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Upton Sinclair - Jimmie Higgins (1919)
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8. Kapitel:   Jimmie Higgins tritt ins Fettnäpfchen

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Der Weltkrieg nahm mit ständig wachsender Härte seinen Fortgang. Den ganzen Sommer lang bestürmten die Deutschen die französischen und englischen Linien, während die Engländer die Tore von Konstantinopel bestürmten und die Italiener die Tore von Triest. Die Deutschen sandten ihre gigantischen Luftschiffe aus, damit sie Bombenladungen auf London abwarfen, und ihre U-Boote, damit sie Passagierdampfer und Lazarettschiffe versenkten. Jeder neue Verstoß gegen das internationale Recht gab Veranlassung zu weiteren Protestbriefen der Vereinigten Staaten und zu weiteren Kontroversen in den Zeitungen und im Kongress und in Kummes Fahrradladen in der Jefferson Street in Leesville.
An diesem letztgenannten Ort waren die Diskussionen allerdings ziemlich einseitig. Praktisch alle, die dort hinkamen, betrachteten die Munitionsindustrie als etwas Verdammungswürdiges und machten kein Geheimnis aus ihrer Freude, wenn sie von Unglücksfällen betroffen wurde -wenn Schiffswerften in Flammen aufgingen und niederbrannten, wenn Eisenbahnbrücken und Schiffe auf See durch mysteriöse Explosionen zerstört wurden. Kumme, ein verhutzelter, grauhaariger alter Bursche mit einer Knollennase und einem Rundschädel, begann in einer Mischung von Englisch und Deutsch zu fluchen, wenn jemand auch nur mit einem Wort die Schiffe erwähnte, die in ganzen Flotten das Meer überquerten, beladen mit Granaten, die deutsche Soldaten töten sollten; er wies mit dürrem Finger auf jeden, der ihm zuhören wollte, und erklärte, dass die Deutschen im Lande keine Sklaven seien und ihr Vaterland gegen die perfiden Briten und ihre Mietlinge aus der Wall Street verteidigen würden. Kumme hielt sich eine Tageszeitung in deutscher Sprache und ein paar Wochenzeitungen, die in englischer Sprache zur Förderung der deutschen Sache erschienen; er kreuzte in diesen Zeitungen Stellen an und las sie laut vor - alles mögliche, was man wusste oder sich ausdenken konnte zur Unehre Englands, Frankreichs und Italiens, der Wall Street und der Nation, die sich von der Wall Street an der Nase herumführen und ausbeuten ließ. Es gab viele Amerikaner, die im Interesse sozialer Reformen in ihrem eigenen Land „Schmutz aufgewirbelt" und dabei das soziale System Deutschlands gelobt hatten. Diese Argumente kamen den deutschen Propagandisten jetzt sehr gelegen, und Jimmie nahm sie mit zur Ortsgruppe der Sozialisten und gab sie weiter. Nach der Ortsgruppenversammlung gingen er und Meissner in die Kneipe, wo sie sich mit Jerry Coleman trafen, der weitere Zehndollarscheine verteilte für den Druck von Antikriegsliteratur.
Der alte Kumme hatte einen Neffen namens Heinrich, der ihn ab und zu besuchte. Es war ein hochgewachsener, gutaussehender junger Mann, der viel besser englisch sprach als sein Onkel und bessere Kleidung trug. Am Ende blieb er ständig da, und Kumme verkündete, dass er im Laden helfen solle. Soweit Jimmie das beurteilen konnte, brauchten sie keine Hilfe, und schon gar nicht von einem Burschen wie Heinrich, der eine Speiche nicht von einer Lenkstange unterscheiden konnte; aber das ging Jimmie nichts an. Heinrich zog also Arbeitskleidung an und brachte ein paar Wochen damit zu, hinter dem Ladentisch zu sitzen und sich in leisem Ton mit Männern zu unterhalten, die ihn besuchen kamen. Nach einiger Zeit ging er auch wieder aus, und schließlich teilte er mit, dass er sich Arbeit in den Empirewerken beschafft habe.

