| Zwei  Zuchthäusler unter sichKlinger bekam auch noch zu Haus sein Teil. Die Frau, die sich schon  Verschiedenes hatte anhören müssen, brummte. Was geht Dich das an. Lass  doch die Leute. Der Mann aber begehrte auf: wieso denn — wenn wir auch  selber keine Kinder haben, deswegen können sie doch mal hier etwas  Vernünftiges tun. Ein Spielplatz für die Kinder, und sie wissen, wo sie  hingehören. Die Frau schüttelte trotzdem missbilligend den Kopf: Mann,  Mann, dass Du immer noch so vorwitzig bist, und Josef sah die Frau  recht eigentümlich von der Seite an, etwas listig, etwas wie Abbitte  und etwas Trotz. Sie schwiegen dann. Die Frau musste sich mächtig  anstrengen, die Zügel in der Hand zu behalten, und sie hielt sie fest.  Josef hatte oft nicht übel Lust über die Stränge zu schlagen, aber er  ließ es sich, wenn auch knurrend, gefallen, wieder zurechtgerückt zu  werden. Er war ein äußerst gutmütiger Mensch und immer zu Späßen  aufgelegt. Er erzählte in einer Weise, wenn er einmal am Reden war, als  käme es ihm darauf an, den andern dasLeben von der rosigsten Seite  zu schildern, er ließ sie schmunzeln. Und doch verachteten ihn viele.  Der muss hinterlistig sein, sagten einige seiner Kollegen, denn  schließlich umsonst hat er doch nicht gesessen. Denn das Gerücht  darüber lief immer mit ihm. Es wurde durch Kollegen, mit denen er  damals gearbeitet hatte, weitergetragen, nur so in beiläufigen  Bemerkungen, denn niemand hatte ja eigentlich ein Interesse daran, das  zu wissen, jeder hatte wirklich mit sich genug zu tun. So war die Kunde  davon auch nach Arbeitsfriede gekommen, kaum dass er eingezogen war.  Die Leute sahen ihn mit scheelen Augen an, und hätte sich etwas  ereignet, ein Einbruch, Raub oder ähnliches im Ort oder in der nächsten  Umgebung, so hätten alle wie mit einer Stimme auf Klinger gewiesen.  Dabei war er der gemütlichste Mensch, und sie mussten oft über seine  Scherze lachen. Am meisten schiens ließen sie es die Frau fühlen. Sie  wurde wie man sagt offenkundig geschnitten. Kaum dass man einander  guten Tag sagte. Dabei war die Frau sehr arbeitsam, sie arbeitete mit  an der Güterabladestelle in der Station, war immer gleich freundlich  und hatte schon manchem mit gutem Rat ausgeholfen, wenn es sich gerade  traf, dass sie zu einer Sache dazu kam, wo man guten Rat brauchen  konnte. Die Frau trug die Spuren harter Arbeit auf dem Gesicht, die  eingefallenen Wangen, Sorgenfalten mehr als genug, und der gebückte  Gang ließen erkennen, dass es der Frau nicht leicht wurde. Von allen  Bewohnern kannte sie nur die Merkel näher, der sie mit Ratschlägen für  die Kinder half, und Anna war vielleicht auch die einzige, die  wirkliche Sympathie für sie hatte. Sie saßen manchmal zusammen in der  Küche und erzählten sich was. Trotzdem beklagte sich die Frau niemals,  sie sprach überhaupt über die Nachbarn so gut wie nichts, und auch Anna  hatte wenig Lust dazu, denn sie fürchtete die andern. Obwohl diese sie  eigentlich weniger beachteten. Sie ging als unscheinbar so mit drunter  durch. Josef Klinger war von Beruf Maschinist, er arbeitete jetzt in  einer Gasanstalt. Als junger Mensch hatte er verschiedentlich von der  Werkstatt Materialien und Werkzeuge mitgehen heißen, wofür er  mehreremals je einige Wochen und Monate Gefängnis abzusitzen hatte.  Dann heiratete er, und es ging eine Zeitlang alles glatt; bis er als  Maschinist in einer Dampfwäscherei ziemlich allein arbeitete, lustige  Gesellschaft hatte und eine Menge Geld verbrauchte. Der Inhaber hatte  eine Menge Vorräte aufgestapelt, die mit dem Betrieb eigentlich nichts  zu tun hatten. Ein groß angelegter Einbruch räumte damit auf, und es  stellte sich bei der Ermittlung, nachdem schon einige der Beteiligten  verhaftet waren, heraus, dass auch Klinger daran beteiligt war,  wenigstens um die Vorbereitungen gewusst hatte. Diesmal kam er auf  achtzehn Monate ins Zuchthaus. Die Frau nahm ihn bei seiner Entlassung  wieder in Empfang, aber er schien wenig verändert und blieb lustig und  guter Dinge. Er hatte eine gewisse Fixigkeit in allen seinen Bewegungen  hinzugelernt. Trotzdem musste etwas im Innern abhanden gekommen sein,  es schien alles nur Hülle und innen hohl. Die Frau sah manchmal  deutlich, dass er das Hin und Her der Entscheidung verlernt hatte, er  machte entweder auf den ersten Anhieb das oder jenes. Das war es, was  er vom Zuchthaus mitgebracht hatte.
