| 13. KapitelAm Kreuzweg, wo wir gestern zu dem Hof abgebogen waren, ließ Fedja  halten. Er nahm zwei seiner besten Leute beiseite und redete lange auf  sie ein, wobei er mit dem Finger in Richtung der Straße zeigte. Damit  sich die beiden seinen Befehl besser einprägten, schnauzte er sie noch  einmal heftig an. Dann kam er zu uns zurück und befahl, zu dem Gehöft  hinüberzureiten.Dort fragte er den Bauern nach dem kürzesten Weg  durch den Sumpf nach Wysselki. Den gestrigen Tag aber erwähnte er mit  keinem Wort.
 “Da kommt ihr nicht durch, Genossen”, versuchte uns der Bauer zu  überzeugen. “Da saufen euch die Pferde ab. Eine ganze Woche lang hat es  jetzt geregnet. Nicht mal zu Fuß kommt man durch, zu Pferd erst recht  nicht.”
 Die beiden Aufklärer, die Fedja vorausgeschickt hatte, kamen zurück und  meldeten, Wysselki sei von den Weißen besetzt und an der Straße stehe  ein Posten. Fedka hörte sich die mahnenden Worte des Bauern nicht  länger an, sondern befahl ihm, sich fertig zu machen. Umsonst rief der  Alte alle Heiligen an, umsonst erklärte er, es sei unmöglich, durch das  Moor hindurchzukommen. Die Frau fing an zu weinen, und das rotwangige  Mädchen, ihre Tochter, die noch gestern Fedja mit so lustigen Augen  angeschaut hatte, fuhr ihn böse an, weil seine Stiefel auf dem Fußboden  schmutzige Spuren hinterlassen hatten. Aber Fedja war durch nichts zu  bewegen und blieb bei seiner Absicht. Ich fragte ihn, was er vorhabe;  da sah er mich nur von der Seite an und lachte böse – er schimpfte noch  nicht einmal.
 Dann verließen wir den Hof. Der Bauer ritt auf einem armseligen  Pferdchen vorneweg, neben ihm hielt sich Fedja. Wir bogen in ein  Birkenwäldchen ein. Unter den Hufen unserer Pferde quoll aus dem  schwellenden, schwankenden Moosboden trübes Wasser hervor. Der Weg  wurde immer schlechter. Tief sanken die Pferde ein. Die Wiesen standen  unter Wasser, nur hier und da ragten moosbewachsene Baumstümpfe heraus.
 Eilig ging‘s weiter. Schließlich kamen wir an den alten Knüppeldamm,  von dem der Bauer erzählt hatte. Ein dicker Brei aus faulem Stroh und  abgerissenem Holz, das das Wasser hochgespült hatte, zog sich wie ein  schmaler Pfad vor uns her. “Hm – ja”, knurrte Fedja und warf einen  schrägen Blick auf unsere Genossen, die finster dreinschauten. “Na, das  ist ja ein Weg.”
 “Hier versaufen wir, Fedka!”
 “Ja, das dauert gar nicht mehr lange, dann saufen wir ab”, meinte auch  unser Führer. “Der Knüppeldamm taugt nichts mehr, der Belag ist  verfault; bei trockenem Wetter, da mag es vielleicht noch gehen, aber  bei dem Regen nicht.”
 “Die Pferde können hier nicht  schwimmen, und eine Furt gibt‘s auch nicht. Das ist eine ganz verdammte Brühe  hier.”
 Fedja lächelte verkrampft.  “Die verdammte Brühe werden wir auslöffeln!”
 Er nahm seinen störrischen Hengst am Zügel und drang als erster in den  Sumpf ein. Das stinkende, faulige Wasser ging ihm bis ans Knie. Langsam  schoben wir uns hinter ihm her, immer zwei Mann nebeneinander. Das  Wasser, auf dem seit dem Morgen eine hauchdünne Eisschicht lag, floss  uns zu den Stiefelschäften hinein. Der unsichtbare dünne Knüppelbelag  schwankte unter unseren Füßen. Es war unheimlich, so ins Ungewisse zu  gehen. Mir war, als gäbe es unter meinen Füßen keinen Widerstand mehr,  als versinke ich in einer sumpfigen, alles verschlingenden,  riesengroßen Grube.
 Die Pferde schnaubten, wollten nicht weiter, sie zitterten vor Angst.  Von irgendwoher kam aus dem Nebel Fedjas Stimme; sie klang wie ein Ruf  aus einer anderen Welt: “Hallo, sind alle ran?”
 “Wir sind mittendrin, kommen nicht mehr weiter. Am besten, wir kehren  um”, murrte unser rothaariger Trompeter. Seine Zähne klapperten vor  Kälte.
 Plötzlich tauchte Fedja aus  dem Nebel auf.
 “Mach mir nur keine Panik, Paschka”, warnte er, leise und boshaft.  “Wenn du hier rumjammern willst, dann geh und reit allein zurück.  Alter”, wandte er sich an den Bauern, “mein Pferd ist bis zum Bauch  drin, haben wir noch weit?”
