18. Kapitel: Jimmie Higgins wagt den Sprung
1
Eines Abends kam Jimmie nach Hause zu den Meißners und erfuhr dort eine Neuigkeit, über die er sich sehr freute. Genosse Stankewitz war aus dem Camp Sheridan zurückgekommen! Da der Mann, dem er seinen Tabakladen verkauft hatte, seinen Verbindlichkeiten nicht nachgekommen war, hatte Stankewitz drei Tage Urlaub erhalten, um seine geschäftlichen Angelegenheiten zu regeln. „Donnerwetter, der sieht gut aus!" rief Meissner, und so eilte Jimmie nach dem Abendessen zu dem kleinen Laden an der Ecke.
Nach nie hatte Jimmie derart über das veränderte Aussehen eines Menschen gestaunt; er erkannte seinen rumänisch-jüdischen Freund buchstäblich nicht wieder. Die Runzeln, die ihn alt gemacht hatten, waren ausgefüllt; seine Schultern waren gestrafft - er schien ein paar Zentimeter gewachsen; er war braungebrannt, seine Backen hatten Farbe - er war einfach ein neuer Mann! Jimmie und er hatten sich in den alten Tagen öfter ein bisschen herumgebalgt, wie es junge Männer zu tun pflegen, hatten die Fäuste hochgenommen und sich gegenseitig ein paar Hiebe verpasst und so getan, als ob sie einander die Nasen zerschmettern wollten. Sie hatten sich die Hand gegeben und zugedrückt, um zu sehen, wer es am längsten aushalten könne. Doch als sie es jetzt wieder versuchten, war das nichts im Vergleich zu damals - Jimmie bekam einen Händedruck und brüllte: „Aufhören!"
„Was glaubste woll?" rief Stankewitz. „Ich wieg schon zwanzig Pfund mehr - zwanzig Pfund! Verdammt geschunden werd man in de Armee ja, aber zu essen kriegt man gut. Solch guten Fraß hast du noch nie nicht gehabt, wo du auch hast gearbeitet."
„Dir gefällt es?" fragte Jimmie verwundert. „Und ob es mir gefällt, darauf kannste Gift nehmen! Ich lern eine Menge, was ich noch nicht wusste. Ich weiß Bescheid jetzt über diesen Krieg - das kannste glauben." „Du bist für den Krieg?"
„Und ob ich dafür bin, darauf kannste Gift nehmen!" Genosse Stankewitz donnerte beim Sprechen mit seiner Faust erregt auf den Ladentisch. „Wer missen gewinnen den Krieg, verstehste? Wer missen schlagen die Junker! Das hätt ich mer gesagt, auch wenn ich nicht gegangen wär in de Armee - das hätt ich mer gesagt, wo ich gesehn hob, was se machen mit Russland." „Aber die Revolution ..."
„Die Revolution kann warten - kann sein ein Jahr, kann sein zwei Jahr. Was haben wer schon von de Revolution, wenn die Junker drüber wegtrampeln! No, Sir - ich will de Daitschen raus haben aus Rumänien, raus aus Russland und raus aus Polen - und ich sag der, in dieser amerikanischen Armee sind eine Menge rumänische Sozialisten, eine Menge polnische Sozialisten, und werd dem Kaiser noch leid tun, wenn er se trefft in Frankreich, das kannste glauben!"
So bekam Jimmie eine zweite Spritze Patriotismus verpasst, diesmal eine starke Dosis; denn Stankewitz war Feuer und
Flamme für seine neue Überzeugung und genauso voll Propagandadrang wie zu der Zeit, als er sich „Antinationalist" genannt hatte. Er konnte es nicht zulassen, dass man anderer Meinung war als er - ging schon hoch bei der bloßen Erwähnung jener dogmatischen Ortsgruppenmitglieder, die noch immer gegen den Krieg waren. Das waren Dummköpfe - oder sie waren Deutsche, und Genosse Stankewitz war genauso bereit, in Leesville gegen die Deutschen zu kämpfen wie in Frankreich. Er regte sich beim Diskutieren so auf, dass er beinahe die Zigarren und die Schaukästen vergaß, die er in zwei Tagen losschlagen musste. Jimmie fand diese Verwandlung äußerst erstaunlich - nicht nur die neue Uniform und die neuen Muskeln seines rumänisch-jüdischen Freundes, sondern auch seine Unbeirrbarkeit in bezug auf den Krieg und seine Loyalität gegenüber dem Präsidenten wegen dessen mutiger Tat, Amerikas guten Ruf dafür zu verpfänden, dass den gehetzten und gequälten unterworfenen Völkerschaften Osteuropas die Freiheit und eine friedliche Zukunft verschafft wurden.
