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Upton Sinclair - Jimmie Higgins (1919)
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16. Kapitel: Jimmie Higgins begegnet dem Versucher

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Es war ein stürmischer Morgen Anfang März, und es lag noch Schnee, und Flocken wirbelten durch die Luft, als Jimmie Higgins in Leesville aus dem Zug stieg. Vor dem Bahnhof lag ein Platz, auf dem eine Anzahl Leute versammelt waren, und Jimmie schlenderte hinüber, um zu sehen, was dort los sei. Er erblickte eine Gruppe von etwa zwanzig jungen Leuten, einige in Khakiuniform, einige ganz normal in Hose und Pullover, die gedrillt wurden. Jimmie, der in der Laune war, den besseren Herrn zu spielen, blieb stehen und sah zu.
Es war genau das, was seit nahezu drei Jahren sein Denken und Reden beschäftigte; diese ungeheuerliche Perversion der menschlichen Seele, die Militarismus hieß, diese Macht, die die Menschen ergriff und sie in Automaten verwandelte, in Roboter, die als Masse Befehlen gehorchten und dann hingingen und Dinge taten, zu denen jeder einzeln nicht einmal im Traum fähig gewesen wäre. Hier hatte man ein Häuflein netter, durchschnittlicher junger Männer aus Leesville, Angestellte aus den umliegenden Geschäften „Cocktailschwenker" und „Ladenschwengel", Verkäufer, die mit geübter Hand hübschen Damen Schuhe anprobiert hatten. Jetzt unterwarfen sie sich dieser deformierenden Disziplin, unterzogen sie sich dieser infernalischen Verwandlung.
Jimmies Blick wanderte die Reihe entlang: Dort stand ein Straßenbahnschaffner, den er kannte, dort ein Maschinenarbeiter aus den Empirewerken, da war auch ein Sohn von Ashton Chalmers, dem Präsidenten der First National Bank von Leesville. Und plötzlich gab es Jimmie einen Ruck. Unmöglich! Das konnte doch nicht sein! Doch - wirklich! Der junge Emil Forster! Emil der Sozialist, Emil der Deutsche, Emil der Student und Denker, der die heuchlerische Maskierung dieses kapitalistischen Krieges durchschaut und jeden Freitagabend in der Ortsgruppe furchtlos die Wahrheit verkündet hatte - da war er nun, mit seiner ein wenig schwächlichen Gestalt im Khakianzug, einem Gewehr in der Hand und dem Ausdruck grimmiger Entschlossenheit auf dem Gesicht, und machte die Manöver des Zugexerzierens mit: links, zwei, drei, vier, links, zwei, drei, vier - Kolonne links, marsch - eins, zwei, drei, vier - links, zwei, drei, vier - rechts schwenkt, marsch - links, zwei, drei, vier - halb links schwenkt, marsch - und so weiter. Wenn man sich ein Bild von der Szene machen will, muss man sich des rasche Stampfen vieler Füße im Gleichschritt vorstellen -trapp, trapp, trapp, trapp, trapp trapp, muss man sich die Marschierenden vorstellen, mit ihren feierlich starren Gesichtern, und die Befehle, die von einem rotgesichtigen jungen Mann von verwegenem Aussehen herausgedonnert wurden, wobei das Wort „marsch" jedesmal mit einer Wucht ausgestoßen wurde, die einen ins Herz traf. Dieser rotgesichtige junge Mann war die leibhaftige Verkörperung
des militärischen Tyrannen, wie Jimmie ihn sich vorgestellt hatte; er beobachtete das Geschehen mit Adleraugen, schimpfte, fuhr dazwischen, trieb an, ohne die mindeste Rücksichtnahme auf die Gefühle der Sklaven, die er befehligte, oder auf die Anstandsformen des zivilisierten Umgangs.
