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Hans Marchwitza - Schlacht vor Kohle (1931)
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XXVIII

Bein begab sich in die neunte Rutsche. Die Hauer hockten in ihren Örtern und schlugen keine Kohle. Die Rutsche stand. Es war eine fremde Stille, in die Bein hinein brüllte. Die Hauer fuhren aus ihrer abwartenden Ruhe erschreckt auf und griffen in der ersten Verwirrung nach ihren Werkzeugen.
In dem Augenblick hüpfte noch ein rotes Licht das Feld hinauf. Bein, der den Fahrsteiger Benzberg erkannte, wurde noch verrückter. »Was ist hier los?« fragte Benzberg.
»Ich weiß nicht, was den Kerlen eingefallen ist!« berichtete Bein in höchster Erregung.
»Wegen dem dicken Abschlag«, kam eine Stimme aus einem Kohlenloch.
»Ha, der verfluchte Schweinekerl, der Plenge!« schrie Bein. »Der ist schuld!«
Benzberg schnaubte los: »Raus mit dem Schwein aus der Rutsche. Wo steckt er denn?«
»Hier ist er!« meldete sich Plenge.
»Auf der Stelle raus!« brüllte ihn der dicke Benzberg an und kroch bis dicht vor Plenge hin. »Sie sind entlassen!«
»Ho, langsam!« warnte Plenge.
»Raus, sonst geschieht was!« schrie Benzberg.
»Was geschieht denn, he?« brauste Plenge auf. Seine Hände umspannten mit einem Griff den vorgestreckten Hals, ein Ruck, und der dicke haarlose Schädel schlug in den Kohlenhaufen, schlug, von Plenges wütenden Fäusten gestoßen, immer wieder hinein, dass es aufstäubte.
Benzberg jedoch besaß breite Knochen und nicht minder Kräfte, er war nur durch das plötzliche Zupacken überrumpelt worden. Nun griffen seine wulstigen Hände zu, verkniffen sich in Plenges nacktem Fleisch, rissen die Haut auf. Sein schwerer Körper schwang sich über den kleineren, leichteren des Hauers. Plenge kam zuunterst zu liegen, er hielt aber die Kehle fest und würgte. Er stieß mit den Beinen am Flöz ab, ruck - lag er wieder obenauf. Mit der Linken drückte er dem schnaubenden Benzberg die Kehle zu und schlug mit der Rechten wie mit einem Hammer in das unter ihm sich blähende Gesicht. »Du Hund! Das, das und dies, für die Maloche und die zwanzig Mark Abschlag, du verfluchtes Aas!«
Benzberg heulte und keuchte. Plenge ließ ein wenig locker. Mit einem Ruck entriss sich Benzberg seinen Händen, schnappte seine Lampe und floh ohne Lederkappe und ohne Meterstock in das untere Rutschenfeld.
Plenge sah ihm mit einem verzerrten Lachen nach. »So, nun kann er mich entlassen, ich weiß wenigstens, wofür!«
Die Hauer der bestreikten Rutschen hatten bis zur halben Schicht durchgehalten. Bein war zum Schacht gelaufen und hatte Böß telefonisch berichtet, was in seinem Revier vorgefallen war.
Böß rannte nach der Waschkaue hin, zog sich im Galopp um und fuhr ein.
Bein wartete unten am Schacht.
»Sic sind blödsinnig geworden!« fuhr ihn Böß an. »Wie kommen die Leute dazu, die Förderung stillzulegen? Weil Sie dösen!«
Bein suchte nach einer Entschuldigung.
»Sie fliegen, drauf wett ich!« schnaubte Böß und lief ins fünfte Revier. Bein keuchte hinterher.
Sie waren in der zwölften Rutsche. Böß übersah sofort die Geschichte. Die Mienen der Hauer waren nicht danach, sich noch mehr bieten zu lassen. Zudem hatte Bein von der Prügelei zwischen Benzberg und Plenge erzählt.
