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Upton Sinclair - Jimmie Higgins (1919)
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23. Kapitel:   Jimmie Higgins begegnet dem Hunnen

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Die sechs Motorradfahrer sprangen auf ihre Maschinen und fuhren knatternd die Landstraße hinunter. Natürlich fuhren sie um die Wette; Motorradfahrer fahren immer um
die Wette - und hier hatten sie die beste aller Entschuldigungen, die französische Armee brauchte sie ja so dringend, weil mehrere ihrer kostbaren Motorradeinheiten aufgerieben oder gefangen genommen worden waren! Sie rasten dahin, schlüpften zwischen Lastkraftwagen und Autos, Krankenwagen und Munitionswagen, Pferdewagen und Maultierwagen hindurch, wobei es ihnen immer wieder gelang, um Haaresbreite davonzukommen, was für jeden normalen Motorradfahrer die größte Freude im Leben ist. Hin und wieder, wenn es ihnen zu langsam ging, krochen sie in den Gräben weiter oder schoben ihre Maschinen über die gepflügten Felder. So traf es sich, dass sich Jimmie mit seinem rotköpfigen irischen Widersacher auf einmal im Wettstreit befand; eine schmale Lücke zwischen zwei abgestellten Fahrzeugen, und Jimmie kam auf Handbreite durch, warf sich auf seine Maschine und sauste davon, frei und triumphierend - sein eigener Boss! Er gab volle Pulle und machte Fahrt - meine Herren! Kein Mick sollte ihn einholen und ihm Befehle zuschrein!
Lange Züge von Flüchtlingen kamen aus der Richtung der Schlachtfelder  zurückgeströmt;  bedauernswerte  Bauersleute mit Pferdekarren und Hundekarren und selbst Schubkarren, zahnlose alte Männer und Frauen, die nebenher trotteten, Kinder und Säuglinge, die zwischen Bettzeug und Mobiliar und Pfannen und Vogelkäfigen thronten. Das war der Krieg, wie ihn das einfache Volk erlebte; aber Jimmie konnte sich nicht damit aufhalten, darüber nachzudenken - Jimmie war auf dem Weg an die Front! Große Aufklärungsballons schwebten über seinem Kopf wie ungeheure graue Elefanten mit großen Ohren; Flugzeuge schwirrten umher, vollführten die unglaublichsten akrobatischen Kunststücke und besprühten einander mit Schauern von Stahl; aber Jimmie hatte keine Zeit für einen einzigen flüchtigen Blick auf diese Wunder - Jimmie war auf dem Weg an die Front! Er jagte um eine Kurve, und direkt vor ihm war ein Loch in der Mitte der Straße, so groß, als hätte ein Löffelbagger eine Woche lang daran gearbeitet. Jimmie bremste scharf und wich seitwärts aus, streifte fast einen Baum und sauste in ein Kohlfeld. Er stieg ab, sagte ein paarmal „Junge, Junge!" und plötzlich war es, als ob er mit einem zwölfzölligen
Brett eins hinters Ohr kriegte - die ganze Welt um ihn verwandelte sich in ein ungeheures Grollen, und ein grauer Rauchberg schoss vor ihm in die Höhe. Jimmie riss die Augen auf und sah, wie aus einem kleinen Gebüsch ein langes schwarzes Etwas herauskam gleich der Schnauze eines Riesentapirs aus prähistorischer Zeit. Es war ein zehnzölliges Geschütz, dessen Rohr nach dem Rücklauf wieder in die alte Lage zurückkehrte, und Jimmie, der den Qualm roch, kämpfte sich mit seiner Maschine zur Straße zurück, bevor das Biest wieder loslegte und ihn endgültig erstickte.
In der Ferne stand ein Fachwerkhaus und davor eine Scheune und Ställe mit Strohdächern. Irgend etwas heulte auf, genau wie die Sirene Nummer eins der Firma Hoch und Ladder, die in den Straßen von Leesville, USA, die Luft zerriss; in einem der Ställe blitzte etwas auf, und alles verschwand in einer Sprengwolke, die sich in der Luft ausbreitete wie ein ungeheurer Flederwisch aus Truthahnfedern. Wieder ertönte ein Pfeifen, ein bisschen näher, und die Erde schoss in die Höhe als ein riesiger schwarzer Pilz, der brodelte und wallte wie die Wolken eines aufziehenden Gewitters. Wumm! Wumm! Ein zweifaches ungeheures, durchdringendes Dröhnen erfüllte Jimmies Ohren, und seine Knie begannen zu zittern. Teufel noch mal! Er stand unter Beschuss! Er sah nach vorn, gleich da oben mussten die Deutschen sein! War es jetzt seine Pflicht, weiterzufahren, ins Ungewisse hinein?
Eins war klar, es war eine große Schlacht im Gange; doch der Gefechtslärm war so verteilt, dass man einfach nicht sagen konnte, ob er von vorn oder von hinten kam. Der Train jedoch rückte gleichmäßig weiter vor - Pferdewagen, Maultierwagen, Kraftwagen, alle schoben sich unverdrossen weiter, ohne auf das Platzen der Granaten zu achten. Und dann warf Jimmie einen Blick zurück und sah diesen verdammten rotköpfigen Iren! Er glaubte eine raue Stimme rufen zu hören: „Vorwärts, los! Vorauf wartest du noch?" Jimmie sprang auf seine Maschine und drehte auf! Er kam an eine Stelle, wo es in eine Ladung Munition eingeschlagen hatte und Fahrer und Fahrzeug zerfetzt dalagen; es war ein grauenhafter Anblick, aber Jimmie fuhr ohne große Gefühlsregung daran vorbei - sein einziger Gedanke war, Pat Cullen auf der Fahrt nach Chatty Terry zu schlagen! Dann kam er an ein Dorf und fand dort ein Bauernhaus, dessen Dach weggerissen war, und einen Geruch, der frisch aus der Hölle kam, und eine verängstigte alte Frau am Wegrand mit zwei verängstigten Kindern, die sich an ihren Rock klammerten. Jimmie bremste seine Maschine und schrie: „Chatty Terry?" Als die alte Frau nicht gleich antwortete, schrie er wieder: „Chatty Terry? Chatty Terry? Verstehn Sie kein Französisch? Chatty Terry?" Die alte Frau verstand offenbar kein Französisch. Er fuhr die Dorfstraße hinunter und stieß auf einen Militär-Polizisten, der auf einer Kreuzung den Verkehr regelte. Dieser Mensch verstand Englisch und sagte: „Chatty Terry? Es ist gefallen!" Und als Jimmie verblüfft stehenblieb und nicht wusste, was er nun machen sollte, sagte ihm der Gendarm, dass das Hauptquartier in dieses Dorf verlegt worden sei - es befinde sich im Château; er sagte nicht „Chatty", und Jimmie verstand darum sein Englisch nicht. Aber er fuhr in die angegebene Richtung und kam an ein Gebäude mit eisernen Gittertoren davor und einem großen Garten und einer Wache davor und geschäftigem Kommen und Gehen; da wusste er, er hatte sein Ziel erreicht und seinen irischen Widersacher geschlagen!