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Und dann bekamen die ständigen Gäste im Laden weiteren Zuwachs - in Gestalt eines irischen Arbeiters namens Reilly. Die Iren waren im Krieg ein Problem für sich - der Stachel im Gewissen der Alliierten, die schwache Stelle in ihrem Panzer, das gebrochene Glied in der Kette ihrer Argumente; jeder Deutsche war deshalb glücklich, wenn ein Ire zur Tür hereinkam. Dieser Reilly nun kam, um sich einen geplatzten Reifen flicken zu lassen, und blieb, um zu verkünden, wie er über die Weltlage dachte. Der alte
Kumme klopfte ihm auf den Rücken, schüttelte ihm die Hand, sagte, er wäre der Richtige und er solle doch wiederkommen. Darauf wurde Reilly ein regelmäßiger Gast im Laden; er zog aus seiner Tasche eine Zeitung, die „Hibernia", und Kumme holte unter dem Ladentisch eine Zeitung hervor, die „Germania", und dann konnten die beiden stundenlang über das „perfide Albion" schimpfen. Jimmie, über ein Kettenrad gebeugt, an dem er einen Zahn geradebog, sah auf, grinste und rief: „Aber genau!"
Es war Winter und wurde früh dunkel, und Jimmie machte seine Arbeit bei elektrischem Licht hinten im Laden, als Reilly hereinkam und ihn geheimnisvoll tuend in eine Ecke zog. War es ihm wirklich Ernst damit gewesen, als er gesagt hatte, dass er den Krieg hasse und bereit sei, gegen ihn zu kämpfen? Die Empire Shops produzierten jetzt jeden Tag Tausende von Granatkörpern, die zum Menschenmord verwendet werden sollten. Es habe gar keinen Zweck, wenn man versuchen wolle, einen Streik anzufangen, denn es schnüffelten zu viele Spitzel herum, und jeder, der dem Mund aufmache, würde auf die Straße gesetzt; wenn noch dazu einer von draußen es versuchte, würden sie ihn gleich in den Knast stecken - denn natürlich habe der alte Granitch die Stadtverwaltung in der Tasche. All das war für Jimmie eine alte Geschichte, aber nun rückte der Ire mit einem neuen Plan heraus. Es gebe da eine Möglichkeit, die Empirewerke stillzulegen, eine Möglichkeit, die schon anderswo ausprobiert worden sei und die funktioniert habe. Er, Reilly, wisse, wo man Trinitrotoluol herkriege - einen Sprengstoff, der um ein Vielfaches stärker sei als Dynamit. Sie könnten doch aus dem Stahlrohr von Fahrrädern Bomben machen, und Jimmie, der sich ja in den Empire Shops auskenne, könne austüfteln, wie man hineinkäme und die Sache erledigte. Es spränge eine Menge Geld dabei heraus - die Kerls, die so was machten, hätten für den Rest ihres Lebens ausgesorgt. Jimmie war starr. Für ihn hatten deutsche Spione ganz ernstlich ins Reich der Seeschlangen gehört, und nun schob hier direkt vor seinen Augen eine Seeschlange ihren Kopf durch die Dielen von Kummes Fahrrad Werkstatt! Jimmie antwortete, dass er sich mit so was noch nie abgegeben habe. Das sei nicht die rechte Art, dem Krieg ein Ende
zu machen, durch so was gebe es bloß noch mehr Krieg.
Der Ire begann zu diskutieren, bewies ihm, dass kein Mensch dabei zu Schaden kommen würde; die Explosion würde nachts stattfinden und nichts weiter treffen als Abel Granitchs Geldsack. Aber Jimmie blieb hart; zum Glück war ihm in der Ortsgruppe eins stets und ständig eingehämmert worden: Die Bewegung konnte keine Verschwörung gebrauchen, sie musste mit offener Propaganda arbeiten und die Herzen und Hirne der Menschen gewinnen. Erst wurde der Ire ärgerlich und nannte ihn einen Feigling und einen Schlappschwanz. Dann wurde er misstrauisch und wollte wissen, ob Jimmie ihn an die Empirewerke verpfeifen würde. Darüber lachte Jimmie; er war kein Freund von Abel Granitch - das verdammte alte Schwein sollte selber für sich spionieren. Jimmie wollte einfach mit der Sache nichts zu tun haben, weder so noch so. So wurde der Plan fallengelassen, aber der kleine Maschinenarbeiter hielt von nun an die Augen offen und merkte sich, wie viel Deutsche, alles Fremde, den Laden als Treffpunkt benutzten; beobachtete auch die rasch entstandene Freundschaft zwischen dem Iren und Kummes Neffen Heinrich, der sich so Bolzengrade hielt und keinen Hinterkopf hatte. Überraschend plötzlich trieben die Dinge dann dem Höhepunkt zu - eine Bombe platzte, wenn auch keine von der Art, die Jimmie erwartet hatte. Es war ein Abend im Februar, und er wollte gerade abschließen, als er sah, wie sich die Tür öffnete und vier Männer eintraten. In einer besonderen, zielsicheren Weise gingen zwei von ihnen auf den verdutzten Jimmie zu und die anderen beiden auf Kumme. Der eine drehte den Rockaufschlag um, zeigte einen großen goldenen Stern und sagte: „Im Namen des Gesetzes: Sie sind verhaftet." Und zur gleichen Zeit ergriff der andere Jimmies Arme und schob ein Paar Handschellen über seine Gelenke. Dann fuhr er mit den Händen an seinem Gefangenen entlang, eine Zeremonie, die als „Filzen" bekannt war, und gleichzeitig hatten die anderen beiden sich Kummes bemächtigt. Jimmie sah zwei weitere Männer durch die Hintertür den Laden betreten, aber sie hatten nichts zu tun,
denn sowohl Jimmie wie Kumme waren zu überrascht gewesen, um an Flucht zu denken.
