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Franz Jung - Arbeitsfriede (1922)
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Wenn es den bösen Nachbarn nicht gefällt

Dann soll einer keinen Frieden haben, sagen die Leute. Das ist aber irrig. Meistens liegen die Dinge anders. Denn die bösen Nachbarn fallen ja auch nicht vom Himmel, sondern es ist oft so, dass man sich die bösen Nachbarn züchtet, auch wenn man glaubt, im Recht zu sein.
Hans Merkel verstand sich mit den Leuten nicht. Er sprach fast nie mit ihnen, ging sogar mürrisch beiseite, wenn es manchmal nicht zu umgehen schien. Vielleicht hätten die andern gesagt, er sei ein Schleicher, wenn sein Benehmen nicht so herausfordernd gewesen wäre. Dafür zog er sich aber gerade ihre Bosheit zu. Boshafte Menschen können einen furchtbar quälen, gerade wenn man ganz für sich sein und Ruhe haben will. Ich weiß nicht, ob jemand nur zu seinem Vergnügen boshaft ist. Der Boshafte will doch etwas damit, es spricht etwas aus ihm heraus, eine Bitte, eine Sehnsucht, ein Leid. Darauf fordert er Antwort und beißt sich darin fest, und es wird alles missgestaltet, wenn das Leben äußerlich ungestört weitergeht. Hans ging den Nachbarn aus dem Wege, und diese versäumten keine Gelegenheit, ihn das fühlen zu lassen, auf ihre Art, versteht sich.
Hans war mit sich selbst unzufrieden. Er hatte keine Ruhe, was er auch anfassen mochte. Er stammte aus einer kleinen Kreisstadt, mehr ein großes Dorf, das ein paar Fabrikbetriebe in der Nähe hatte. Der Vater war dort Arbeiter gewesen und dann nach einem Unfall Pförtner geworden. Hans als Pförtnerssohn nahm von Anfang an eine Doppelstellung ein. Der Vater nahm Aufträge nebenbei an, bekam auch Trinkgelder, so dass er sich nicht schlechter stand wie ein Arbeiter. Dazu spielte Hans mit den Kindern der Beamten, die im Verwaltungsgebäude wohnten. Er lernte daher nichts, was ihm als Arbeiter hätte nützlich sein können, sondern wollte Bäcker werden. Da er im Ort blieb, vergingen die Jahre schnell und ohne besondere Ereignisse. Er gewann ein paar Kameraden, die auf den Techniker hinauswollten und zeichneten, und auch Hans machte das besonderes Vergnügen. Dann fiel daheim der Haushalt auseinander, als die Mutter starb, und Hans ging auf Wanderschaft. In den großen Städten sieht aber das Bäckerspielen anders aus als im Dorf. Daran hatte er nicht gedacht, er wechselte oft, suchte vergebens nach den kleinen selbständigen Verhältnissen, die er gewohnt war, lernte noch etwas Koch zu, als er einmal in einem der Riesenhotels in Stellung war und damals schon den Plan gefasst hatte, die Bäckerei über Bord zu werfen und zur See zu gehen. Es dauerte auch gar nicht lange, da fuhr er auf dem Lloyd, erst als Konditor, dann als Verpflegungssteward, wobei er eine Menge Geld verdiente. Da begann er auch Geld auszugeben und das Leben von der leichten Seite zu nehmen. Die Patrone und Wirte von Hoboken, Antwerpen, Hamburg und Boston wurden ihm gute Freunde und Hans schwamm im lustigsten Leben, wenngleich er auch meist zum Narren gehalten wurde. Denn er blieb ein sehr scheuer Bursche, der froh war, wenn er genug gesoffen hatte, dass er voll war und man ihn in Ruhe ließ. Dann verlor er mehrmals schnell hintereinander Chance, ein Verpflegungssteward kann sich bei den üblichen Schiebungen und Schmiergeldern nie lange halten, vor allem wenn der Dampfer viel Mannschaftswechsel hat, so dass der Ruf in die Brüche geht und damit auch der Kredit und der Spaß ihn zum besten zu halten und zu rupfen. Es musste rasch zugegriffen werden, Hans arbeitete eine Zeitlang im Hafen, fuhr zwischendurch auf kleinen Kähnen als Koch, aber mit einer solchen Unruhe in den Knochen, dass er nicht mehr hochkam. Wer weiß, was geschehen wäre, wenn nicht der Krieg einen dicken Strich darunter gemacht hätte. Hans war gerade im Lande, und war gar nicht mal besonders unglücklich. Eine andere Luft musste für ihn kommen. Ich glaube sogar, dass es damals fast allen Menschen so gegangen ist. Ob Krieg oder nicht, das war nicht so wesentlich wie die Explosion dieser drückenden Atmosphäre, die das Proletariat hätte zum Erwachen bringen müssen statt den braven Spießbürger. Aber trotzdem scheint dieser Umweg notwendig und in mancher Hinsicht gut gewesen zu sein. Hans wurde also sogleich eingezogen, das heißt er meldete sich selbst. Es verging fast ein Jahr mit den Zuteilungen und Ausbildungen, denn Hans war einer Marinetruppe überwiesen, bis er schließlich doch als Infanterist ins Feld kam. Jetzt sah er allerdings schon die Sache mit andern Augen an, hatte sich auch einen innern Halt mehr gegeben. Er brachte sich draußen bei der ersten Gelegenheit einen Heimatschuss bei, den er so sorgsam behandelte, dass er auch die ganze übrige Zeit des Krieges meistens reklamiert blieb. Denn er hatte das Zeichnen wieder aufgefrischt und zeichnete in den Patent- und Industriebüros, schließlich schon ein paar Monate in der Konstruktionsabteilung einer Großfirma. Das Auskommen schien gesichert. Inzwischen hatte er das nachgeholt, was er so eigentlich durch seine Fahrten hinausgeschoben hatte. Mit sich selbst innerlich etwas zu Rande zu kommen und sich auf beide Beine zu stellen oder wie man sagt, das Leben zu nehmen wie es ist. Von den Frauen hatte er eine nur sehr beschränkte Vorstellung gehabt. Von denjenigen, die er zu Haus gesehen hatte und denen in den Salons, eigentlich die
