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Arkadi Petrowitsch Gaidar - Russische Kindheit - 1917 (1935)
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FROHE ZEITEN

1. Kapitel

Am 22. Februar des Jahres 1917 verurteilte das Kriegsgericht des VI. Armeekorps den Soldaten Alexej Gorikow vom 12. Sibirischen Schützenregiment wegen Fahnenflucht vor dem Feinde und wegen regierungsfeindlicher Propaganda zum Tode durch Erschießen.
Am 25. Februar wurde das Urteil vollstreckt; am 2. März aber kam die Nachricht aus Petrograd, dass das revolutionäre Volk die Monarchie gestürzt habe.
Der Brand des Gutshauses der Polutins war für mich das erste Flammenzeichen der Revolution. Bis tief in die Nacht hinein saß ich auf dem Dachboden unseres Hauses und sah zu, wie das Feuer im frischen Frühlingswind hoch emporloderte. Die Pistole in meiner Tasche fühlte sich warm an. Sie war das teuerste Andenken an meinen Vater. Noch waren mir die Augen nicht trocken geworden vom vielen Weinen. Aber ich lachte unter Tränen, rührte meine Hand an den Griff der Waffe – die “frohen Zeiten”, nun waren sie angebrochen.
In den ersten Tagen der Februarrevolution glich unsere Schule einem Ameisenhaufen, in den man ein brennendes Stück Holz gestoßen hat. Nach dem Gebet für den Sieg unserer Waffen wollte ein Teil des Schülerchors wie üblich die Zarenhymne anstimmen – Gott erhalte unseren Zaren –‚ aber die anderen begannen zu pfeifen und schrieen “Nieder mit ihm!” Es entstand ein Heidenlärm, die Reihen der Schü1er gerieten durcheinander, und schon flog ein Brötchen nach dem Bild der Zarin. Am meisten freuten sich die aus der ersten Klasse. Nun konnten sie sich einmal ungestraft austoben. Sie waren außer Rand und Band, jaulten wie die Katzen und meckerten wie die Ziegen.
Der Inspektor hatte völlig den Kopf verloren und mühte sich vergebens, den Radau mit seiner Stimme zu übertönen. Der Lärm legte sich erst, als der Schuldiener Semjon die Zarenbilder abnahm. Pfeifend und johlend tobten die aufgeregten Schüler durch die Klassen. Von irgendwoher tauchten plötzlich rote Schleifen auf. Die älteren Schüler steckten demonstrativ die Hose in die Stiefel, was sonst verboten war, versammelten sich neben dem Abort und zündeten sich vor den Augen ihrer Klassenlehrer Zigaretten an. Der Offizier Balaguschin, ihr Turnlehrer, trat hinzu. Sie boten ihm eine Zigarette an, und er lehnte nicht ab. Mit einem lauten Hurra feierten die Schüler diese Verbrüderung zwischen ihnen und den Lehrern. So etwas war noch nie dagewesen.
Zunächst stand aber nur eines fest: Der Zar war abgesetzt, und die Revolution hatte begonnen. Warum man sich über die Revolution freuen sollte und warum es richtig war, den Zaren zu stürzen, vor dessen Bild man noch vor wenigen Tagen so inbrünstig die Hymne gesungen hatte – das verstanden die meisten Schüler nicht, vor allem aber nicht die aus den unteren Klassen.
In den ersten Tagen fand fast gar kein Unterricht statt. Die Schüler der oberen Klassen hatten sich zur Miliz gemeldet. Sie erhielten Gewehre und trugen rote Armbinden. Stolz schritten sie die Straßen auf und ab und sorgten für Ordnung. Zwar dachte niemand daran, diese Ordnung zu stören. Von den Türmen der dreißig Kirchen läuteten die Glocken wie in den Ostertagen. In prunkvollen Messgewändern nahmen die Priester den Eid auf die Provisorische Regierung entgegen.
Männer in roten Hemden tauchten auf, der Sohn des Popen Jona, der Seminarist Archangelski, zwei Dorfschullehrer und noch drei andere, die ich nicht kannte. Sie nannten sich Sozialrevolutionäre. Dann kamen wieder andere, die trugen schwarze Hemden. Es waren meist Zöglinge aus den oberen Klassen der Lehrer- und Priesterseminare. Sie nannten sich Anarchisten.
