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Franz Jung - Arbeitsfriede (1922)
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Zwei Zuchthäusler unter sich

Klinger bekam auch noch zu Haus sein Teil. Die Frau, die sich schon Verschiedenes hatte anhören müssen, brummte. Was geht Dich das an. Lass doch die Leute. Der Mann aber begehrte auf: wieso denn — wenn wir auch selber keine Kinder haben, deswegen können sie doch mal hier etwas Vernünftiges tun. Ein Spielplatz für die Kinder, und sie wissen, wo sie hingehören. Die Frau schüttelte trotzdem missbilligend den Kopf: Mann, Mann, dass Du immer noch so vorwitzig bist, und Josef sah die Frau recht eigentümlich von der Seite an, etwas listig, etwas wie Abbitte und etwas Trotz. Sie schwiegen dann. Die Frau musste sich mächtig anstrengen, die Zügel in der Hand zu behalten, und sie hielt sie fest. Josef hatte oft nicht übel Lust über die Stränge zu schlagen, aber er ließ es sich, wenn auch knurrend, gefallen, wieder zurechtgerückt zu werden. Er war ein äußerst gutmütiger Mensch und immer zu Späßen aufgelegt. Er erzählte in einer Weise, wenn er einmal am Reden war, als käme es ihm darauf an, den andern das
Leben von der rosigsten Seite zu schildern, er ließ sie schmunzeln. Und doch verachteten ihn viele. Der muss hinterlistig sein, sagten einige seiner Kollegen, denn schließlich umsonst hat er doch nicht gesessen. Denn das Gerücht darüber lief immer mit ihm. Es wurde durch Kollegen, mit denen er damals gearbeitet hatte, weitergetragen, nur so in beiläufigen Bemerkungen, denn niemand hatte ja eigentlich ein Interesse daran, das zu wissen, jeder hatte wirklich mit sich genug zu tun. So war die Kunde davon auch nach Arbeitsfriede gekommen, kaum dass er eingezogen war. Die Leute sahen ihn mit scheelen Augen an, und hätte sich etwas ereignet, ein Einbruch, Raub oder ähnliches im Ort oder in der nächsten Umgebung, so hätten alle wie mit einer Stimme auf Klinger gewiesen. Dabei war er der gemütlichste Mensch, und sie mussten oft über seine Scherze lachen. Am meisten schiens ließen sie es die Frau fühlen. Sie wurde wie man sagt offenkundig geschnitten. Kaum dass man einander guten Tag sagte. Dabei war die Frau sehr arbeitsam, sie arbeitete mit an der Güterabladestelle in der Station, war immer gleich freundlich und hatte schon manchem mit gutem Rat ausgeholfen, wenn es sich gerade traf, dass sie zu einer Sache dazu kam, wo man guten Rat brauchen konnte. Die Frau trug die Spuren harter Arbeit auf dem Gesicht, die eingefallenen Wangen, Sorgenfalten mehr als genug, und der gebückte Gang ließen erkennen, dass es der Frau nicht leicht wurde. Von allen Bewohnern kannte sie nur die Merkel näher, der sie mit Ratschlägen für die Kinder half, und Anna war vielleicht auch die einzige, die wirkliche Sympathie für sie hatte. Sie saßen manchmal zusammen in der Küche und erzählten sich was. Trotzdem beklagte sich die Frau niemals, sie sprach überhaupt über die Nachbarn so gut wie nichts, und auch Anna hatte wenig Lust dazu, denn sie fürchtete die andern. Obwohl diese sie eigentlich weniger beachteten. Sie ging als unscheinbar so mit drunter durch. Josef Klinger war von Beruf Maschinist, er arbeitete jetzt in einer Gasanstalt. Als junger Mensch hatte er verschiedentlich von der Werkstatt Materialien und Werkzeuge mitgehen heißen, wofür er mehreremals je einige Wochen und Monate Gefängnis abzusitzen hatte. Dann heiratete er, und es ging eine Zeitlang alles glatt; bis er als Maschinist in einer Dampfwäscherei ziemlich allein arbeitete, lustige Gesellschaft hatte und eine Menge Geld verbrauchte. Der Inhaber hatte eine Menge Vorräte aufgestapelt, die mit dem Betrieb eigentlich nichts zu tun hatten. Ein groß angelegter Einbruch räumte damit auf, und es stellte sich bei der Ermittlung, nachdem schon einige der Beteiligten verhaftet waren, heraus, dass auch Klinger daran beteiligt war, wenigstens um die Vorbereitungen gewusst hatte. Diesmal kam er auf achtzehn Monate ins Zuchthaus. Die Frau nahm ihn bei seiner Entlassung wieder in Empfang, aber er schien wenig verändert und blieb lustig und guter Dinge. Er hatte eine gewisse Fixigkeit in allen seinen Bewegungen hinzugelernt. Trotzdem musste etwas im Innern abhanden gekommen sein, es schien alles nur Hülle und innen hohl. Die Frau sah manchmal deutlich, dass er das Hin und Her der Entscheidung verlernt hatte, er machte entweder auf den ersten Anhieb das oder jenes. Das war es, was er vom Zuchthaus mitgebracht hatte.