2
Jimmie besorgte sich einen Bogen Briefpapier, borgte sich von Mrs. Meissner eine kratzende Feder und ein Fläschchen Tinte und schrieb mit großer Mühe und mangelhafter Orthographie einen Brief an Genossin Evelyn Gerrity geborene Baskerville, in dem er seine Sympathie und unverbrüchliche Freundschaft versicherte. Er sagte ihr nicht, dass er in Sachen Krieg schwankend zu werden begann, und es war ja tatsächlich auch so, dass er zu schwanken aufhörte, wenn er sich Jack Gerrity vorstellte, wie er an die Gitterstäbe eines Zellenfensters gekettet war - dann wünschte er sich die soziale Revolution auf der Stelle. Aber als er dann losging, um den Brief auf dem Postamt einzuwerfen, damit er schneller ankäme, kaufte er sich eine Zeitung und las, was in Frankreich vorging. Und wieder führte ihn der Kriegseifer in Versuchung.
In verzweifeltem, verbissenem Kampf war es den Briten gelungen, den gewaltigen deutschen Ansturm ein paar Tage lang aufzuhalten. Aber Hilfe tat not - sofortige Hilfe, wenn
die Zivilisation gerettet werden sollte. Der Ruf drang über das Meer - Amerika musste Hilfe schicken - Geschütze, Granaten, Lebensmittel und vor allen Dingen Menschen. Jimmies Blut wallte auf; er verspürte den Drang, dem Ruf Folge zu leisten und diesen verzweifelten Männern zu Hilfe zu eilen, die da in Granattrichtern hockten und seit einer ganzen Woche ohne Ruhepause Tag und Nacht kämpften. Hätte Jimmie nur sofort zu ihnen eilen können! Hätte er nur nicht erst in ein Ausbildungslager gehen und sich einem militärischen Leuteschinder unterordnen müssen! Wären nur nicht die Kriegsgewinnler, die korrupten Politiker und die verlogenen, räuberischen Zeitungen und all die anderen Feinde der Demokratie im Heimatland gewesen! Jimmie warf seinen Brief in den Schlitz und wollte das Postamt gerade wieder verlassen, als ihm ein Plakat an der Wand ins Auge fiel - ein großes Plakat mit fetten schwarzen Buchstaben: DEINE HEIMAT BRAUCHT DICH! Jimmie glaubte, es wäre wieder so eine „Freiheitsobligations"-Sache; sie waren deswegen schon ein paarmal hinter ihm her gewesen und hatten ihm sein wohlverdientes Geld aus der Tasche ziehen wollen, aber selbstredend hatten sie das nicht geschafft. Immerhin - er blieb aus Neugierde stehen und las, dass Männer für Frankreich gebraucht wurden
- alle möglichen Facharbeiter. Es war eine lange Liste von Berufen aufgeführt, alles, was man sich denken konnte -Zimmerleute, Klempner, Elektriker, Forstarbeiter, Schauerleute, Eisenbahner, Wäschereiarbeiter, Köche, Lagerarbeiter - es ging ein paar Spalten lang so weiter. Jimmie kam zu „Maschinenarbeiter" und fuhr schuldbewusst zusammen. Dann kam er zu „Motorradfahrer" und „Motorradschlosser"
- und ballte plötzlich die Hände zur Faust. Blitzartig kam ihm eine verrückte Idee, die ihn so erregte, dass er kaum weiterlesen konnte. Warum sollte er nicht nach Frankreich gehen - er, Jimmie Higgins! Er war ein Mann ohne Bindungen auf der Welt - frei wie die Winde, die über den Ozean bliesen! Und außerdem suchte er einen Job - warum also nicht einen von diesen da annehmen? Das war ein Weg, wie er an all den Abenteuern teilhaben, wie er all die Sehenswürdigkeiten kennenlernen konnte, von denen er immer gelesen und gehört hatte, und das alles ohne die lange Verzögerung in einem Ausbildungslager
und ohne dass er sich von einem militärischen Leuteschinder herumkommandieren lassen musste! Jimmie suchte nach der Bezahlung, die angeboten wurde; einundfünfzig Dollar den Monat und einen „Zuschuss" für Unterkunft und Spesen. Ganz unten auf dem Plakat las er die Worte: „Warum nicht für deinen Uncle Sam arbeiten?" Zufällig war Jimmie in diesem Augenblick seinem Uncle Sam gerade ziemlich freundlich gesinnt, und daher dachte er: Warum soll ich es nicht mal mit ihm als Boss probieren? War das letzten Endes nicht das, was jeder Sozialist wollte - ein Angestellter der Allgemeinheit sein, ein Diener der Gesellschaft und nicht irgendeines privaten Profitmachers?
