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Martin Andersen Nexø - Die Passagiere der leeren Plätze (1938)
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DER HOFSÄNGER

Wer liebte nicht die Singvögel? Und wenn es die Obrigkeit ist: sie schützt sie und wacht darüber, dass ihnen kein Leid geschieht. Und alle tun wir, was uns möglich ist, damit sie bei unseren Häusern nisten und uns was vorsingen. Lässt sich eine Nachtigall in einem Garten nieder, dann empfindet es der Besitzer als ein Liebeszeichen aus der Hand der Natur.
Der Hofsänger aber ist etwas für sich. Im Gegensatz zu allen anderen Singvögeln hat er sich die Hauptstadt zum Aufenthaltsort erwählt und ist nur dort anzutreffen — und nur in den Armeleutevierteln. Und während zum Beispiel die Nachtigall einen Park dem Garten des kleinen Mannes vorzieht, rückt der Hofsänger aus seiner Gegend aus, sobald sie anfängt vornehm zu werden.
Der Hofsänger ist der Singvogel der armen Leute. Er tritt erst gegen Winter auf, wenn alle anderen Singvögel längst verstummt sind, und meist verschwindet er wieder, sobald die Luft frühjahrsmäßig wird. Hunger und Kälte sind es, die die Töne aus seiner Kehle hervorlocken und die Hinterhöfe der Hauptstadt in gewaltige, bebende Vogelkäfige verwandeln.
Noch vor zehn Jahren war in Kopenhagen der Hofsänger etwas ziemlich Alltägliches. Aber unter den Einwohnern der Stadt hatte er nur die Armen zu Freunden — alle anderen wurden wütend von seinem Gesang. Und dieselbe Obrigkeit, die die Lerche und andere Singvögel schützt, war ihm aus irgendwelchen Gründen feindlich gesinnt und legte ihm Schlingen aus. Und heute ist er so gut wie ausgerottet. In den düsteren Hinterhöfen der Großstadt darf kein Lied erklingen.
Hier folgt ein kleiner Bericht, wie einer der letzten Hofsänger gehetzt und zur Strecke gebracht wurde.
Der Maschinenarbeiter Vang war von gleicher Herkunft wie nicht wenige weltberühmte Tenöre — und singen konnte er. Fast alle großen Sänger und Sängerinnen stammen aus der Welt des armen Mannes; sie bedeuten einen seiner vielen Versuche, sich auf Erden Gehör zu verschaffen, sein Optimismus bringt sie hervor.
Vang besaß eine großartige Stimme, und oft genug habe ich darüber nachgedacht, wie weit er es wohl hätte bringen können, wenn...
Doch jedes „wenn" und „falls" war im Grunde genommen überflüssig, da er nun einmal Maschinenarbeiter war und Frau und Kinder hatte. Überdies gefiel ihm sein Beruf sehr gut.
Er sang seinem Weibchen und seinen Jungen vor, wie es sich für einen richtigen Singvogel gehört; und um die Zeit, da er abends von der Arbeit nach Hause kam, pflegten die Bewohner des Vorderhauses ihre Fenster nach dem Hofe hin aufzuschlagen, damit sie von dem Gesang ein wenig abbekämen. Er wohnte im Hinterhaus.
Ich hatte eine kleine Dachkammer nach dem Hofe zu, und manchen Abend ging ich überhaupt nicht fort, sondern saß im Dunkeln und träumte bei diesem unermüdlichen Gesang zum Preis des eigenen Nestes vor mich hin; er schien — wie bei der Lerche — aus unerschöpflichen Quellen hervorzubrechen. Das war nach einem schweren Arbeitstag ein herrliches Ausruhen — und eine wunderbare Linderung für einen, der nicht ganz aus freien Stücken Einsiedler war.
Eines Abends sang er nicht. Es kam ja ab und zu vor, dass er und seine Frau ausgingen, auf Besuch oder dergleichen; man nahm es hin als etwas, das nun einmal dazugehörte — als Sängerlaune, und tröstete sich damit, dass es nicht allzu oft vorkäme. Aber an diesem Abend war die Stille von anderer, gleichsam aufdringlicher Art; irgend etwas Unfassbares brachte mich zu der Überzeugung, dass in dem kleinen Nest im dritten Stock des Hinterhauses etwas vorgefallen wäre.