 “Jetzt nicht mehr. Bald wird es trockener. Aber hier vor uns, da ist es  am schlimmsten. Wenn wir da durch sind, ist es vorbei, dann kommen wir  auch weiter.”
 Das Wasser ging uns bis zum  Koppel. Der Alte blieb stehen, nahm die Mütze ab und bekreuzigte sich.
 “Und jetzt müsst ihr alle  hinter mir hergehen, einer hinter dem anderen, sonst seid ihr verloren!”
 Die Mütze ins Gesicht gezogen, drang er weiter vor. Er ging ganz  langsam, blieb immer wieder stehen und tastete mit einem Stock den  Knüppeldamm ab, der unsichtbar unter Wasser lag.
 Der eisige Wind ließ unsere Glieder erstarren, kalt drang das  Moorwasser von unten herauf, und unsere Kleider waren schwer und nass  vom Nebel. So schritten wir einer hinter dem anderen her; in einer  Stunde kamen wir kaum hundert Schritt weiter. Meine Hände waren blau  vor Kälte, und meine Knie zitterten.
 Verdammter Satan, dieser Fedka! dachte ich. Gestern war ihm der Weg zum  Reiten zu schmutzig, aber heute jagt er uns in den Sumpf.
 Von vorn kam ein leises  Wiehern herüber. Der Nebel riss auseinander, vor uns auf dem Hang sahen wir  Fedka.
 “Leise”, flüsterte er, als wir, zitternd vor Nässe, uns um ihn  drängten. “Hinter dem Busch da liegt Wysselki, hundert Meter von hier.  Der Weg ist jetzt trocken.”
 Durchfroren, wie wir waren, brachen wir mit wildem Geheul und schrillem  Pfeifen in das Dorf ein. Vom Sumpf her hatten uns die Weißen nicht  erwartet. Nach allen Seiten flogen unsere Handgranaten – so ritten wir  in wildem Galopp bis zu der kleinen Kirche vor; daneben lag der Stab  der Weißen.
 Wir machten zehn Gefangene und erbeuteten ein Maschinengewehr. Als wir  müde, aber zufrieden auf der breiten Landstraße zurückritten, lachte  Fedja, der sich neben mir hielt, boshaft und meinte: “Jetzt haben wir  dem Schebalow gezeigt, was wir können. Der wird sich wundern!”
 “Wieso?” Ich verstand ihn  nicht. “Freuen wird er sich.”
 “Gewiss, aber nicht sehr. Ärgern wird er sich, es ist nicht so  gegangen, wie er gewollt hat. Ich hab getan, was ich wollte, und auf  einmal so‘n Erfolg!”
 “Wieso nicht, wie er gewollt hat, Fedka?” fragte ich und fühlte, dass  da etwas nicht stimmte. “Schebalow selbst hat dich doch geschickt.”
 “Ja, aber nicht nach Wysselki. Nach Nowoselowo sollten wir reiten und  dort auf Halda warten. Aber ich bin nach Wysselki gegangen. Braucht  sich nicht mehr über gestern aufzuregen. Ja, jetzt brauchen wir ihm  nichts zu verbergen. Jetzt haben wir Gefangene gemacht und bringen auch  noch ein Maschinengewehr mit – da muss er die Schnauze halten.”
 Ein Erfolg ist das schon, dachte ich, aber hier stimmt was nicht. Nach  Nowoselowo sollten wir, aber wir sind nach Wysselki geritten. Ein  Glück, dass alles noch so gut ausgegangen ist. Aber wenn wir nicht  durch den Sumpf durchgekommen wären? Dann könnten wir uns mit nichts  herausreden!
 Als wir uns dem Dorf näherten, wo unsere Abteilung lag, sahen wir dort  eine ungewöhnliche Bewegung. Rotarmisten liefen am Dorfrand entlang und  schwärmten aus. Reiter jagten an den Gärten vorbei.
 Plötzlich ratterte vom Dorf her ein Maschinengewehr los, und Paschka,  unser rothaariger Trompeter, stürzte getroffen auf die Straße.
 “Hierher!” brüllte Fedja, riss  sein Pferd herum und suchte Deckung hinter einem Hang.
 Wieder ein Feuerstoß – zwei  unserer Reiter brachen zusammen. Sie hatten die schützende Deckung nicht mehr  erreicht.
 Einer blieb mit dem Fuß im  Steigbügel hängen, sein Pferd scheute und schleifte den Verwundeten hinter sich  her.
 Das Blut erstarrte mir in den Adern. “Fedja”, stammelte ich, “was hast  du gemacht? Da schießt ja unser eigenes Maschinengewehr. Die im Dorf  wissen doch nicht, dass wir es sind. Sie glauben, wir kommen von  Nowoselowo.”
 “Denen werd ich was schießen!” tobte Fjodor, sprang vom Pferd und warf  sich hinter das Maschinengewehr, das wir den Weißen abgenommen hatten.