Sie wurden nach draußen zu einem Auto geführt, hineingestoßen, und ab ging's wie der Wind. Ihre Fragen blieben unbeantwortet, und so hörten sie nach einer Weile auf, Fragen zu stellen, saßen still da und dachten über alle Sünden nach, die sie in ihrem Leben begangen hatten, und über die Höhe der Wahrscheinlichkeit, dass diese Sünden der Polizei bekannt waren.

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Jimmie dachte natürlich, es ginge zum Gefängnis; doch stattdessen brachten sie ihn zum Postamt, in ein Zimmer im ersten Stock. Kumme wurde in ein anderes Zimmer gebracht, und Jimmie sah ihn nicht wieder; er hatte genug zu tun, sich auf einen strengblickenden jungen Mann zu konzentrieren, der am Schreibtisch saß und ihn in die Mangel nahm. „Pflichtgemäß mache ich Sie darauf aufmerksam, dass alles, was Sie aussagen, gegen Sie verwendet werden kann", sagte dieser junge Mann und begann dann, ohne dass Jimmie Zeit hatte, sich den Sinn dieser Worte klarzumachen, ihn mit Fragen zu bombardieren. Während der ganzen Tortur standen die beiden Geheimpolizisten neben ihm, und in einer Ecke des Zimmers, an einem anderen Schreibtisch, nahm eine Stenographin emsig auf, was sagte. Jimmie wusste, dass es so was wie Stenographinnen, gab - war es doch noch gar nicht lange her, dass er sich beinah in eine verliebt hätte. „Ihr Name?" sagte der strengblickende junge Mann, und dann: „Wo wohnen Sie?" Und dann: „Berichten Sie mir alles, was Sie über den Bombenanschlag wissen." „Aber ich weiß doch gar nichts!" rief Jimmie. „Sie sind in der Gewalt der Bundesregierung", erwiderte der junge Mann, „und Ihre einzige Chance ist, alles offen zu gestehen. Wenn Sie uns helfen, kommen Sie vielleicht davon."
„Aber ich weiß doch gar nichts!" rief Jimmie wieder. „Haben Sie davon gehört, dass die Empire Shops in die Luft gesprengt werden sollten?" „J-ja, Sir." „Von wem?"
„Von einem Mann ..." So weit kam Jimmie, und dann fiel ihm das Versprechen ein, das er gegeben hatte. „Das kann
ich nicht sagen!" fuhr er fort.
„Warum nicht?"
„Es wäre nicht anständig."