Das bewog Böß, vorsichtiger zu sein. Er brüllte nicht gleich los, wie er es vorhatte, sondern ließ die Hauer zusammenrufen.
»Warum fördern Sic nicht?« fragte er. Es klang sehr vernünftig.
Die Hauer erklärten ihm, warum sie nicht fördern wollten. »Die Arbeit ist schwer und gefährlich und der Lohn immer schlechter!«
Böß war ein Fuchs. Er wurde freundlicher und versprach, sofort alle Maßnahmen zu treffen, um die Geschichte zu prüfen. »Wenn Sie sich zu beschweren haben, dann kommen Sie bitte zu mir ins Büro! Dort kann man die Sache ruhiger regeln! Die Dummheit, die Sie heute gemacht haben, kostet uns Tausende Mark! Den Schaden haben Sie!« betonte er zum Schluss.
Die Hauer sahen sich an. Ein Teil war eingeseift und begab sich an die Kohle. Die übrigen mussten mit. So war der Streik in Rutsche zwölf zu Ende.
»Sic sehen es«, trumpfte Böß gegenüber Bein auf, »so wird's gemacht. Die Leute lassen schon mit sich reden!«
Auch in der neunten Rutsche wurden die Hauer zusammengeholt. Böß erkundigte sich nach der Ursache des Streiks. Dränger sagte das gleiche, was man in Rutsche zwölf gesagt hatte. Auch hier versprach Böß nachzuprüfen. Dränger forderte schriftlich, dass das Gedinge höher gestellt werde.
Böß wurde grob. »Wenn die Förderung nicht binnen fünf Minuten im Gange ist, sind Sic alle entlassen!«
Er legte sich hin und wartete, die Uhr in der Hand. Die Hauer sahen sich an. Einer ging, der zweite ging, der dritte, der vierte. Dränger zitterte vor Ärger. »Verflucht noch mal, lassen sich bluffen!«
»Na!« sagte Böß und hielt ihm die Uhr hin. »Sie besinnen sich recht lange!«
Dränger musste nachgeben, sonst waren ihm die Papiere sicher. Böß kroch in Plenges Kohlenort.
»Und Sie verschwinden sofort aus der Rutsche!«
»Langsam!« sagte Plenge.
Böß wartete weit von Plenge ab, bis der aus seinem Loch und aus dem Rutschenfeld herausgekrochen war.
Niemand konnte jedoch verhindern, dass die Kumpels von dem kurzen Widerstand erfuhren. Man wusste, auf Zeche »Hoffnung« war dicke Luft.
Und dicke Luft war an der ganzen Ruhr. Über einhundert Zechen, in denen sich die Kumpels gegen die gesteigerte Förderung, gegen die Kündigungen und die immer schlechter werdenden Löhne auflehnten.
In Essen bildete sich nach einer Konferenz der Schachtdelegierten ein vorbereitender Zentraler Kampfausschuss.
Der Kampfausschuss erließ an die Ruhrkumpels und an alle benachbarten Kohlenreviere Aufrufe:
»Jeder Anschlag auf den Lohn der Bergarbeiter, sei es durch Schiedsspruch oder ohne Schiedsspruch, wird mit Streik beantwortet.«
Die Kumpels von Zeche »Hoffnung« bedrängten nun Dors Reger. Reger sollte eine Belegschaftsversammlung abhalten. Reger besprach sich mit den anderen Betriebsräten; berief eine Belegschaftsversammlung ein. Er bestellte dazu einen Sekretär des Bergarbeiterverbandes, der sich auf einen Vortrag über Öl- und Kohleverwertung eingestellt hatte.
Die Kumpels der RGO stellten den Antrag, er solle zu den Lohnverhandlungen sprechen. Der Referent lehnte es ab mit der Begründung, die Kumpels wären schon so gereizt, dass man das Thema ruhig lassen könnte, bis die Verhandlungen getätigt wären. Das war das Signal, den Sprecher nicht mehr zu Wort kommen zu lassen. Die Kumpels übernahmen darauf selbst die Versammlung. Reger, der bremsen wollte, musste hören, dass fast alle Kumpels für den Streik waren.