2

Jimmies Marschbefehl war auf französisch und englisch ausgefertigt, so dass der Posten ihn lesen konnte und ihm winkte, er könne passieren. An der Tür des Châteaus zeigte er seinen Schein wieder vor, und ein französischer Offizier in der Halle bekam ihn zu Gesicht und rief: „Ein Motorradfahrer? Mon Dieu!" Fast rennend brachte er Jimmie in ein anderes Zimmer, wo ein anderer Offizier an einem großen Tisch mit einer darauf ausgebreiteten Karte saß und unzählige Aktenschränke an der Wand standen, „Un Courier américain!" rief er. „Nur einer?" fragte der Offizier auf englisch. „Fünf kommen noch", sagte Jimmie rasch. Er hasste Pat Cullen wie den Teufel, aber er wollte doch nicht, dass irgendein französischer Offizier dachte, Pat trödelte bei seiner Arbeit.
„Die Straße ist aufgerissen und dabei so viel Verkehr. Ich bin gekommen, so schnell ich ..."
„'ier!" fiel ihm der Offizier ins Wort - nicht ganz so höflich, wie man es den Franzosen gewöhnlich nachsagt. „Dieses Paket enthält Karten, nach Luftaufnahmen angefertigt -Sie verstehn? Es ist für das Artillerie ..." Der Offizier hielt einen Augenblick inne; draußen ertönte ein ohrenbetäubendes Krachen, und die Fensterscheiben im Zimmer zersprangen, und irgendetwas streifte Jimmies Gesicht.
„Voilà!" kommentierte der Offizier. „Der Feind kommt näher. Unsere Leitungen sind unterbrochen; wir schicken Kuriere, aber vielleischt sie kommen nischt an; es muss sein, dass wir schicken viele - wie sagt man? - Doubletten, Sie verstehn?"
„Aber sicher!" sagte Jimmie.
„Es ist serr dringend; die Schlacht 'ängt davon ab - vielleischt sogar der Krieg. Sie verstehn?" „Aber sicher!" sagte Jimmie wieder. „Sic haben Mut, mon garcon?"
Hierauf antwortete Jimmie nicht so prompt; aber der Offizier war zu taktvoll, um zu warten. Statt dessen fragte er: „Sie sprecken französiesch?" Und als Jimmie den Kopf schüttelte: „Es muss sein, dass Sie lernen. Sagen Sie nach: Batterie Nomb Katt. Versuchen Sie, bitte serr: Batterie Nomb Katt." Jimmie versuchte es, stammelnd wie ein Schuljunge; der Offizier ließ ihn die Laute wiederholen und versicherte ihm ernsthaft, er brauche keinerlei Bedenken zu haben; wenn er diese Laute genau nachspreche, werde jeder Franzose wissen, wo er hinwolle. Er solle die Hauptstraße nehmen, die vom Dorf nach Osten führe, und so lange fahren, bis er zu einer Abzweigung komme; dann solle er sich rechts halten, und wenn er dann an den Rand eines dichten Waldes komme, solle er den Weg nach links nehmen und dann zu allen, denen er begegne, sagen: „Batterie Nomb Katt!" „Sie 'aben eine Waffe?" fragte der Offizier, und als Jimmie mit Nein antwortete, drückte er auf einen Knopf und sprach einige rasche Worte zu einer Ordonnanz, die mit einer Selbstladepistole und einem Koppel angerannt kam, das Jimmie sich mit einem Gemisch aus freudigem Stolz und panischer Angst umschnallte. „Sagen Sie den Männern dieser Batterie, dass die Amerikaner ihnen bald zu 'ilfe kom-men. Sie werden sie doch finden, mein tapferer Amerikaner?" Der Offizier sprach zu ihm wie zu einem Sohn, den er zärtlich liebte, und Jimmie, der noch nie einen Befehl in diesem Ton empfangen hatte, erwiderte die Zuneigung, ballte plötzlich die Fäuste und antwortete: „Ich werde mein Bestes tun, Sir." Er machte kehrt, um das Zimmer zu verlassen, und wen sah er da gerade hereinkommen - Pat Cullen! Jimmie zwinkerte ihm zu, grinste, hastete hinaus und sprang auf seine Maschine.