Auch an den folgenden Abenden ließ er sich nicht hören. Ich
erkundigte mich im Hause und erfuhr, dass er arbeitslos geworden sei. Mehr wurde nicht gesagt, und mehr war auch nicht nötig. Dieses einzige verfluchte Wort enthielt alles.
Den Bewohnern der Arbeiterviertel ist Arbeitslosigkeit zur Winterszeit wie eine verheerende Pest oder Cholera — keiner weiß, ob er den morgigen Tag erleben wird. Wenn sie in dem Stadtteil erst einmal ausgebrochen ist, spukt sie in allen Gesichtern — macht sie blau und grau und unangenehm gespannt. Wo sich zwei begegnen, sagt ihr starrender Blick: „Was — lebst du noch?" Jederzeit kann sich einem die Erde unter den Füßen auftun; niemand weiß, wann er an der Reihe ist, vom Dasein ausgeschlossen zu werden. Sooft sich zwei Menschen voneinander verabschieden, geschieht das mit dem heimlichen Gedanken: „Wer von uns beiden wird wohl zuerst drankommen?" Niemand kennt die Stunde seiner Heimsuchung; man geht ruhig und vergnügt ins Bett — und wenn der Tag graut, ist der Engel des Hungers dagewesen und hat einem sein graues Kreuz an die Tür gemalt. Es kann nicht unheimlicher klingen, wenn die schwarzen Leichenträger der Pest an die Türe pochen und es flüsternd von Mund zu Mund geht: „Sie holen Petersen!", als wenn es wie ein Seufzer durchs Haus geht, dass der und der arbeitslos geworden sei.
Bisher war unser Haus seltsam verschont geblieben. Weihnachten war glücklich vorübergegangen, der Januar mit seinem Optimismus hatte angefangen. Das neue Jahr bedeutet für die kleinen Leute nicht nur strengere Kälte, sondern auch mehr Lebensmut — es geht wieder aufwärts, dem Lichte entgegen! Man atmete schon auf und meinte, für diesen Winter sei das Schlimmste überstanden — und da traf es die Familie Vang!
Von meinem Fenster aus konnte ich gerade in die kleine Wohnung im dritten Stock hineinsehen. Auf einem Tisch dicht an dem anderthalb Fach breiten großen Fenster stand die Nähmaschine; vormittags, wenn die Sonne schien, saß hier häufig die lustige kleine Frau Vang. Über ihrem Kopf hing der Kanarienvogel, der zu dem Rattern der Nähmaschine ständig wie besessen trillerte, und am Tischende saß mit seinem Spielzeug ein kleiner Knirps von drei, vier Jahren. Wie mochte es der kleinen Familie, die immer so froh beisammen gewesen war, jetzt gehen? Zu kleinen Leuten kommt die Not selten später als ein oder zwei Tage nach der Arbeitslosigkeit.
Ja, wie ging es ihnen wohl? Ständig waren die Vorhänge zugezogen; die Fenster wirkten wie geschlossene Augen. In das, was dahinter vorging, sollte niemand Einblick haben. Die lustige Familie hatte sich in sich selbst zurückgezogen.
Ich versuchte eine Annäherung, wurde aber abgewiesen; hatte ich mich in ihren guten Zeiten nicht bei ihnen gezeigt, konnte ich auch jetzt getrost meine Nase für mich behalten. Ab und zu begegnete ich dem Mann oder der Frau im Haustor; sie trugen das eine oder andere unterm Arm und waren wahrscheinlich auf dem Wege zum Leihhaus. Kein Mensch im Haus erfuhr, wie sie sich durchschlugen; aber es ließ sich ja ahnen, dass es auf Kosten des Hausrats geschah.
Eines Tages waren die Vorhänge verschwunden und durch Zeitungen und einen alten Schal ersetzt — Dinge, die trostlos die Leere verrieten, die sie verbergen sollten. An diesem und den folgenden Tagen dachte ich mehr an die Familie Vang als nützlich ist, wenn man mit dem Leben auf gutem Fuß stehen will; ihr Schicksal konnte einen wohl dazu bringen, mit diesem oder jenem ins Gericht zu gehen.
