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Hans Marchwitza - Schlacht vor Kohle (1931)
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II

An einem Vormittag. Es hatte geregnet. Nun brach die Sonne durch. Frauen holten ihre Ziegen aus dem Stall und führten sie zum Abhang der Kolonie, wo spärliches Gras wuchs. Kumpels, die Füße in groben Holzschuhen, schaufelten vor einigen Wohnungen Kohlen in den Keller.
Der alte Fleck, der von der Nachtschicht gekommen war und nicht schlafen konnte, besserte den Zaun seines Gartenstücks aus.
In den Gossen stand schwarzer Schlamm. Barfüßige Kinder patschten darin herum. Die Füße der Kleinen waren blaurot von der Kälte und ihre Gesichter verschmutzt, denn sie bewarfen sich mit dem Kot.
Eine Rotte Jungen jagte mit Geschrei durch die Stefanstraße. Sie schlugen mit Latten aufeinander los. Bis Ragnitzkis Fritz aufheulte und sich lang hinwarf, die Arme gegen seine Augen gepresst. Die ganze Rotte umringte ihn ängstlich. Die Latten flogen über die Zäune.
Frau Ragnitzki erschien mit hochrotem Gesicht am Fenster. »Was ist denn nun los? Was habt ihr verdammten Kanaillen wieder angerichtet?« schrie sie.
»Der Franz Pawlik hat ihm vor die Augen gehaun!« erzählte Jarzacks Junge.
»Nich wahr!« wehrte sich der Beschuldigte. »Der Krämer Otto war's!«
»Ihr verdammten Biester!« drohte Frau Ragnitzki empört und verschwand vom Fenster.
»Haun wir ab, der olle Drachen kommt mit dem Futterstampfer!« rief einer der Jungen, und die Rotte stob auseinander.
»Na - na - na!« wurde der Fleck grob, als er die Dicke mit dem ungefügen Schläger aus dem Haus stürzen sah. »Wat willst du denn mit dem Dinge da?«
»Ich will mal Ordnung schaffen, wenn sie niemand schafft!« Der Speichel spritzte ihr vor Aufregung aus dem Mund.
»Mit dem Donnerkeil do?« fragte Fleck und zeigte auf den Knüppel.
»Dat is mich egal!« Und sie setzte hinter den Jungen her.
Fritz sprang auf und stürzte mit neuem Mut drauf los. Frau Ragnitzki rollte wie ein Tank heran. Fleck sprang noch früh genug hinzu und entwand ihr den Knüppel. »Damit du keinen dodhaust!« sagte er.
Die Jungen setzten sich zur Wehr. Bis der Krämer, der es nicht mehr mit ansehen konnte, einen Eimer voll Wasser nahm und es über die Keilenden goss.
Es war nicht zum ersten Mal, dass die dicke Ragnitzki so einen Straßenauflauf machte. Die Mütter der verprügelten jungen rannten herbei, und die Dicke bekam es von allen Seiten.
Frau Ragnitzki hatte Lust, ihre mächtigen Arme auch an ihnen zu versuchen, und es hätte eine neue Schlägerei gegeben, denn die Frauen waren nicht minder erbost; da kam die Breimann um die Ecke gejagt und fragte in höchster Aufregung nach Frau Krause.
»Was ist denn mit der?« fragten die Frauen erschrocken.
»Der Krause ist verunglückt!« erzählte sie hastig. »Man hat ihn eben ins Krankenhaus gefahren - Kreuz gebrochen hat er.«
Die Frauen wurden blass. »Wie kam das denn?« »Untern Bruch gekommen!«
»Mein Gott, ich hab so 'ne Angst um meinen Mann, der klagt auch immer so!« zitterte Frau Jung, eine kleine Frau mit einem kindlichen Gesicht. Sic trug ein Kind auf dem Arm und drückte es in aufsteigender Angst an die Brust.
»Kreuz gebrochen ist schlimmer wie ganz tot!« meinte Frau Ragnitzki, die entsetzt an ihre Jungen dachte, die alle vor Kohle arbeiteten. »So ein Kerl is übler dran wie 'n Blag!« Sie begrub allen Hass gegen die andern und dachte nur an das furchtbare Los, das den Krause betroffen hatte.
Die Frauen umstanden noch immer Frau Breimann und erzählten aus ihren Erfahrungen, bis sie ein Schrei entsetzte. Frau Krause, der es jemand erzählt hatte, kam mit wächsernem Gesicht angelaufen. »Was ist mit meinem Mann?«
Die schwarzen Haarsträhnen flogen ihr um den Kopf. Sie griff mit beiden Händen hinein und jammerte, weil die andern verlegen verstummt waren: »Was ist mit ihm, sagt doch!«
»Schrei doch nicht so, Marjell!« beruhigte sie eine ältere Frau. »Er ist ins Krankenhaus gekommen!«
Frau Krause erzitterte.
»Er soll das Kreuz gebrochen haben!« vergaß sich eine.
Ein neuer Schrei folgte, der allen ins Herz schnitt. Die Frauen starrten zu Boden. Keine wagte etwas zu sagen. Frau Krause wandte sich ihrem Haus zu und rannte mit fliegenden Haaren zurück. Sie kam nach einer Weile wieder heraus. Ein Kind auf dem Arm und ein zweites an der Hand, lief sie der Richtung zu, wo das Krankenhaus lag.
Frau Jung ging ins Haus. Ihr Mann hatte Morgenschicht. Sie war durch das Unglück des Krause so erschüttert, dass sie nicht imstande war, das Essen aufzusetzen. Eine entsetzliche Unruhe plagte sie. Sie hatte unter der Vorstellung zu leiden, ihr Mann sei es, dem das Unglück zugestoßen. Zwei Jahre waren sie erst verheiratet. Sic hatte ihren Mann von Herzen gern. Sein Tod hätte ihren Tod bedeutet. Bis sie es nicht mehr aushalten konnte und zur Zeche hinlief. Dort wartete sie in der Kälte, bis ihr Mann im Tor erschien. Nein, es war ihm nichts geschehen!

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