„Kurz treten, Casey! Achten Sie auf den letzten Mann - der reißt sich ja den Arsch auf, wenn ihr nich auf ihn wartet, Kolonne links, im Gleichschritt, marsch - links, zwei, drei, vier - ja, jetzt geht's - weiter so - schon besser! Ein bisschen mehr Schwung in die Knochen, Chalmers, bitt ich mir aus - wenn ihr so in Berlin einmarschiert, glauben die, es ist das Krampfadergeschwader! Vom rechten Flügel zu vierten aufschließen - marsch - Abstand halten der letzte Mann! Wie oft muss ich euch das noch sagen?" Und so weiter und so fort, stampf, stampf, stampf, stampf - während ein kleiner Junge, der neben Jimmie stand, offenbar ein Schulschwänzer, immer wieder von vorn sang: „Links, links, um die Ecke stinkt's. Da hat der Hauptmann hingeschissen und vergessen wegzuwischen."

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Wer schon mal dagestanden und beim Sport oder Spiel im Freien zugesehen hat, an einem Märztag, wenn Schnee liegt und ein scharfer Wind bläst, der weiß, wie das ist -man muss mit den Füßen stampfen, um warm zu bleiben, und wenn dann in der nächsten Umgebung zwanzig linke Füße im Gleichschritt auf den Boden donnern und dann zwanzig rechte Füße im Gleichschritt auf den Boden donnern, dann lässt es sich einfach nicht vermeiden, dass man beim Stampfen selber Takt hält mit dem Donnern; außer dem steigt der Rhythmus des Stampfens in einem nach oben und teilt sich dem ganzen Körper mit - die Gedanken halten Takt mit der Marschkolonne - trapp, trapp, trapp, trapp - links, zwei, drei, vier! Die Psychologen lehren, dass, wenn jemand die Handlungen ausführt, die einer bestimmten Gemütsbewegung entsprechen, er bald anfängt, diese Gemütsbewegung zu verspüren, und so war es auch bei Jimmie Higgins. Durch einen derart subtilen Vorgang, dass
er gar nichts davon merkte, wurde Jimmie in einen Militaristen verwandelt! Jimmies Hände ballten sich, Jimmies Kinnbacken erstarrten, Jimmies Füße fassten Tritt, fassten Tritt auf dem Weg nach Berlin, um die preußischen Kriegsherren zu lehren, was es hieß, sich mit den freien Männern einer großen Republik anzulegen!
Doch dann trat etwas ein, was diese aufkeimende Begeisterung in Jimmie verdorren ließ. Der rotgesichtige Bursche platzte in den Marschrhythmus hinein. „Mensch, Pete Casey, kriegen Sie denn den Kurzschritt nicht in Ihren Kopp? Zug halt! Aber, aber, was ist denn los mit Ihnen? Treten Sie aus dem Glied; ich zeig es Ihnen noch mal." Und der arme Casey, ein sanfter kleiner Mann mit Hängeschultern, der noch vor einer Woche im Chalmers Building den Fahrstuhl bedient hatte, übte geduldig auf der Stelle treten, damit die übrigen in der Reihe um ihn als Drehpunkt herumschwenken konnten. Der Minityrann, der ihn angepfiffen hatte, war entschlossen, seinen Willen durchzusetzen, und Jimmie, der es in langen Jahren industrieller Knechtschaft mit vielen solchen Tyrannen zu tun gehabt hatte, freute sich, als dieser spezielle sich in seinen Befehlen verhedderte und seine Kolonne direkt auf den Brunnen mitten auf dem Exerzierplatz zulaufen ließ und einige über die Einfassung marschierten und in das eisbedeckte Brunnenbecken hinunterrutschten. Die Zuschauer brüllten vor Lachen, und die Marschierenden ebenfalls, und der rotgesichtige junge Mann musste gute Miene zum bösen Spiel machen und von seinem hohen Ross herunterkommen.