3
Jimmie ging an den Postschalter, um sich näher zu erkundigen, und der Angestellte sagte ihm, dass die „Kriegshilfsdienst-Meldestelle" sich an der Ecke Main Street und Jefferson Street befände. Er kam zu der bezeichneten Ecke und fand dort in einem leerstehenden Laden ein großes Werbeschild vor - „Arbeiter für den Kriegshilfsdienst gesucht" sowie einen Soldaten in Khaki, der vor dem Laden auf und ab marschierte. Noch vor einer Woche hätte man Jimmie weder mit Geld noch mit guten Worten dazu gebracht, irgendwo einzutreten, wo ein Soldat das Sagen hatte; aber inzwischen hatte er durch Emil und Stankewitz gelernt, dass auch ein Soldat ein Mensch sein kann, und so ging er näher und sagte: „Tag."
„Tag auch", sagte der Soldat und musterte ihn mit abschätzendem Blick.
„Wenn ich mich hier anwerben lassen sollte, wann würde ich dann nach Frankreich kommen?" „Heute Abend", sagte der Soldat. „Du willst mich wohl verkohlen?"
„Ich werd nicht dafür bezahlt, dass ich die Leute verkohle", sagte der Soldat, und dann: „Warum denn so eilig?" „Ich hab keine Lust, in einem Ausbildungslager zu versauern."
„Wenn du deine Arbeit verstehst, versauerst du da bestimmt nicht. Was bist du denn?"
„Maschinenarbeiter; ich habe Fahrräder repariert und verstehe ein bisschen was von Motorrädern." „Komm rein", sagte der Soldat, ging voran und übergab Jimmie einem Sergeant, der am Schreibtisch saß. „Hier ist ein Maschinenarbeiter", sagte er, „er hat's eilig, an die Arbeit zu gehn. Will vielleicht seiner Frau ausreißen." „Ein Trupp geht heute Abend noch nach dem Ausbildungslager ab", sagte der Sergeant.
„Ausbildungslager?" wiederholte Jimmie. „Ich will nach Frankreich!"
Der Sergeant lächelte. „Sie erwarten doch wohl nicht von uns, dass wir Sie losschicken, ehe wir Sie geprüft haben oder?"
„Nein, das wohl nicht", sagte Jimmie unschlüssig. Er war auf der Hut vor Tricks. Wenn sie ihn nun als Zivilarbeiter einstellten und dann doch in den Kampf schickten!
Der Sergeant fuhr fort: „Wenn Sie tüchtig sind, werden Sie schon nach Frankreich kommen. Wir brauchen da drüben schleunigst Männer, und wir werden Sie nicht unnötig aufhalten."
„Hm", sagte Jimmie, „vielleicht wollen Sie mich aber gar nicht, wenn Sie mehr über mich wissen. Ich bin Sozialist."
„Ich dachte, Sie sind Maschinenarbeiter", konterte der Sergeant.
„Sozialist bin ich auch. Ich war bei dem Streik in den Empirewerken vor ein paar Jahren dabei, und man hat mich auf die schwarze Liste gesetzt. Ich kann in den großen Betrieben hier keine Arbeit mehr kriegen."
„Na fein", sagte der Sergeant, „dann dürfte es Ihnen ja um so leichter fallen, sich von dieser Stadt zu trennen, denke ich."
„Können Sie denn so einen Mann gebrauchen?" beharrte Jimmie.
„Was wir brauchen, sind Männer, die was von Maschinen verstehn und ranklotzen wie der Teufel, um den Kaiser zu schlagen. Wenn Sie so einer sind, dann ist uns Ihre Religion egal. Wir haben da einen Trupp, der heute Abend abgeht."
„Heiliges Kanonenrohr!" sagte Jimmie. Er hatte gedacht, er
würde Zeit haben, Fragen zu stellen und sich die Sache zu überlegen, Zeit haben, seine Freunde aufzusuchen und sich von ihnen zu verabschieden. Aber der Sergeant war so zielstrebig und sachlich, hielt es für so vollkommen selbstverständlich, dass jedem, der etwas taugte, daran liegen müsse, die Hunnen verprügeln zu helfen! Jimmie, der es so eilig gehabt hatte, schämte sich jetzt, den Rückzug anzutreten, sich zu räuspern und zu stottern: Ich weiß noch nicht recht; ich bin mir nicht ganz schlüssig. Und so schnappte die Falle hinter ihm zu - das Ungeheuer Militarismus hatte ihn gepackt!