einzigen, die er wirklich kannte, war doch ein weiter Abstand, schien es ihm, und sie interessierten ihn nicht eben besonders. Daher schloss er sich immer mehr ab, und las ganze Nächte lang und beschäftigte sich auch mit politischen Fragen. Denn manches kam ihm wie eine Offenbarung vor. Er hatte trotz allem von der Welt genug gesehen, um sich ein Urteil bilden zu können. Er empfand Freude darüber, nachzudenken, zu vergleichen, und studierte nur umso eifriger. Hinzu kam, dass sein Verkehr, ein sehr beschränkter und zuletzt fast ausschließlich politischen Zusammenkünften gewidmet war. Mit den Kollegen stand er ganz gut, solange er sich noch nicht ganz von ihnen absonderte. Da er aber verschiedene Male etwas angetrunken ins Büro gekommen war, so nahm man an, er hat anderswo schon seine Gesellschaft und ließ ihn in Frieden. Soweit war alles klar, wenn nicht zum Teil alles wieder durch seine Heirat umgeschmissen worden wäre. Die Heirat war ein sehr schneller Entschluss, der wie eine Erleuchtung über ihn gekommen war und auch sofort ausgeführt wurde. Schwierigkeiten lagen nicht im Wege. Im Kreis mit den politisch Gleichgesinnten war ein junges Mädchen, das die Versammlungen noch aufsuchte, weil ihr Liebhaber ein eifriges Mitglied gewesen war und die ganz fest hoffte, diese Leute würden ihren Geliebten rächen, denn der war nach einem Straßenkampf von den Regierungstruppen ergriffen und an die Wand gestellt worden. Das Mädchen zog ihn besonders an, weil es so still und zugleich so fanatisch war. Sie schien ein Wesen, das Ruhe spendet und doch einen wieder in die Welt stößt, beides brauchte Hans. Es war genug herumgetrieben, suchte einen festen Halt, wollte aber auch nicht sitzen bleiben. Anna brachte ein kleines Kind von einigen Monaten in die Ehe mit. Das war es, was den Entschluss der Heirat bei Hans erst recht in die Tat umsetzte. Er wollte nicht länger mit ansehen, wie sich Anna mit dem Wurm plagen musste, um sich durchzuschlagen. Das Kind war noch von dem Gefallenen und machte ihnen später noch mehr zu schaffen. Es wollte nicht recht gedeihen, und die Mutter war unglücklich. Nach drei Jahren voll ziemlicher Harmonie bekamen sie ein zweites Kind, das sich kräftig entwickelte. Dieses Kind söhnte manche kleine Unstimmigkeit und Enttäuschung, die in Hans aufgewachsen war, wieder aus.
Trotzdem wurde Hans in immer steigendem Grade mit sich unzufrieden. Er sehnte sich fort. Was er anfasste, kam nicht recht vorwärts. Man hätte sagen können, weil er es bald wieder liegen ließ. Er zog die andern in seine Unruhe hinein. Wenn er zu ihnen sprach, war es immer, als ob er sie verhöhnen und beleidigen wollte. Man wusste nie, wie man mit ihm dran war. Der politischen Bewegung, der er sich angeschlossen hatte, leistete er anfangs gute Dienste, er war einer der Eifrigsten. Dann aber ließ es nach. Es ging ihm zu langsam, er berechnete schon im voraus die einzelnen Niederlagen, die sie erleiden würden. Das machte ihn auch nicht gerade beliebt wie eben die meisten von einem Menschen, dem nichts recht ist, nicht viel wissen wollen. Trotzdem hatte er noch einen wichtigen Vertrauensposten inne. Aber die andern, die mit ihm über Politik sprechen wollten, wie man sich über das Wetter unterhält oder einen Arbeitsplatz, hier die Nachbarn, wenn man gerade am Zaun nebeneinander steht, jeder auf seinem Grundstück und Ausschau hält, die stieß er durch sein kurzangebundenes Wesen, das grob und herrisch erschien, zurück. Es war einfach, weil er mit denen nicht sprechen konnte, sie quälten ihn, er kämpfte in sich mit ganz etwas anderem nämlich die Lust alles über Bord zu werfen. Da kamen die und löcherten ihn aus, dass er wie ein Schulknabe seine Aufgabe hersagen sollte. Er hatte nicht den Eindruck, dass sie kameradschaftlich zu ihm kamen, sondern mehr, um sich die Zeit zu vertreiben. Vielleicht war es auch anders. Sie suchten vielleicht wirklich erst eine Brücke, um sich näher zu verständigen, um dann als Kameraden zusammenzustehen. Jedenfalls wurde der Hass auf beiden Seiten groß, und sie hätten ruhig ihren freien Tag geopfert, wenn sie etwas herausgefunden hätten, um dem andern heimzuzahlen. Hans brannte darum umsomehr der Boden unter den Füßen. Aber er hing zwischen Himmel und Erde und zappelte. Denn er wusste gar nicht wohin, und was anfangen.


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