Der Widerstreit der Impulse in Jimmies Seele ging weiter. Diese marschierenden Männer waren die „Dummköpfe", über die er sich schon seit reichlich zwei Jahren lustig machte. Sie sahen nicht aus wie „Dummköpfe", das musste er zugeben; im Gegenteil, sie sahen aus, als ob sie durchaus in der Lage wären, zu entscheiden, was sie wollten. Und sie hatten entschieden; sie hatten ihre Arbeit mehrere Wochen vor dem Zeitpunkt, da man sie einberufen würde, aufgegeben und sich darangemacht, die Anfangsgründe des militärischen Handwerks zu erlernen, in der Hoffnung, auf diese Weise schneller nach Frankreich zu kommen. Unter ihnen gab es Bankiers und Kaufleute und Immobilienmakler, Seite an Seite mit Cocktailschwenkern und Ladenschwengeln und Fahrstuhlführern - und alle ließen sich herumkommandieren von einem ehemaligen Schmiedegehilfen, der davongelaufen war, um auf den Philippinen zu kämpfen.
Jimmie bekam diese Auskünfte von einem Zuschauer; so wurde ihm klar, dass er hier das vor sich sah, worüber er in den Zeitungen gelesen hatte - die neue Volksarmee, die auszog, die Welt reif zu machen für die Demokratie! Jimmie hatte solche Worte gelesen und sie bloß für Täuschung gehalten, eine Falle für die „Dummköpfe". Doch hier bot sich seinen Augen ein Bild zum Staunen: Ein Sohn von Ashton Chalmers, dem Präsidenten der First National Bank von Leesville, wurde herumkommandiert und „geschliffen" von einem ehemaligen Schmiedegehilfen, der zufällig mit der Lautstärke einer Dampframme brüllen konnte: „Das Gewehr - wumms! Gewehr - wumms! Achtung, präsentiert daaas - wumms!"
Der Zug rückte auseinander zu Bajonettübungen - sie packten die schweren Gewehre und schwenkten sie mit wilder Gewalt bald dahin, bald dorthin. „Gewehr über den Kopf schwingen und zurück, Achtung, Ausführung! - eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht - acht, sieben, sechs, fünf, vier, drei, zwei, eins." Diese Schwünge bei dem raschen Tempo waren kein Spaß; der arme kleine Fahrstuhlführer Casey fiel hoffnungslos zurück; es reichte bei ihm nur bis zu einem halben Schwung, und dann schaffte er es nicht mehr im Rhythmus des Zählens zurück bis zur Grundstellung; er sah umher, grinste verzagt, fand wieder in den Rhythmus und versuchte es von neuem. Die Gesichter der Männer waren starr, der Atem der Männer ging schwerer und schwerer, die Gesichtsfarbe der Männer wurde gefährlich rot.
„Schwingen nach rechts!" schrie der tyrannische Schmied. „Achtung, Ausführung - eins, zwei..." und so weiter. Und dann gellte er: „Nein, Chalmers, nicht mit den Armen stoßen - hochschwenken das Gewehr! Hoch schwenken vom Boden! Ja, so ist's richtig! Zustoßen! Zustoßen! Spießt sie auf!" Jimmie überkam das kalte Grausen. Oben an den Gewehren war nichts weiter als ein kleines schwarzes Loch, aber Jimmie wusste, was dort eigentlich hätte sein sollen -was dort eines Tages sein würde, die Übung bedeutete, dass diese liebenswürdigen jungen Leesviller Verkäufer sich darauf vorbereiteten, eine scharfe, blitzende Klinge in die Eingeweide von Menschen zu rammen! „Stoßt zu! Stoßt zu!" schrie der ehemalige Schmied, und mit äußerster Anstrengung schwenkten sie die schweren Gewehre, warfen sich zur Seite und fielen mit dem einen Fuß aus. Grauenhaft Grauenhaft!