„Sind Sie dafür, dass man Gebäude in die Luft sprengt?" „Nein, Sir!" Jimmie legte in seine Antwort den Ton bemühter Aufrichtigkeit, und darum begann der andere mit ihm zu diskutieren. Überall im Land seien ungeheure Verbrechen verübt worden, und die Regierung wolle ihnen ein Ende setzen; es sei doch wohl die Pflicht eines anständigen Bürgers, dabei jede mögliche Hilfe zu leisten. Jimmie hörte sich das an, bis ihm der Angstschweiß auf die Stirn trat; aber er konnte sich nicht überwinden, einen Arbeiter, also seinesgleichen, zu „verpfeifen". Nein, und wenn er dafür zehn oder zwanzig Jahre ins Gefängnis musste, wie der strengblickende junge Mann ihm in Aussicht stellte. „Haben Sie Reilly gesagt, dass Sie mit Bomben nichts zu tun haben wollten?" fragte der junge Mann, und Jimmie antwortete: „Na klar!" Und sein armer Kopf war so durcheinander, dass er nicht einmal merkte, wie er mit seiner Antwort preisgab, was niemals zu verraten er sich geschworen hatte! Der Befrager schien alles bis ins einzelne zu wissen, und es war darum ein leichtes für ihn, Jimmie dahin zu bringen, dass er ausplauderte, wie er Kumme über die Empire Shops und das Land und den Präsidenten hatte schimpfen hören; wie er Kumme mit Reilly hatte flüstern hören und mit Deutschen, deren Namen er nicht wusste, und wie er gesehen hatte, dass Heinrich, Kummes Neffe, Stücke von Stahlrohr zuschnitt. Dann fragte der Mann, der ihn verhörte, nach Jerry Coleman. Wie viel Geld hatte Jimmie bekommen, und was hatte er damit gemacht? Jimmie weigerte sich, die Namen anderer zu nennen; aber als der junge Mann eine Andeutung machte, dass Jimmie vielleicht von dem Geld etwas für sich behalten habe, rief der kleine Maschinenarbeiter mit leidenschaftlicher Heftigkeit, nicht einen Dollar hätte er behalten, und sein Freund Meissner auch nicht; sie hätten Jerry Coleman Quittungen gegeben, und das, obwohl sie manches Mal wegen ihrer Miete in Schwierigkeiten gewesen seien. Die Polizei könne ja Genossen Gerrity und Genossin Mary Allen und die anderen Ortsgruppenmitglieder fragen.
So brachte der Befrager Jimmie dazu, über die Deutschen in der Bewegung zu reden. Schneider, der Brauer, zum Bei-spiel - er gehörte zu denen, die wild auf die Alliierten schimpften, und hatte trotzdem bei dem Bombenanschlag mitgemacht. Jimmie war entrüstet; Genosse Schneider war ein Sozialist, wie man keinen besseren finden konnte, und Sozialisten hatten mit Bomben nichts zu tun! Aber dann der junge Emil Forster - der hatte doch in seiner Freizeit Sprengstoff hergestellt, oder? Worauf Jimmie sich noch mehr aufregte. Er kannte den jungen Emil gut; der Junge war Teppichdesigner und Musiker, und wenn irgendjemand so was von ihm sagte, dann log er, das war alles.
Etwa eine Stunde setzte der Mann seine Befragung fort, indem er den armen Jimmie mit Zweifeln und Ängsten dieser Art quälte; bis er schließlich ein bisschen von seiner Strenge fallenließ und zu Jimmie sagte, er habe ihn bloß auf die Probe stellen wollen, um zu sehen, was er über verschiedene Männer wüsste, die sich durch ihre deutschfreundlichen Gefühle verdächtig gemacht hätten. Nein, es liege den Behörden nichts vor gegen Schneider oder Forster oder irgendeinen anderen gutgläubigen Sozialisten. Sie seien nur einfach Dummköpfe, dass sie sich als Werkzeuge deutscher Verschwörer benutzen ließen, die Geld ausgaben wie Wasser, um in den Munitionsfabriken des ganzen Landes Störungen zu verursachen.

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Dann las der Befrager, der sich als „Sonderbeauftragter" des Justizministeriums ausgab, Jimmie die Leviten. Ein ehrlicher Mann wie er solle sich was schämen, sich von deutschen Verschwörern reinlegen zu lassen, die die amerikanische Industrie zum Zusammenbruch bringen und die amerikanische Arbeiterschaft an der Nase herumführen wollten.
„Aber sie wollen doch, dass die Munitionsherstellung aufhört!" rief Jimmie.
„Aber doch nur, damit Deutschland mehr Munition herstellen kann!"
„Aber gegen die Herstellung von Munition in Deutschland hin ich doch auch!"
„Und wie wollen Sie die Herstellung in Deutschland verhindern?"
„Ich bin internationaler Sozialist. Wenn ich den Krieg im eigenen Land bekämpfe, helfe ich den Sozialisten, ihn in anderen Ländern zu bekämpfen. Und damit hör ich auch nicht auf - nicht, solange ich noch atmen kann!" Und so hielt doch tatsächlich Genosse Jimmie vor dem Sonderbeauftragten der Regierung, der sein Schicksal in den Händen hatte, eine Rede über Pazifismus! Aber Jimmie Higgins gegenüber durfte eben keiner unwidersprochen für den Krieg eintreten, selbst dann nicht, wenn Jimmie deshalb vielleicht für den Rest seines Lebens ins Gefängnis musste!
