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Upton Sinclair - Jimmie Higgins (1919)
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15. Kapitel: Jimmie Higgins wird Bolschewik

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Der Winter kam, und die Landarbeiter zogen in die Städte; aber dieses Jahr nicht als abgebrannte Arbeitslose -sondern jeder als ein kleiner König. Jimmie wanderte nach Ironton, besorgte sich einen Job bei einer großen Autofirma für acht Dollar am Tag und machte sich ans Agitieren für einen Zehndollarlohn. Nicht etwa, dass er die beiden Dollar mehr nötig gehabt hätte, sondern bloß, weil es sein oberstes Lebensprinzip war, das Profitsystem zu stören. Die kapitalistischen Zeitungen dieser Großstadt des Mittelwestens griffen wütend Arbeiter an, die in Kriegszeiten „gegen ihr Vaterland" streikten; Jimmie wiederum griff jene an, die das Wort „Vaterland" als Tarnbezeichnung für „Boss" gebrauchten und den Krieg zum Vorwand nahmen, der Arbeiterschaft ihr wertvollstes Recht zu rauben. Es gab in Ironton eine sozialistische Ortsgruppe, die noch immer aktiv und zielstrebig war, obwohl ihr Büro von der Polizei durchsucht worden war und die meisten Zeitungen und Zeitschriften der Partei von der Beförderung durch die Post ausgeschlossen worden waren. Flugblätter konnte man aber immer gedruckt bekommen, und wenn man den Krieg auch nicht mehr direkt angreifen konnte, so konnte man doch Englands Musterschau der „Demokratie" in Irland verhöhnen, konnte auf die Profite der Profitjäger aufmerksam machen und konnte parallel zur Pflichteinziehung von Männern die Pflichteinziehung von Vermögenswerten verlangen. Manche amerikanischen Sozialisten wurden fast so gewitzt wie jener deutsche Rebell aus den Vorkriegstagen, der in der Absicht, den Kaiser bloßzustellen, eine Lebensgeschichte des römischen Kaisers Agricola schrieb und dessen Eitelkeiten und irrsinnige Extravaganzen darlegte. Im Spätherbst ereignete sich etwas, worüber sich Jimmie Higgins hätte mehr Sorgen machen sollen, als er es wirklich tat. Am Isonzo standen die italienischen Armeen ihren Erbfeinden, den Österreichern, gegenüber; sie waren am Ende eines langen, erschöpfenden und größtenteils erfolglosen
Feldzuges, und die italienischen Sozialisten in der Heimat führten gegen ihre eigene Regierung ganz genau so einen Krieg, wie Jimmie Higgins ihn in Amerika führte. Sie wurden unterstützt von katholischen Intriganten, die die italienische Regierung hassten, weil sie die weltliche Macht des Papstes zerstört hatte; sie wurden unterstützt durch die geschickten, unermüdlichen Bemühungen österreichischer Agenten im Lande, die unter den italienischen Truppen Gerüchte über die freundlichen Absichten der Österreicher und über das unmittelbare Bevorstehen eines Waffenstillstands verbreiteten. Diese Agenten gingen so weit, Exemplare der führenden italienischen Zeitungen zu fälschen mit Meldungen über Hungersnöte und Aufstände in den Heimatstädten und über das Niederschießen von Frauen und Kindern. Diese Zeitungen wurden in italienischen Schützengräben vor einem bestimmten Gebirgsabschnitt verteilt, wo die österreichischen Truppen sich mit den Italienern verbrüdert hatten; danach wurden die österreichichen Truppen in der Nacht abgezogen und durch ausgesuchte deutsche Stoßtruppen ersetzt, die im Morgengrauen angriffen, die italienische Linie durchbrachen, die Armee auf einer Front von hundertsechzig Kilometern zurückwarfen, rund eine viertel Million Gefangene machten und ein paar tausend Geschütze eroberten - praktisch alle, die die Italiener hatten.