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Der Mensch ist ein Herdentier, und es ist ein Grundsatz seines Wesens, dass, wenn eine Gruppe seiner Mitmenschen etwas Bestimmtes tut und es mit Energie und Eifer tut, jeder, der nicht mitmacht, der Energie und Eifer nicht teilt, zur Zielscheibe für Spott und Wut wird und sich innerlich unsicher und unglücklich fühlt. Das ist selbst dann der Fall, wenn die Gruppe nichts Lohnenderes tut, als sich zu betrinken. Und in welch stärkerem Maße wird das erst der Fall sein, wenn sie damit beschäftigt ist, die Welt reif zu machen für die Demokratie! Es gibt nur eine Möglichkeit, wie der Mensch sich davor schützen kann: Er muss sich immer wieder vor Augen führen, dass er im Recht ist und dass das eines Tages erkannt werden wird; mit anderen Worten, er muss sich an eine andere Menschengruppe halten, die ihm in einer künftigen Zeit Beifall zollen wird. Ist er dieses künftigen Beifalls sicher, dann kann er es schaffen, sich gegen die Verhöhnungen des Augenblicks zu behaupten. Aber wie nun, wenn er zu zweifeln beginnt - wenn er von dem Gedanken verfolgt wird, dass die Menschen der Zukunft womöglich genauso denken werden wie die der Gegenwart, die im Gleichschritt marschieren und den Hunnen Bajonette in den Leib stoßen lernen!
Einer der Umstände, die in Jimmies Seele diesen zerstörerischen Zweifel weckten, war der Anblick Emil Forsters, wie er Marschieren und Zustoßen übte. Emil war einer seiner Helden gewesen, Emil wusste hundertmal mehr als er - und Emil zog in den Krieg! Die Kolonne marschierte quer über den Platz zum Rathaus und stellte die Gewehre in einem Raum unten im Erdgeschoß ab, und dann kam Emil heraus, und Jimmie ging auf ihn zu. Der junge Teppichdesigner freute sich natürlich, seinen alten Freund wiederzusehen, und lud ihn zum Essen ein. Als sie zusammen die Straße entlang schritten, fragte Jimmie, was das Ganze zu bedeuten hatte, und Emil antwortete: „Es bedeutet, dass ich einen Entschluss gefasst habe." „Du willst gegen die Deutschen kämpfen?" Du wirst das zwar merkwürdig finden, aber ich will gegen sie kämpfen zu ihrem eigenen Besten. Bebel hat in seinen Memoiren geschrieben, dass man in autokratischen Ländern den demokratischen Fortschritt auf dem Weg über eine militärische Niederlage erreicht, und es scheint, dass es Amerikas Aufgabe ist, Deutschland diese Niederlage beizubringen."
„Aber - du hast doch immer genau das Gegenteil gepredigt!"
„Ich weiß; ich komme mir auch manchmal albern genug vor. Aber die Situation ist jetzt eine andere, und es hat keinen Zweck, die Augen vor den Tatsachen zu verschließen." Jimmie wartete.
„In Russland ganz besonders", fuhr Emil fort und beantwortete damit die unausgesprochene Frage. „Was hat es für einen Sinn, den Sozialismus zu erringen, wenn man sich dann einfach langlegt und von einer Militärmaschine überfahren lässt? Man macht sich zum Narren, das ist alles - und das muss man begreifen. Worauf kann denn Russland jetzt noch hoffen?"
„Na, da sind die deutschen Sozialisten!" „Nun, die hatten doch einfach nicht die Macht, das ist alles. Außerdem müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass viele von ihnen keine wirklichen Revolutionäre sind - sie sind Politiker und haben gewagt, sich gegen die Masse zu stellen. Jedenfalls haben sie, was immer auch der Grund dafür sein mag, ihr eigenes Land nicht gerettet, und sie haben Russland nicht gerettet. Sie können wahrhaftig nicht erwarten, dass wir ihnen noch eine dritte Chance geben - das kostet zu viel."
