19. Kapitel: Jimmie Higgins zieht Khaki an
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Es waren sieben Mann, die an jenem Abend unter der vorläufigen Aufsicht eines Schmieds aus der dortigen Gegend in den Zug stiegen. Am anderen Morgen um sieben zeigten sie ihre Papiere am Eingangstor des Ausbildungslagers vor und wurden von einem Soldaten die Hauptstraße hinuntergeführt, wobei sie sich an ihre Bündel und Koffer klammerten und neugierig ihre Umgebung betrachteten. Es war eine Stadt, in der rund vierzigtausend Mann lebten, auf einem Gelände, das ein Jahr zuvor noch ödes Buschland gewesen war. In alle Richtungen erstreckten sich lange Reihen von Holzbauten - Unterkünfte, Speiseräume, Unterrichtsräume, Büros, Lagerschuppen - mit großen Freiflächen von Ausbildungs- und Übungsgelände dazwischen. Diese Stadt auch nur zu sehen - mit ihrer wimmelnden Einwohnerschaft von jungen Männern, alle in Uniform, aufrecht, eifrig, gut in Form und strotzend vor Gesundheit, jedermann geschäftig, und jedermann offensichtlich ganz in Anspruch genommen von seiner Aufgabe -, das war ein Erlebnis, das sich lohnte. Es war ein neuer Typ von Stadt -eine Stadt ohne Müßiggänger, ohne Trunkenbolde, ohne Parasiten. Die sieben Arbeiter aus Leesville kamen sich plötzlich verlottert und zweitklassig vor in ihrer schlecht sitzenden Zivilkleidung und mit ihrer Sammlung von Bündeln und Koffern.
Als erstes wurden Neuankömmlinge gesäubert, desinfiziert und geimpft. In einer Ortsgruppe der Sozialisten begegnet man allen möglichen Exzentrikern, den überdrehten Randfiguren der Bewegung, und so hatte Jimmie auch schon mal eine Schmährede gegen die teuflische Sitte des Impfens zu hören bekommen, das mehr tödliche Krankheiten hervorbrächte, als es verhindern sollte. Aber die Sanitätsoffiziere dieses Camps hielten sich nicht damit auf, Jimmie nach seinen Ansichten über dieses so hochwichtige Thema zu fragen; sie sagten ihm einfach, er solle an seinem linken Arm den Ärmel aufrollen, und machten sich dann daran,
seine Haut sauberzuwischen und sie mit einer Nadel zu ritzen.
Und dann kam der Schneider, um ihn in Khaki einzukleiden. Auch das war etwas, womit der kleine Maschinenarbeiter nicht gerechnet hatte; er hatte es für selbstverständlich gehalten, dass er für Uncle Sam in irgendwelchen alten Lumpen arbeiten dürfe, geradeso, wie er es für Abel Granitch getan hatte. Aber nein - er musste eine Ausrüstung haben, vollständig bis zur Zahnbürste, deren Benutzung sie ihm zeigen würden. Als er dann sauber und stramm in Khaki eingekleidet war, auf dem Ärmel ein Autorad, um die Waffengattung zu bezeichnen, stand er vor dem Spiegel, betrachtete sich und spürte dabei eine demoralisierende, unwürdige Erregung. Er sah kein bisschen weniger gut aus als Genosse Stankewitz! Wenn er die Straße langging, ob dann wohl die Mädchen auch kichern und sich nach ihm umdrehen würden, wie sie das bei dem gesetzten und korrekten Genossen Emil taten? So wurde das Netz des Militarismus um Jimmie Higgins' Seele geknüpft.
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Jimmie stand unter Quarantäne und durfte wegen seiner Impfungen gegen Typhus und anderes das Camp nicht verlassen. Es gab auch genug Interessantes für ihn an Ort und Stelle; doch dann wurde er plötzlich sehr krank und stellte bestürzt fest, dass der Impfgegner wohl doch recht gehabt haben müsse. Seine Gesundheit war für immer untergraben, er würde an einem Dutzend obskurer Krankheiten leiden! Elend am Körper und noch elender an der Seele, ging er ins Lazarett; doch nach ein paar Tagen begann er sich besser zu fühlen und hörte auf die Krankenschwestern, die ihm aufmunternd erzählten, dass jeder sich ein Weilchen so fühle. Dann stand er auf und bekam mehrere Tage frei, um sich völlig zu erholen - Tage, die er damit zubrachte, im Lager herumzuspazieren und das faszinierende Treiben zu beobachten.