Dass Jimmie Higgins diesem erschreckenden Vorfall nicht mehr Aufmerksamkeit beimaß, lag zum Teil daran, dass er davon in den kapitalistischen Zeitungen gelesen hatte und es nicht glaubte; hauptsächlich jedoch daran, dass gerade jetzt sein ganzes Interesse auf Russland gerichtet war, wo das Proletariat soeben daranging, die Macht zu erobern. Nun würde man ja sehen, wie man mit Kriegen Schluss machte und einer aus den Fugen geratenen Welt wieder zum Frieden verhalf!
Die gemäßigte sozialistische Kerenski-Regierung bat die kapitalistischen Herrscher der alliierten Nationen um die Festlegung ihrer Friedensbedingungen, damit die Arbeiter Russlands wüssten, wofür sie kämpften. Die russischen Arbeiter wünschten eine Erklärung, in der von Annexionen, Entschädigungen und Abrüstung keine Rede war; unter solchen Bedingungen würden sie helfen, den Krieg weiterzuführen, trotz Hungersnot und Leid im verzweifelten Russland. Doch die alliierten Staatsmänner wollten eine solche Erklärung nicht abgeben, und die russischen Arbeiter, unterstützt von allen Sozialisten der Welt, erklärten, der Grund dafür sei, dass diese alliierten Staatsmänner einen imperialistischen Krieg führten - sie wollten den Krieg nicht eher beenden, als bis sie den Deutschen große Gebiete abgenommen und eine Entschädigung erpresst hätten, die Deutschland für eine Generation kampfunfähig machen würde. Die russischen Arbeiter weigerten sich rundheraus, für solche Ziele zu kämpfen, und so kam es im November zur zweiten Revolution, dem Aufstand der Bolschewiki.
So ziemlich das erste, was diese taten, nachdem sie die Paläste und Regierungsarchive in Besitz genommen hatten, war, der Welt die Geheimverträge bekanntzugeben, die die Herrscher Englands, Frankreichs und Italiens mit Russland abgeschlossen hatten. Diese Verträge rechtfertigten voll und ganz die Haltung der russischen Revolutionäre - sie zeigten, dass die alliierten Imperialisten die schamloseste Plünderung geplant hatten; England sollte die deutschen Kolonien und Mesopotamien erhalten und Frankreich das deutsche Gebiet bis zum Rhein; Italien sollte die Adriaküste erhalten und sich überdies Palästina und Syrien mit England und Frankreich teilen.
Und hier kam für Jimmie Higgins der entscheidende Punkt - diese enorm wichtigen Enthüllungen, die wichtigsten seit Kriegsbeginn, wurden von den kapitalistischen Zeitungen Amerikas praktisch unterschlagen! Zuerst druckten diese Zeitungen eine kurze Notiz - die Bolschewiki hätten sogenannte Geheimverträge veröffentlicht, aber die Echtheit dieser Dokumente müsse stark bezweifelt werden. Dann brachten sie ausweichende und verlogene Dementis der britischen, französischen und italienischen Diplomaten, und dann hüllten sie sich in Schweigen! Kein Wort las man mehr über die Geheimverträge; abgesehen von ein, zwei amerikanischen Zeitungen mit ehrbarer Tradition, wurde der volle Text dieser Verträge allein in der sozialistischen Presse abgedruckt! „Und nun", sagte Jimmie Higgins zu den Arbeitern in seiner Firma, „was haltet ihr nun von unseren großartigen Verbündeten? Was haltet ihr nun von unseren
Wall-Street-Zeitungen?" Musste ein Arbeiter, dem man solche Tatsachen vorlegte, nicht einsehen, dass Jimmie Higgins einen begründeten Standpunkt und eine sehr wichtige Aufgabe in der Welt hatte, trotz all seiner Unvernunft und Engstirnigkeit?