Man macht sich vielfach davon einen ganz falschen Begriff. Im allgemeinen ist es nicht so schlimm, wie es die Leute machen. Der feste Rückhalt, dass alle zugleich und gemeinsam arbeiten, macht bald Vergnügen und gibt innere Ruhe, sobald es gelungen ist, sich über das Aufsichtssystem, die Rohheit der Wärter, den Verwaltungsbürokratismus, der die kleinste Möglichkeit immer wieder benutzt, dir zu beweisen, dass du gefangen und ehrlos bist. Vielen, ja den meisten gelingt es, sich darüber hinwegzusetzen. Der Mensch findet sich in alles und die innere Freude, die in jedem Menschen ist, weil er überhaupt lebt, lässt sich auf die Dauer nicht unterdrücken. Anders liegt es mit der Verachtung und dem Hass, der dich umgibt, die immer wieder unterstrichene Tatsache als Stück Vieh behandelt zu werden. Das greift an das Kostbarste, was der Mensch besitzt, die innere Würde der menschlichen Existenz. Das Ehrlose kann ja verschieden gedeutet werden. Ich weiß nicht, welche Ehre darin besteht, mit den Gesetzen und vornehmlich den Eigentumsgesetzen eines bürgerlichen Staates auszukommen. Es mag Klugheit sein, sich neutral zu verhalten und ohne Konflikt auszukommen, es mag sogar die Notwendigkeit dazu bestehen, da alle Energien dagegen gesammelt werden müssen in dem gemeinsamen, alle Kämpfer umfassenden Willen zur Revolution, deren aufklärender Vorbereitung und Verwirklichung. Die soziale Revolution, die um die Gemeinschaft geht, kann
sich nicht in Einzelauseinandersetzungen auflösen, das bedeutet schon Eingeständnis der künftigen Niederlage, und ist einfach nichts mehr als eine andere Form der Selbstvernichtung. Nachdenken soll man aber darüber, dass der bürgerliche Staat und die Familie eine Erziehung unter ihren Gesetzen geschaffen haben, die die alleinige Unterscheidung von Gut und Böse für sich in Anspruch nehmen, in einer dementsprechenden Religion   die   menschlichen   Empfindungen,  die eingeengt darüber hinaus wuchern, aufsaugen, und dem Menschen eine Zwangsjacke anlegen, die furchtbarer ist, als die für die Widerstrebenden   eingerichtete,   das   Zuchthaus.  Hier wird  der Mensch schon in seiner ersten Entwicklung gebrochen und zum Arbeitssklaven gestempelt, dessen Los schlimmer als das eines mit der Peitsche getriebenen Eingesperrten ist, da er nach dem äußeren Schein frei bleibt. Die gedankliche Erfassung dieser Dinge ist zwar erst in ihrer vollen Klarheit möglich, wenn alles schon geschehen, und der Mensch schon gebrochen ist. Sie wirkt trotzdem aber bereits mit unbewusst im Gefühl, in der Verzweiflung, in der Lebensverbitterung der Einzelnen und in der Schwäche, Trieben, die sich aus dem oder jenem Grunde nicht einordnen ließen, freien Lauf zulassen. Wir sollen nicht immer in Anlehnung an die bürgerliche Ideologie sagen, die Not und die schlechte Erziehung schafft „Verbrecher". Das ist richtig vom bürgerlichen Standpunkt, weil sie sonst für die bürgerliche Gesellschaft eingefangen worden wären. Wir müssen sagen, es ist die menschlichste Verbitterung den meisten dieser zutiefst unglücklichen Menschen nicht bewusst,  über ein  Machtsystem  so genannter menschlicher Ordnung, die den Menschen nicht sich frei entwickeln und leben lässt, weil sie den Begriff der Vorrechte kennt und diese Bevorrechteten   schützen   muss.   Nur Gemeinschaft,  deren Macht gleiche und gemeinsame Arbeit ist, vermag die Menschen frei in sich aufzunehmen, sich frei entwickeln zu lassen und in die Gemeinschaftsordnung einzufügen, zu erziehen. Es gibt keine Triebe mehr, die außerhalb bleiben und Umwege suchen müssen, sie werden zum Wohle aller in gemeinsamer Arbeit, die zugleich das Glück ist, umgesetzt. Sie gestalten alle, als menschliche Regungen und jedes Menschengefühl ist im Urgrund für den Menschen gut, das Leben farbig und leuchtend, dass es zum bunten Spiel wird. Wir sind noch nicht so weit. Wir liegen noch im Kampf darum und gehen noch zugrunde. Noch Generationen werden um das Gleichgewicht der Übergangszeit ringen müssen. Aber das Ziel muss jedem feststehen. Und darum, richtet nicht nach dem äußeren Schein. Man sagt der Verbrecher ist arbeitsscheu. Er will es leichter haben. Derjenige, der richtet, muss auch schwer genug arbeiten. So kann man das Problem nicht anfassen: Wenn alle arbeiten werden, und mit Freude arbeiten werden, werden auch diese automatisch mit einbezogen sein. Man muss den Urgrund kennen, dem sie entwachsen sind. Seid nicht selbst wieder diejenigen, die ein Vorrecht wollen. Wie Ihr klüger gewesen seid. Weil Ihr schon näher in der Gemeinschaft seid. Aber ist das allein Euer Verdienst?