Eines Vormittags aber wurde ich auf die schönste Art aus meinen finsteren Gedanken aufgerüttelt. Eine bekannte helle Stimme stieg plötzlich aus der Tiefe des Hofes empor und schwebte in der kalten Winterluft hoch über dem Hofraum, trillernd wie eine Lerche, die an ihren Flügeln hängt. Es versteht sich, dass mein Fenster mit Schwung aufflog.
Mitten auf dem Hof stand der Maschinenarbeiter und sang, den Kopf entblößt und das Gesicht hinauf zu den Fenstern gerichtet. Er sang Tycho Brahes Abschied, und seine Stimme schwang bewegt zwischen den starken Mauern. An allen Fenstern waren Zuhörer; sie klatschten Beifall und warfen ihm in Papier eingewickeltes Geld hinunter. Ein zehnjähriger Bursche, sein ältester Junge, sprang auf dem Beton hin und her und sammelte auf.
Als ich kurz darauf fortging, begegnete ich Vang und dem Jungen vor dem Haustor; sie waren auf dem Weg in einen anderen Hof. Vangs Augen leuchteten, als er mich sah; er grüßte wie einer, der den Sprung gewagt und Glück gehabt hat.
„Passen Sie auf", sagte ich. „Sie wissen doch, dass es verboten ist, auf den Höfen zu singen."
„Verboten, ja! — Möchten Sie mir sagen, was in diesem nasskalten Lande nicht verboten ist? Ich bin zwei Jahre mit einem deutschen Monteur gereist; wir waren überall in allen Städten Europas und haben Maschinen aufgestellt, und überall durften die Leute auf der Straße singen und spielen, so viel sie wollten
— sogar in Berlin. Bloß hier zu Hause sind wir solche Griesgrame, sehen Sie! Na, das Verbrechen gehört wohl nicht zu den allerschwersten, und sollte ein Bulle kommen, dann steht ja mein Junge hier draußen vor dem Tor und wird mich warnen. Es wird schon gelingen!"
Und es schien ihm wirklich zu gelingen. Es machte richtig Spaß zu sehen, wie es mit ihm und der Frau wieder bergauf ging und sie ihr altes, fröhliches Lächeln zurückgewannen. Die hässliche Fensterverkleidung verschwand, die Vorhänge kamen wieder auf ihren alten Platz. Oftmals begegnete ich ihnen auf dem Weg nach Hause; stets trugen sie das eine oder andere unterm Arm
— wahrscheinlich aus dem Leihhaus.
Aufstieg ist immer erfreulich, und doppelt erfreulich ist es Menschen zu sehen, die aus eigener Kraft das schwere Rad des Schicksals wenden. In allen Höfen war Vang ein gern gesehener Gast; das Viertel gab ihm den Spitznamen Herold (Anm.: Herold: ein berühmter dänischer Opernsänger. Die Red.) der Armen.
Ich traf ihn häufig in unserem Viertel, und bald wurden wir gute Freunde.
Eines Abends kam er zu mir in mein Kämmerchen, um mich in einer sehr wichtigen Angelegenheit um Rat zu fragen. In jenen Jahren tauchte gerade ein neuer Gesangsstern, ein Tenor
am Himmel auf; ein italienischer Droschkenkutscher war durch reinen Zufall von einem der Professoren am Konservatorium in Mailand entdeckt und unter kundiger Leitung ausgebildet worden. Nun zog er von einer Hauptstadt in die andere und zwang die ganze Welt vor seine Füße. Sein Ruhm war natürlich auch zu uns gedrungen, und eine Zeitlang wurde viel darüber geredet und geschrieben, ihn auch hierher kommen zu lassen. Das scheiterte aber an seinen ungeheuren Honorarforderungen.
