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Arkadi Petrowitsch Gaidar - Russische Kindheit - 1917 (1935)
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13. Kapitel

Am Kreuzweg, wo wir gestern zu dem Hof abgebogen waren, ließ Fedja halten. Er nahm zwei seiner besten Leute beiseite und redete lange auf sie ein, wobei er mit dem Finger in Richtung der Straße zeigte. Damit sich die beiden seinen Befehl besser einprägten, schnauzte er sie noch einmal heftig an. Dann kam er zu uns zurück und befahl, zu dem Gehöft hinüberzureiten.
Dort fragte er den Bauern nach dem kürzesten Weg durch den Sumpf nach Wysselki. Den gestrigen Tag aber erwähnte er mit keinem Wort.
“Da kommt ihr nicht durch, Genossen”, versuchte uns der Bauer zu überzeugen. “Da saufen euch die Pferde ab. Eine ganze Woche lang hat es jetzt geregnet. Nicht mal zu Fuß kommt man durch, zu Pferd erst recht nicht.”
Die beiden Aufklärer, die Fedja vorausgeschickt hatte, kamen zurück und meldeten, Wysselki sei von den Weißen besetzt und an der Straße stehe ein Posten. Fedka hörte sich die mahnenden Worte des Bauern nicht länger an, sondern befahl ihm, sich fertig zu machen. Umsonst rief der Alte alle Heiligen an, umsonst erklärte er, es sei unmöglich, durch das Moor hindurchzukommen. Die Frau fing an zu weinen, und das rotwangige Mädchen, ihre Tochter, die noch gestern Fedja mit so lustigen Augen angeschaut hatte, fuhr ihn böse an, weil seine Stiefel auf dem Fußboden schmutzige Spuren hinterlassen hatten. Aber Fedja war durch nichts zu bewegen und blieb bei seiner Absicht. Ich fragte ihn, was er vorhabe; da sah er mich nur von der Seite an und lachte böse – er schimpfte noch nicht einmal.
Dann verließen wir den Hof. Der Bauer ritt auf einem armseligen Pferdchen vorneweg, neben ihm hielt sich Fedja. Wir bogen in ein Birkenwäldchen ein. Unter den Hufen unserer Pferde quoll aus dem schwellenden, schwankenden Moosboden trübes Wasser hervor. Der Weg wurde immer schlechter. Tief sanken die Pferde ein. Die Wiesen standen unter Wasser, nur hier und da ragten moosbewachsene Baumstümpfe heraus.
Eilig ging‘s weiter. Schließlich kamen wir an den alten Knüppeldamm, von dem der Bauer erzählt hatte. Ein dicker Brei aus faulem Stroh und abgerissenem Holz, das das Wasser hochgespült hatte, zog sich wie ein schmaler Pfad vor uns her. “Hm – ja”, knurrte Fedja und warf einen schrägen Blick auf unsere Genossen, die finster dreinschauten. “Na, das ist ja ein Weg.”
“Hier versaufen wir, Fedka!”
“Ja, das dauert gar nicht mehr lange, dann saufen wir ab”, meinte auch unser Führer. “Der Knüppeldamm taugt nichts mehr, der Belag ist verfault; bei trockenem Wetter, da mag es vielleicht noch gehen, aber bei dem Regen nicht.”
“Die Pferde können hier nicht schwimmen, und eine Furt gibt‘s auch nicht. Das ist eine ganz verdammte Brühe hier.”
Fedja lächelte verkrampft. “Die verdammte Brühe werden wir auslöffeln!”
Er nahm seinen störrischen Hengst am Zügel und drang als erster in den Sumpf ein. Das stinkende, faulige Wasser ging ihm bis ans Knie. Langsam schoben wir uns hinter ihm her, immer zwei Mann nebeneinander. Das Wasser, auf dem seit dem Morgen eine hauchdünne Eisschicht lag, floss uns zu den Stiefelschäften hinein. Der unsichtbare dünne Knüppelbelag schwankte unter unseren Füßen. Es war unheimlich, so ins Ungewisse zu gehen. Mir war, als gäbe es unter meinen Füßen keinen Widerstand mehr, als versinke ich in einer sumpfigen, alles verschlingenden, riesengroßen Grube.
Die Pferde schnaubten, wollten nicht weiter, sie zitterten vor Angst. Von irgendwoher kam aus dem Nebel Fedjas Stimme; sie klang wie ein Ruf aus einer anderen Welt: “Hallo, sind alle ran?”
“Wir sind mittendrin, kommen nicht mehr weiter. Am besten, wir kehren um”, murrte unser rothaariger Trompeter. Seine Zähne klapperten vor Kälte.
Plötzlich tauchte Fedja aus dem Nebel auf.
