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Hans Marchwitza - Schlacht vor Kohle (1931)
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IV

Fritz Jaschinski kam aus dem oberschlesischcn Bergbau und hoffte für die Schufterei in seiner Heimat hier im Ruhrgebiet entschädigt zu werden.
Der Agent, der ihn für eine Zeche an der Ruhr geworben, hatte ihm Wunderdinge von hohen Löhnen und von einem eigenen Häuschen erzählt; von Viehzucht, die jeder Kumpel an der Ruhr betreibt, und dass er neben seiner Arbeit im Pütt noch so nebenbei »dicke Taler« verdienen könne und was sonst noch!
Jaschinski stäubte den Dreck der oberschlesischen Kohle ab, packte seine wenige Habe in den Zug, der ihn nach dem Ruhrgebiet schaffen sollte, und dampfte ab.
Der Agent brachte den Transport, mit dem über hundert Mann herüberkamen, auf die Zeche N. bei H. Dort kam erst der Schwindel heraus: Jaschinski, der in Oberschlesien schon vor Kohle als Hauer gearbeitet hatte, musste auf N. wieder als Schlepper anfangen, denn er war auf die neuen Flözverhältnisse nicht eingearbeitet. Zudem waren Kohlenhauer genug vorhanden, es fehlte nur an Schleppern.
Jaschinski hatte sich gesträubt, als Schlepper zu arbeiten, weil der Lohn viel zu gering war. Er wurde aber auf den Vertrag aufmerksam gemacht, den er, ohne zu wissen, für Schlepparbeit unterschrieben hatte. Der Betriebsführer versprach ihm, wenn er drei Monate fleißig als Schlepper arbeite, käme er vor Kohle. Jaschinski schleppte sich krumm und lahm.
Fünf Monate vergingen, er schleppte noch immer. Er ging zum Betriebsführer und fragte, ob er nicht bald vor Kohle käme, es wäre ihm doch versprochen worden. Der Betriebsführer konnte sich nicht entsinnen, hieß ihn, sich noch zu gedulden, er wolle an ihn denken, sobald ein Platz frei wäre.
Jaschinski schleppte ein ganzes Jahr. Der Betriebsführer schien ihn ganz vergessen zu haben. So nahm Jaschinski seine Papiere und siedelte nach einer anderen Zeche über.
Auch dort musste er die dreckigste Arbeit verrichten, und der Lohn war schlecht. Er wanderte von Zeche zu Zeche. Auf Zeche »Hannibal« wurde er endlich Hauer. Das war noch vor dem Kriege. Nun kamen ihm wieder die Hoffnungen, da er mehr verdiente, zu einem eigenen Häuschen und einem Stück eigenem Land zu kommen. Während des Krieges wurde er reklamiert, weil er ein fleißiger Hauer war; aber durch die übertriebene Jagd nach Kohle und den Steckrübenfraß war er bis auf die Knochen abgemagert.
In der Zeit von neunzehnhundertachtzehn bis neunzehnhundertdreiundzwanzig, als die Inflation die Kumpels zu Millionären und Milliardären machte, war Jaschinski verschwunden: Die holländischen Bergwerksgesellschaften warben um deutsche Kumpels und zahlten mit vollwertigen, harten Gulden. Jaschinski hatte seine Möbel verpackt und war in die holländischen Zechen gegangen. Er kam dort in ein nasses Flöz. Das Salzwasser zerfraß ihm die Haut. Die Förderverhältnisse waren saumäßig. Von den Gulden, die er ausgezahlt bekam, konnte er sich noch immer kein »Eigenes« erwerben; sie gingen ihm aus, ehe der nächste Zahltag kam.
Jaschinski verfluchte Holland, wie er die Pütts im Ruhrgebiet und in Oberschlesien verflucht hatte. Er kündigte, nahm seine Papiere, packte seine Brocken und siedelte nach dem Wurmrevier über. Aber auch dort ging es ihm schlecht. Nirgends konnte er zu etwas kommen. Er verzagte schon.