Die meisten Bürger der Stadt schlossen sich sofort den Sozialrevolutionären an. Nach einem feierlichen Bittgottesdienst für die Provisorische Regierung hatte Vater Pawel, ein Priester der Kathedrale, vor allem Volk gepredigt, auch Jesus Christus sei Sozialist und Revolutionär gewesen. Nun lebten in unserer Stadt viele gottesfürchtige Menschen, vor allem Kaufleute, Handwerker, Mönche und fromme Pilger. Als sie diese interessante Mär von Jesus Christus hörten, schlug ihr Herz sofort für die Sozialrevolutionäre, da sich diese auch wenig über die Religion ausließen, dafür aber um so mehr von der Freiheit redeten und dazu aufriefen, den Krieg mit erneuter Kraft weiterzuführen. Die Anarchisten hatten zwar die gleiche Ansicht vom Kriege, von Gott aber wollten sie nichts wissen. So erklärte der Seminarist Welikanow vor allem Volk, es gebe keinen Gott. Sollte es aber doch einen geben, dann könne er ja diese Herausforderung annehmen und seine Allmacht beweisen. Dabei schaute Welikanow nach oben und spuckte gegen den Himmel.
Wie ein Stöhnen ging es da durch das Volk. Gleich würde sich der Himmel auftun und ein Donnerschlag den Frevler zu Boden strecken. Da sich aber im Himmel droben nichts rührte und regte, erhoben sich Stimmen aus der Menge, man solle gar nicht erst auf die Strafe von oben warten, sondern am besten dem Seminaristen gleich eins aufs Maul geben. Welikanow verschwand wie der Blitz von der Tribüne und ließ sich wohlweislich nicht mehr blicken. Von der boshaften Alten Maremjana Sergejewna bekam er jedoch eins übergezogen. Sie handelte mit dem heilkräftigen 01 aus dem Lämpchen der Muttergottes von Sarow und verkaufte auch von dem Zwieback, womit einst der heilige Serafim aus Sarow die wilden Bären und Wölfe gefüttert hatte.
Ich war sehr erstaunt, wie viele Revolutionäre es in Arsamas gab. Tatsächlich, lauter Revolutionäre. Sogar der ehemalige Landeshauptmann Sacharow hatte sich eine riesige rote Schleife angesteckt. Sie war aus Seide. In Petrograd und Moskau hatte man gekämpft, hatte die Polizei von den Dächern auf das Volk geschossen. Bei uns aber hatten die Polizisten freiwillig die Waffen abgeliefert und gingen jetzt in Zivil friedlich auf der Straße spazieren.
Einst traf ich auf einer Versammlung den Polizisten Jewgraf Timofejewitsch, der dabei war, als sie meinen Vater verhafteten.
Aus seinem Korb schauten eine Flasche voll 01 und ein Kohlkopf. Er stand mitten in der Menge und hörte sich an, was die Sozialisten redeten. Als er mich sah, legte er die Hand an die Mütze und grüßte freundlich.
“Na, wie geht‘s, wie steht‘s?” fragte er. “Hören Sie sich auch so was an? Passen Sie nur gut auf! Sie sind noch jung. Aber auch für uns Alte ist das noch interessant… Ja, ja, so ändern sich die Zeiten…”
Ich entgegnete: “Wissen Sie noch, Jewgraf Timofejewitsch, wie Sie damals kamen und meinen Vater verhafteten? An dem Abend sagten Sie, man darf nicht gegen die Gesetze verstoßen. Und wo sind jetzt Ihre Gesetze? Sie sind abgeschafft, die Polizisten kommen alle vors Gericht.”
Er lächelte nachsichtig.
“Früher hatten wir Gesetze, und jetzt kriegen wir auch wieder welche. Ohne Gesetze geht es nicht, junger Mann. Und dass man uns vor Gericht stellen will – sollen sie nur kommen! Werden schon nicht jeden aufhängen. Unsere Oberen auch nicht… Selbst der Zar hat nur Hausarrest bekommen, was wollen sie dann noch von uns…? Haben Sie gehört, was der Redner hier gesagt hat? Es wird keine Rache geben, hat er gesagt, die Menschen sollen Brüder sein, jetzt, im freien Russland, wird es keine Gefängnisse mehr geben, wird auch niemand mehr aufgehängt. Und dann kommen wir auch nicht ins Gefängnis und werden auch nicht aufgehängt.”