Vang hatte die Laufbahn des Sängers in den Zeitungen verfolgt und war von seinem märchenhaften Schicksal stark mitgenommen. Ich hatte Mal für Mal bemerkt, dass er sich mit dem Italiener — dem ehemaligen Droschkenkutscher! — verglich und aus dem Vergleich gewisse Schlüsse zog. Und Stimme besaß er, ohne Zweifel. Wieweit sie ausreichte, eine Zukunft darauf aufzubauen, konnte ich natürlich nicht entscheiden. Und da ich weder für Vang noch für die Welt einen Gewinn darin sah, wenn er und seine Familie aus ihrem bescheiden glücklichen Dasein herausgerissen würden und es dafür vielleicht einen reisenden Tenor mehr gäbe, wich ich jedes Mal aus, wenn die Unterhaltung auf seine künstlerischen Aspirationen überzugleiten drohte.
Aber heute ging er stracks auf die Sache los. Die Sache war die, dass der italienische Sänger doch hierher kommen sollte, und das in allernächster Zeit. Die Zeitungen wussten nämlich zu berichten, dass es einem der größten Grundbesitzer des Landes unter großen finanziellen Opfern gelungen sei, sich für die Soiree, die er, wie bisher jeden Winter, auch in diesem Jahr veranstalten würde, um seine Übersiedlung vom Lande in sein Palais in der Bredgade zu feiern, ein Auftreten des Sängers zu sichern.
„Was meinen Sie — sollte ich nicht den Italiener aufsuchen und ihn bitten, meine Stimme zu prüfen?" fragte Vang mit vor Erwartung glühenden Wangen.
„Warum gerade ihn? Wir haben doch einheimische Kapazitäten genug!" antwortete ich.
Vang verzog die Mundwinkel: „Den Menschen hier fällt es so schwer, in einem, der von unten kommt, Fähigkeiten zu erkennen; aber der hat doch selber der Unterklasse angehört. Wenn er also meinte..." Vang versank in seine eigenen, sicherlich sehr ausschweifenden Gedanken; sein Gesicht glitt fort in Träumereien.
„So eine Ausbildung ist eine kostspielige Geschichte", versuchte ich mich von neuem. „Sie dauert Jahre — und die Familie muss doch auch leben."
„Gewiss, das ist richtig. Aber mit meiner Hofsingerei verdiene ich ja auch allerlei."
„Solange es dauert. Es ist polizeilich verboten, und früher oder später..."
„Es ist doch bisher gut gegangen." „Der Krug geht solange zum Brunnen..." „Ich glaube nicht, dass mir die Polizei was tun wird. Die Polizisten hier in unserem Viertel haben mich oft genug gesehen. Und warum sollte man sich denn auch da hineinmischen? Der Italiener singt in der Bredgade dem Grafen und seinen Gästen vor — vielleicht kommt sogar der Hof und hört ihm zu. Er soll zehntausend dafür kriegen! Na, er kriegt sie natürlich nicht in Zeitungspapier zugeworfen, und er singt in einem eleganten Saal. Trotzdem sehe ich da keinen großen Unterschied; arme Leute haben ja keinen anderen Konzertsaal als den Hinterhof! Man verbietet den Vögeln doch auch nicht, auf kopenhagenschem Grund und Boden zu singen — oder den Menschen, ihnen zum Dank für ihr Singen Krumen hinzustreuen. Und wenn es ihnen einmal Vergnügen macht, mich zu hören!"
Er war von seiner Idee nicht abzubringen, und ich musste versprechen, ihm behilflich zu sein, einen deutschen Brief an den Sänger zu schreiben, wenn es so weit wäre.
Wir brauchten beinahe einen ganzen Sonntag dazu; Vang konnte ihn nicht gründlich genug haben. „Es kommt darauf an, den richtigen Eindruck zu erwecken — so einer kriegt wahrscheinlich einen Haufen Zuschriften", sagte er in einem Ton, als sei er stolz auf den Italiener.
Der Brief wurde so zeitig abgeschickt, dass ihn der Sänger gleich bei seiner Ankunft in Händen haben musste; soviel ich weiß, ist nie eine Antwort darauf eingetroffen. Trotzdem wurde der große Sänger Vang zum Schicksal — wenn auch auf traurigere Weise, als sich irgendwer von uns vorgestellt hatte.