Der junge Mann lachte - freundlicher, als Jimmie es am Anfang dieses Verhörs für möglich gehalten hätte. „Higgins", sagte er, „Sie sind ein gutmütiger Schwachkopf. Sie können sich bei Ihrem Glücksstern bedanken, dass einer der Männer, denen Sie vertraut haben, ein Geheimagent der Regierung war. Wenn wir nicht die Wahrheit über Sie wüssten, hätten Sie ganz schön zu tun, um sich rein zu waschen."
Jimmie war der Unterkiefer herabgeklappt. „Ein Geheimagent der Regierung! Wer ist der Geheimagent?" „Reilly", sagte der junge Mann.
„Reilly? Aber er war es doch, der mir das Angebot gemacht hat!"
„Na, dann gratulieren Sie sich mal, dass Sie das Angebot
nicht angenommen haben!" „Aber vielleicht hat er Heinrich auch ein Angebot gemacht!"
„Nein, Heinrich brauchte kein Angebot gemacht zu werden. Wegen Heinrich haben wir ja überhaupt mit den Ermittlungen begonnen. Er hat schon überall im Land Sprengkörper fabriziert und anbringen lassen. Sein Name ist nicht Heinrich, und er ist auch nicht Kummes Neffe; sein Name ist von Holtz, und er ist preußischer Offizier, ein persönlicher Freund vom Kaiser."
Jimmie war sprachlos. Heiliger Strohsack! Er hatte hinten im Fahrradladen vom alten Kumme gesessen und sich die Pfeife aus dem Tabaksbeutel eines persönlichen Freundes
vom Kaiser gestopft. Er hatte diesen persönlichen Freund vom Kaiser eine Flasche und einen Esel genannt und ihm erklärt, dass ein richtiger Mechaniker schon ein Kugellager fertig montiert hätte, während er, der persönliche Freund vom Kaiser, sich noch in die Hände spuckte. War denn das die Möglichkeit!
Mr. Harrod, der „Sonderbeauftragte", teilte Jimmie mit, dass er das, was er wisse, bezeugen müsse, und Jimmie war derart entrüstet über die Art, wie er reingelegt worden war, dass er das auch gern tun wollte. Er würde Kaution stellen müssen, um sein Erscheinen zu garantieren, fügte der andere hinzu; ob er jemand wisse, der für ihn bürgen würde? Jimmie zermarterte sein gequältes Hirn. Der Genosse Dr. Service würde sich vielleicht bereit erklären, wenn er ganz sicher wäre, dass Jimmie nicht wirklich die Absicht gehabt hatte, den Deutschen zu helfen. Mr. Harrod willigte freundlich ein, diese Versicherung abzugeben, und rief Dr. Service an, den er offenbar kannte, und teilte ihm die Umstände mit. Dr. Service sagte schließlich, er würde ein paar tausend Dollar hinterlegen, um Jimmies Erscheinen vor der Anklagejury und beim Prozess zu garantieren. Mr. Harrod fügte hinzu, dass, falls Dr. Service verspräche, am anderen Morgen zu kommen und die Angelegenheit zu erledigen, sein Wort genügen würde und der Zeuge für die Nacht gehen könnte. Der Arzt versprach es, und Jimmie wurde mitgeteilt, dass er bis zum anderen Morgen um zehn Uhr frei sei. Er schoss davon wie eine Lerche aus einem Käfig.