3

Da war nun also der kleine Maschinenarbeiter aus Leesville, USA, und jagte die zerschossene Straße dieses französischen Dorfes hinunter, während so etwas wie ein mittelwestlicher Wirbelsturm in meinem Kopf tobte. Es heißt immer, dass sich ein Ertrinkender noch einmal an alles erinnert, was in seinem Leben geschehen ist; vielleicht traf das auf Jimmie nicht zu, aber sicher war, dass er sich an jedes Argument für den Pazifismus erinnerte, das er in seinem Lehen gehört hatte. Um Gottes willen, auf was hatte er sich da eingelassen? Er war unterwegs dorthin, wo die ganze deutsche Armee durchzubrechen versuchte - mit einem Auftrag, wie es ihn gefährlicher in diesem Krieg nicht geben konnte! Wie im Namen von Karl Marx und der ganzen revolutionären Hierarchie hatte er sich nur in einen solchen Schlamassel bringen können? Er, Jimmie Higgins, Bolschewik und Wobbly!
Und er hielt sogar durch! Er war drauf und dran, sein Leben aufs Spiel zu setzen - bloß weil er nun mal damit angefangen hatte - weil er sich verpflichtet hatte - weil er Karten mit sich führte, die einer Batterie helfen konnten, den Krieg zu gewinnen! War ihm dieser verfluchte Kapitalistenkrieg wirklich so viel wert? So schrien die proletarischen Dämonen in Jimmie Higgins' Seele, und unterdessen hämmerte und tuckerte der Motor, und eine wunderbare Macht tief in seinem Unterbewusstsein bewegte den Lenker, so dass er den Granattrichtern auswich und die Autos nur streifte. Die Luft war erfüllt vom Kreischen der Granaten und vom
Krachen der Einschläge, einem infernalischen Getöse, in dem er kaum einzelne Geräusche unterscheiden konnte. Die Straße vor ihm war nicht mehr so voll; die Fahrzeuge hatten sie verlassen, hatten sich nach beiden Seiten verteilt. Wie weit war es noch bis zu der bewussten Abzweigung? Und gesetzt den Fall, die Deutschen waren schon dort und hatten die „Batterie Nomb Katt" gefangengenommen -sollte er ihnen dann auch noch ein brandneues Motorrad als Zugabe liefern? Er kam an anderen Batterien vorbei; warum konnte er die Karten nicht denen geben? Innerlich kochend, fuhr Jimmie weiter. Wäre er ein Meldefahrer gewesen, hätte er über all das genau Bescheid gewusst, aber er war bloß ein Reparaturschlosser, und sie hatten kein Recht, ihm einen solchen Job aufzuhalsen!
Jimmie fuhr jetzt durch Wälder, deren Bäume von Granaten zerfetzt waren, und er hielt es für einen Akt der Klugheit, von der Maschine abzusteigen, sich weiterzuschleichen und zu peilen, ob womöglich Deutsche auf der Lichtung weiter vorn waren. Und plötzlich knickten ihm die Knie ein, wegen der Angst, die er bei all diesem Höllenlärm ausstand. Ihm wurde furchtbar elend in der Magengegend, und er tat dasselbe, was er während der ersten drei Tage auf seiner Ozeanfahrt von New York hierherüber getan hatte. Zugleich gerieten auch all seine übrigen Körperfunktionen in Tätigkeit. Eine vorbeikommende Gruppe Franzosen brach in fröhliches Gelächter aus; es war lächerlich und demütigend, aber Jimmie konnte einfach nichts dagegen machen -er war nicht zum Soldaten geboren, er hatte kein Soldat werden wollen, sie hatten kein Recht gehabt, ihn hierherzuschicken, wo sich ungeheure Granattrichter in der Erde auftaten und ganze Bäume aus der Erde gerissen wurden und die Luft erfüllt war von einem Gestank, der vielleicht eine Gasmaske erforderlich machte, vielleicht aber auch nicht -wie sollte der arme Jimmie das wissen?