„Aber tun wir dann nicht gerade das", wandte Jimmie ein, „weswegen wir ihnen Vorwürfe machen - Patrioten werden und eine kapitalistische Regierung unterstützen?" „Wenn du eine Regierung unterstützt", erwiderte Emil,
„dann kommt es ganz darauf an, wozu sie deine Unterstützung benutzt. Wir alle kennen die Mängel unserer Regierung, aber wir wissen auch, dass die Amerikaner das ändern können, wenn genügend von ihnen das wollen, und darin liegt nun mal der Unterschied. Mir ist allmählich klargeworden, dass, wenn wir den Kaiser schlagen, die Deutschen ihn davonjagen werden, und dann können wir mit ihnen vernünftig reden."

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Sie schritten ein Stück schweigend dahin, und Jimmie versuchte diese Gedanken zu verarbeiten. Sie waren neu -nicht in dem Sinn, dass er sie noch nie gehört hatte, aber in dem Sinn, dass er sie noch nie von einem Deutschen gehört hatte. „Wie denkt denn dein Vater darüber?" fragte er schließlich.
„Er hat sich nicht geändert", erwiderte der andere. „Und das macht es ganz schön schwer - wir können gerade noch vermeiden, dass wir uns streiten, mehr nicht. Er ist alt, und neue Ideen sind für ihn nicht mehr so leicht zu verstehen. Und doch sollte man denken, er müsste der erste sein, der es begreift; sein Vater war einer der alten Revolutionäre; er wurde in Dresden eingekerkert. Du weißt wohl nicht viel über die deutsche Geschichte?" „Nein", sagte Jimmie.
„Also, damals versuchten die Deutschen, sich zu befreien, und wurden von den Truppen niedergeworfen, und die echten Revolutionäre wurden ins Exil getrieben. Einige von ihnen kamen hier herüber - wie mein Großvater. Aber wie du siehst, haben ihre Kinder das Unrecht, das ihnen zugefügt wurde, vergessen - sie sehen Deutschland in der Erinnerung so sentimental, wie es in den Geschichten und Liedern dargestellt wird - als eine Art Weihnachtsbaumdeutschland. Sie kennen das Deutschland nicht, das sich seitdem entwickelt hat - das Deutschland der Stahl- und Kohlekönige, das die ganze Grausamkeit des Feudalismus mit der modernen Wissenschaft und Leistungsfähigkeit vereinigt - die Bestie mit dem Gehirn eines Ingenieurs!"
Sie gingen weiter, Emil in Gedanken verloren. „Weißt du", platzte er plötzlich los, „dieser Krieg ist für mich eine Offenbarung - die furchtbarste, die du dir vorstellen kannst. So etwa, als ob du ein Mädchen liebst und zusehen musst, wie sie vor deinen Augen wahnsinnig wird oder sich in ein Monstrum verwandelt. Denn ich habe an das Weihnachtsbaumdeutschland geglaubt; ich habe es geliebt und verteidigt; ich konnte mich einfach nicht überwinden, zu glauben, was ich in den Zeitungen las. Wenn ich jetzt zurückblicke, dann ist mir, als ob es eine Falle war, die die deutschen Kriegsherren für meinen Verstand aufgestellt hatten - als hätten sie ihren Arm bis hier rüber nach Amerika ausgestreckt und mich dazu gebracht, das zu denken, was sie wollten! Vielleicht bin ich jetzt ins andere Extrem verfallen - ich stelle fest, dass ich allem misstraue, was deutsch ist. Vater hat mir das gestern Abend erst vorgeworfen; er sang ein altes deutsches Lied, in dem es heißt: Wo man singt, da lass dich ruhig nieder, böse Menschen haben keine Lieder! Und da habe ich ihn daran erinnert, dass die Nation, die uns das lehren will, singend in Belgien einmarschiert ist!"
„Jesus!" rief Jimmie. Er konnte sich denken, wie der alte Hermann Forster diese Bemerkung aufgenommen hatte! Der junge Teppichdesigner lächelte ziemlich traurig. „Er sagt, es kommt davon, dass ich Khaki angezogen habe. Aber die Wahrheit ist, dass ich schon vorher von diesen Gedanken erfüllt war und dass sie dann auf einmal zur Entscheidung gedrängt haben. Meine Einberufung stand bevor, und ich musste mich entscheiden, so oder so. Ich entschloss mich zu kämpfen - und als ich den Entschluss erst einmal gefasst hatte, wollte ich auch sofort dabei sein." Emil machte eine Pause, sah seinen Freund an und fragte: „Und wie steht's mit dir?"
