| XXVIIIBein begab sich in die neunte Rutsche. Die Hauer  hockten in ihren Örtern und schlugen keine Kohle. Die Rutsche stand. Es war  eine fremde Stille, in die Bein hinein brüllte. Die Hauer fuhren aus ihrer  abwartenden Ruhe erschreckt auf und griffen in der ersten Verwirrung nach ihren  Werkzeugen.In dem Augenblick hüpfte noch ein rotes Licht das Feld  hinauf. Bein, der den Fahrsteiger Benzberg erkannte, wurde noch verrückter.  »Was ist hier los?« fragte Benzberg.
 »Ich weiß nicht, was den Kerlen eingefallen ist!«  berichtete Bein in höchster Erregung.
 »Wegen dem dicken Abschlag«, kam eine Stimme aus einem  Kohlenloch.
 »Ha, der verfluchte Schweinekerl, der Plenge!« schrie  Bein. »Der ist schuld!«
 Benzberg schnaubte los: »Raus mit dem Schwein aus der  Rutsche. Wo steckt er denn?«
 »Hier ist er!« meldete sich Plenge.
 »Auf der Stelle raus!« brüllte ihn der dicke Benzberg  an und kroch bis dicht vor Plenge hin. »Sie sind entlassen!«
 »Ho, langsam!« warnte Plenge.
 »Raus, sonst geschieht was!« schrie Benzberg.
 »Was geschieht denn, he?« brauste Plenge auf. Seine  Hände umspannten mit einem Griff den vorgestreckten Hals, ein Ruck, und der  dicke haarlose Schädel schlug in den Kohlenhaufen, schlug, von Plenges wütenden  Fäusten gestoßen, immer wieder hinein, dass es aufstäubte.
 Benzberg jedoch besaß breite Knochen und nicht minder  Kräfte, er war nur durch das plötzliche Zupacken überrumpelt worden. Nun  griffen seine wulstigen Hände zu, verkniffen sich in Plenges nacktem Fleisch,  rissen die Haut auf. Sein schwerer Körper schwang sich über den kleineren,  leichteren des Hauers. Plenge kam zuunterst zu liegen, er hielt aber die Kehle  fest und würgte. Er stieß mit den Beinen am Flöz ab, ruck - lag er wieder  obenauf. Mit der Linken drückte er dem schnaubenden Benzberg die Kehle zu und  schlug mit der Rechten wie mit einem Hammer in das unter ihm sich blähende  Gesicht. »Du Hund! Das, das und dies, für die Maloche und die zwanzig Mark  Abschlag, du verfluchtes Aas!«
 Benzberg heulte und keuchte. Plenge ließ ein wenig  locker. Mit einem Ruck entriss sich Benzberg seinen Händen, schnappte seine  Lampe und floh ohne Lederkappe und ohne Meterstock in das untere Rutschenfeld.
 Plenge sah ihm mit einem verzerrten Lachen nach. »So,  nun kann er mich entlassen, ich weiß wenigstens, wofür!«
 Die Hauer der bestreikten Rutschen hatten bis zur  halben Schicht durchgehalten. Bein war zum Schacht gelaufen und hatte Böß  telefonisch berichtet, was in seinem Revier vorgefallen war.
 Böß rannte nach der Waschkaue hin, zog sich im Galopp  um und fuhr ein.
 Bein wartete unten am Schacht.
 »Sic sind blödsinnig geworden!« fuhr ihn Böß an. »Wie kommen  die Leute dazu, die Förderung stillzulegen? Weil Sie dösen!«
 Bein suchte nach einer Entschuldigung.
 »Sie fliegen, drauf wett ich!« schnaubte Böß und lief  ins fünfte Revier. Bein keuchte hinterher.
 Sie waren in der zwölften Rutsche. Böß übersah sofort  die Geschichte. Die Mienen der Hauer waren nicht danach, sich noch mehr bieten  zu lassen. Zudem hatte Bein von der Prügelei zwischen Benzberg und Plenge  erzählt.
 Das bewog Böß, vorsichtiger zu sein. Er brüllte nicht  gleich los, wie er es vorhatte, sondern ließ die Hauer zusammenrufen.