4
„Nehmen Sie Platz", sagte der Sergeant, und der ängstliche kleine Sozialist setzte sich auf den Stuhl neben dem Schreibtisch. „Wie ist Ihr Name?" „James Higgins." „Ihre Anschrift?"
„Ich bin gerade bei einem Freund zu Besuch." „Die Anschrift des Freundes?" und so weiter; wo hatte Jimmie zuletzt gearbeitet, was war das für eine Arbeit gewesen, welche Referenzen konnte er angeben. Jimmie musste grinsen, als er daran dachte, wie sein Lebenslauf einem militärischen Leuteschinder erscheinen musste. An seiner letzten Arbeitsstelle, in der Lastwagenfabrik von Ironton, war er entlassen und auf die schwarze Liste gesetzt worden; in den Empire Shops war er entlassen und auf die schwarze Liste gesetzt worden; er war verhaftet und eingesperrt worden wegen „Redenhaltens" auf den Straßen von Leesville; er war festgenommen worden in Verbindung mit der Bombenverschwörung Kummes und Heinrich von Holtz'. Der Sergeant trug jeden dieser Punkte kommentarlos ein, doch beim letzten hob er den Blick und starrte den Bewerber an.
„Ich hatte nichts damit zu tun", erklärte Jimmie. „Das müssen Sie mir beweisen", sagte der Sergeant. „Ich hab das schon mal bewiesen", erwiderte Jimmie. „Wem?"
„Mr. Harrod, dem hiesigen Vertreter des Justizministeriums."
Der Sergeant griff zum Telefon und verlangte das Postamt. Jimmie hörte die eine Hälfte des Gesprächs mit an - würde Mr. Harrod wohl bitte die Akte James Higgins nachschlagen, der sich um die Einstellung in der Reparaturabteilung des Kraftfahrkorps bewarb? Es folgte eine Pause - in der Mr. Harrod sprach -, während Jimmie, entschieden nervös. wartete; aber es war offenbar alles in Ordnung - der Sergeant hängte den Hörer ein und bemerkte beruhigend: „Er sagt, Sie sind bloß ein Naivling. Ich soll Ihnen gratulieren, weil Sie Vernunft angenommen haben." Jimmie machte das Beste aus dieser mehr als zweifelhaften Beurteilung und schickte sich an, die Fragen nach seiner Befähigung zu beantworten. Gab es in den Empirewerken jemand, der ihm dies bescheinigen konnte? Der Sergeant wollte schon die Empire Shops anrufen, besann sich dann aber anders; wenn Jimmie tatsächlich in einem Maschinenbetrieb und in einem Fahrradgeschäft gearbeitet hatte, würde man sicherlich in der Armee etwas für ihn finden. In einer Stunde so verzweifelter Not nahmen sie fast jeden. „Wie groß sind Sie?" wollte der Sergeant wissen und fügte hinzu: „Was Sie wiegen, ist nicht so wichtig, weil wir Sie herausfüttern werden."
Das Sprechzimmer des Einstellungsarztes lag eine Treppe höher im selben Gebäude, und Jimmie wurde nach oben gebracht und aufgefordert, Jacke und Hemd abzulegen, und musste sich den Brustkorb messen, Herz und Lunge abhorchen, die Zähne zählen, die Nase inspizieren und noch allerlei Mätzchen ähnlicher Art gefallen lassen. Ihm fehlte natürlich einiges, aber, wie sich herausstellte, für Armeezwecke reichte es. Der Arzt kritzelte die Daten rasch auf ein Blatt Papier und unterschrieb es, worauf Jimmie und der Soldat wieder nach unten gingen zum Einstellungsbüro.
Und jetzt stand der kleine Sozialist plötzlich da mit einem Verpflichtungsschein vor der Nase und einer eingetunkten Feder in der Hand. Kein einziges Mal war er gefragt worden: Haben Sie sich das auch genau überlegt? Ist es Ihnen wirklich Ernst damit, diesen unwiderruflichen Schritt zu tun? Nein, der Sergeant hatte es für selbstverständlich gehalten, dass Jimmie es ernst meinte. Er hatte all das Befragen und Niederschreiben seiner Personalien, das Wiegen und Messen und was nicht noch alles erledigt und saß nun da, den Blick zwingend auf sein Opfer gerichtet, als wollte er sagen: Wollen Sie mir wirklich erzählen, dass ich das alles umsonst gemacht habe? Wenn Jimmie sich tatsächlich geweigert hätte zu unterschreiben, was für ein Gluthauch der Verachtung hätte ihn versengt!