Jaschinski hatte auf Zeche »Hoffnung« einen Kumpel, der Steiger geworden war. An den schrieb er in seiner Not und bat, ihn auf der Zeche unterzubringen.
Böß nahm nach Fürsprache des Steigers Jaschinski an. »Sie können hier gutes Geld verdienen«, sagte Böß. »Sic müssen aber auch ran!«
»Das ist mir egal«, sagte Jaschinski zu, erfreut, dass er gutes Geld verdienen konnte.
Böß verlegte ihn in das fünfte Revier, das unter der Aufsicht des Steigers Schacke stand. Schacke war ein grobknochiger, rücksichtsloser Mann, nur darauf bedacht, das von ihm verlangte Fördersoll an Kohle herauszuholen. Schacke steckte Jaschinski in eine »Fliegende Kolonne«.
Die »Fliegende Kolonne« hatte zu dieser Zeit die rebellierende Kameradschaft der achten Rutsche abgelöst, um dort die höhere Förderleistung, die Böß errechnet hatte, festzusetzen. Es waren kräftige Leute, die ihr Leben nicht schonten, wenn es hieß, Geld zu verdienen. Schacke entlohnte sie gut.
Jaschinski freute sich auf den guten Verdienst und ging nun mit allen Kräften an die Arbeit. Es fielen ihm die ersten Schichten recht sauer, denn so ein rasendes Tempo, wie es die »Fliegende Kolonne« hatte, war er bisher auf keinem Pütt gewöhnt.
Böß, der seine Leute halten wollte, versprach auch Jaschinski, sobald eine Wohnung in der Kolonie frei werden sollte, eine solche sofort bereitzustellen. Das spornte Jaschinski noch mehr an.
Die »Fliegende Kolonne« war unter den übrigen Kumpels verhasst. Überall, wo sie hinverlegt wurde, sah es nach ihrem Abgang aus wie nach einem Rattenfeldzug; das Flöz ausgewühlt, so dass man nicht wusste, wo wieder anfangen. Auch der Ausbau, vernachlässigt, die Hölzer einfach hingehauen, ohne Ordnung. Oder gar nicht ausgebaut. Nur drauf und dran, Kohle geraubt. Jede Schicht über Soll. Die Leistung wurde nach der »Fliegenden Kolonne« errechnet und danach auch der Wagen- oder Meterlohn festgelegt.
Gleich die ersten Tage hielten Hauer den Jaschinski an. »Wo kommst du her? Willst du uns den Lohn versauen?«
Jaschinski duckte sich und schlich vorüber. Die Kumpels spien hinter ihm her und warfen ihm Steine nach. »Du kriegst noch mal das Kreuz verbogen, du Schmierlapp, wenn du es nicht dran lässt!« rief ihm einer erbost nach.
Jaschinski hatte sich aber von neuem in die verrückte Hoffnung auf den guten Lohn und die Aussicht auf die Koloniewohnung so verrannt, dass er lieber die Schmährufe auf sich nahm, als auf das erstere zu verzichten.
Die »Fliegende Kolonne« hatte in der achten Rutsche mit der Kohle mächtig aufgeräumt. Betriebsführer Böß, Fahrsteiger Benzberg und Steiger Schacke lösten einander ab und errechneten mittels Uhren das Arbeitstempo.
Jaschinski war einer der Fleißigsten. Sobald einer der Beamten neben ihm lag, ließ er die Lufthacke oder die Schippe nicht einen Atemzug lang aus den Händen, sondern rackerte wie ein kleiner Bagger.
»Wir können zufrieden sein!« sagte in einer Schicht Böß zu Schacke. »Wir geben der alten Rutschenmannschaft achtzehn Groschen pro Wagen Kohle, und wenn sie mir kein Soll bringen, dann sind die Kerle faul!«...
»Mann, bin ich denn ein Idiot!« wütete Plenge, ein Lehrhauer der alten Mannschaft. »Hier soll ich nun was machen?« Das Loch, in dem er arbeiten musste, sah wüst aus. Der Stein war an einigen Stellen geplatzt, hing in schweren Platten über seinem Kopf und drohte jeden Moment herunterzubrechen.
