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Hans Marchwitza - Schlacht vor Kohle (1931)
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V

»Jetzt sitz ich fest!« klagte Jaschinski missmutig seiner Frau.
»Mann, was willst du denn nur?« fragte sie bestürzt. »Du hast doch deine Arbeit und verdienst nicht übel!«
»Wenn ich nur aus der Kolonne wär!« sagte Jaschinski bedrückt. Die Schläge, die er von Plenge bekommen hatte, konnten sich wiederholen; denn die Kolonne befand sich wiederum in einer Rutsche und arbeitete die Leistung vor. Er nahm sich wohl dabei in acht, damit er nicht zum zweiten mal mit dem betreffenden Hauer, in dessen Ort er Kohle haute, in Streit kam, baute wenigstens halbwegs aus und warf die Steine beiseite. Das hielt ihn zu sehr von der Kohlenarbeit ab, und die Beamten, die ihm zusahen, waren unwillig, dass Jaschinski nicht mehr so viel Kohle brachte, wie er es sonst getan hatte.
»Sind Sie schlapp geworden?« fragte ihn in einer Schicht der Fahrsteiger Benzberg.
»Das wohl nicht«, sagte Jaschinski, »ich möcht aber nich mit die Kumpels in Krach kommen, wenn sie wieder her müssen!«
»Hauen Sie nur Kohle raus!« gebot ihm Benzberg. »Das andere überlassen Sie ruhig uns!«
Jaschinski plagte sich, so gut er konnte; er war jedesmal dem Umfallen nahe, wenn die Schicht zu Ende ging.
»Ich muss mich doch raus melden!« sagte er daheim zu seiner Frau. »Ich geh ja kaputt drin, wenn's so weiter anhält!«
»Du gehst nicht raus!« warnte Frau Jaschinski. »Du sollst jetzt die Wohnung bekommen, denk doch daran, Fritz!«
Jaschinski war aber so mit seiner Angst beschäftigt, dass er am nächsten Tag nach der Schicht doch zu Böß ging und diesen bat, ihn aus der »Fliegenden Kolonne« heraus zu tun.
»Dann müssen Sie schon kündigen!« sagte Böß kurz. »Eine andere Arbeit hab ich für Sie nicht!«
»Ich kann es aber nicht mehr mitmachen!« klagte Jaschinski. »Warum denn nicht?«
»Es wird mir zu schwer!«
»Ich sagt es Ihnen, eine andere Arbeit gibt es nicht!« sagte Böß barsch. Weil Jaschinski noch immer zögerte, erklärte Böß: »Ich hab Ihnen eine Wohnung in der Kolonie freimachen lassen, die Sie beziehen sollten, entschließen Sie sich - entweder bleiben Sie in der Kolonne, oder ich seh mich nach einem andern Mann um!«
Jaschinski zitterte. Verlor er die Koloniewohnung, dann gab es zu Hause einen Sturm, den er mehr fürchtete als alle Schläge. Frau Jaschinski hatte sich ein Sümmchen zusammengespart und wollte davon eine neue Küche auf Abzahlung kaufen, sobald sie die Wohnung in der Kolonie beziehen sollten. Sie war schon jeden Tag dran, sprach, wie sie sich einrichten wollte, dass sie bestimmt ein Ferkel kaufe und vielleicht noch eine Ziege hinzu; denn die Wohnungen in der Kolonie hatten Stallungen, in denen man Vieh halten konnte. Wehe, wenn dies alles nichts werden würde!
»Na!« fragte Böß ungeduldig. »Was ist denn da noch viel zu überlegen! Los, Jaschinski, ich hab wenig Zeit!«
»Ich bleib in der Kolonne!« entschloss sich Jaschinski schweren Herzens.
Er bekam die neue Wohnung. Frau Jaschinski war außer sich vor Freude, dass sie einziehen durften. Der Wohnungsverwalter hatte den Meinert, der vor einigen Monaten wegen Arbeitsmangel vom Pütt entlassen worden war, ausräumen lassen, der nun an Jaschinskis Stelle in den schlechten Notraum in der Ludwigsgasse einziehen musste.
Frau Jaschinski nahm ihr Erspartes, ging mit ihrem Mann in ein Abzahlungsgeschäft in der Stadt, zahlte dort eine neue Küche an und verpflichtete sich vertraglich, jeden Abschlag zehn Mark abzuzahlen.
Zu der Wohnung gehörten ein Stück Garten und die schon erwähnten Ställe. Der Wunsch, etwas »Eigenes« zu haben, war teils in Erfüllung gegangen, und Frau Jaschinski sprang froh und lebendig wie schon lange nicht mehr und putzte an der hübschen Wohnung herum, erzählte jeden Augenblick Jaschinski, was sie noch alles anschaffen möchte, und steckte ihn mit ihrer Freude an.
