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Hans Marchwitza - Schlacht vor Kohle (1931)
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XXIX

In der Franzstraße der Kolonie stand ein Wagen mit einem Überbau von grobem, braunem Leinen. Es war ein Zechenfuhrwerk. Marie Plaschewskis Wohnung wurde durch ein paar Übertagearbeiter, die der neue Wohnungsverwalter mitgebracht hatte, ausgeräumt.
Den Wagen umstanden Kinder, die ihr Spiel in den Straßen unterbrochen hatten. In den umliegenden Fenstern lagen Kumpels und Frauen. Ihre Mienen waren ungehalten, denn man wusste, dass die Räumung nur ein Racheakt gegen die Marie war. Die Wohnungsdirektion, bei der mehrere Beschwerden wegen Belästigungen von Frauen durch den alten Wohnungsverwalter eingelaufen waren, unternahm nichts gegen ihn, sie tauschte ihn nur gegen einen anderen um.
Marie Plaschewski stand draußen am Wagen und half ihre Möbel hinaufsetzen.
Im jenseitigen Fenster lag die alte Ragnitzki. »Siehste«, rief sie der Marie zu, »wenn du dich für die Schweine hinlegst, dann sind sie zufrieden, wenn man ihnen aber eins auf die Dreckklauen haut, dann hat man ausgedient!«
Der Wohnungsverwalter, der aus dem Hause herauskam, warf einen feindseligen Blick zu der Ragnitzki hinüber. Er wagte aber nicht zu antworten, denn die anderen Einwohner warteten darauf, dass er was sagte, und die Räumung hätte bestimmt einen anderen Verlauf genommen.
Die Ludwigsgasse war ein verrauchter, dreistöckiger Häuserzug. Der Verputz fiel in breiten Flächen von dem unterhöhlten Mauerwerk.
Vor dem Hause Nummer dreiundzwanzig stapelten Männer den Hausrat der Familie Meinert auf. Meinert war aus dem Gefängnis gekommen, wo er wegen Kohlendiebstahl drei Monate abgebüßt hatte. Seine Familie lebte in dieser Zeit sehr erbärmlich und war mit der Miete zurückgeblieben. Die Wohnungsverwaltung, die Meinert beim Räumen der Koloniewohnung die Räume in der Ludwigsgasse bereitstellen musste, hatte infolgedessen eine zweite Klage angestrengt. Meinert wurde dazu verurteilt, die Wohnung zu räumen, ohne dass Ersatzräume für ihn zur Verfügung standen.
Meinert gab sich mit der Zwangsräumung nicht zufrieden.
Als Marie Plaschewski mit ihrem Hausrat ankam, liefen die Leute der umliegenden Häuser vor dem Haus Nummer dreiundzwanzig zusammen.
Im Treppenflur krachte es. Meinert warf Gegenstände auf der Treppe zu Trümmer, um die Räumung zu verhindern.
Der Wohnungsverwalter, der ins Haus gelaufen war, erschien wieder auf der Straße und rief einen Polizisten heran.
Aus dem Treppenflur waren Meinerts Toben zu hören und die bittende Stimme seiner Frau.
»Nehmen Sie ihn mit!« sagte der Wohnungsverwalter zu dem Polizisten. »Der Kerl ist rasend, er belästigt meine Leute!«
Die Leute, die herbeiliefen, wurden von dem Polizisten zurückgejagt. Als der Polizist mit dem Wohnungsverwalter im Haus verschwunden war, lief die Menge wieder hinterher und drängte in den Hausflur nach.
Der Polizist und der Wohnungsverwalter warfen sich auf Meinert und überwältigten ihn, weil er keine Kraft hatte, sich gegen die beiden zu wehren. Unter Geschrei stob die Menge wieder auf die Straße; denn der Polizist schleppte Meinert an einer kurzen Eisenkette heraus. Er hatte ihm die Kette um das Handgelenk gedreht, und die Hand, der durch eine Drehung der Kette das Blut abgeschnürt worden war, stach kalkweiß von dem blaugedunsenen Handgelenk ab.
Daraufhin wurde die Räumung fortgesetzt. Die Wohnung wurde für die Marie Plaschewski frei gemacht.
Es war der Lohntag vor Weihnachten. Die Kumpels standen bei Kreibel an der Theke oder saßen an den Tischen, fluchten und überschrien einander in der Erregung, denn die Abschläge waren beschämend klein.