“Mach mir nur keine Panik, Paschka”, warnte er, leise und boshaft. “Wenn du hier rumjammern willst, dann geh und reit allein zurück. Alter”, wandte er sich an den Bauern, “mein Pferd ist bis zum Bauch drin, haben wir noch weit?”
“Jetzt nicht mehr. Bald wird es trockener. Aber hier vor uns, da ist es am schlimmsten. Wenn wir da durch sind, ist es vorbei, dann kommen wir auch weiter.”
Das Wasser ging uns bis zum Koppel. Der Alte blieb stehen, nahm die Mütze ab und bekreuzigte sich.
“Und jetzt müsst ihr alle hinter mir hergehen, einer hinter dem anderen, sonst seid ihr verloren!”
Die Mütze ins Gesicht gezogen, drang er weiter vor. Er ging ganz langsam, blieb immer wieder stehen und tastete mit einem Stock den Knüppeldamm ab, der unsichtbar unter Wasser lag.
Der eisige Wind ließ unsere Glieder erstarren, kalt drang das Moorwasser von unten herauf, und unsere Kleider waren schwer und nass vom Nebel. So schritten wir einer hinter dem anderen her; in einer Stunde kamen wir kaum hundert Schritt weiter. Meine Hände waren blau vor Kälte, und meine Knie zitterten.
Verdammter Satan, dieser Fedka! dachte ich. Gestern war ihm der Weg zum Reiten zu schmutzig, aber heute jagt er uns in den Sumpf.
Von vorn kam ein leises Wiehern herüber. Der Nebel riss auseinander, vor uns auf dem Hang sahen wir Fedka.
“Leise”, flüsterte er, als wir, zitternd vor Nässe, uns um ihn drängten. “Hinter dem Busch da liegt Wysselki, hundert Meter von hier. Der Weg ist jetzt trocken.”
Durchfroren, wie wir waren, brachen wir mit wildem Geheul und schrillem Pfeifen in das Dorf ein. Vom Sumpf her hatten uns die Weißen nicht erwartet. Nach allen Seiten flogen unsere Handgranaten – so ritten wir in wildem Galopp bis zu der kleinen Kirche vor; daneben lag der Stab der Weißen.
Wir machten zehn Gefangene und erbeuteten ein Maschinengewehr. Als wir müde, aber zufrieden auf der breiten Landstraße zurückritten, lachte Fedja, der sich neben mir hielt, boshaft und meinte: “Jetzt haben wir dem Schebalow gezeigt, was wir können. Der wird sich wundern!”
“Wieso?” Ich verstand ihn nicht. “Freuen wird er sich.”
“Gewiss, aber nicht sehr. Ärgern wird er sich, es ist nicht so gegangen, wie er gewollt hat. Ich hab getan, was ich wollte, und auf einmal so‘n Erfolg!”
“Wieso nicht, wie er gewollt hat, Fedka?” fragte ich und fühlte, dass da etwas nicht stimmte. “Schebalow selbst hat dich doch geschickt.”
“Ja, aber nicht nach Wysselki. Nach Nowoselowo sollten wir reiten und dort auf Halda warten. Aber ich bin nach Wysselki gegangen. Braucht sich nicht mehr über gestern aufzuregen. Ja, jetzt brauchen wir ihm nichts zu verbergen. Jetzt haben wir Gefangene gemacht und bringen auch noch ein Maschinengewehr mit – da muss er die Schnauze halten.”
Ein Erfolg ist das schon, dachte ich, aber hier stimmt was nicht. Nach Nowoselowo sollten wir, aber wir sind nach Wysselki geritten. Ein Glück, dass alles noch so gut ausgegangen ist. Aber wenn wir nicht durch den Sumpf durchgekommen wären? Dann könnten wir uns mit nichts herausreden!
Als wir uns dem Dorf näherten, wo unsere Abteilung lag, sahen wir dort eine ungewöhnliche Bewegung. Rotarmisten liefen am Dorfrand entlang und schwärmten aus. Reiter jagten an den Gärten vorbei.
Plötzlich ratterte vom Dorf her ein Maschinengewehr los, und Paschka, unser rothaariger Trompeter, stürzte getroffen auf die Straße.
“Hierher!” brüllte Fedja, riss sein Pferd herum und suchte Deckung hinter einem Hang.
Wieder ein Feuerstoß – zwei unserer Reiter brachen zusammen. Sie hatten die schützende Deckung nicht mehr erreicht.
Einer blieb mit dem Fuß im Steigbügel hängen, sein Pferd scheute und schleifte den Verwundeten hinter sich her.
Das Blut erstarrte mir in den Adern. “Fedja”, stammelte ich, “was hast du gemacht? Da schießt ja unser eigenes Maschinengewehr. Die im Dorf wissen doch nicht, dass wir es sind. Sie glauben, wir kommen von Nowoselowo.”