 »Warum fördern Sic nicht?« fragte er. Es klang sehr  vernünftig.
 Die Hauer erklärten ihm, warum sie nicht fördern wollten.  »Die Arbeit ist schwer und gefährlich und der Lohn immer schlechter!«
 Böß war ein Fuchs. Er wurde freundlicher und  versprach, sofort alle Maßnahmen zu treffen, um die Geschichte zu prüfen. »Wenn  Sie sich zu beschweren haben, dann kommen Sie bitte zu mir ins Büro! Dort kann  man die Sache ruhiger regeln! Die Dummheit, die Sie heute gemacht haben, kostet  uns Tausende Mark! Den Schaden haben Sie!« betonte er zum Schluss.
 Die Hauer sahen sich an. Ein Teil war eingeseift und  begab sich an die Kohle. Die übrigen mussten mit. So war der Streik in Rutsche  zwölf zu Ende.
 »Sic sehen es«, trumpfte Böß gegenüber Bein auf, »so  wird's gemacht. Die Leute lassen schon mit sich reden!«
 Auch in der neunten Rutsche wurden die Hauer zusammengeholt.  Böß erkundigte sich nach der Ursache des Streiks. Dränger sagte das gleiche,  was man in Rutsche zwölf gesagt hatte. Auch hier versprach Böß nachzuprüfen.  Dränger forderte schriftlich, dass das Gedinge höher gestellt werde.
 Böß wurde grob. »Wenn die Förderung nicht binnen fünf  Minuten im Gange ist, sind Sic alle entlassen!«
 Er legte sich hin und wartete, die Uhr in der Hand.  Die Hauer sahen sich an. Einer ging, der zweite ging, der dritte, der vierte.  Dränger zitterte vor Ärger. »Verflucht noch mal, lassen sich bluffen!«
 »Na!« sagte Böß und hielt ihm die Uhr hin. »Sie besinnen  sich recht lange!«
 Dränger musste nachgeben, sonst waren ihm die Papiere  sicher. Böß kroch in Plenges Kohlenort.
 »Und Sie verschwinden sofort aus der Rutsche!«
 »Langsam!« sagte Plenge.
 Böß wartete weit von Plenge ab, bis der aus seinem  Loch und aus dem Rutschenfeld herausgekrochen war.
 Niemand konnte jedoch verhindern, dass die Kumpels von  dem kurzen Widerstand erfuhren. Man wusste, auf Zeche »Hoffnung« war dicke  Luft.
 Und dicke Luft war an der ganzen Ruhr. Über einhundert  Zechen, in denen sich die Kumpels gegen die gesteigerte Förderung, gegen die  Kündigungen und die immer schlechter werdenden Löhne auflehnten.
 In Essen bildete sich nach einer Konferenz der  Schachtdelegierten ein vorbereitender Zentraler Kampfausschuss.
 Der Kampfausschuss erließ an die Ruhrkumpels und an  alle benachbarten Kohlenreviere Aufrufe:
 »Jeder Anschlag auf den Lohn der Bergarbeiter, sei es  durch Schiedsspruch oder ohne Schiedsspruch, wird mit Streik beantwortet.«
 Die Kumpels von Zeche »Hoffnung« bedrängten nun Dors  Reger. Reger sollte eine Belegschaftsversammlung abhalten. Reger besprach sich  mit den anderen Betriebsräten; berief eine Belegschaftsversammlung ein. Er  bestellte dazu einen Sekretär des Bergarbeiterverbandes, der sich auf einen  Vortrag über Öl- und Kohleverwertung eingestellt hatte.
 Die Kumpels der RGO stellten den Antrag, er solle zu  den Lohnverhandlungen  sprechen.  Der Referent lehnte es ab mit der Begründung, die Kumpels wären schon so  gereizt, dass man das Thema ruhig lassen könnte, bis die Verhandlungen  getätigt wären. Das war das Signal, den Sprecher nicht mehr zu Wort kommen zu  lassen. Die Kumpels übernahmen darauf selbst die Versammlung. Reger, der  bremsen wollte, musste hören, dass fast alle Kumpels für den Streik waren.