Es glich einem Zirkus mit Hunderten von Manegen. Das Drillen und Marschieren, das er auf dem Platz in Leesville gesehen hatte, ging hier im großen Maßstab vor sich. Hunderte von Gruppen wurden durch das Zugexerzieren und das „kleine Handbuch" geschleust, während andere Gruppen sich mit SpezialÜbungen befassten - Eskaladierwände hochkletterten. Schützengräben aushoben, Straßen bauten und nach Scheiben schossen. Jeden zweiten Tag regnete es, und der Boden war ein einziger Matsch, doch das störte niemand im Geringsten; die Männer kamen dreckverkrustet zurück, dampfend wie Schmalztiegel. Es machte ihnen anscheinend Spaß; nichts konnte ihnen die Lust zum Necken und Scherzen nehmen.
Jimmie sah ihnen mit einem Gemisch aus Neugier und Entsetzen zu; denn was hier getan wurde, führte ihm den Krieg in seiner grenzenlosen und vielgestaltigen Schlechtigkeit unmittelbar vor Augen. Hier wurde einer Gruppe von Leuten beigebracht, wie man unter Beschuss vorrückt; sie krochen auf dem Bauch über den Boden, sprangen von einem Hügel zum andern, warfen sich hin und taten so, als ob sie feuerten. Ein Mann an der Spitze, der ein imaginäres Maschinengewehr betätigte, brüllte, wenn er sie „erwischt" hatte. Jetzt schnallten sie ihr kleines Schanzzeug ab und begannen sich wie Maulwürfe in den Boden einzubuddeln. „Grabt, ihr Scheißkerle, grabt!" schrie der Offizier. „Schädel runter, Smith! Lass den Dreck fliegen! Mehr Musike rein! Na also!"
Jimmie hatte noch nie eine Footballmannschaft trainieren sehen; daher hatte er keine Ahnung, zu welchen Leistungen man Männer durch Härtetraining antreiben konnte. Es war abscheulich - doch auch faszinierend, es schlug ihn in Bann. Er sah, was diese Männer taten; sie lernten, als Masse zu handeln, mit lähmender, furchtbarer Gewalt zu handeln. Was sie auch taten, sie taten es mit der Vernichtungskraft eines Sturmbocks. Man sah das Feuer in ihren Augen, den grimmigen, entschlossenen Ausdruck auf ihren Gesichtern; man wusste, sie gingen ohne Zögern und Zagen in den Krieg.
Man kam über eine Bodenerhebung und stieß auf einen Haufen Soldaten bei Bajonettübungen. Man brauchte nicht viel Phantasie, um zu begreifen, was hier gespielt wurde; sie hatten lederne Attrappen und stürzten sich auf diese Figuren, hauend, stechend und - was das allermerkwürdigste war - brüllend vor Wut. Die Offiziere hielten sie direkt an,
zu schreien, zu knurren und sich in echte Wut hineinzusteigern! Das ließ einem das Blut erstarren - Jimmie wandte sich ab, weil ihm übel war. Gerade das war ja seine Rede seit dreieinhalb Jahren - man musste sich in eine wilde Bestie verwandeln, um in den Krieg zu ziehen! Jimmie sah sich auch die Schießstände an, von denen den ganzen Tag ein Geknatter von Schüssen herüberdrang wie das Klappern vieler Schreibmaschinen. Kompanien von Männern kamen anmarschiert und verteilten sich auf die Schützenstände und begannen unter der Leitung ihrer Ausbilder, ihr Teil zu dem Lärm beizusteuern. Hinten bei den Schießscheiben waren andere, die die Treffer zählten und telefonisch die Ergebnisse durchgaben; so lernten die Männer den ganzen Tag lang, ob Winter oder Sommer, Regen öder Sonnenschein, wie man seine Mitmenschen tötet, mechanisch, als wäre es eine Sache fabrikmäßiger Routine. Auf anderen Plätzen gab es bewegliche Schießscheiben, wo sich Scharfschützen ihre Fähigkeiten erwarben; man bemerkte, dass ihre Ziele niemals Vögel oder Wild waren, wie bei den Schießbuden, die Jimmie an der See auf Ausflügen der Ortsgruppe gesehen hatte. Nein, es waren Menschenköpfe oder Menschenleiber, und jede Figur war graugrün angemalt, damit es aussah wie die Umformen des Feindes
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So lebte Jimmie Tag für Tag mit der Vorstellung des Tötens, hatte das harte und grausame Gesicht des Krieges vor sich. Er hatte geglaubt, dass das Reparieren von Motorrädern überall gleich sei, wo man es auch tat; aber jetzt stellte er fest, dass es etwas ganz anderes war, ob man Motorräder reparierte für Botenjungen und für Arbeiter, die mit ihrer Liebsten in den Urlaub fahren wollten, oder ob man sie für Frontkämpfer und Meldefahrer reparierte. Nachdrücklicher als je wurde Jimmie dazu gedrängt, über den Krieg mit sich ins reine zu kommen. Es wurde für ihn täglich schwieriger, zwei einander widersprechende Meinungen nebeneinander zu haben.