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Jimmie war jetzt im siebten Himmel und ging umher wie auf Wolken. Endlich eine proletarische Regierung, die erste in der Geschichte! Eine Regierung von Arbeitern wie er, die ihre eigene Sache führten, ohne die Hilfe von Politikern und Bankiers! Traten vor die Welt und sagten die Wahrheit über Staatsangelegenheiten, in einer Sprache, die auch der kleine Mann verstand! Lösten die Armeen auf und schickten die Arbeiter nach Hause! Jagten die Herren aus den Fabriken und beauftragten Betriebsräte mit der Leitung! Entzogen den korrupten kapitalistischen Zeitungen die Annoncen und machten sie dadurch kaputt! Unser kleiner Freund stürzte allmorgendlich zur Ecke, um die Zeitung zu holen und zu sehen, was als nächstes geschehen war; er lief die Straße hinunter, so aufgeregt, dass er das Frühstücken vergaß.
Jimmie hatte in Ironton eine neue Bekanntschaft gemacht: der kleine Schneider Rabin, der Scholem hieß, was Frieden bedeutet, hatte ihm einen Brief an seinen Bruder mitgegeben, der Deror hieß, was Freiheit bedeutet. Jeden Nachmittag, wenn die Autofirma die Tore schloss, holte sich Jimmie eine Abendzeitung und brachte sie zu Derors Schneiderwerkstatt, und die beiden buchstabierten sich die Nachrichten zusammen. Mein Gott, guck dir das an! Hast du so was schon gehört! Der Verantwortliche im bolschewistischen
Außenministerium war ein marxistischer Jude, der mitgeholfen hatte, den „Nowy Mir" herauszugeben, die revolutionäre Zeitung, aus der Scholem Jimmie vorgelesen hatte! Er war im Waldorf-Astoria-Hotel Kellner gewesen, und nun
veröffentlichte er die Geheimverträge und gab Propagandamanifeste für das internationale Proletariat heraus. Die kapitalistische amerikanische Presse war natürlich voll von Lügen über die neue Revolution; aber Jimmie konnte
recht gut zwischen den Zeilen der kapitalistischen Presse lesen, und die wenigen sozialistischen Zeitungen, die noch existierten und die er im Ortsgruppenbüro las, vermittelten ihm die restlichen Informationen, die er brauchte. Für Jimmie war selbstverständlich alles, was die Bolschewiki taten, richtig; war es etwas Unrechtes, dann war es gelogen. Der kleine Maschinenarbeiter wusste, dass die Bolschewiki die vier Milliarden Dollar Schulden, die die Zarenregierung bei den Bankiers in Frankreich gemacht hatte, nicht anerkannten, und Jimmie wusste auch genau, was für eine Lügenkraft in vier Milliarden Dollar steckte.
Die amerikanischen Zeitungen empörten sich darüber, dass die russischen Sozialisten die Sache der Demokratie verrieten und Deutschland eine Chance gaben, den Krieg zu gewinnen. Die amerikanischen Zeitungen nannten sie deutsche Agenten, aber Jimmie ließ sich von solchem Gerede nicht verdummen. Jimmie war vertraut mit den falschen Beschuldigungen, wie man sie in Amerika gegen die Arbeiter einsetzte. Er sah doch, das erste, was die bolschewistischen Führer taten, war, einen Appell an die revolutionären Arbeiter in Deutschland zu richten. Das russische Proletariat hatte den Weg gezeigt - nun sollte das deutsche Proletariat folgen! Literatur wurde gedruckt und in Massen nach Deutschland geschickt, Flugblätter wurden von Fliegern über den deutschen Truppen abgeworfen, und als Jimmie und Deror lasen, dass die deutschen Generäle gegen solche Praktiken bei den Russen protestiert hatten, lachten sie laut auf vor Freude. Kein Wunder, dass die Kriegsherren zeterten; sie wussten, was da auf sie zukam! Und als Jimmie und Deror im Januar vom Aufstand einer Brigade deutscher Soldaten und von einem Streik mehrerer hunderttausend Arbeiter in ganz Deutschland lasen, glaubten sie, das Ende wäre nahe. Der kleine Schneider erhob sich in der Ortsgruppe Ironton und stellte den Antrag, dass sie sich den Namen „Bolschewik" geben sollte - ein Antrag, der mit donnerndem Beifall angenommen wurde. Und diese amerikanischen Bolschewiki berieten sich daraufhin mit den Arbeitergewerkschaften, schlugen ihnen vor, dass sie „Betriebsräte" bilden und die Übernahme der Industrie nach russischem Muster vorbereiten sollten!