4

Er bezwang das entsetzliche Zittern seiner Knie und die grotesken Anstrengungen seines Körpers, alles loszuwerden, was in ihm war, setzte sich wieder auf seine Maschine und stahl sich weiter vor. Er kam immer nur zehn, zwanzig Meter auf einmal voran, weil die Straße so aufgerissen war. Sollte er die Maschine liegenlassen und lieber laufen? Oder sollte er umkehren und denen erzählen, dass ihre verdammten Karten alle verkehrt waren, dass die Straße gar keine Abzweigung hatte? Nein - denn endlich kam die Abzweigung doch, und nachdem Jimmie weitere hundert Meter teils gefahren, teils gelaufen war, kam er an ein Weizenfeld und dann an ein Gehölz, und am Rande des Gehölzes spien vier Kanonen Flammen und Rauch und Lärm. Jimmie stellte seine Maschine in einem Graben ab und stürmte über das Feld, verrückt vor Erleichterung, dass er seine „Batterie Nomb Katt" gefunden hatte und nun sein kostbares Päckchen übergeben und dann aus diesem Gemetzel heraus konnte, so rasch ihn zwei Räder wegfahren würden. Doch zu seiner Bestürzung musste er feststellen, dass es nicht die französische Batterie war, sondern eine amerikanische Batterie; die französische Batterie lag noch weiter vorn und ein bisschen nach rechts zu; der Offizier gab ihm die Richtung an und hielt es für ganz selbstverständlich, dass Jimmie zu seinem Bestimmungsort weiterfahren würde. Doch dann kam ein zweiter Offizier dazu. „Was haben Sie denn da?" Und als Jimmie antwortete, Karten, wollte er sie sehen; er war anscheinend so scharf auf Karten wie ein Kind auf seine Geschenke am Weihnachtsabend. Er riss das Päckchen auf - was in der Armeesprache „den Dienstweg verkürzen" heißt -, breitete die Karten aus und begann einem anderen Offizier, der auf einem Feldstuhl an einem Klapptischchen saß und viele Blätter mit Ziffern vor sich liegen hatte, Ziffern zuzurufen. Dieser Offizier schrieb die Informationen auf - und die Männer an den Geschützen schoben dann die Granaten in die Rohre und traten zurück, während die jaulenden Boten auf ihren Weg geschickt wurden. Weiter hinten waren andere Männer und karrten Munition heran, die sie von einem der großen Lastatitos abluden, denen Jimmie auf der Chaussee ausgewichen war. Es war eine regelrechte Fabrik hier mitten auf dem Feld, die dem unsichtbaren Feind Vernichtung schickte. „Wir sitzen ganz schön im Dreck", bemerkte der Offizier, als er die Karten wieder zusammenfaltete und Jimmie aushändigte. „Unsere Leitungen sind in der letzten halben
Stunde dreimal unterbrochen worden, und wir müssen blind schießen."
„Wo sind die Deutschen?" fragte Jimmie. „Irgendwo dort weiter vorn." „Haben Sie sie gesehen?"
„Großer Gott, nein! Hoffentlich sind wir weg, bevor sie so nahe sind!"
Jimmie fühlte sich durch die Ruhe und Sachlichkeit all der Männer in dieser Todesfabrik ein bisschen sicherer. Wenn sie das Getöse aushalten konnten, dann konnte er das zweifellos auch; bloß - sie waren alle zusammen, während er allein weiter musste. Jimmie wünschte, er hätte sich zur Artillerie gemeldet!
Er steckte die Karten in die Innenseite seiner Jacke, jagte zu seiner Maschine zurück und fuhr wieder los. Wie man ihn angewiesen hatte, nahm er einen Seitenpfad, dann eine Waldschneise - und dann hatte er sich verfahren. Da gab es gar nichts - er hatte sich hoffnungslos verfranzt. Der Pfad
verlief gar nicht so wie der, nach dem er suchte. Er führte über weite Strecken durch Wälder voll zerfetzter Bäume,
die kreuz und quer lagen; dann ging er über ein Kornfeld, dann führte er steil in eine Schlucht hinab und kletterte auf der anderen Seite wieder hoch bis auf eine Anhöhe und dann wieder hinunter. „Verdammt!" sagte Jimmie zu sich selbst. Und wenn man sich allen Lärm in allen Kesselfabriken Amerikas zusammen vorstellen könnte, dann hätte man immer noch weniger als den Krach in diesem Wald, durch den Jimmie irrte, als er zu sich selbst „Verdammt!" sagte.

