eine ganze Stunde. Schacke kroch fort; dann kam Bölke, der Ortsälteste, der quälte ihn mit Ratschlägen und Vorwürfen, obwohl Jaschinski vor Schweiß troff.
»Du hältst hier nur unnötig die Förderung auf!« sagte Bölke ärgerlich, als er Jaschinskis Hilflosigkeit sah. »Hau ab!« sagte er. »Es ist besser für dich!«
Um zehn Uhr kam Schacke wieder. »Noch nicht weiter, Jaschinski?« schrie er dicht am Ohr des Hauers.
Jaschinski zitterte und stieß ohne Unterbrechung mit der Lufthacke gegen das Flöz. Durst plagte ihn. Sein Gaumen war nur eine dicke Kleie, und zwischen seinen Zähnen knirschte Kohlenstaub. Jaschinski hatte immer stärker das Bedürfnis, die Maschine fortzuwerfen und sich hinzulegen. Schacke lag neben ihm und beobachtete jede seiner Bewegungen mit lauernden Blicken.
Das Rütteln der Lufthacke übertrug sich auf Jaschinskis Körper. Auch seine Zähne trommelten mit. Die Kohle kam so schwer!
Schacke wiegte unwillig den Kopf. »Dranhalten, Jaschinski!« Jaschinski presste die Hände um den Eisengriff der Lufthacke und stemmte sich mit der stöhnenden Brust dahinter.
Sein Schweiß brannte aus. Jaschinski vertrocknete, hatte die Vorstellung, er wäre kein Mensch mehr; er sei eine Maschine. Nur das Stechen in den Seiten ermahnte ihn noch daran, dass er der Hauer Jaschinski war, der in der verdammten Kohlenrutsche neun kniete und Kohle schlug.
Als Schacke fort war, entfiel Jaschinski die Lufthacke. Er warf sich auf den Kohlenhaufen und blieb wie tot liegen.
Dränger kam herunter. Jaschinski sah nur die Kaffeeflasche, die Dränger bei sich trug. Er entriss sie ihm. »Bin ganz ausgebrannt!« sagte er heiser und trank.
Als er die Flasche ausgetrunken hatte, warf er sich wieder auf die Kohle hin und sagte mit fremder Stimme: »Sind wir noch Menschen? Wir sind keine Menschen mehr! Wir sind Vieh!« -
Dränger versuchte ihm zu erklären: »Es liegt an uns! Wir gehen hier alle zugrunde, wenn wir den Mund halten!«
Jaschinski war es sterbenselend zumute. Er stierte stumpfsinnig vor sich hin.
Bölke kam. Jaschinski erbrach sich mehrere Male. Bölke sah es: »Hast dir wohl gestern einen angesoffen?« fragte er.
Jaschinski erwiderte nichts, nahm seine Lufthacke und quälte sich von neuem.
»Ich hol mir doch einen Krankenschein!« sagte er zu Dränger, als sie nach der Schicht zum Schacht gingen. Er stöhnte.
Nach der Ausfahrt begab er sich zum Büroschalter. »Ich möcht einen Krankenschein!« sagte er zu Schacke.
»Was, schlappgemacht?« fragte Schacke.
»Ich bin schlecht in Schuss!« sagte Jaschinski.
»Warten Sie!« sagte Schacke und meldete Böß, dass Jaschinski einen Krankenschein verlange. Böß ließ Jaschinski zu sich rufen.
»Sie wollen krankfeiern?«
»Ich bin schlecht in Schuss!« wiederholte Jaschinski. »Das geht nicht!« sagte Böß entrüstet. »Ich kann keine kranken Leute brauchen. Ich darf auch nicht krank werden! Wo soll das hin?«
»Dann will ich lieber mit dem Krankenschein warten!« sagte Jaschinski und ärgerte sich, dass er wegen des Krankenscheins gekommen war. »Schlafen Sie sich aus, dann geht's schon wieder!« sagte Böß.
Als er nach Hause kam, rief Frau Jaschinski entsetzt: »Mann, wie siehst du denn aus?«
»Morgen wird's wohl wieder gehn!« entschuldigte sich Jaschinski. Er ging sofort zu Bett.
Nachts schwamm sein Bett auf einem großen, schwarzen Wasser. Er sprang schweißgenässt heraus und schrie blödes Zeug: von angebrannter Kohle, von Schacke, von Böß, der ihn mit spitzen Eisen stach! Mit einem Satz war er aus der Kammer und wehrte sich tobend gegen seine Frau, die ihn zurückzuhalten versuchte.

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