Böß hatte herausgefunden, dass die gefährlichsten RGOnester in den Kohlenrutschen des fünften Reviers waren. Er versuchte, mit einem Schlag die RGO dort unschädlich zu machen.
Am vierzehnten Dezember fuhr er ein, nahm Bein mit und besuchte die Kohlenrutschen neun und zwölf. Die Hauer wurden zusammengeholt, und Böß machte ihnen bekannt, dass die Betriebsleitung gezwungen wäre, die beiden Kohlenbetriebe wegen Unrentabilität einzustellen. Da es keine Möglichkeit gäbe, die Hauer in anderen Arbeiten unterzubringen, weil alles überfüllt sei, müsse er allen kündigen!
Der Kumpels bemächtigte sich starke Unruhe. Böß bemerkte es.
»Es ist nur in einem Falle möglich, Sie länger zu beschäftigen: Wenn Sie bereit sind, die Solleistung in den Rutschen um mindestens zwanzig Wagen pro Förderschicht zu erhöhen!«
»Das ist doch der pure Blödsinn!« sagte Fiedler. »Wir können ja so nicht mehr hinten hoch. Zwanzig Wagen mehr - das grenzt schon an Verrücktheit.«
»Wer damit einverstanden ist«, unterbrach ihn Böß, »der kann sich bei mir im Büro melden! Wem's nicht passt, dem muss ich kündigen!«
Er ließ die Hauer in größter Bestürzung zurück. Sie beratschlagten, konnten aber keinen Ausweg finden.
»Er will uns auf eine billige Art loswerden!« sagte Warneck.
»Wir dürfen auf keinen Fall auf seine Bedingungen eingehen!« warnte Dränger, der wusste, warum Böß so vorging.
»Mann, wenn wir's nicht tun, dann kriegen wir die Fieppen!« murrte Raschewski.
»Wir wollen mal bis morgen warten!« sagte Worbas.
Am anderen Tage war ihre Kündigung - wegen Betriebseinschränkung - vor der Markenbude öffentlich bekanntgemacht. Böß ließ den Gekündigten durch Bein mitteilen, dass er bis Mittag warten werde, ob sie sich besonnen hätten; wenn nicht, bleibe es bei der Kündigung.
Worbas entschloss sich, mit Reger, trotz des Widerwillens, den er gegen ihn hatte, zu sprechen.
»Wenn es wegen Betriebseinschränkung ist, dann kann ich nichts dran tun!« sagte Reger.
»Du musst die ganze Belegschaft gegen diese Kündigung aufrufen!« drängte Worbas. »Ich rate dir, wenn du dich vor den Kumpels nicht ganz bloßstellen willst, tu es!«
»Ich werd mich hüten!« sagte Reger. »Die RGO nutzt ja jede Gelegenheit aus, ihren Streik zu predigen! Ich will eine Belegschaftsversammlung nicht zum Tummelplatz von Parteiauseinandersetzungen machen!«
»Jetzt scheidet alles andere aus!«
»Ich kann's aus den erwähnten Gründen nicht, versteh mich doch!« Reger wand sich.
Worbas ging recht enttäuscht nach Hause. Er schämte sich für seinen Genossen.
Reger hatte, trotz der Ablehnung einer Belegschaftsversammlung, etwas unternommen. Er war zu Böß hingegangen und hatte für Worbas ein gutes Wort eingelegt.
Böß ließ Worbas zu sich bestellen.
Worbas ging erstaunt hin.
»Sie sind in der Rutsche neun?« fragte Böß.
»Ja!«
»Wie ist das, wollen Sie unterschreiben?« »Fällt mir nicht ein!«
»Seien Sie vernünftig, Worbas!« ermahnte ihn Böß freundlich. »Ich gebe Ihnen Gelegenheit, sofort in eine bessere Arbeit zu kommen! Es ist nur der Form halber, dass Sie unterschreiben!«
»Ich hab kein Interesse daran, mir ins Gesicht spucken zu lassen!« erwiderte Worbas.