5

Pustend und keuchend und schweißtriefend gelangte er hinauf auf die Anhöhe, und dort sprang er plötzlich von seiner Maschine, rannte mit ihr« hinter einen Baumstamm und spähte angstvoll dahinter hervor. Da vorn waren Männer; aber was für welche? Jimmie versuchte sich an Bilder von Deutschen zu erinnern; ob die so aussahen? Die Luft war voll Rauch, was die Entscheidung schwer machte; doch allmählich erkannte Jimmie eine einzelne Gruppe, die ein Maschinengewehr auf Rädern zog; sie stellten es hinter eine Bodenerhebung und begannen in Richtung Deutschland zu schießen. So ging Jimmie näher, doch zögernd, um nicht in den Schussbereich des Maschinengewehrs zu kommen, das einen Lärm machte wie eine Nietmaschine, bloß schneller und lauter. Es hatte als Lauf eine dicke runde Röhre, und die Männer fütterten es mit langen Patronengurten aus einer Kiste und waren so sehr bei der Sache, dass sie Jimmie überhaupt nicht beachteten. Er stand da und starrte sie an wie gebannt. Denn diese Geschöpfe sahen nicht wie Menschen aus, sondern wie behaarte Ungeheuer aus Höhlen - zerlumpt, schmutzverkrustet, rußig und rauchgeschwärzt, die Gesichter verkniffen, die Zähne blitzend wie die Zähne wütender Hunde. Jimmie vergaß völlig den Feind, er sah nur diese rührende, flammenspuckende Maschine und die Männer, die ein Teil von ihr waren. Plötzlich sprang einer der Männer, ein bisschen behaarter und ein bisschen schwärzer als die übrigen, auf und schrie: „Adderjähr! Adderjähr!" Und das Maschinengewehr hörte auf zu röhren und Flammen zu spucken, und die Männer packten es und rissen und zerrten, um es zurückzuziehen. Der Führer trieb sie unentwegt an; bis auf einmal etwas Erstaunliches geschah - mitten im Schreien waren plötzlich sein ganzer Mund und sein Unterkiefer weg. Man sah nicht, was damit wurde - sie verschwanden einfach ins Nichts, und an ihrer Stelle war jetzt eine rote Höhle, aus der Blut strömte. Der Mann stand da, und seine entsetzten Augen funkelten weiß in dem schwarzen, behaarten Gesicht, aus dem gurgelnde Laute kamen - als glaubte er, er schrie noch immer Befehle oder könnte es noch, wenn er sich nur genug anstrengte.
Die anderen kümmerten sich überhaupt nicht um diesen Zwischenfall; sie zerrten weiter an dem Maschinengewehr. Und sollte man es für möglich halten, der Mann ohne Mund und Unterkiefer packte ebenfalls mit an! Die Räder trafen auf einen Widerstand im Boden, und er fuchtelte in ohnmächtiger Erregung mit den Händen und stürzte dann auf Jimmie zu, so dass der entsetzte kleine Maschinenarbeiter die ganze Grauenhaftigkeit dieser roten Höhle, aus der das Blut schoss, sehen musste.
Jimmie versuchte es mit seiner Zauberformel: „Batterie Nomb Katt." Aber der Mann fuchtelte wie rasend mit den
Händen und packte Jimmie beim Arm, die leibhaftige Verkörperung jenes Ungeheuers Militarismus, dem der kleine Maschinenarbeiter seit vier Jahren aus dem Weg gegangen war! Er stieß Jimmie zum Maschinengewehr hin, und die anderen Männer schrien: „Assisteh!" So blieb Jimmie natürlich nichts weiter übrig, als zuzupacken und mitzuzerren wie die anderen. Schließlich brachten sie die Räder in Bewegung und rollten das Ding die Anhöhe hinauf. Ein Pferdewagen kam durchs Gehölz geholpert, und die Männer am Maschinengewehr stießen ein Keuchen aus, das ein Hurra sein sollte, und wieder packte einer von ihnen Jimmie und rief: „Porteh! Porteh!" Er zog eine schwere Kiste heraus und lud sie auf Jim-mies Arme und trug eine zweite selbst, und wenige Minuten später trommelte das Maschinengewehr, und Jimmie schleppte weiter Kisten. Die Männer, die den Wagen fuhren, sprangen auf die Pferde und rumpelten fort, und immer noch trug Jimmie Kisten, blindlings, verzweifelt. Machte er das, weil er Angst hatte vor dem kleinen französichen Dämon, der ihn anbrüllte? Nein, das eigentlich nicht, denn als er gerade mit einer Kiste zurückkam, sah er den kleinen Dämon plötzlich wie ein Taschenmesser zusammenklappen und nach vorn fallen. Er gab keinen Laut von sich, er zuckte nicht einmal; er lag da mit dem Gesicht in Schlamm und Laub - und Jimmie rannte zurück und holte die nächste Kiste.

6

Er machte das, weil er begriff, dass die Deutschen kamen. Er hatte sie nicht gesehen; doch als das Maschinengewehr schwieg, vernahm er in der Luft ein Winseln wie von einem Wurf elefantengroßer junger Hunde. Manchmal fielen Äste auf ihn herab, der Dreck vor ihm flog ihm ins Gesicht, und überall um ihn her war da natürlich jenes Krachen der platzenden Granaten, das für ihn inzwischen schon etwas ganz Natürliches geworden war. Und plötzlich fiel wieder ein Mann und dann noch einer - nur noch zwei waren übrig, und einer von ihnen gab Jimmie Zeichen, was er tun müsse, und Jimmie sagte kein Wort, er ging einfach an die Arbeit und lernte ein Maschinengewehr bedienen nach der Methode, die von modernen Pädagogen bevorzugt wird - durch die Praxis.
Auf einmal griff sich der Mann, der das Maschinengewehr richtete, mit der Hand an die Stirn und fiel nach hinten Jimmie befand sich neben ihm, und das Maschinengewehr schoss noch - was war also natürlicher für Jimmie, als seinen Posten zu übernehmen und über Kimme und Korn zu zielen? Tatsächlich hatte er noch nie im Leben mit irgendeiner Art von Schusswaffe gezielt; doch er hatte eine Begabung für Maschinen - und eine Neigung, sich in fremde Sachen einzumischen, wie wir wissen. Jimmie visierte also, und plötzlich war es, als ob die Konturen des fernen Waldes lebendig würden; die Büsche spien graue Gestalten aus, die vorwärts liefen, hinfielen, wieder aufsprangen und liefen und wieder hinfielen. „Iel wjänn!" zischte der Mann an Jimmies Seite. So bewegte Jimmie das Maschinengewehr hierhin und dorthin und zielte überall-hin, wo er die grauen Gestalten sah. Tötete er Deutsche? Er wurde sich darüber nie ganz klar; ständig verfolgte ihn der Gedanke, dass er sich vielleicht nur lächerlich gemacht hatte, dass er Kugeln in die Erde oder hoch hinauf in die Luft geschossen hatte - und die Poilus an seiner Seite, die dachten, er müsse das alles wissen, weil er einer jener wunderbaren Amerikaner war, die über das Meer gekommen waren, um la belle France zu retten! Die Deutschen fielen weiter um, aber das besagte gar nichts, denn das war jedenfalls ihre Methode vorzustoßen, und Jimmie blieb keine Zeit, zu zählen und festzustellen, wie viele umfielen und wie viele wieder aufstanden. Er wusste weiter nichts, als dass sie fortwährend näher kamen - mehr und mehr von ihnen und näher und immer näher, und die Franzosen murmelten Flüche, und das Maschinengewehr hämmerte und röhrte, bis der Lauf so heiß war, dass er glühte. Und dann hörte es plötzlich auf. „Sakreh!" riefen die beiden Franzosen und machten krampfhafte Anstrengungen, das Maschinengewehr zu zerlegen, aber sie hatten noch keine Minute daran gearbeitet, als der eine von beiden sich mit der Hand an die Seite fuhr und mit einem Schrei zurückfiel; eine Sekunde später verspürte Jimmie einen furchtbaren Schlag auf seinen linken Arm,
und als er ihn hochheben wollte, um nachzusehen, was los war, hing er zur Hälfte schlaff herunter, und aus seinem Ärmel floss Blut!