Die »Kolonne« hatte es den Kumpels in der Rutsche wieder so verdorben wie in allen bisherigen.
»Na, du Schrapper, hast noch nicht genug?« sagte in einer Schicht ein Hauer zu Jaschinski. »Schämst du dich nicht, deinen Kumpels das Brot zu stehlen?«
»Ich möchte ja aus der Kolonne raus«, entschuldigte sich Jaschinski kleinlaut, »ich kann aber nicht, dann muss ich ganz vom Pütt!«
»So einen Dreck macht doch kein gescheiter Mensch mit!« sagte der Hauer verächtlich.
Die Hauer umringten Jaschinski, der sich fortwährend entschuldigte, dass er bisher nichts gehabt hätte, dass er nicht rausfliegen wolle, und erklärte jedem einzelnen, dass sich seine Frau umbringen würde, wenn er die Koloniewohnung verlieren sollte.
»Treibt es nicht zum Äußersten!« drohten die Hauer ergrimmt. Jaschinski wurde recht klein. Er drückte sich aus der Menge, die ihn umstand, und kroch auf den Korb.
Am nächsten Tag begab er sich nach der Ausfahrt wieder auf die Suche nach Arbeit. Auf einer Zeche kam er mit einem Markenkontrolleur ins Gespräch. »In den nächsten zwanzig Jahren wird damit nicht zu rechnen sein, dass wir Leute annehmen!« erzählte der Markenfritze.
Jaschinski ging verzagt heim. »Aus!« sagte er.
»Was meinst du?« fragte ihn seine Frau, der er von der Arbeitssuche vorher nichts gesagt hatte.
»Ich mein das Mitdempüttwechseln!«
»Bist du wieder dran?« fragte sie aufgebracht.
»Sie haun mich noch mal tot, wenn ich nicht aus der Kolonne rauskomme!« klagte Jaschinski.
In einer Schicht rief ihn der lange Dränger an. »Sag mal, Jaschinski, ihr macht uns jede Arbeit kaputt, wo ihr hinkommt. Wir können uns beim Graf Deuwel beschweren, es nutzt nichts, denn die Leistung wird nach eurer Wühlerei berechnet! Kein anständiger Mensch billigt es, wenn er nicht in ein paar Wochen krepieren will!«
»Das weiß ich!« zitterte Jaschinski und erwartete eine Ohrfeige oder einen Fußtritt. Es wunderte ihn sehr, dass es Dränger nicht gleich bei den Worten getan hatte.
»Du weißt es also und tust es doch!« sagte Dränger ungehalten. Und Jaschinski erzählte ihm das, was er schon jedem erzählt hatte, um Dränger erklärlich zu machen, warum er aus der »Fliegenden Kolonne« nicht herauskonnte.
»Du musst es doch verstehen, dass ihr nur vorübergehend die Arbeit macht, bis sie euch nicht mehr brauchen!« erläuterte Dränger. »Wenn sie dir dann die Fieppen geben, dann ist's umso schlimmer, denn nicht ein einziger Kumpel steht hinter dir! Ihr habt es euch doch mit jedem verdorben!«
Das begriff Jaschinski wohl und war daraufhin noch mehr verzagt. Müde und abgespannt ging er nach Hause. Die einzige Rettung war ein Krankenschein. Er wollte darüber mit seiner Frau reden. Da kam er aber schön an. »Einen Krankenschein? Hast du einen Vogel, Mann? Wir haben die Küche abzuzahlen; oder willst du, dass man sie uns wieder fortholt?« Frau Jaschinski wurde zornig.
Jaschinski sah ein, dass ihm auch ein Krankenschein nicht helfen konnte. So verstummte er, wurde winzig, wenn ihn jemand ansprach, nahm alles hin wie ein Grubengaul, den man vor einen viel zu schweren Zug gespannt hatte, lachte blöde zu jedem Schimpf, um nur etwas zu tun, um sich nicht mehr entschuldigen zu müssen. Frau Jaschinski war unerbittlich, ließ mit sich ebenso wenig reden, liebte ihre kleine Wohnung, die sie sich unter Sorgen erarbeitet, den Stall, den kleinen Streifen Garten, der, durch ihre fleißigen Hände umgegraben, besät, nun Früchte trug, das Ferkel, das sie gekauft, die Ziege, alles, alles, was sie unter Opfern und nach langem, trostlosem Warten zusammengebracht hatte.
Und Jaschinski konnte ihr die kleine Welt nicht zerstören. Drohend stand vor ihm eine neue Gefahr, die ihm Dränger angedeutet hatte - wenn man ihn nicht mehr brauchte!

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