Damit ging er ruhig seines Wegs.
Ich schaute ihm nach und dachte: Wieso? Mit einem Mal soll das jetzt alles anders sein…? Wenn Vater aus dem Gefängnis herausgekommen wäre, hätte er es bestimmt nicht zugelassen, dass sein Gefängnisaufseher ruhig herumspazieren könnte, hätte ihn auch nicht laufen lassen, weil jetzt alle Menschen Brüder sein sollen.
Ich sprach mit Fedka darüber, der neben mir stand.
“Was soll denn dein Vater damit zu tun haben? Der war doch ein Deserteur, das wäre er nie losgeworden. Deserteure werden auch jetzt noch verhaftet. Ein Deserteur ist doch kein Revolutionär, er läuft doch nur weg, weil er sein Vaterland nicht verteidigen will.”
“Mein Vater war aber kein Feigling!” Ich war blass geworden. “Was du sagst, das stimmt nicht, Fedka! Meinen Vater haben sie erschossen, weil er geflohen ist und weil er Propaganda gemacht hat. Das Urteil haben wir zu Hause.”
Fedka wurde verlegen, er wollte mich beschwichtigen und antwortete: “Ja, meinst du denn, das hätte ich mir selbst ausgedacht? Das steht doch in allen Zeitungen. Lies mal im ‚Russischen Wort‘ die Rede von Kerenski. Die ist gut, sag ich dir … Als sie die auf dem Mädchengymnasium vorgelesen haben, da hat der halbe Saal geweint. Vom Krieg hat er gesagt, der Kerenski, dass wir jetzt mit aller Kraft weiterkämpfen müssen, und die Deserteure, die seien eine Schande für die ganze Armee. Und dann hat er noch gesagt: Auf den Gräbern der im Kampf gegen die Deutschen Gefallenen wird das freie Russland ein Denkmal ihres unsterblichen Ruhmes errichten! Ja – unsterblich –, das steht da drin, und da redest du noch so‘n Zeug zusammen!”
Ein Redner nach dem anderen trat auf die Tribüne. Alle sprachen sie über den Sozialismus und redeten sich heiser dabei. Man konnte gleich in die Partei eintreten und sich auch freiwillig an die Front melden. Einige redeten so lange, bis man sie von der Tribüne herunterzog, dafür wurden andere hinaufgeschoben.
Ich hörte mir das alles an. Mir war, als würde davon mein Kopf immer dicker, wie eine leere Ochsenblase, die man aufbläst. Die vielen Reden schwirrten mir im Kopf herum, ich wusste überhaupt nicht, worin sich ein Sozialrevolutionär von einem Kadetten unterschied, ein Kadett von einem Volkssozialisten, die Trudowiki von den Anarchisten. Nur ein Wort hatte sich mir eingeprägt:
“Freiheit… Freiheit…”‚ immer wieder “Freiheit”.
“Gorikow”, hörte ich eine Stimme, eine Hand legte sich auf meine Schulter.
Hinter mir stand Dohle, der Gewerbeschullehrer.
“Wo kommen Sie denn her?” fragte ich hocherfreut.
“Aus Nishni Nowgorod, aus dem Gefängnis. Komm mit zu mir, mein Guter, komm. Ich habe hier ganz in der Nähe ein Zimmer gemietet. Da können wir Tee trinken, und Weißbrot und Honig habe ich auch. Ich freu mich so, dass ich dich wieder sehe! Ich bin gestern erst angekommen und wollte sowieso heute zu euch.”
Er nahm mich bei der Hand, und wir beide schoben uns durch die lärmende Menge.
An einem anderen Platz stießen wir wieder auf eine große Menschenmenge. Um einige lodernde Feuer herum hatten sich viel Neugierige angesammelt.
“Was ist denn hier los?”
“Ach, dummes Zeug”, sagte Dohle und lächelte. “Die Anarchisten verbrennen hier Zarenfahnen. Sie hätten den Stoff lieber verteilen sollen, die Leute schimpfen schon. Du weißt ja selbst, jeder Lappen kostet jetzt Geld.”
Dohle hatte lange, schmale Hände. Schnell sprudelten seine Worte hervor, als er den Tee aufbrühte. Er lächelte dabei.