7

Das war zu viel für den übriggebliebenen Franzosen. Er packte Jimmie am anderen Arm und rief: „Wenneh! Wenneh!" Offenbar hieß das, sie sollten weglaufen; Jimmie wollte nicht weglaufen, aber der Franzose plapperte so schnell und zerrte so sehr und Jimmie war sowieso vor Schmerz halb benommen, dass er sich zurückziehen ließ. Wenig später kamen sie zu einem toten Soldaten, der dalag mit einem Gewehr neben sich, und der Franzose ergriff das Gewehr, schnallte den Patronengurt ab und warf sich dann hinter einem großen Felsblock zu Boden. Jimmie fiel die Selbstladepistole ein, die er umgeschnallt hatte; er hielt sie dem Franzosen hin, schüttelte den Kopf und sagte: „Nix weiß - nix gehn!" - als ob er dachte, dass der Franzose schlechtes Englisch besser verstehen würde als gutes Englisch! Doch der Franzose verstand das Kopfschütteln und zeigte Jimmie. wie man den kleinen Sicherungshebel wegschieben musste, der den Abzug freigab zum Feuern. Mit hastigen Fingern riss er den Ärmel von Jimmies Hemd ab und verband ihm den Arm fest mit einer Binde aus seinem Tornister; dann schob er sich über dem Felsen hoch, verfluchte den sakreh Bosch und begann zu feuern. Jimmie brachte den Mut auf hinüberzuspähen, und da waren die grauen Gestalten, noch viel näher jetzt, und er wusste, dass es Deutsche waren, weil sie so aussahen wie auf den Bildern die er kannte. Sie kamen auf ihn zugelaufen, feuerten dabei, und Jimmie feuerte seinen Revolver ab und schloss dabei die Augen, weil er solche Angst davor hatte. Aber als er dann fand, dass der Revolver richtig funktionierte, schoss er wieder, und diesmal schloss er die Augen nicht, weil er einen langen Deutschen geradewegs auf sich zulaufen sah, das Gesicht von Kampfeswut verzerrt. Es war klar, was dieser Deutsche vorhatte - er wollte sich mit seinem scharfen Bajonett auf Jimmie stürzen, und irgendwie dachte Jimmie überhaupt nicht an seine pazifistischen Argumente – er schoss und sah den Deutschen fallen und war mörderisch froh über den Anblick.
Hinter ihm wurde auch geschossen; offenbar hatten eine Menge Franzosen in diesem Wald versteckt gelegen, und dem Feind wurde es nicht leicht gemacht, vorzurücken. Jimmies Gefährte sprang auf und lief wieder weiter, und Jimmie folgte ihm, und etwa hundert Meter weiter hinten kamen sie an einen Granattrichter, in dem ein halbes Dutzend Poilus saßen. Jimmie stolperte hinein, und die Männer schnatterten auf ihn ein und gaben ihm weitere Patronen, so dass er das Seine tat, als die Deutschen wieder auftauchten. Eine Kugel rasierte ihm ein Büschel Haar von der Schläfe, und ein in unmittelbarer Nähe explodierendes Schrapnell zerriss ihm fast das Trommelfell, aber er schoss trotzdem weiter. Er war jetzt wirklich mit ganzem Herzen bei der Sache, er würde diese Bosch aufhalten oder draufgehen. Zusammen mit fünf Franzosen, von denen zwei verwundet waren, hielt er eine Stunde lang den Granattrichter; einer von ihnen lief nach hinten und kam mit weiterer Munition zurückgestolpert; er lud ein Gewehr für Jimmie und legte es so hin, dass er es mit einer Hand bedienen konnte. So schoss Jimmie weiter, halb tot, halb blind, halb erstickt. vom Pulverrauch.
Der sakreh Bosch stürmte von neuem, und dies war das Ende, jeder in dem Granattrichter wusste das. Die grauen Gestalten kamen buchstäblich in Schwärmen, ihre Kugeln kamen wie ein Hagelschauer. Jimmie entschloss sich, zu warten, bis der Feind so nahe war, dass er mit dem Revolver wirkungsvoll zielen konnte. Er kauerte da und beobachtete einen Franzosen, dem das Lebensblut aus einem Loch in der Brust sickerte; dann schob er sich aus der Deckung hoch und schoss seine Pistole leer, und immer noch kamen Deutsche angestürmt.
Jimmie war jetzt derart müde, dass ihm so ziemlich alles egal war; er kniete in dem Trichter, blickte hoch und sah plötzlich die riesenhafte Gestalt eines Deutschen über sich aufragen, das Gewehr erhoben. Jimmie schloss die Augen und wartete auf den Stoß, und plötzlich kam der Deutsche mit einem Krach auf ihn herabgestürzt. Jimmie hielt sich mit Sicherheit für tot; er lag da und überlegte, war das die Unsterblichkeit? Aber es war eigentlich
weder wie im Himmel noch wie in der Hölle, so wie er sich diese beiden Orte vorgestellt hatte, und allmählich merkte er, dass der Deutsche sich krümmte und stöhnte. Jimmie kroch unter ihm hervor und blickte auf, gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie ein anderer Deutscher über dem Granattrichter auftauchte, kopfüber herabstürzte und auf das Gesicht schlug.
Es war augenscheinlich, dass irgendjemand von weiter hinten diese Deutschen bediente; darum lag Jimmie still, mit einem schwachen Hoffnungsschimmer im Herzen. Das Rattern von Schüssen ging weiter, ein Gefecht, das zehn, fünfzehn Minuten dauerte, doch Jimmie war zu erschöpft, um hinauszuspähen und festzustellen, wie die Dinge liefen. Auf einmal hörte er, wie jemand hinter ihm angelaufen kam, und er guckte sich um, blickte hoch und sah zwei Männer in den Granattrichter springen. Ein Blick genügte, und ihm hüpfte das Herz. Die amerikanischen Landser!