»Worbas«, Böß blieb auffallend ruhig, »Ihr Parteigenosse Reger war hier und bat mich, bei Ihnen wegen Ihrer Familie Rücksicht zu nehmen! Überlegen Sie sich's doch!«
»Ich unterschreibe nicht!«
»Also nicht?«
»Nein!« sagte Worbas mit einer Miene, in der der Abscheu zum Ausdruck kam. »Ich bin kein Verräter!«
Böß lachte spöttisch. »Aber am ersten Januar arbeitslos!« »Besser als ehrlos!«
Worbas ging nach Verlassen des Büros noch mal zu der Markenbude. Dort las er mit bitterem Grimm seinen Namen. Aber nachgeben - nein!
Raschewski jammerte Dränger die Ohren voll. Dränger aber blieb dabei, nicht nachzugeben. Die RGO organisiere eine neue Belegschaftsversammlung, erklärte er. Raschewski begab sich gegen elf Uhr einen Ort höher zu Pielka und sagte dem, dass er sich entschlossen habe, zu unterschreiben.
»Du bist blödsinnig!« sagte Pielka.
»Ich hab schon drei Jungen arbeitslos zu Hause liegen!« entschuldigte sich Raschewski. »Wo soll dat hin, wenn ich auch noch arbeitslos werde?«
»Wir müssen abwarten, was die Versammlung beschließt!« riet Pielka.
»Die bringen doch nichts fertig!« jammerte Raschewski. »Wenn ich flieg, muss ich auch noch aus der Koloniewohnung raus!«
Pielka hatte auch eine Koloniewohnung, ein Stück Land und einen Stall am Haus, in dem er jedes Jahr etwas Vieh gehalten hatte. Das ging durch eine Zwangsräumung verloren. Diese Aussicht machte Pielka, auf den Raschewski unermüdlich einredete, auch verrückt. Er nahm sich aber vor, erst mit Reger zu sprechen.
»Unterschreibe pro forma, es bleibt dir nichts anderes übrig!« sagte Reger.
»Mann, und die anderen Kumpels?«
»Sie sollen unterschreiben, sonst kriegen sie ohne weiteres am Ersten die Papiere!«
Pielka wusste, als er Reger verließ, nicht mehr als vordem. Er gab Raschewski nach und beschloss, mit zu unterschreiben.
Dränger war sehr überrascht, als er hörte, dass Worbas nicht unterschrieben hatte.
»Was tun wir nun?« fragte Worbas.
»Wir organisieren den Streik!« erwiderte Dränger. »Was denn sonst?«
»Aber sicher!« sagte Worbas.
Die Kumpels, die unterschrieben hatten, rieten Dränger, auch nachzugeben. Er lehnte es ab. »Den Gefallen tu ich Böß nicht!«
Böß ließ ihn zu sich bestellen. »Na, Dränger, Sie haben wohl keine Lust, zu unterschreiben?« »Nein«, entgegnete Dränger.
»Dann sind Sie mit Ihrer Kündigung einverstanden?«
Dränger stand vor einer harten Entscheidung. Er gab aber nicht nach. »Nein, ich bin auch mit meiner Kündigung nicht einverstanden!«
»Was wollen Sie dagegen tun?« fragte Böß verdutzt.
»Wir werden streiken!«
»Steht Ihnen frei! Schneiden Sie sich nur nicht dabei in die Finger! Sie sehen ja, wie Ihnen die Kumpels folgen! Der beste Beweis ist Ihre Rutsche!«
Böß spielte mit empfindlichen Mitteln. »Ich rate Ihnen, Dränger, lassen Sie Ihre Hände von solchen gefährlichen Geschichten, wir leben in einer anderen Zeit als achtzehn!«
»Das werden wir sehen!« sagte Dränger hartnäckig.
»Hm!«
»Die Kumpels sind's leid!«
»Ich bin gespannt, Dränger, nur mal zu!« höhnte Böß.

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