Alle Männer, denen er jetzt begegnete, waren einer Meinung und ließen sich auf gar keine Weise dazu bewegen, eine andere auch nur in Erwägung zu ziehen. Jimmie stellte fest, dass er sie dazu bringen konnte, einzuräumen, dass es nach diesem Krieg, was die Demokratie betraf, ungeheure Veränderungen auf dieser Welt geben würde, dass das Volk sich danach nicht mehr reinlegen und ausbeuten lassen würde, wie es das bisher getan hatte; er stellte fest, dass er ihnen den Gedanken schmackhaft machen konnte, die Regierung solle die großen Industrieunternehmen führen und Nahrungsmittel und Kleidung für das Volk produzieren, so wie sie jetzt Nahrungsmittel und Kleidung für die Truppen produzierte. Aber wenn er versuchte, diesem Programm den Namen Sozialismus zu geben, dann ging der Ärger los. Waren die Sozialisten nicht diese Irren, die wollten, dass Amerika die Waffen „niederlegte" wie Russland? Die Voraussetzung jeder Diskussion mit diesen Männern war, dass Amerika den Krieg gewinnen würde; wenn man auch nur vorsichtig andeutete, dass das vielleicht noch gar nicht so ganz sicher war, dann begegnete man zuerst scharfem Spott und dann bösen Blicken und bekam den Rat, eine Pille zu nehmen, damit man das Hunnengift aus dem Gedärm kriegte.
Es hatte auch nicht den geringsten Sinn, wenn man versuchte, von den Gefahren des Militarismus zu reden. Diese Männer wussten alles über die Gefahren des Militarismus -für den Kaiser. Der Mann, der am Abzugsende eines Gewehrs sitzt und mit dem Ding so zu zielen versteht, dass er auf sechshundert Meter eine Katze wegputzen kann - so ein Mann überlässt der Katze das Grübeln. So jedenfalls erschien die Sache diesen robusten jungen Rekruten, die lernten, wie man im Schlamm marschierte und im Regen schlief und Teppichnägel kaute und aus Hunnen Leberwurst machte. Sie erfüllten ihre Aufgabe mit einer ungestümen, erschreckenden Fröhlichkeit; sie schwelgten in ihrer Härte, nannten sich „Grizzlybären" und „Wildkatzen" und was nicht noch alles; sie sangen wilde Lieder über ihre Reizbarkeit, und ihr Motto war: „Immer feste drauf!" Es war eine beängstigende Atmosphäre für einen Träumer und Utopisten; Jimmie Higgins zog sich in sich selbst zurück, zu ängstlich sogar, die Hand nach einem sozialistischen Genossen auszustrecken, mit dem er über die Ereignisse in der Welt draußen hätte reden können.