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Aber plötzlich lief etwas schief mit der neugebauten Revolutionsdampfwalze. Die deutschen Militärchefs griffen sich die Streikführer in der Heimat und warfen sie ins Gefängnis oder schickten sie in die vordersten Schützengräben, um sie niedermetzeln zu lassen. Durch Terror, geschickt vermischt mit Überredung, brachen sie den Streik
und schickten die murrenden Sklaven zurück in die Tretmühle. Und dann begannen die deutschen Armeen in Russland einzumarschieren!
Das war die Krise, auf die Jimmie Higgins seit Kriegsbeginn gehofft hatte. Tolstoi hatte gelehrt, dass, wenn die eine Nation sich zu kämpfen weigere, es für eine andere Nation unmöglich sei, sie zu überfallen, und obwohl Jimmie Higgins weder ein Mystiker noch ein Widerstandsverweigerer aus religiösen Gründen war, stimmte er hierin doch mit dem großen Russen überein. Unmöglich, dass Arbeiter in einer feindlichen Armee dazu gebracht werden konnten, auf ihre Frieden verkündenden Brüder zu schießen! Und hier nun wurde endlich die Theorie ausprobiert; hier nun wurde deutschen Sozialisten befohlen, gegen russische Sozialisten zu marschieren - befohlen, auf die rote Fahne zu feuern! Würden sie tun, was ihre Herrscher, die Kriegsherren, ihnen befahlen? Oder würden sie auf die lauten Appelle des internationalen Proletariats hören und ihre Waffen gegen ihre eigenen Offiziere richten? Die ganze Welt sah, was geschah; sie sah, wie die glorreiche Revolutionsmaschine, in die Jimmie Higgins sein ganzes Vertrauen gesetzt hatte, in einen Graben fuhr und ihre Fahrgäste im Dreck landeten. Die deutschen Armeen marschierten, und die Sozialisten in den deutschen Armeen taten genau das, was die NichtSozialisten taten - sie feuerten auf die rote Fahne, wie sie auf die Fahne des Zaren gefeuert hätten. Sie gehorchten den Befehlen ihrer Offiziere, wie echte, loyale Deutsche; sie trieben die Bolschewiki zurück, zerstreuten sie, nahmen ihre Waffen und ihre Vorräte und zerstörten ihre Städte; sie führten die russischen Frauen und Kinder ab in die Sklaverei, genauso, als ob es sich um belgische oder französische Frauen oder Kinder gehandelt hätte, die von dem deutschen Gott als rechtmäßige Beute der Kultur vorausbestimmt waren. Sie plünderten Riga und Reval, sie fielen über die östlichen Teile Russlands her -über Kurland, Livland, Estland; sie marschierten ins reiche Korngebiet Südrußlands, die Ukraine, ein; sie landeten mit ihren Schiffen in Finnland und besetzten es und beseitigten damit die Freiheiten dieses prächtigen Volkes. Sie standen vor den Toren Petrograds, und die bolschewistische Regierung musste nach Moskau flüchten. Und über all diese Heldentaten berichteten die deutschen sozialistischen Zeitungen mit kaltem Stolz!