8

Jawohl, es waren zwei amerikanische Landser in dem Granattrichter! Jimmie hatte so viele Tausende von ihnen gesehen, dass es für ihn keinen Zweifel gab. Verglichen mit den vom Krieg zermürbten Poilus waren sie wie Soldaten aus einem Modeblatt: glattrasiert, mit langem Kinn und festen Lippen und tausend anderen Kleinigkeiten, die einem klarmachten, dass Zuhause doch Zuhause und besser war als jeder andere Ort auf der Welt. Und ach, die wunderbare nüchterne Exaktheit dieser Modeblattsoldaten! Sie sagten kein Wort, sie hielten sich nicht einmal damit auf, in die Runde zu blicken; sie warfen sich einfach an den Rand des Granattrichters, schoben ihre Gewehre hinüber und machten sich an die Arbeit. Man brauchte es nicht zu sehen -man konnte es diesen Männern vom Gesicht ablesen, dass sie etwas trafen!
Auf einmal kamen noch zwei hereingesprungen. Ohne auch nur zur Begrüßung zu nicken, legten sie sich hin und begannen zu schießen, und als sie die meisten Patronen verbraucht hatten, stand einer auf und schrie etwas nach
hinten, und schon kam ein Mann mit Nachschub in in einer großen Patronentasche angerannt. Später kamen noch drei mit Gewehren. Offenbar waren jetzt nicht mehr so viele Deutsche da, denn diese Neuankömmlinge fanden Zeit zum Reden. „Uns haben sie gesagt, wir sollen dahinten eine Stellung halten", sagte der eine „Aber Fehlanzeige!"
„Da vorn sind noch mehr Hunnen", sagte ein anderer. „Holen wir uns die."
„Besser gleich als später", sagte ein dritter. „Du bleibst hinten und lässt dir den Finger da verbinden", sagte der erste Sprecher, doch der andere hieß ihn selber gehn und sich die Finger verbinden lassen. Dann sah der eine sich um und entdeckte Jimmie. „Mensch, hier ist 'n Yankee!" rief er. „Was machst du denn hier?" Jimmie antwortete: „Ich bin Motorradfahrer; ich sollte Karten zu einer Batterie bringen, aber die ist wohl schon längst aufgerieben."
„Du bist verwundet", sagte der andere. „Ach, das ist nicht so schlimm", sagte Jimmie entschuldigend. „Das ist auch schon lange her." „Jedenfalls gehst du zurück", sagte der Landser. „Wir sind ja jetzt hier - da geht alles in Ordnung." Er sagte es nicht aufschneiderisch, sondern als sachliche Feststellung. Er war noch ein Junge, ein Kind mit roten Backen und einer hässlichen kleinen Stupsnase voll Sommersprossen und einem breiten, grinsenden Mund. Aber Jimmie kam er vor wie der hübscheste Junge, der jemals aus den USA gekommen war. „Kannst du laufen?" fragte er. „Klar!" sagte Jimmie.
„Und diese Franzmänner?" Der Landser sah sich die anderen an. „Verstehst du ihr Kauderwelsch?" Als Jimmie den Kopf schüttelte, wandte er sich an die vom Krieg zermürbten Bärtigen. „Ihr Jungs geht zurück", sagte er. „Wir brauchen euch im Augenblick nicht." Als sie ihn verständnislos anstarrten, fragte er: „Polli wu franzeh?" „Wui, wui!" riefen sie wie aus einem Mund. „Na also", sagte der Landser, „ihr geht zurück! Go home! Tut swiet! Geht schlafen! Ruht euch aus! Wir schlagen die Heinis!" Als die Poilus für diese Art „Franzeh" nicht viel Verständnis zeigten, half der Landser ihnen auf die Beine, zeigte nach hinten, klopfte ihnen auf die Schulter und grinste sie mit seinem breiten Mund an. „Guter Junge! Go home! Amerikaner machen schon! Amerikaner!" - als ob das gereicht hätte, um zu erklären, dass Frankreichs Aufgabe in diesem Krieg getan war! Die Poilus guckten aus dem Granattrichter heraus und sahen einen Schwarm dieser neuen Modeblattsoldaten durch den Wald nach vorn stürmen, sich niederwerfen und auf den sakreh Bosch schießen. Sie blickten den rotbäckigen Jungen an wie dankbare Hunde, schulterten ihr Gepäck und die Gewehre und setzten sich in Marsch nach hinten, wobei sie Jimmie stützten, der sich plötzlich sehr schwach fühlte und rasende Kqpfschmerzen hatte.