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An den Abenden gab es Filmvorführungen, Konzerte, Vorträge - die sich natürlich fast alle mit dem Krieg befassten. Sie fanden in großen Sälen statt, die vom Christlichen Verein junger Männer gebaut worden waren, einer Organisation, für die Jimmie herzliche Verachtung empfand. Er hielt sie für eine Erfindung der ausbeutenden Klassen, um auch das Stehkragenproletariat das Kuschen zu lehren. Doch niemand konnte in einem Ausbildungslager leben, ohne von dem „Verein" Kenntnis zu nehmen. Jimmie bekam eine Einladung zu einem Vortrag und ging aus Langeweile hin.
Sergeant Ebenezer Collins, aus Flandern importiert, hatte die Aufgabe, den amerikanischen Landsern etwas über die Tücke der Hunnen zu erzählen. Sergeant Collins sprach eine komische Sprache, die Jimmie noch nie gehört hatte und die er auch nicht immer verstand; sie diente jedoch dazu, ihn zu überzeugen, dass der Sergeant echt war, denn es hätte sich einer unmöglich eine solche Sprechweise zurechtmachen können! „Wenn man nu in Ypern reinjeht", sagte der Redner, „dann sieht man alte grauhaarige Damens und Kinderchens wie kleine Jeister, und wenn man denn zu ihnen sagt: Jehn Se weg, der Hunne kann schon heute hier sin', dann wolln se nich jehn, denn se ham keene Bleibe, wo se hinjehn könn!"
Doch trotz der Schwierigkeiten einer fremden Sprache erkannte man, dass dieser Londoner Sergeant ein ganze Mann war. Zunächst einmal hatte er Sinn für Humor; den hatte er sich inmitten von Angst und Tod bewahrt - hatte ihn sich bewahrt, während er nächtelang in Schützengräben voll eiskaltem Wasser stand und ihm eiskaltes Wasser in den Kragen lief. Außerdem hatte der Sergeant Sinn für Ehre - es gab Dinge, die konnte er einem Hunnen nicht antun, selbst wenn der Hunne sie ihm vielleicht antun würde. Jimmie hatte in der Ortsgruppe Leesville erregten Debatten zugehört, ob die Alliierten wirklich besser wären als die Deutschen; ob zum Beispiel die Alliierten Passagierschiffe mit Frauen und Kindern an Bord versenkt hätten, wenn es notwendig gewesen wäre, um den Krieg zu gewinnen. Sergeant Collins diskutierte diese Frage nicht, er entpuppte sich nur schlicht und einfach als Kämpfer. „Det is, weil wir Sport treiben und die nich", erklärte er. „Wenn eener Sport treibt, denn weeß er, wat fair is." Drei Jahre und acht Monate lang hatte Jimmie Geschichten über Gräueltaten gehört, und drei Jahre und acht Monate lang hatte er sich geweigert, sie zu glauben. Doch jetzt erzählte der Londoner Sergeant von einem Kameraden, der bei einem Nachtangriff von den Hunnen verwundet worden war; der Sergeant hatte versucht, ihn zurückzutragen, hatte ihn aber zurücklassen müssen; gegen Morgengrauen hatten sie einen Gegenangriff gemacht und das Dorf wieder eingenommen, und dort hatten sie den Kameraden des Sergeanten gefunden, noch am Leben trotz der Tatsache, dass er mit Bajonetten durch Hände und Füße an eine Scheunentür genagelt war. Als diese Geschichte erzählt wurde, hörte man ein leises Murmeln durch den Saal gehen und sah ein paar tausend junge Männer die Fäuste ballen, die Zähne zusammenbeißen und sich bereitmachen für ihre große Aufgabe in Frankreich.
Gerade jetzt, sagte der Sergeant, seien die Deutschen zum schlimmsten Angriff des Krieges übergegangen. Die Briten, die sich verzweifelt wehrten, seien in die Enge getrieben. Die Entscheidung liege jetzt bei den Männern in den Ausbildungslagern Amerikas; niemand als sie könne die Lage noch retten, die übrige Welt davor bewahren, unter die Hufe des Hunnenungeheuers zu geraten. Würden sie ihre Schuldigkeit tun? Jimmie Higgins hörte die Antwort aus diesen zweitausend jungen Kehlen, und der Pazifist in ihm schrumpfte noch weiter zusammen.