Infolgedessen hielt sich Jimmie nicht einmal damit auf, das ganze Formular durchzulesen; er unterschrieb. „Also", sagte der Sergeant, „der Zug geht um neun Uhr siebzehn heute Abend. Ich werde dort sein, um Ihnen Ihre Fahrkarte zu geben. Seien Sie pünktlich da. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass Sie jetzt der militärischen Disziplin unterliegen." Ein neuer Ton klang aus diesen letzten Worten, und Jimmie erbebte innerlich und ging mit einem hohlen Gefühl in der Magengegend hinaus.
5
Er stürmte davon, um es dem Genossen Stankewitz zu erzählen, der ihn vor Begeisterung umarmte und schrie, dass sie sich in Frankreich wiedersehen würden! Dann ging er es Emil Forster erzählen, der sich ebenfalls darüber freute. Es drängte Jimmie, auch den Genossen Schneider aufzusuchen
und es ihm zu erzählen. Er entdeckte in sich eine jähe, merkwürdige Feindschaft Schneider gegenüber; er wollte die Sache mit ihm ins reine bringen, zu ihm sagen: Wach auf, du Schafskopf - vergiss deinen albernen Traum, dass
der Kaiser den Krieg gewinnt!
An andere noch dachte Jimmie, die er nicht aufsuchen
würde. Genossin Mary Allen zum Beispiel - sie sollte die Neuigkeit lieber erst erfahren, wenn er außer Reichweite
ihrer scharfen Zunge war! Auch an Genossin Evelyn dachte er; vielleicht sah er sie nie wieder, und wenn er sie doch wiedersah, dann würde sie vielleicht nicht mehr mit ihm reden wollen! Aber Jimmie unterdrückte den plötzlichen Schmerz, den ihm diese Vorstellung verursachte. Er zog in
den Krieg, und die Sehnsüchte und Wonnen der Liebe mussten beiseite stehen!
Er ging zum Abendessen zu den Meissners und eröffnete ihnen die Nachricht. Er hatte Proteste und Gegenargumente erwartet und war erstaunt, als sie ausblieben. Hatten dem kleinen Flaschenabpacker die Erlebnisse des Genossen Stankewitz imponiert? Oder war es möglich, dass er Angst hatte, vor Jimmie seine Meinung offen auszusprechen - geradeso, wie Jimmie Angst gehabt hatte im Falle Emil Forsters?
Jimmie hatte den Meissners ein paar Sachen anzuvertrauen; er wollte ihnen auch das Tagebuch des Wilden Bill dalassen, von dem er sich bisher nicht getrennt hatte, das jedoch kaum die richtige Lektüre auf einem Truppentransport sein durfte.
„Gewiss", willigte Meissner ein, „außerdem kriegen es sonst vielleicht noch die U-Boote."
Jimmie fuhr erschrocken zusammen. Verflucht noch mal! Der Gedanke war ihm noch gar nicht gekommen. Er musste ja durch die Sperrzone! Er kriegte also vielleicht doch was vom Kampf ab! Er kam vielleicht gar nicht bis nach Frankreich? „Sag mal!" rief er. „Dieser Ozean muss aber mächtig kalt sein zu dieser Jahreszeit!"
Einen Augenblick schwankte er. Sicher wäre es klüger gewesen, bis zu einer wärmeren Jahreszeit zu warten, wenn die Folgen des Überbordgehens weniger unangenehm sein würden! Doch Jimmie musste an die Armeen in ihrer tödlichen Verklammerung denken; niemals würden Meldefahrer ihre Motorräder dringender brauchen als jetzt! Auch an den Sergeant in der Meldestelle dachte Jimmie. „Nehmen Sie zur Kenntnis, dass Sie jetzt der militärischen Disziplin unterliegen!" Mit grimmiger Entschlossenheit biss er die Zähne zusammen. Zum Teufel mit den U-Booten, er würde gehen und seine Pflicht tun! Schon empfand er den Nervenkitzel seiner Verantwortung in dieser bedeutenden historischen Stunde; er war ein Krieger, hatte eine Pflicht zu erfüllen, und das Schicksal von Nationen hing von seinem Verhalten ab!
|
Hinweis: Für die Korrektheit der Angaben in diesen Versionen und die Identität der Texte mit dem angegebenen Original wird keine Verantwortung übernommen. Eine Vervielfältigung der Dokumente zum Zwecke des Vertriebs ist nicht gestattet.
| |