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Der arme Jimmie Higgins! Es war wie der Schlag einer mächtigen Faust ins Gesicht; er war buchstäblich betäubt -es dauerte Wochen, ehe er die volle Bedeutung dessen, was geschehen war, den Zusammenbruch aller seiner Hoffnungen, begriff. Und genauso war es mit Irontons bolschewistischer Ortsgruppe; es war kein „Feuer" mehr in den Sitzungen. Ein paar Krakeeler allerdings, Männer, die seit zwanzig, dreißig Jahren Phrasen droschen und von Tatsachen nicht mehr Ahnung hatten als von den Scheinfüßchen einer Amöbe, schrien schon am nächsten Tag wieder nach der Revolution. Doch die Vernünftigen in der Gruppe wussten, dass ihre „Resolution von St. Louis" da drüben in den Schützengräben von Petrograd totgeschossen wurde. Interessant war vor allem Rabins Reaktion. Die Amerikaner glaubten allgemein, dass man einen Juden nicht zum Kämpfen bringen könne; man erzählte sich eine Geschichte von einem, der seinem Sohn zurief, warum er sich von einem anderen Jungen denn knuffen lasse, und der Sohn flüsterte zurück: „Sei still, ich hab ein Fünfcentstück unterm Fuß!" Den ganzen Krieg über waren die jüdischen Sozialisten in Amerika, nächst den Deutschen, die glühendsten Pazifisten gewesen; aber nun war da eine soziale Revolution, die von Juden geführt wurde, war da eine rassische Regierung, die den Juden zum ersten mal in der Geschichte ihre Rechte zusprach! Darum stand der kleine jüdische Schneider vor diesen amerikanischen Bolschewiki auf und erklärte, während ihm die Tränen über die Backen liefen: „Genossen, was werd ich nu noch groß reden; ich werd gehn in diesen Krieg! Ich werd mich stellen bei de polnische Sozialisten, bei de behmische Sozialisten - ich werd kämpfen gegen den Kaiser bis zum Tod! Und ebenso wird kämpfen jeder jüdische Sozialist auf der Welt!" Und das war nicht nur Prahlerei - Genosse Rabin machte danach wirklich seine Schneiderwerkstatt dicht und reiste ab, um in die „Rote Brigade" einzutreten, die gerade von den jüdischen Revolutionären New Yorks aufgestellt wurde! Wären die deutschen Kriegsherren darauf ausgegangen, die amerikanischen Sozialisten lahmzulegen, es ihnen unmöglich zu machen, weiter den Frieden zu fordern, so hätten sie auch nicht anders handeln können. Sie schleppten die hilflosen Bolschewiki zu einer Friedenskonferenz nach Brest-Litowsk und zwangen sie, alle Gebiete, die Deutschland besetzt hatte, abzutreten und obendrein noch eine enorme Entschädigung zu zahlen. Sie wollten die neue russische Regierung mit Gewalt zu einem Vasallen der Mittelmächte machen, der ihnen die übrige Welt versklaven half. Die deutschen Armeen zogen durch die eroberten Gebiete, plünderten sie aus, raubten den Bauern jedes bisschen Essen, schlugen sie, erschossen sie, verbrannten ihre Häuser, wenn sie Widerstand leisteten. Sie gaben der Welt ein solches Schauspiel, was ein deutscher Frieden bedeuten würde, dass überall freie Männer die Zähne zusammenbissen, die Fäuste ballten und schworen, diese Schande mit den Wurzeln aus der Zivilisation auszurotten. Sogar Jimmie Higgins!