 Man macht sich vielfach davon einen ganz falschen Begriff. Im  allgemeinen ist es nicht so schlimm, wie es die Leute machen. Der feste  Rückhalt, dass alle zugleich und gemeinsam arbeiten, macht bald  Vergnügen und gibt innere Ruhe, sobald es gelungen ist, sich über das  Aufsichtssystem, die Rohheit der Wärter, den Verwaltungsbürokratismus,  der die kleinste Möglichkeit immer wieder benutzt, dir zu beweisen,  dass du gefangen und ehrlos bist. Vielen, ja den meisten gelingt es,  sich darüber hinwegzusetzen. Der Mensch findet sich in alles und die  innere Freude, die in jedem Menschen ist, weil er überhaupt lebt, lässt  sich auf die Dauer nicht unterdrücken. Anders liegt es mit der  Verachtung und dem Hass, der dich umgibt, die immer wieder  unterstrichene Tatsache als Stück Vieh behandelt zu werden. Das greift  an das Kostbarste, was der Mensch besitzt, die innere Würde der  menschlichen Existenz. Das Ehrlose kann ja verschieden gedeutet werden.  Ich weiß nicht, welche Ehre darin besteht, mit den Gesetzen und  vornehmlich den Eigentumsgesetzen eines bürgerlichen Staates  auszukommen. Es mag Klugheit sein, sich neutral zu verhalten und ohne  Konflikt auszukommen, es mag sogar die Notwendigkeit dazu bestehen, da  alle Energien dagegen gesammelt werden müssen in dem gemeinsamen, alle  Kämpfer umfassenden Willen zur Revolution, deren aufklärender  Vorbereitung und Verwirklichung. Die soziale Revolution, die um die  Gemeinschaft geht, kann
 sich nicht in Einzelauseinandersetzungen auflösen, das bedeutet schon  Eingeständnis der künftigen Niederlage, und ist einfach nichts mehr als  eine andere Form der Selbstvernichtung. Nachdenken soll man aber  darüber, dass der bürgerliche Staat und die Familie eine Erziehung  unter ihren Gesetzen geschaffen haben, die die alleinige Unterscheidung  von Gut und Böse für sich in Anspruch nehmen, in einer  dementsprechenden Religion   die   menschlichen   Empfindungen,  die  eingeengt darüber hinaus wuchern, aufsaugen, und dem Menschen eine  Zwangsjacke anlegen, die furchtbarer ist, als die für die  Widerstrebenden   eingerichtete,   das   Zuchthaus.  Hier wird  der  Mensch schon in seiner ersten Entwicklung gebrochen und zum  Arbeitssklaven gestempelt, dessen Los schlimmer als das eines mit der  Peitsche getriebenen Eingesperrten ist, da er nach dem äußeren Schein  frei bleibt. Die gedankliche Erfassung dieser Dinge ist zwar erst in  ihrer vollen Klarheit möglich, wenn alles schon geschehen, und der  Mensch schon gebrochen ist. Sie wirkt trotzdem aber bereits mit  unbewusst im Gefühl, in der Verzweiflung, in der Lebensverbitterung der  Einzelnen und in der Schwäche, Trieben, die sich aus dem oder jenem  Grunde nicht einordnen ließen, freien Lauf zulassen. Wir sollen nicht  immer in Anlehnung an die bürgerliche Ideologie sagen, die Not und die  schlechte Erziehung schafft „Verbrecher". Das ist richtig vom  bürgerlichen Standpunkt, weil sie sonst für die bürgerliche  Gesellschaft eingefangen worden wären. Wir müssen sagen, es ist die  menschlichste Verbitterung den meisten dieser zutiefst unglücklichen  Menschen nicht bewusst,  über ein  Machtsystem  so genannter  menschlicher Ordnung, die den Menschen nicht sich frei entwickeln und  leben lässt, weil sie den Begriff der Vorrechte kennt und diese  Bevorrechteten   schützen   muss.   Nur Gemeinschaft,  deren Macht  gleiche und gemeinsame Arbeit ist, vermag die Menschen frei in sich  aufzunehmen, sich frei entwickeln zu lassen und in die  Gemeinschaftsordnung einzufügen, zu erziehen. Es gibt keine Triebe  mehr, die außerhalb bleiben und Umwege suchen müssen, sie werden zum  Wohle aller in gemeinsamer Arbeit, die zugleich das Glück ist,  umgesetzt. Sie gestalten alle, als menschliche Regungen und jedes  Menschengefühl ist im Urgrund für den Menschen gut, das Leben farbig  und leuchtend, dass es zum bunten Spiel wird. Wir sind noch nicht so  weit. Wir liegen noch im Kampf darum und gehen noch zugrunde. Noch  Generationen werden um das Gleichgewicht der Übergangszeit ringen  müssen. Aber das Ziel muss jedem feststehen. Und darum, richtet nicht  nach dem äußeren Schein. Man sagt der Verbrecher ist arbeitsscheu. Er  will es leichter haben. Derjenige, der richtet, muss auch schwer genug  arbeiten. So kann man das Problem nicht anfassen: Wenn alle arbeiten  werden, und mit Freude arbeiten werden, werden auch diese automatisch  mit einbezogen sein. Man muss den Urgrund kennen, dem sie entwachsen  sind. Seid nicht selbst wieder diejenigen, die ein Vorrecht wollen. Wie  Ihr klüger gewesen seid. Weil Ihr schon näher in der Gemeinschaft seid.  Aber ist das allein Euer Verdienst?