Frauen erschienen in der Wirtschaft und holten ihre Männer. Sie wollten zur Stadt, um für die Feiertage einzukaufen. Es gab enttäuschte Gesichter, als sie von ihren Männern hörten, was sie an Lohn herausbekommen hatten.
Dränger war nicht mit in die Wirtschaft hineingegangen. Er ging mit Worbas und Fiedler nach Hause.
»Es ist höchste Zeit, dass die Granate platzt!« sagte Worbas finster, als sie sich trennten. Er hatte zwanzig Mark Abschlag in der Tasche.
Frau Dränger hatte auf ihren Mann gewartet. Sie wollten noch schnell zur Stadt, er hatte aber die Lust dazu verloren. Zu Hause zu sitzen jedoch graute ihn, und er ging mit ihr, obwohl er wusste, dass sie von den dreißig Mark, die er Abschlag bekommen hatte, nicht viel kaufen konnten. Es reichte gerade, einen Teil der lästigen Schulden zu bezahlen.
Frau Dränger schleppte ihn in der Stadt von einem Schaufenster zum andern und besah mit neidischen Blicken die Auslagen. Sie kauften zwei Pfund Rindfleisch und noch einige Kleinigkeiten für ihre zwei Kinder und gingen wieder nach Hause.
Auf dem Heimweg trafen sie Jarzack, auf dessen Stirn ein großes Heftpflaster klebte. Seine Frau hatte ihm am vergangenen Zahltag mit einer Kohlenschaufel vor den Kopf geschlagen, weil er einen Teil seines Abschlags bei Kreibel versoffen hatte. Und sie brauchte das Geld mit ihren Kindern so nötig.
Jarzack hatte die Drängers erblickt. »He, Dränger, wart mol 'n bettken!« rief er und taumelte auf sie zu. »Eck hew mie van Dage een angesoppen, weißte, dat tut aber niks tau Sache, segg eck die. Aber eint segg eck, weißt, miene Olsche is nie sust so gewest, dat se mie met ner Schüppe an den Kopp gehaun hett, dat is nur wegen dem verfluchten Geld gekommen, weißte. Un van Tage hew eck all weer nur twentich Mark herutgekriegt. De Hälfte hew eck versoppen. Nu hewt wie Wienachten - gottverdammich!« Jarzack begann erschütternd zu lachen. Er lachte, bis ihm die Tränen kamen. »Mann, Mann, wa 'n Spuk! Nu hew eck mie vor
Wut en angesoppen.« Er fuhr mit der flachen Hand durch die Luft. »Ach, scheiß wat drop, lot se mie von Tage dodhauen, eck gew niks mehr um den ganzen Dreck, wa?«
Dränger packte Jarzack, der in eine Schenke hinein taumeln wollte, am Rock und zog ihn zurück. »Du hast heut genug, Jarzack, komm mit nach Haus, gibt deiner Frau das Geld!«
»Eck drink den letzten, bestimmt den letzten!« beteuerte Jarzack. »Mann, eck hew doch Verstand. Oder meinste, eck hätt keinen Verstand mehr?«
»Komm, komm!« zog ihn Dränger mit. »Deine Kinder warten!«
»Du hast recht, eck sin een unverbesserlicher Schuft!« heulte Jarzack.
Vor der letzten Schenke am Ausgang der Stadt riss er sich trotzdem los und wankte hinein. In der Tür wandte er sich noch mal um und rief: »Nur eenen, Dränger, eck mot mie Mut ansupen!«
Frau Dränger ging mit einem Gesicht voll Abscheu neben ihrem Mann. »Das gibt Mord und Totschlag, wenn der nach Hause kommt!« sagte sie; denn sie wusste, dass Frau Jarzack auf ihren Mann wartete und ohne Brot dasaß.
Kurz vor der Kolonie begegneten sie Frau Jaschinski. Dränger grüßte hinüber. Frau Jaschinski nickte, sah daraufhin wieder verbissen zu Boden, als ob sie dort was suchte.
»Die hat auch ihr Kreuz!« sagte Frau Dränger und sah ihr nach.
Frau Jaschinski erhielt ihre Unterstützung aus der Wohlfahrt, weil ihre Rente noch nicht feststand. Es war noch nicht geklärt, ob es sich bei Jaschinski um einen tödlichen Unfall oder um einen Herzschlag handelte. Die Verhandlung darüber ging weiter, und man beabsichtigte, Jaschinski noch einmal ausgraben zu lassen, um die Leiche erneut zu untersuchen.

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