 “Fedka, bist du wahnsinnig?! Willst du auf die Unsrigen schießen? Die  wissen nicht, wer wir sind, aber du weißt doch Bescheid!”
 Fedka atmete schwer, außer sich vor Wut schlug er mit der Nagaika gegen  den Stiefelschaft… Dann stand er auf, sprang in den Sattel und ritt  ungedeckt die Höhe hinauf. Ein paar Kugeln pfiffen über seinen Kopf  hinweg, Fedka aber stellte sich kaltblütig in die Steigbügel, als ob  nichts geschehen wäre, steckte die Mütze auf sein Bajonett und hielt  sie hoch über den Kopf.
 Noch ein paar Schüsse fielen vom Dorf her, dann war alles wieder still.  Unsere Leute hatten gesehen, dass der Reiter, der im Kugelregen auf der  Höhe hielt, ihnen Zeichen gab.
 Fedka winkte uns zu, wir sollten noch zurückbleiben. Dann gab er seinem  Hengst die Sporen und ritt im Galopp auf das Dorf zu. Wir warteten noch  einen Augenblick, dann kamen wir auch heraus und ritten hinter ihm her.
 Am Dorfrand ging uns Schebalow entgegen, grau und wie versteinert war  sein Gesicht. Seine Augen blickten düster, hager erschienen seine Züge,  am Säbel klebte der Dreck, es klirrten seine schmutzigen Sporen. Er  hielt uns an und ließ in die Quartiere wegtreten. Sein müder Blick  glitt über unsere Reihe, dann befahl er mir, abzusitzen und meine  Waffen abzugeben. Schweigend, vor der ganzen Abteilung, glitt ich aus  dem Sattel, hakte meinen Säbel los und gab ihn samt meinem Karabiner an  den krummen Malygin ab, der mit düsterem Gesicht vor mir stand.
 Der verwegene, eigenmächtige Aufklärungsritt nach Wysselki war unserer  Abteilung teuer zu stehen gekommen. Außer den drei Reitern, die ins  Feuer unseres eigenen Maschinengewehrs gerieten, war in Nowoselowo  unsere zweite Kompanie aufgerieben worden. Sie hatte Fedja dort nicht  gefunden. Halda, der Kompanieführer, war gefallen. Die Soldaten unserer  Abteilung waren wütend auf uns und verlangten ein strenges Gericht über  Fedja, der im Arrest saß.
 “Genossen, jetzt ist aber Schluss!” erklärten sie. “Ohne Disziplin  kommen wir nicht weiter; wir bringen uns ja selbst um, und andere gehen  auch dabei vor die Hunde. Unsere Kommandeure werden doch nicht ernannt,  damit jeder machen kann, was er will!”
 In der Nacht kam Schebalow zu mir. Ich erzählte ihm alles, wie es  gewesen war. Ich gab zu, dass ich aus Kameradschaft zu Fedja gelogen  hatte, als er mich das erste Mal fragte, ob wir in Wysselki gewesen  wären oder nicht. Und ich schwor ihm, dass ich diesmal von dem  eigenmächtigen Vorgehen Fedjas nichts gewusst hatte, als er uns anstatt  nach Nowoselowo nach Wysselki reiten ließ.
 “Weißt du, Boris”, entgegnete Schebalow, “du hast mich schon einmal  belogen… und wenn ich dir jetzt noch einmal glauben will, wenn ich dich  nicht mit Fjodor vor Gericht stelle, dann nur, weil du noch so jung  bist. Aber sieh zu, Junge, dass du nicht mehr solche Fehler machst!  Durch deine Schuld hat Tschubuk sterben müssen. Durch eure Schuld sind  die Fernsprechleute den Weißen ins Feuer gelaufen. Nun reicht es mir!  Ich rede gar nicht von Fedka, das ist ein Lump, der mir viel Kummer  gemacht hat. Du gehst jetzt wieder in die erste Kompanie zurück, zu  Sucharew, an deinen alten Platz gehst du wieder. Ich hätte dich nicht  zu Fjodor lassen sollen, das ist meine Schuld, jawohl. Von Tschubuk …  ja, von dem konntest du was lernen… aber von Fjodor…? Auf den kann sich  keiner verlassen. Und was ich dir schon lange sagen wollte, warum  schließt du dich mal dem einen an, dann wieder dem anderen? Mit allen  musst du zusammenhalten, fest zusammenhalten. Wenn der Mensch allein  ist, verirrt er sich, dann kommt er leicht vom rechten Wege ab.”
 Fedja floh noch in derselben Nacht. Er entwich durch das Fenster der  Hütte, in der er gefangen saß, griff sich ein Pferd und verschwand,  ritt durch den frisch gefallenen Schnee, irgendwohin, durch die Fronten  hindurch nach Süden. Vier seiner Kumpane nahm er mit. Sie sollen zu  Machno gegangen sein.
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