 Böß hatte herausgefunden, dass die gefährlichsten RGOnester  in den Kohlenrutschen des fünften Reviers waren. Er versuchte, mit einem Schlag  die RGO dort unschädlich zu machen.
 Am vierzehnten Dezember fuhr er ein, nahm Bein mit und  besuchte die Kohlenrutschen neun und zwölf. Die Hauer wurden zusammengeholt,  und Böß machte ihnen bekannt, dass die Betriebsleitung gezwungen wäre, die  beiden Kohlenbetriebe wegen Unrentabilität einzustellen. Da es keine  Möglichkeit gäbe, die Hauer in anderen Arbeiten unterzubringen, weil alles  überfüllt sei, müsse er allen kündigen!
 Der Kumpels bemächtigte sich starke Unruhe. Böß  bemerkte es.
 »Es ist nur in einem Falle möglich, Sie länger zu  beschäftigen: Wenn Sie bereit sind, die Solleistung in den Rutschen um  mindestens zwanzig Wagen pro Förderschicht zu erhöhen!«
 »Das ist doch der pure Blödsinn!« sagte Fiedler. »Wir  können ja so nicht mehr hinten hoch. Zwanzig Wagen mehr - das grenzt schon an  Verrücktheit.«
 »Wer damit einverstanden ist«, unterbrach ihn Böß,  »der kann sich bei mir im Büro melden! Wem's nicht passt, dem muss ich  kündigen!«
 Er ließ die Hauer in größter Bestürzung zurück. Sie beratschlagten,  konnten aber keinen Ausweg finden.
 »Er will uns auf eine billige Art loswerden!« sagte  Warneck.
 »Wir dürfen auf keinen Fall auf seine Bedingungen eingehen!«  warnte Dränger, der wusste, warum Böß so vorging.
 »Mann, wenn wir's nicht tun, dann kriegen wir die Fieppen!«  murrte Raschewski.
 »Wir wollen mal bis morgen warten!« sagte Worbas.
 Am anderen Tage war ihre Kündigung - wegen Betriebseinschränkung  - vor der Markenbude öffentlich bekanntgemacht. Böß ließ den Gekündigten durch  Bein mitteilen, dass er bis Mittag warten werde, ob sie sich besonnen hätten;  wenn nicht, bleibe es bei der Kündigung.
 Worbas entschloss sich, mit Reger, trotz des  Widerwillens, den er gegen ihn hatte, zu sprechen.
 »Wenn es wegen Betriebseinschränkung ist, dann kann  ich nichts dran tun!« sagte Reger.
 »Du musst die ganze Belegschaft gegen diese Kündigung  aufrufen!« drängte Worbas. »Ich rate dir, wenn du dich vor den Kumpels nicht  ganz bloßstellen willst, tu es!«
 »Ich werd mich hüten!« sagte Reger. »Die RGO nutzt ja  jede Gelegenheit aus, ihren Streik zu predigen! Ich will eine  Belegschaftsversammlung nicht zum Tummelplatz von Parteiauseinandersetzungen  machen!«
 »Jetzt scheidet alles andere aus!«
 »Ich kann's aus den erwähnten Gründen nicht, versteh  mich doch!« Reger wand sich.
 Worbas ging recht enttäuscht nach Hause. Er schämte  sich für seinen Genossen.
 Reger hatte, trotz der Ablehnung einer Belegschaftsversammlung,  etwas unternommen. Er war zu Böß hingegangen und hatte für Worbas ein gutes  Wort eingelegt.
 Böß ließ Worbas zu sich bestellen.
 Worbas ging erstaunt hin.
 »Sie sind in der Rutsche neun?« fragte Böß.
 »Ja!«
 »Wie ist das, wollen Sie unterschreiben?« »Fällt mir  nicht ein!«
 »Seien Sie vernünftig, Worbas!« ermahnte ihn Böß freundlich.  »Ich gebe Ihnen Gelegenheit, sofort in eine bessere Arbeit zu kommen! Es ist  nur der Form halber, dass Sie unterschreiben!«
 »Ich hab kein Interesse daran, mir ins Gesicht spucken  zu lassen!« erwiderte Worbas.