“Dein Vater hat früh sterben müssen. Wir waren zusammen in einer Zelle, bis sie ihn vors Kriegsgericht holten.”
“Semjon Iwanowitsch”, begann ich nach dem Tee, “Sie haben gesagt, Sie wären Genossen gewesen, in der Partei … war denn mein Vater in einer Partei? Das hat er mir nie erzählt.”
“Er durfte es nicht erzählen, darum.”
“Und Sie haben es auch nicht gesagt. Als Sie verhaftet wurden, erzählte Petka Solotuchin, Sie wären ein Spion.”
Dohle lachte.
“Ein Spion, hahaha. Petka Solotuchin? Ach, der! Dem darf man das nicht übel nehmen, das ist ein dummer Junge. Wenn aber jetzt die größten Dummköpfe behaupten, wir seien Spione, dann ist das noch viel lächerlicher.”
“Wer soll ein Spion sein, Semjon Iwanowitsch? Sie?”
“Nein, wir alle, die Bolschewiki.”
Ich schaute ihn von der Seite an.
“Dann seid ihr also Bolschewiki? Ich wollte sagen, dann war auch mein Vater ein Bolschewik?”
“Ja, er auch.”
“Aber warum denn ausgerechnet auch das noch?” fragte ich niedergeschlagen und nachdenklich.
“Wieso ‚auch das noch‘?”
“Na ja – ich meine, Soldaten sind Soldaten, und Revolutionäre sind eben Revolutionäre… und keiner kann ihnen was nachsagen. Aber mein Vater… zuerst war er ein Deserteur, und jetzt ist er auf einmal auch noch ein Bolschewik. Warum denn nur Bolschewik und nicht richtiger Revolutionär, meinetwegen auch nur Sozialrevolutionär oder Anarchist? Ausgerechnet Bolschewik! Ja, wenn ich sagen könnte, sie hätten meinen Vater erschossen, weil er ein Revolutionär war, dann hielten sie alle den Mund, und es könnte keiner mit dem Finger auf mich zeigen. Wenn ich aber sage, sie hätten ihn erschossen, weil er ein Bolschewik war, dann sagt jeder, das wäre richtig so. Es steht doch in allen Zeitungen drin, die Bolschewiken würden von den Deutschen bezahlt, und ihr Lenin, der stände in Diensten von Wilhelm.”
“Wer ist denn dieser ‚jeder‘, der so was erzählt?” fragte Dohle. Er schaute mich spöttisch lächelnd an bei meinen erbitterten Worten.
“Das sagen sie alle – die Leute aus der Nachbarschaft und die Popen in der Predigt, und auch die Redner hier sagen das…”
“Die Leute aus der Nachbarschaft…! Die Redner…!” unterbrach mich Dohle. “Du bist wirklich noch dumm! Dein Vater war ein zehnmal besserer Revolutionär als alle diese Redner und Leute aus der Nachbarschaft. Was sind das für Leute? Pfaffen, Mehlhändler, Krämer, alte Betschwestern, Fleischer vom Markt und alles mögliche andere Volk. Leider gibt es unter deinen Nachbarn nur ganz selten mal einen Menschen, der was wert ist. Mit diesem Volk wollen wir gar nichts zu tun haben, wir wollen sie auch nicht gewinnen. Sollen doch die Rothemden, diese Schwätzer, bei denen ihre Weisheit loswerden! Wir können uns hier nicht lange aufhalten; sie sind nicht unsere Verbündeten, diese Mönche und Mehlhändler. Warte nur ab, bis ich dich mal mitnehme zu einer Versammlung von uns – in die Baracken, wo die Verwundeten liegen, in die Kasernen zu den Soldaten, auf den Bahnhof, auf die Dörfer. Da musst du gut zuhören! Aber dieses Pack hier…!”
Dohle lachte verächtlich.

*

…Timkas Vater war in den ersten Tagen der Revolution aus dem Gefängnis entlassen worden; seine frühere Stelle bekam er aber nicht wieder, und der Kirchenälteste Sinjugin befahl ihm, sofort sein Häuschen für den neuernannten Küster zu räumen.
Keiner von den Kaufleuten wollte ihm Arbeit geben. Er lief von einem zum anderen: “Brauchen Sie einen Heizer oder einen Hausknecht?” Aber er hatte kein Glück.