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Diese Landser hatten ein Lied, das Jimmie immer wieder gehört hatte: „Die Yankees kommen!" Und nun musste das Lied umgeschrieben werden: „Die Yankees sind da!" Alle die die Wälder, durch die Jimmie mit seinem Motorrad geirrt war, wimmelten jetzt von netten, neuen, glattrasierten, frisch maßbeschneiderten jungen Soldaten, losgelassen, um sich zum ersten mal mit dem Hunnen zu messen. Vier Jahre lang hatten sie über ihn gelesen und ihn gehasst, anderthalb Jahre lang hatten sie sich dafür bereit gemacht, ihn zu schlagen - und jetzt ließ man sie endlich los und sagte ihnen, sie sollten rangehn! Auf den Straßen hinten befand sich eine endlose Kette von Lastwagen mit Landsern, dazu Marineinfanteristen oder „Ledernacken", wie sie genannt wurden. Sie waren an diesem Morgen um vier Uhr aufgebrochen und den ganzen Tag, wie Sardinen zusammengepresst, gefahren, und hier nun, ein paar Kilometer weiter hinten in den Wäldern, hatten die Lastwagen angehalten, und die Sardinen waren herausgesprungen und in den Krieg gezogen!
Erst viel später wurde Jimmie klar, was für ein Weltdrama er miterlebt hatte. Seit vier Monaten arbeitete sich die Bestie in Richtung Paris vor; unaufhaltsam, unwiderstehlich fraß sie sich weiter wie ein Waldfeuer, verbreitete immer größere und immer furchtbarere Verwüstung - diese Bestie mit dem Gehirn eines Ingenieurs! Die Welt hatte geschaudert und den Atem angehalten, denn sie wusste, wenn es der Bestie gelang, nach Paris vorzudringen, würde es das Ende des Krieges und all dessen bedeuten, was freien Menschen etwas wert war. Und hier nun machte sie ihre letzte große Attacke, und die französischen Linien wankten und krachten und brachen ein, und in dieser äußerst gespannten Situation hatte man die Lastwagen mit amerikanischen Landsern herangeschafft zu ihrer ersten richtigen Bewährungsprobe gegen die Bestie.
Der Befehl hatte gelautet, die Stellung unter allen Umständen zu halten; doch das war den Landsern nicht genug gewesen, sie und die Ledernacken waren zum Angriff übergegangen und hatten die Deutschen schwer angeschlagen zurückgeschickt. Die Elite der preußischen Armee war von diesen neuen Truppen aus Übersee besiegt worden, über die sich die Deutschen mokiert, deren bloße Existenz sie verächtlich geleugnet hatten.
Es war ein Schlag, von dem sich der „Fritz" nie wieder erholte; er gewann von da ab keinen Fußbreit Boden mehr, und es war der Anfang eines Rückzugs, der nicht mehr zum Stillstand kam, bis er den Rhein erreicht hatte. Und das hatten die Yankees fertiggebracht - die Yankees unter Beteiligung von Jimmie Higgins! Denn Jimmie war zuerst dagewesen; Jimmie- hatte die Stellung gehalten, während die Yankees im Anmarsch waren! Ja, wirklich; wenn er nicht bei dem Maschinengewehr ausgehalten und es bedienen geholfen hätte, wenn er sich nicht in dem Granattrichter versteckt und ein Gewehr und eine Selbstladepistole auf die angreifenden Hunnen abgefeuert hätte - nun, dann hätten sie vielleicht diese Stellung eingenommen, die Yankees hätten keine Gelegenheit gehabt, sich zum Angriff zu formieren, und der Sieg von „Chatty Terry" wäre nicht mit Glanz und Glorie in die Geschichte eingegangen! Der gesamte Gang der Weltgeschichte wäre vielleicht anders verlaufen, wenn ein einziger kleiner sozialistischer Maschinenarbeiter aus Leesville, USA, nicht zufällig durch „Bellow Wood" geirrt wäre auf der Suche nach einer sagenhaften und nie entdeckten „Batterie Nomb Katt"!

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