So hätte Klinger Josef sprechen können, wenn er die Gabe dazu gehabt hätte, und wenn seine Frau nicht gewesen wäre, denn die dachte in solchen Dingen für ihn, und wenn sie nicht ab und zu sich angebrummt und auch mal heftig gestritten hätten, dann säße Josef sicherlich nicht mehr in Arbeitsfriede. Der Verdienst, den er jetzt hatte, war schlecht, und dabei musste er sich immer sagen, dass er mit seiner Maschinistenprüfung auch bessere Arbeit machen könnte. Aber die Frau hielt für ihn durch, und er fühlte sich ganz wohl dabei. Er hatte einen guten Freund aus der Strafzeit zurückbehalten, der ihn öfters besuchen kam. Sie saßen dann gemütlich zusammen am Tisch in der Stube oder draußen in der Laube und tischten alte Erinnerungen auf. Sie lachten dabei, als ob sie die vergnüglichste Zeit ihres Lebens hinter sich hätten. Jeder kameradschaftliche Zug prägt sich tief in die Erinnerung ein und ersetzt zu einem Teil das, was an Menschenwürde verloren geht. Sie blieben, wie sie Nachbarn in der Schlosserwerkstatt gewesen waren drinnen, auch draußen die besten Freunde, und tauschten nach wie vor ihre Erfahrungen miteinander aus. Obwohl sie andere Wege jetzt gingen. Carl hatte sein Einbrechergewerbe wieder aufgenommen und sich ziemliche Berühmtheit darin erworben. Er sprach darüber nüchtern und kühl wie ein Fachmann. Es kam auch vor, dass er in manchen Dingen Josef um Rat fragte. Aber Carl hatte ohne ein Wort des Spottes davon Kenntnis genommen, dass Josef mit dem Gesetz nicht mehr in Konflikt kommen wolle. Ich tauge nicht dazu, sagte Josef mit einem Anflug melancholischer Selbstironie.  Und der andere bestätigte das, wenn er das reinliche Häuschen sah, den Garten, in dem Josef mit dem Spaten stand und gerade beim Umgraben war. Du hast es ganz schön hier, bemerkte Carl ganz ohne Neid. Kopfschüttelnd setzte er hinzu: Für mich wäre das nichts. Ich muss Leben um mich haben. Es ist sonst traurig genug. Einbrecher sein ist ein schwereres Gewerbe als mancher denkt. Man muss Nerven aus Stahl haben, und es bringt meist nichts ein. Das, was man hat, geht schnell drauf, es sind auch zu viele, die dran hängen. Es ist mehr ein nervenaufreibender Sport, dessen Zukunftsaussichten gering sind. Das Alter setzt früh ein, und man wird schnell mutlos. Gerade an diesem Tage kam Carl noch auf Besuch vorbei. Er klagte, dass es bergab ging. Er hatte keine richtige Traute mehr, äußerte er sich. Ich spürs im Blut, sagte er müde beim Abschied, ich gehe bald hoch. Nicht dass die Greifer mich fragen, ich laufe ihnen ordentlich schon in die Arme. Ich bin ganz zappelig. Ich hab' auch keine richtigen Leute mehr. Dann verabschiedete er sich. Lass bald wieder von Dir hören, rief Josef ihm nach. Es ging ihm ans Herz, wie der losging. Eine wilde Wut hatte ihn gepackt und er hätte jemanden gewünscht, an dem er sie hätte auslassen können. Aber die Frau sah scheu und ängstlich auf ihn und es war doch gut, dass er sie hatte.


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