 So hätte Klinger Josef sprechen können, wenn er die Gabe dazu gehabt  hätte, und wenn seine Frau nicht gewesen wäre, denn die dachte in  solchen Dingen für ihn, und wenn sie nicht ab und zu sich angebrummt  und auch mal heftig gestritten hätten, dann säße Josef sicherlich nicht  mehr in Arbeitsfriede. Der Verdienst, den er jetzt hatte, war schlecht,  und dabei musste er sich immer sagen, dass er mit seiner  Maschinistenprüfung auch bessere Arbeit machen könnte. Aber die Frau  hielt für ihn durch, und er fühlte sich ganz wohl dabei. Er hatte einen  guten Freund aus der Strafzeit zurückbehalten, der ihn öfters besuchen  kam. Sie saßen dann gemütlich zusammen am Tisch in der Stube oder  draußen in der Laube und tischten alte Erinnerungen auf. Sie lachten  dabei, als ob sie die vergnüglichste Zeit ihres Lebens hinter sich  hätten. Jeder kameradschaftliche Zug prägt sich tief in die Erinnerung  ein und ersetzt zu einem Teil das, was an Menschenwürde verloren geht.  Sie blieben, wie sie Nachbarn in der Schlosserwerkstatt gewesen waren  drinnen, auch draußen die besten Freunde, und tauschten nach wie vor  ihre Erfahrungen miteinander aus. Obwohl sie andere Wege jetzt gingen.  Carl hatte sein Einbrechergewerbe wieder aufgenommen und sich ziemliche  Berühmtheit darin erworben. Er sprach darüber nüchtern und kühl wie ein  Fachmann. Es kam auch vor, dass er in manchen Dingen Josef um Rat  fragte. Aber Carl hatte ohne ein Wort des Spottes davon Kenntnis  genommen, dass Josef mit dem Gesetz nicht mehr in Konflikt kommen  wolle. Ich tauge nicht dazu, sagte Josef mit einem Anflug  melancholischer Selbstironie.  Und der andere bestätigte das, wenn er  das reinliche Häuschen sah, den Garten, in dem Josef mit dem Spaten  stand und gerade beim Umgraben war. Du hast es ganz schön hier,  bemerkte Carl ganz ohne Neid. Kopfschüttelnd setzte er hinzu: Für mich  wäre das nichts. Ich muss Leben um mich haben. Es ist sonst traurig  genug. Einbrecher sein ist ein schwereres Gewerbe als mancher denkt.  Man muss Nerven aus Stahl haben, und es bringt meist nichts ein. Das,  was man hat, geht schnell drauf, es sind auch zu viele, die dran  hängen. Es ist mehr ein nervenaufreibender Sport, dessen  Zukunftsaussichten gering sind. Das Alter setzt früh ein, und man wird  schnell mutlos. Gerade an diesem Tage kam Carl noch auf Besuch vorbei.  Er klagte, dass es bergab ging. Er hatte keine richtige Traute mehr,  äußerte er sich. Ich spürs im Blut, sagte er müde beim Abschied, ich  gehe bald hoch. Nicht dass die Greifer mich fragen, ich laufe ihnen  ordentlich schon in die Arme. Ich bin ganz zappelig. Ich hab' auch  keine richtigen Leute mehr. Dann verabschiedete er sich. Lass bald  wieder von Dir hören, rief Josef ihm nach. Es ging ihm ans Herz, wie  der losging. Eine wilde Wut hatte ihn gepackt und er hätte jemanden  gewünscht, an dem er sie hätte auslassen können. Aber die Frau sah  scheu und ängstlich auf ihn und es war doch gut, dass er sie hatte.
 
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