Jimmie war natürlich einer von denen, die sich dem Militärdienst entzogen hatten, einer von den verhassten „Drückebergern". Normalerweise hätte er das Emil erzählt, und die beiden hätten sich eins ins Fäustchen gelacht. Doch jetzt war Emil in Khaki, war Emil ein Patriot; vielleicht war es nicht klug, ihm völlig zu vertrauen! „Sie haben mich noch nicht geholt", sagte Jimmie, und dann: „So sicher wie früher bin ich mir allerdings nicht mehr, aber es geht noch nicht so weit, dass ich Soldat werden will - ich weiß nicht, ob ich das aushalten könnte, mich so herumkommandieren zu lassen, wie das der Kerl mit euch macht."
Emil lachte. „Kannst du dir nicht vorstellen, dass ich üben will?"
„Aber muss er euch denn mit solchen Ausdrücken beschimpfen?"
„Das gehört nun mal dazu - das stört keinen. Er bringt uns in Schwung - und das wollen wir."
Für Jimmie war dieser Gesichtspunkt so neu, dass er nicht wusste, was er antworten sollte.
„Weißt du", fuhr der andere fort, „wenn du wirklich vorhast zu kämpfen, dann bist du auch mit ganzer Seele dabei; es ist ganz merkwürdig, wie deine Gefühle sich wandeln. Du stellst dir vor, du stehst dem Feind gegenüber, und weißt, dass dein Erfolg von der Disziplin abhängt; wenn ein Führer da ist, und besonders, wenn du das Gefühl hast, dass er seine Sache versteht, dann bist du froh, dass er dir was beibringt, damit die ganze Maschine so läuft, wie du es haben willst. Ich weiß, aus meinem Munde klingt das komisch, aber ich habe gelernt, die militärische Disziplin zu lieben." Und Emil lachte, ein nervöses Lachen. „Diese Armee meint es ernst, das darfst du glauben, und leistet gründliche Arbeit. Die kämpfen da drüben in Europa seit dreieinhalb Jahren und schicken ihre besten Leute herüber, um uns was beizubringen, und wir klotzen ran und lernen - ich sage dir, wir schinden uns ab, als ob der Teufel hinter uns her wäre!"

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Es war so seltsam, dergleichen aus dem Mund Emil Forsters zu hören! Jimmie konnte es kaum fassen - die Welt glitt ihm unter den Füßen fort. Die sozialistische Bewegung wurde auf Abwege geführt - von den Militaristen auf ihre Seite gezogen! Er wagte das nicht recht auszusprechen, deutete aber vorsichtig an: „Hast du keine Angst, dass wir uns an das Kämpfen gewöhnen könnten - an die militärische Disziplin und das alles? Kann doch sein, sie schmieren uns an - die Plutokraten."
„Ich weiß", sagte der andere. „Daran habe ich auch schon gedacht, und ich glaube auch, dass sie es versuchen werden - nur zu diesem Zweck wollen sie überhaupt die Ausbildung für alle. Dagegen müssen wir uns wehren, das ist alles; dagegen müssen wir uns sofort wehren - um klarzustellen, warum wir in diesen Krieg ziehen. Wir müssen es den Leuten erklären - dass dies ein Krieg ist, der der ganzen Welt die Demokratie bringen soll. Wenn wir das den Leuten einhämmern können, haben die Imperialisten keine Chance mehr."
„Wenn ihr das schaffen könnt, dann natürlich . . .", begann Jimmie zögernd.
„Aber wir sind doch schon dabei!" rief Emil. „Wir tun es doch tagtäglich. Nimm doch nur zum Beispiel diesen Streik hier in Leesville." „Welchen Streik?"