Plenges Wut hielt die ganze Förderschicht über an. Abgehetzt kroch er nach Schichtschluss aus dem Kohlenloch und erfuhr unterwegs zum Schacht, dass Jaschinski in seinem Ort gearbeitet hatte.
Plenge suchte Jaschinski am Schacht. Er fand ihn unter einigen Leuten der »Fliegenden Kolonne«. - »Du verfluchte Sau, du kommst mir gerade recht!« fuhr er ihn an. »Du hast mir die Arbeit versaut, jetzt kann ich mich rumschinden, du Dreckschwein!« Er holte mit der Hand aus und schlug Jaschinski ins Gesicht.
Der Schlag hatte Jaschinski die Hoffnung auf das »Eigene« vernichtet. Ganz dumpf wurde es ihm im Schädel, und er fühlte mit der Hand, dass ihm Blut aus Mund und Nase floss. Plenge war aber so in Raserei geraten, dass er auf das blutende Gesicht des Jaschinski keine Rücksicht nahm, sondern noch mehrere Mal darauf schlug. Zuletzt, als Jaschinski flüchten wollte, trat er ihm mit dem schweren Stiefel ins Gesäß, so dass Jaschinski glaubte, sein Steißbein wäre gebrochen.
Jaschinski hinkte nach der Ausfahrt zu Schacke. »Ich möcht aus der Kolonne raus!« bat er. »Geben Sie mich in eine andere Arbeit hinein!«
»Mann, sind Sie blödsinnig geworden?« fragte Schacke erstaunt. »Verdienen Sie zu viel?«
»Das wohl nicht«, erwiderte Jaschinski, »ich möcht aber trotzdem raus!«
Schacke wurde ärgerlich. »Das kann ich auf keinen Fall, Jaschinski, Sie wurden für die >Fliegende Kolonne< angenommen - ich darf Ihnen keine andere Arbeit geben. Wenn Sie aber durchaus heraus wollen, dann melden Sie sich beim Alten!«
Jaschinski hatte jedoch vor Böß einen heillosen Respekt; zudem bestand die Gefahr, dass die gute Wohnung, die ihm Böß in Aussicht gestellt hatte, verlorengehen konnte. So beschloss er, noch zu warten.
Dass er immer wieder mit den Kumpels Krach bekam, war ihm klar. Er schrieb in der freien Zeit eine Anzahl Briefe. Die Briefe waren an seine Bekannten gerichtet, die er irgendwo auf einer Zeche wusste, im Ruhrgebiet, im Wurmrevier, selbst in Holland. Jaschinski verfluchte in den Briefen die Arbeit auf Zeche »Hoffnung«, bat die Kumpels, ihm über die Verhältnisse auf ihren Zechen zu schreiben und ob er dort Arbeit bekommen könnte.
Die Kumpels antworteten Jaschinski. »Scheißmaloche«, schrieb einer, »gejagt werden wir auf Deuwel komm raus, und den Lohn könn wir uns in den Schornstein schreiben lassen«, und ob Jaschinski so dämlich wäre und glaube, dass irgendeine Zechenverwaltung genau auf Jaschinski warte, wo jeden Monat einem Schwung nach dem anderen gekündigt wird!
»Schlag dich dat ja nur aus dem Kopp«, schrieb ein anderer aus Holland, »hier in Holland ist ein Dreck, und man kann nichts werden. So dreckig, wie's hier zugeht, ist es auf dem jämmerlichsten Pütt in Deutschland nicht!«
Jaschinski bekam noch mehr solcher Briefe. Er war danach sehr niedergeschlagen. Es wollte nicht in seinen Schädel, dass er die Zeche nicht mehr wechseln konnte; glaubte,
die Kumpels hätten ihn angelogen, und machte sich selbst auf die Beine. Er rannte alle erreichbaren Zechen ab und fragte um Arbeit. Überall bekam er das gleiche zu hören: »Keinen Platz!« oder: »Wir entlassen noch Leute wegen Arbeitsmangel!«

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