“Denen werd ich was schießen!” tobte Fjodor, sprang vom Pferd und warf sich hinter das Maschinengewehr, das wir den Weißen abgenommen hatten.
“Fedka, bist du wahnsinnig?! Willst du auf die Unsrigen schießen? Die wissen nicht, wer wir sind, aber du weißt doch Bescheid!”
Fedka atmete schwer, außer sich vor Wut schlug er mit der Nagaika gegen den Stiefelschaft… Dann stand er auf, sprang in den Sattel und ritt ungedeckt die Höhe hinauf. Ein paar Kugeln pfiffen über seinen Kopf hinweg, Fedka aber stellte sich kaltblütig in die Steigbügel, als ob nichts geschehen wäre, steckte die Mütze auf sein Bajonett und hielt sie hoch über den Kopf.
Noch ein paar Schüsse fielen vom Dorf her, dann war alles wieder still. Unsere Leute hatten gesehen, dass der Reiter, der im Kugelregen auf der Höhe hielt, ihnen Zeichen gab.
Fedka winkte uns zu, wir sollten noch zurückbleiben. Dann gab er seinem Hengst die Sporen und ritt im Galopp auf das Dorf zu. Wir warteten noch einen Augenblick, dann kamen wir auch heraus und ritten hinter ihm her.
Am Dorfrand ging uns Schebalow entgegen, grau und wie versteinert war sein Gesicht. Seine Augen blickten düster, hager erschienen seine Züge, am Säbel klebte der Dreck, es klirrten seine schmutzigen Sporen. Er hielt uns an und ließ in die Quartiere wegtreten. Sein müder Blick glitt über unsere Reihe, dann befahl er mir, abzusitzen und meine Waffen abzugeben. Schweigend, vor der ganzen Abteilung, glitt ich aus dem Sattel, hakte meinen Säbel los und gab ihn samt meinem Karabiner an den krummen Malygin ab, der mit düsterem Gesicht vor mir stand.
Der verwegene, eigenmächtige Aufklärungsritt nach Wysselki war unserer Abteilung teuer zu stehen gekommen. Außer den drei Reitern, die ins Feuer unseres eigenen Maschinengewehrs gerieten, war in Nowoselowo unsere zweite Kompanie aufgerieben worden. Sie hatte Fedja dort nicht gefunden. Halda, der Kompanieführer, war gefallen. Die Soldaten unserer Abteilung waren wütend auf uns und verlangten ein strenges Gericht über Fedja, der im Arrest saß.
“Genossen, jetzt ist aber Schluss!” erklärten sie. “Ohne Disziplin kommen wir nicht weiter; wir bringen uns ja selbst um, und andere gehen auch dabei vor die Hunde. Unsere Kommandeure werden doch nicht ernannt, damit jeder machen kann, was er will!”
In der Nacht kam Schebalow zu mir. Ich erzählte ihm alles, wie es gewesen war. Ich gab zu, dass ich aus Kameradschaft zu Fedja gelogen hatte, als er mich das erste Mal fragte, ob wir in Wysselki gewesen wären oder nicht. Und ich schwor ihm, dass ich diesmal von dem eigenmächtigen Vorgehen Fedjas nichts gewusst hatte, als er uns anstatt nach Nowoselowo nach Wysselki reiten ließ.
“Weißt du, Boris”, entgegnete Schebalow, “du hast mich schon einmal belogen… und wenn ich dir jetzt noch einmal glauben will, wenn ich dich nicht mit Fjodor vor Gericht stelle, dann nur, weil du noch so jung bist. Aber sieh zu, Junge, dass du nicht mehr solche Fehler machst! Durch deine Schuld hat Tschubuk sterben müssen. Durch eure Schuld sind die Fernsprechleute den Weißen ins Feuer gelaufen. Nun reicht es mir! Ich rede gar nicht von Fedka, das ist ein Lump, der mir viel Kummer gemacht hat. Du gehst jetzt wieder in die erste Kompanie zurück, zu Sucharew, an deinen alten Platz gehst du wieder. Ich hätte dich nicht zu Fjodor lassen sollen, das ist meine Schuld, jawohl. Von Tschubuk … ja, von dem konntest du was lernen… aber von Fjodor…? Auf den kann sich keiner verlassen. Und was ich dir schon lange sagen wollte, warum schließt du dich mal dem einen an, dann wieder dem anderen? Mit allen musst du zusammenhalten, fest zusammenhalten. Wenn der Mensch allein ist, verirrt er sich, dann kommt er leicht vom rechten Wege ab.”
Fedja floh noch in derselben Nacht. Er entwich durch das Fenster der Hütte, in der er gefangen saß, griff sich ein Pferd und verschwand, ritt durch den frisch gefallenen Schnee, irgendwohin, durch die Fronten hindurch nach Süden. Vier seiner Kumpane nahm er mit. Sie sollen zu Machno gegangen sein.

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