Aber ganz verstummte der Pazifist niemals. Krieg war unrecht! Krieg war unrecht! Es war schlecht und grausam, wenn die Menschen ihre Streitigkeiten auf solche Art beilegten. Und wenn die Menschen noch nicht einsichtig genug waren, um auf die Stimme der Vernunft zu hören -nun, selbst das machte den Krieg noch nicht gerecht! Ein Mann musste Prinzipien haben und ihnen treu bleiben -wie anders konnte er sonst die Welt verändern? Jawohl, Krieg war unrecht! Doch der Krieg war nun mal da; und ihn unrecht nennen hieß noch nicht, ihm ein Ende machen! Was zum Teufel sollte einer da tun?
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Sobald Jimmie in der Lage war zu arbeiten, brachten sie ihn in den Teil des Lagers, wo eine Motorradabteilung ausgebildet wurde. Hier gab es eine große Reparaturwerkstatt mit vielen beschädigten Maschinen, an denen er seine Fähigkeiten beweisen konnte. Den speziellen Maschinentyp, der hier verwendet wurde, kannte er nicht, war aber bald eingeweiht in seine Geheimnisse und überzeugte die verantwortlichen Offiziere, dass er die Maschine auseinandernehmen und wieder zusammensetzen, Reifen wechseln und flicken, Kugellager reinigen und verbogene Felgen wieder richten konnte. „Sie sind in Ordnung", sagten die Offiziere. „So was wie Sie hat man drüben verdammt nötig. Sie brauchen nicht lange zu warten."
Es gab da einen Bahnsteig, wo die Züge im Lager ankamen, und alle paar Stunden traf jetzt ein langer Zug ein, der mit Männern beladen wurde. Jimmie erhielt seinen Marschbefehl, packte sein Zeug, meldete sich beim Appell und nahm seinen Platz im Zug ein; am nächsten Tag bei Sonnenuntergang wurde er an einem „Mobilmachungslager" ausgeladen
- wieder eine riesenhafte Stadt, die im vorsichtigen Militärstil als „Irgendwo in New Jersey" bezeichnet wurde, obwohl jeder im Umkreis von hundert Meilen ihre genaue Lage kannte. Hier gab es einen Hafen, für Kriegszwecke geschaffen, mit Dock- und Kaianlagen, wo die Transportflotten mit Material und Truppen beladen wurden. Die Schiffe fuhren in Flottenverbänden und transportierten dreißig- bis vierzigtausend Mann auf einmal nach Europa. Allein vom New-Yorker Hafen ging jede Woche eine solche Flotte ab
- die Antwort Amerikas auf die neue Offensive der Hunnen.
Hier traf man nicht nur die kämpfende Truppe an, sondern auch die Verbände des ganzen komplizierten rückwärtigen Dienstes: Trupps von Holzfällern aus dem fernen Nordwesten, die in Frankreich die Wälder fällen und sie zu Eisenbahnschwellen und Zimmerung für Schützengräben verarbeiten sollten; Eisenbahner, Bergleute und Bautrupps, Ingenieure und Bahnwärter, Brückenbauer und Straßenbauer, Telefonleitungsleger und Telefonisten, die Fahrer von vierzigtausend Autos und fünftausend Lokomotiven; Bäcker und Köche, Schuster und Schneider, Bauern, die den französischen Boden bestellen, und Ärzte und Pfleger, die die Kranken und Verwundeten versorgen sollten. Nichts von dem, was das Können und Wissen eines Hundertmillionenvolkes anzubieten hatte, fehlte hier in diesem riesigen Lager. Die Jüngsten und Begeisterungsfähigsten waren sämtlich hier, eifrig darauf bedacht, das Ihrige zu tun, der Gefahr spottend, nervös vor prickelnder Erregung, bebend vor Neugier und Lust. Jimmie Higgins, der sie beobachtete, merkte, dass seine Zweifel dahinschmolzen wie Schnee im April. Wie konnte einer dieses Leben und Treiben mit ansehen, ohne davon angesteckt zu werden? Wie konnte er mit diesen lachenden Jungen zusammen sein und nicht ihre Stimmung teilen?