Es war am Tage der Soiree. Die beiden Polizisten, die an diesem Abend vor dem Palais patrouillieren, für geregelten Autoverkehr und so weiter sorgen sollten, wurden schon mittags aus dem Wachlokal entlassen, damit sie sich ein wenig ausruhen und ihre Galauniform nachsehen könnten. Sie wohnten beide draußen am Jagtvej, und auf dem Heimweg unterhielten sie sich über den seltenen Singvogel, der abends auftreten sollte. „Wenn man ihn doch auch hören könnte", sagte der eine. „Aber so was ist ja nichts für unsereins."
Ob nun eine Gedankenverbindung — ausgelöst durch den Sänger — oder der reine Diensteifer schuld daran war: jedenfalls kamen sie überein, den Nachmittag gemeinsam zu verbringen und auf Nörrebro nach Hofsängern und anderen „Bettlern" auf die Jagd zu gehen. Sie gingen nach Hause, zogen altes Zivilzeug an, um besser auf Schussweite an das Wild heranzukommen, und trafen sich auf dem Nörrebro-Rundteil von neuem. Von hier aus nahmen sie sich die dicht bewohnten Seitenstraßen mit den nordischen Götternamen vor und suchten eine nach der anderen ab, wobei der Schnelligkeit halber jeder von ihnen eine Straßenseite übernahm.
Vang war gerade auf einem Hof der Aegirsgade und sang, sein Junge stand im Tor Wache. Vang war mitten in Es war ein Samstagabend, als ihn ein Individuum, das der Kleidung nach am ehesten ein Lumpensammler zu sein schien, beim Kragen packte und für verhaftet erklärte.
Vang drehte sich rasch um. In der Hand des schäbigen Kerls, der vor einem Augenblick zum Tor hereingeschlichen war und in dem Müllkasten herumgestochert hatte, sah er das Polizeischild blinken — und wurde rasend. Das war doch ein bisschen zu gemein — sich verkleiden und hinterrücks die Leute anfallen! Er schlug den Polizisten zu Boden, und während er durch das Tor ging, um den Jungen zu schnappen und sich mit ihm davonzumachen, machte er seinem Ekel ausgiebig Luft. So ein Lump -pfui Teufel!
Aufgeregt wie er war, überhörte er den scharfen Pfiff der Polizeipfeife; draußen vor dem Tor lief er dem anderen Polizisten gerade in die Arme. Er drehte um und rannte durch das Tor zurück, lief seinen ersten Angreifer über den Haufen und setzte über einen Bretterzaun, die Polizisten ihm dicht auf den Fersen. Er landete auf einem Lagerplatz und fand da nicht hinaus; und dort wurde er gestellt und nach kurzem, blutigem Kampf überwältigt.
Wir im Hause erfuhren es gegen Abend — eher hatte sich der Junge nicht nach Hause getraut, und wir wussten sogleich, was das zu bedeuten hatte. Das sinnloseste von allem hatte er begangen: er, der ordentliche Vang, der gutmütigste Mensch von der Welt, hatte sich an der Polizei vergriffen! Jeder von uns war sich völlig klar darüber, dass nicht das geringste geschehen wäre, wenn die beiden Polizisten in Uniform aufgetreten wären. Der Zorn war mit ihm durchgegangen, Winkelzüge und Hinterlist konnte er nicht ertragen. Aber was half das? Er hatte eine Heiligtumsschändung begangen und selbst das beste Zeugnis würde ihn nicht retten.
Die beiden Polizisten erschienen an diesem Abend nicht in Galauniform vor dem Palais; sie waren einem Paar Schmiedefäusten ausgesetzt gewesen und nicht präsentabel — um so schlimmer für Vang! Er erhielt ein Jahr Zuchthaus für diese Geschichte.
Irgendwelchen größeren Seelenschaden hat er dadurch nicht erlitten. Er ist einer der wenigen — wenn nicht der einzige —, die ich aus der Strafanstalt kommen sah, ohne dass sie verdorben gewesen wären. Er ist nur sehr still geworden. Und seine Stimme hat er verloren. „Das kommt von den feuchten Mauern", sagt er selbst. Aber andere Gründe sind vielleicht ebenso sehr schuld daran.
1916


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