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Jawohl, sogar Jimmie Higgins! Er fasste den Entschluss, so angestrengt zu arbeiten, wie er nur konnte, und so viele Lastwagen zu produzieren, wie er nur konnte. Aber leider ist es nicht möglich, dass ein Mensch, wenn er das ganze Leben lang gehetzt und unterdrückt worden ist und wenn Hass und Aufruhr sich ihm bis in die tiefste Seele gegraben laben, das über Nacht vergisst wegen gewisser intellektueller Ideen, gewisser Meldungen, die er in seiner Zeitung liest. Was mit Jimmie geschah, war, dass sein Herz buchstäblich in zwei Hälften zerrissen wurde; er fand, dass er in jeder Minute seines Lebens zwei einander absolut widersprechende und diametral entgegengesetzte Standpunkte in sich vereinigte. Er schwor den verhassten deutschen Armeen Vernichtung, und dann machte er kehrt und schwor den Leuten in der Heimat Vernichtung, die das Vorhaben organisierten, die deutschen Armeen zu vernichten! Denn diese Leute waren Jimmies lebenslängliche Feinde und konnten ebenso wenig wie er ihre Vorurteile über Nacht vergessen. Zum Beispiel das verlogene Kapitalistenblatt, das Jimmie jeden Morgen lesen musste! Wenn Jimmie in der „Ironton Daily Sun" einen patriotischen Leitartikel gelesen hatte, war es ihm an diesem Tag völlig unmöglich mitzuhelfen, dass der Krieg gewonnen wurde! Oder die Politiker, die das Kriegsgeschrei nach Demokratie im Ausland dazu zu benutzen suchten, alle Spuren von Demokratie im eigenen Lande zu zertrampeln; die die Radikalen, die sie hassten und fürchteten, zu kaufen und die Kosten des Krieges mit Hilfe von Steuern auf lebensnotwendige Artikel und Kriegsanleihen den Armen aufzubürden suchten! Oder die Kapitalisten, die zündende Reden über Patriotismus hielten, sich jedoch weigerten, auf die Herrschaft über ihre Lohnsklaven zu verzichten!
Jimmie Higgins arbeitete in einer Fabrik, die Lastkraftwagen für die Armeen in Frankreich herstellte, und die Fabrikbesitzer wollten ihrer Belegschaft keine Gewerkschaft gestatten, und so kam es zu einem Streik. Die Bosse schlossen eine Übereinkunft, alle wieder einzustellen und eine Gewerkschaft zuzulassen, und machten sich dann hinterhältig daran, die Übereinkunft zu brechen und sich die aktivsten Organisatoren unter diesem oder jenem fadenscheinigen Vorwand vom Halse zu schaffen. Jimmie Higgins, der mit der Geschicklichkeit seiner Hände helfen wollte, die Welt reif zu machen für die Demokratie, wurde von seinem Arbeitsplatz fortgejagt und konnte auf der Straße herumlaufen, weil eine große, profitgierige Firma nichts von Demokratie hielt und sich dagegen sperrte, ihren Arbeitern bei der Festlegung ihrer Arbeitsbedingungen eine Stimme einzuräumen! Die Regierung gab sich Mühe, mit solchen Notfällen wie diesem fertig zu werden und die Epidemie von Streiks zu beenden, die die Rüstungsarbeit überall behinderten; aber die Regierung hatte ihre Maschine noch nicht in Gang, und in der Zwischenzeit bekam Jimmies schwächlicher Keim von Patriotismus einen kräftigen Nachtfrost ab.
Jimmie betrank sich und verschwendete einen Teil seines Geldes für ein Straßenmädchen. Dann schämte er sich, und da ihn immer noch die Erinnerung an seine Frau und seine Kinder quälte, gab er sich einen Ruck und beschloss, das Leben von vorn anzufangen. Er musste wieder an Leesville denken; es war der einzige Ort auf der Welt, wo er wirklich glücklich gewesen war, und es war jetzt, seit Deror Rabin nach dem Osten gegangen war, der einzige Ort, wo er Freunde hatte. Wie ging es wohl den Meissners? Und wie der Genossin Mrs. Gerrity geborene  Baskerville? Was dachte die Ortsgruppe Leesville über Russland und über den Krieg? Jimmie fasste den plötzlichen Entschluss, sich davon selbst, zu überzeugen. Er rechnete sich aus, was eine Fahrkarte kostete, und stellte fest, dass er genug Geld dafür hatte und sogar noch etwas übrigbehielt. Er würde die Reise machen - und er würde sie ganz vornehm machen, als Staatsbürger und Arbeitskraft der Rüstungsindustrie, nicht als Landstreicher in einem Viehwagen.

 

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