 »Worbas«, Böß blieb auffallend ruhig, »Ihr  Parteigenosse Reger war hier und bat mich, bei Ihnen wegen Ihrer Familie  Rücksicht zu nehmen! Überlegen Sie sich's doch!«
 »Ich unterschreibe nicht!«
 »Also nicht?«
 »Nein!« sagte Worbas mit einer Miene, in der der Abscheu  zum Ausdruck kam. »Ich bin kein Verräter!«
 Böß lachte spöttisch. »Aber am ersten Januar  arbeitslos!« »Besser als ehrlos!«
 Worbas ging nach Verlassen des Büros noch mal zu der  Markenbude. Dort las er mit bitterem Grimm seinen Namen. Aber nachgeben -  nein!
 Raschewski jammerte Dränger die Ohren voll. Dränger  aber blieb dabei, nicht nachzugeben. Die RGO organisiere eine neue  Belegschaftsversammlung, erklärte er. Raschewski begab sich gegen elf Uhr  einen Ort höher zu Pielka und sagte dem, dass er sich entschlossen habe, zu  unterschreiben.
 »Du bist blödsinnig!« sagte Pielka.
 »Ich hab schon drei Jungen arbeitslos zu Hause  liegen!« entschuldigte sich Raschewski. »Wo soll dat hin, wenn ich auch noch  arbeitslos werde?«
 »Wir müssen abwarten, was die Versammlung beschließt!«  riet Pielka.
 »Die bringen doch nichts fertig!« jammerte Raschewski.  »Wenn ich flieg, muss ich auch noch aus der Koloniewohnung raus!«
 Pielka hatte auch eine Koloniewohnung, ein Stück Land  und einen Stall am Haus, in dem er jedes Jahr etwas Vieh gehalten hatte. Das  ging durch eine Zwangsräumung verloren. Diese Aussicht machte Pielka, auf den  Raschewski unermüdlich einredete, auch verrückt. Er nahm sich aber vor, erst  mit Reger zu sprechen.
 »Unterschreibe pro forma, es bleibt dir nichts anderes  übrig!« sagte Reger.
 »Mann, und die anderen Kumpels?«
 »Sie sollen unterschreiben, sonst kriegen sie ohne  weiteres am Ersten die Papiere!«
 Pielka wusste, als er Reger verließ, nicht mehr als  vordem. Er gab Raschewski nach und beschloss, mit zu unterschreiben.
 Dränger war sehr überrascht, als er hörte, dass Worbas  nicht unterschrieben hatte.
 »Was tun wir nun?« fragte Worbas.
 »Wir organisieren den Streik!« erwiderte Dränger. »Was  denn sonst?«
 »Aber sicher!« sagte Worbas.
 Die Kumpels, die unterschrieben hatten, rieten  Dränger, auch nachzugeben. Er lehnte es ab. »Den Gefallen tu ich Böß nicht!«
 Böß ließ ihn zu sich bestellen. »Na, Dränger, Sie  haben wohl keine Lust, zu unterschreiben?« »Nein«, entgegnete Dränger.
 »Dann sind Sie mit Ihrer Kündigung einverstanden?«
 Dränger stand vor einer harten Entscheidung. Er gab  aber nicht nach. »Nein, ich bin auch mit meiner Kündigung nicht einverstanden!«
 »Was wollen Sie dagegen tun?« fragte Böß verdutzt.
 »Wir werden streiken!«
 »Steht Ihnen frei! Schneiden Sie sich nur nicht dabei  in die Finger! Sie sehen ja, wie Ihnen die Kumpels folgen! Der beste Beweis ist  Ihre Rutsche!«
 Böß spielte mit empfindlichen Mitteln. »Ich rate  Ihnen, Dränger, lassen Sie Ihre Hände von solchen gefährlichen Geschichten, wir  leben in einer anderen Zeit als achtzehn!«
 »Das werden wir sehen!« sagte Dränger hartnäckig.
 »Hm!«
 »Die Kumpels sind's leid!«
 »Ich bin gespannt, Dränger, nur mal zu!« höhnte Böß.
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