Sinjugin erklärte ihm geradeheraus: “Ich unterstütze die russische Armee. Ich habe tausend Rubel für das Rote Kreuz gespendet, über zweihundert Fähnchen und Bilder von Alexander Fjodorowitsch Kerenski für die Lazarette gegeben, und du, du bringst noch einen Deserteur bei dir unter. Bei mir gibt‘s keine Arbeit für dich!”
Der Küster konnte nicht an sich halten: “Ich danke Ihnen sehr für diese Worte. Aber merken Sie sich, wenn Sie sich einmal zu verantworten haben … mit Ihren Fähnchen und Bildern können Sie sich dann nicht loskaufen!” Mit einem Male packte Onkel Fjodor die Wut: “Red mir nicht so dummes Zeug daher! Einen dicken Bauch hast du dir angefressen, hast dir ein Teleskop gekauft und gibst deinem Krokodil Fleisch zu fressen… Jetzt glaubst du, du wärst der Zar, oder Gott. Wart nur! Hör dir mal an, was die Leute in deinen Fabriken erzählen. Ich sage dir, bis jetzt war alles noch ziemlich friedlich, aber glaubst du denn, das bleibt?”
Sinjugin war außer sich.
“Ich … ich… lass dich rausschmeißen! Das ist ja wirklich! Anzeigen werde ich dich… Mein Betrieb arbeitet für die Armee. Ich bin auch bei unserer neuen Obrigkeit ein geachteter Mann… aber du… mach, dass du rauskommst!”
Der Küster setzte die Mütze auf und ging.
“Da haben sie nun Revolution gemacht… Und dieses Pack sitzt immer noch am alten Ort. Kann mich ins Gefängnis bringen, der Kerl, sitzt mit dem Kommandanten zusammen im Stadtrat. Zerreißen müsste man sie. Und so was nennt sich Patriot…”, murmelte er vor sich hin, als er die Straße entlang ging. “An seinen miserablen Stiefeln hat er Tausende verdient. Sein Sohn braucht nicht Soldat zu sein, den hat er freigekauft. Dem Arzt beim Militär hat er dreihundert zugesteckt und dem vom Krankenhaus noch mal fünfhundert. Hat er selbst erzählt, als er besoffen war. Die Brüder können alle gut mit fremden Händen kämpfen. Und Bilder von Alexander Fjodorowitsch hat er gekauft … am nächsten Baum müsste man ihn aufhängen, samt seinem Kerenski. Auf die Freiheit haben wir gewartet … Na, dann frohes Fest allerseits!”
Sie waren alle rein wie verrückt – man hörte nur noch einen Namen: Kerenski.
In jeder Nummer der Zeitung war sein Bild abgedruckt. “Kerenski spricht” – “Bevölkerung streut Kerenski Blumen auf den Weg” – “Begeisterte Frauen tragen Kerenski auf Händen”. Ein Mitglied des Stadtrats von Arsamas namens Feofanow war geschäftlich in Moskau gewesen und hatte selbst mit Kerenski gesprochen; in Scharen drängte man sich um Feofanow.
“Sie haben wirklich mit ihm gesprochen?”
“Jawohl, ich habe mit ihm gesprochen”, antwortete Feofanow stolz.
“Er hat Ihnen auch die Hand gegeben?”
“Jawohl, die rechte Hand hat er mir geschüttelt.”
“Donnerwetter!” flüsterte man sich zu und war ganz aufgeregt. “Der Zar hätte nie einem die Hand gegeben, aber Kerenski macht das. Tausende kommen jeden Tag zu ihm, und jedem gibt er die Hand; früher, da…”
“Ja, früher, da hatten wir den Zarismus.”
“Richtig… und heute haben wir die Freiheit.”
“Hurra! Es lebe die Freiheit…! Es lebe Kerenski…! Wir schicken ihm ein Grußtelegramm.”
Jedes zehnte Telegramm, das die Post beförderte, war ein Grußtelegramm an Kerenski. Solche Telegramme kamen von öffentlichen Versammlungen, von Schulveranstaltungen, von Sitzungen des Kirchenrats, aus dem Stadtrat, von der Vereinigung der Kirchenfahnenträger – tatsächlich von überallher. Wo auch immer einige Menschen versammelt waren, es wurden Grußtelegramme abgesandt.

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