Jimmie selbst hatte keine frohe Kindheit gehabt, er kannte die Jugend seines eigenen Landes nicht - die kesse, Slang redende, ziemlich respektlose, überhaupt nicht zu bändigende Jugend dieser demokratischen Welt. Wenn sie etwas nicht wussten - nun, dann wussten sie es eben nicht; wenn sie etwas nicht konnten - dann war ihre Devise: „Zeig es mir!" Jimmie, der keine Schule besucht hatte, kam schlecht zurecht mit ihrem merkwürdigen Slang. Wenn einer von den Burschen zur Begrüßung sagte: „Na, du Lude!", so hieß das nicht unbedingt, dass er einen nicht leiden konnte, und wenn er sagte: „Hallo, Süßer!", so hieß das nicht, dass er überwältigende Zuneigung zu einem empfand. Wenn er von seinem Offizier als „hartgesotten" sprach, dann meinte er nicht, dass dieser Offizier der Einwirkung von Wasser bei hundert Grad Celsius ausgesetzt gewesen war; er meinte bloß, dass der Offizier ein Snob war. Wenn er am helllichten Tag „Gute Nacht!" sagte, war das so zu verstehen, dass er mit einem nicht einer Meinung war.
Es gab häufige und stürmische Meinungsverschiedenheiten mit Jimmie Higgins, wenn der den Unterschied zwischen den deutschen Machthabern und dem deutschen Volk klarmachen wollte! Für solche Spitzfindigkeiten hatten diese allwissenden Knaben kein Interesse. Wenn Jimmie sich nicht beirren ließ, nannten sie ihn eine „doofe Nuss", einen „armen Irren"; sie sagten, bei ihm „piepe" es, er hätte wohl „einen Knick in der Oberleitung"; sie machten Kurbelbewegungen mit den Händen, um anzudeuten, dass er „Räder im
Kopf" habe, sie machten über ihm Flügelschläge, um kundzutun, dass er „Fledermäuse im Oberstübchen" habe. So gab Jimmie Frieden und ließ sie ihre eigene Sprache reden -ließ sie einander auffordern, „sich am Riemen zu reißen" oder „erst mal Durchblick zu kriegen" oder „zackzack zu machen" oder „nicht den wilden Mann zu markieren". Und er saß da und hörte zu, während sie mit Genuss ein Lied sangen, das erzählte, was sie machen wollten, wenn sie nach Frankreich kämen:
Heraus mit der Trompete, Jungs, ein neues Lied hebt an,
Und dieses neue Lied, das singen zwei Millionen Mann,
Und wer ein rechter Kerl ist, der singt mit, so laut er kann -
Denn wir haun den Kaiser in die Pfanne!
Refrain:
Willy, ach Willy, nimm dich vor uns in acht;
Willy, ach Willy, wir kommen über Nacht.
Und wer uns in den Weg tritt, wird zu Hackefleisch gemacht
– Denn wir haun den Kaiser in die Pfanne!
Auf Frankreichs hellen Straßen zieht ein Heer aus aller Welt:
Der Tommy hat sich brüderlich zum Poilu gesellt,
Und Afrika zieht ebenso wie Schottland mit ins Feld
- Denn wir haun den Kaiser in die Pfanne!
(Refrain)
Ein Schiff sticht von New York in See und bringt uns die Kanonen.
Aus Boston kommt ein andres Schiff mit Schweinefleisch und Bohnen.
Und noch ein Schiff bringt Traubensaft und Sprudel mit Zitronen -
Denn wir haun den Kaiser in die Pfanne!
(Refrain)
Ob ihr zu Haus in Dixieland, in Maine das Holz gefällt,
Ob ihr in Texas Cowboys wart, ob Felder habt bestellt, Kommt, Leute, her von überall, der Yankee sieht die Welt
- Denn wir haun den Kaiser in die Pfanne!
(Refrain)
Und was wir einmal angefangen, führen wir zu Ende. Wir jagen alle Fürsten fort, es kommt die große Wende.
Helft uns das Volk vom Joch befrein; wir brauchen alle Hände -
Denn wir haun den Kaiser in die Pfanne!
Refrain:
Willy, ach Willy, nimm dich vor uns in acht;
Willy, ach Willy, wir kommen über Nacht.
Und wer uns in den Weg tritt, wird zu Hackefleisch
gemacht -Denn wir haun den Kaiser in die Pfanne! |
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