„Ja, weißt du denn nicht, dass sie in den Empire Shops wieder die Arbeit niedergelegt hatten?" „Nein, keine Ahnung."
„Die Leute sind in den Ausstand getreten, und die Regierung hat eine Schlichtungskommission geschickt und beide Seiten dazu gezwungen, einen Schiedsspruch zu akzeptieren. Sie haben den alten Granitch fertiggemacht - er musste die Gewerkschaft anerkennen und den Achtstundentag als Grundlage bewilligen."
„Mein Gott!" rief Jimmie. Dafür war er in den Empirewerken eingetreten und von dem jungen Lacey Granitch verflucht worden; dafür hatte er sich ins Gefängnis stecken und von den Läusen auffressen lassen! Und nun hatte die Regierung den Arbeitern geholfen, ihre Forderungen durchzusetzen! Es war das erste Mal - buchstäblich das allererste Mal in Jimmies ganzem Leben -, dass er sich veranlasst fühlte, sich die Regierung einmal nicht als Feind und Sklaventreiber vorzustellen. „Wie hat es Granitch denn geschluckt?" fragte er. „Ach, mühsam! Er hat gedroht, sich zurückzuziehen und die Regierung seinen Betrieb führen zu lassen; als er dann aber feststellen musste, dass die Regierung durchaus dazu bereit war, gab er den Bluff auf. Und sieh mal - hier ist noch etwas!" Emil fasste in die Innentasche seines Mantels und zog einen Zeitungsausschnitt heraus. „Ashton Chalmers hat neulich bei einem Bankett anlässlich einer Bankierstagung eine Rede gehalten. Lies mal!" Jimmie las im Gehen die Zeilen, die Emil mit Bleistift unterstrichen hatte. „Ob wir wollen oder nicht, wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass die alte Ordnung tot ist Wir gehen einer neuen Zeit entgegen, in der die Arbeiter zu ihrem Recht kommen werden. Wenn wir nicht als hoffnungslos Gestrige zurückbleiben wollen, dann müssen wir uns ranhalten und unser Teil dazu beitragen, diese neue Zeit einzuführen, die andernfalls mit Blutvergießen und Zerstörung kommen wird." „Ist denn das die Möglichkeit!" sagte Jimmie. „Leesville hat es fast umgehaun", sagte Emil. „Du hättest die Zeitungen sehen sollen, die die Rede abgedruckt haben! Als ob Gott im Himmel verrückt geworden wäre, und die Pfaffen in den Kirchen müssten es bekanntgeben!" Den kleinen Maschinenarbeiter durchfuhr plötzlich ein Gedanke. Er packte seinen Freund beim Arm. „Emil!" rief er. „Erinnerst du dich an das eine Mal, wo Ashton Chalmers und der alte Granitch zu unserer Versammlung in die Oper gekommen sind?" „Aber klar!" sagte Emil. „Vielleicht war das der Anstoß!" „Nichts wahrscheinlicher als das." „Und ich war's, der ihm die Eintrittskarten verkauft hat!" Jimmie bebte vor Begeisterung bis in die Zehenspitzen. Solcherart ist die Belohnung, die hin und wieder dem Herzen eines Propagandisten zuteil wird; er kämpft, von Hohn und Verzweiflung umgeben - und dann zeigt sich plötzlich, wie ein Lichtstrahl, der Beweis, dass er irgendwo, irgendwie eine andere Seele erreicht hat, dass er einen wirklichen Eindruck gemacht hat. Ashton Chalmers hatte den sozialistischen Redner gehört und war gegangen und hatte gelesen und sich informiert; er hatte die Macht dieser großen Weltbewegung für ökonomische Gerechtigkeit erkannt, er hatte die Fesseln und Schranken seiner Klasse durchbrochen und die Wahrheit verkündet über das, was er kommen sah. Als Jimmie die wunderbaren Worte las, die der Bankpräsident gesprochen hatte, war er dem Impuls, gegen Deutschland zu kämpfen, näher als je zuvor in seinem Leben!

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