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Er war ermahnt worden, niemand etwas zu erzählen so sagte er Lizzie, dass er aufgehalten worden sei, um ein Motorrad zu reparieren. Und am nächsten Morgen stand er zur gewöhnlichen Stunde auf, um zu vermeiden, dass er Verdacht erregte, und ging hin und starrte den Laden an, der abgesperrt worden war und vor dem ein Polizist Wache hielt. Er kaufte sich einen Leesviller „Herald" und las die aufregende Geschichte des deutschen Komplotts, das in Leesville ans Tageslicht gebracht worden war. Ein halbes Dutzend Verschwörer war verhaftet worden, und man hatte mehr als ein Dutzend Bomben gefunden, die alle in den Empire Shops hochgehen sollten, Franz Heinrich von Holtz, der eine Brücke in Kanada in die Luft gesprengt und eine Höllenmaschine an Bord eines großen Atlantikdampfers gebracht hatte, war endlich geschnappt worden! Eine halbe Stunde vor der Zeit wartete Jimmie vor dem Postamt, und als Genosse Dr. Service kam, gingen sie hinein und unterschrieben die Kaution. Als sie wieder herauskamen, kommandierte der strenge und unnahbare Arzt Jimmie zu sich ins Auto und verpasste ihm eine ganz gehörige Abreibung. Er nahm ihn in die Mache - legte ihn sozusagen übers Knie - und hörte nicht auf, ehe es nicht gehörig weh tat! Der kleine Maschinenarbeiter war so völlig von sich überzeugt gewesen: wollte da frischfröhlich den Krieg durch Einstellung der Munitionstransporte beenden und die Warnungen von Männern in den Wind schlagen, die älter und klüger waren als er! Und nun sah er ja, wohin er damit gekommen war - verhaftet mit einer Bande von Brandstiftern und Desperados, die angeleitet und bezahlt wurden von einem persönlichen Freund vom Kaiser! Der arme Jimmie konnte nicht viel zu seiner Verteidigung anführen: für diesmal war er wirklich geknickt. Er konnte nur sagen, dass er keine bösen Absichten gehabt habe - er habe bloß gegen den Munitionshandel agitiert - also gegen eine schlechte Sache ...
„Schlecht?" unterbrach ihn der Genosse Arzt. „Die Sache, von der die Freiheit der Menschheit abhängt!" „Wa-as?" rief Jimmie, denn diese Worte klangen ihm wie schierer Wahnsinn.
Der andere erklärte. „Eine Nation, die ihre Nachbarn vernichten will, macht sich ans Werk und steckt alle Kräfte in die Herstellung von Kanonen und Granaten. Die freien Völker der Welt machen da nicht mit - man kann sie nicht dazu bringen, weil sie nichts vom Krieg halten; man kann ihnen nicht begreiflich machen, dass ihre Nachbarn Krieg wollen. Wenn sie also angegriffen werden, besteht ihre einzige Überlebenschance darin, auf den freien Markt zu gehen und sich die Mittel zur Verteidigung zu kaufen. Und dieses Recht willst du ihnen nehmen - willst sie verraten, sie unter die Hufe des Kriegsungeheuers werfen! Du, der
du sagst, du glaubst an Gerechtigkeit, machst dich zum Werkzeug einer solchen Verschwörung! Du nimmst deutsches Geld ..."
„Ich hab niemals deutsches Geld genommen!" rief Jimmie heftig.
„Hat Kumme dir kein Geld gezahlt?" „Dafür hab ich doch in seinem Laden gearbeitet - ich hab meine zehn Stunden den Tag ganz ehrlich abgearbeitet!" „Und dieser Jerry Coleman? Hat der euch kein Geld gegeben?"
„Aber das war für Propaganda - er war Werber für den Nationalen Friedensrat der Arbeiter ..." Worauf der Genosse Doktor förmlich schnaubte vor Verachtung. „Wie konntest du nur ein solcher Esel sein? Liest du denn keine Nachrichten? Aber nein - natürlich, das tust du ja nicht - du liest ja nur die deutschen ,Enten'!" Und der Genosse Doktor zog seine Brieftasche heraus, die von Zeitungsausschnitten bald platzte, und suchte einen Artikel aus einer New-Yorker Zeitung hervor, in dem stand, dass die Regierung gegen die Funktionäre einer Organisation, die sich Nationaler Friedensrat der Arbeiter nenne, wegen Anstiftung zu Streik und Gewalttätigkeit gerichtlich vorgehe. Der Gründer der Organisation sei ein Mann, der als der „Wolf von der Wall Street" bekannt sei; das Kapital stamme von einem preußischen Armeeoffizier, einem Attaché der deutschen Gesandtschaft, der seine diplomatische Immunität dazu benutzt habe, in einem befreundeten Land zu Verschwörung und großangelegter Zerstörung von Eigentum aufzuhetzen. Was sagte Jimmie nun? Der arme Jimmie wusste darauf gar nichts zu sagen. Ganz klein und gebrochen saß er da. Nicht nur das Geld, das er jeden Sonnabendabend von Kumme erhalten hatte, sondern auch die Zehndollarscheine, die ihm Jerry Coleman in die Hand gedrückt hatte - auch sie waren also vom Kaiser gekommen! Sollte etwa die ganze radikale Bewegung vom Kaiser übernommen werden und Jimmie Higgins dadurch seine Aufgabe verlieren?

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