Im Dienste gegen Menschenwürde
Das Gebäude der Landesamtmannschaft, in dem dieser Fall entschieden wurde, war ein großer klobiger Steinwürfel, kahl und glatt. Und nach allen Seiten streng geschlossen. Eine gewaltige Kraft von außen musste ihn scheint’s zusammenhalten. Drinnen waren unzählige Zimmerwürfel derselben Art, die ineinander geschachtelt und aufeinander gepresst waren, und jeder dieser Büroräume glich dem andern aufs Haar. Es muss schon eine ungeheure Kraft sein, die diese Zellen unter Druck hält. Denn würde sie nachlassen, so würden die Würfel empor- und auseinanderschnellen, die steinernen Eckpfeiler sprengen und sich über das ganze Land ergießen und alles mit Papier und Tinte überschwemmen.
In solchem Zimmer saßen die jungen Schreiber an dem langen Tisch in der Mitte, vor Registratoren längs der Wand an den hohen Pulten, zu denen sie sich auf einem spitzen Sessel heraufschraubten, um dann mit hohem Buckel darüber zu hocken. Die Sekretäre dagegen saßen an den Sekretär- oder Schreibtischen und stierten sich einander feindlich und bohrend an, oder lächelten sich boshaft zu, wenn eine Schwäche, ein falscher Ton des andern offenbar wurde, oder pafften sich, wenn sie nach Büroschluss weiterarbeiteten, so um zu zeigen, wer es am längsten wohl aushalte, den Tabakrauch ins Gesicht. Aber sie hatten nur eine gleiche Miene und Kopfbewegung der Verachtung gegen das übrige Personal, wenn diese sich erfrechten, ihr Nichtwissen und ihre Interesselosigkeit dadurch zu bekunden, dass sie eine Frage stellten oder vergleichsweise beraten sein wollten. Dann zogen sie die Stirne kraus und die Nase wurde spitz und der so Angeredete merkte es sich genau, um es sofort wiederum bei seinen Untergebenen nachzumachen. Ein besonderer Mann für sich war allerdings der Bürodiener, und da niemand ihn weder prüfend noch strafend anzusehen wagte, hätte man denken können, er sei der Oberste. Aber das kam daher, weil man ihn überhaupt nicht beachtete. Außer dass man ihm ein paar freundliche Worte gab, halb scherzend, halb mahnend, so wie es das Volk liebt, wenn er das Frühstück holen sollte. Denn dafür war man ein gebildeter und anständiger Mensch. Dieser brave Mann saß auf einem Schemel an der Tür und wartete bis man ihn rufen würde, eine Feder war abgebrochen, ein Staubkorn im Tintenfass oder der Schreibsessel durchgesessen und die Rohrstangen stachen spitz empor. Dann erledigte er die Sachen, schweigend und in gebührender Hochachtung. Es war meistens schon ein älterer Mann, denn für solche Leute kamen nur erprobte altgediente Leute in Frage, auf die man sich verlassen konnte. Draußen war unser Mann aber umgewandelt. Er trug den Kopf höher und empfing etwaige Besucher, Frage- und Bittsteller, die in das Zimmer wollten, mit souveräner Verachtung. Er maß sie mit einem durchforschenden Blick von oben bis unten und hatte genügend Selbstbeherrschung in der Reihe von Dienstjahren gelernt, sie nicht von vornherein anzuschreien und rauszuwerfen. Er hörte sich ruhig an, was sie ihm vortrugen, wohin sie wollten, und alles das, und schüttelte dann nur mit dem Kopf. Während des Dienstes
sind die Herren nicht zu sprechen. Und dann hatte er eine großartig ruhige Armbewegung, damit warf er die Eindringlinge hinaus. Blieb nun einer stehen, wollte noch was erklären, nochmals dringender vorstellig werden — der Diener ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er verzog keine Miene, schweigend und von allen unberührt wies er sie hinaus. Das ist Dienst! Das ist der deutsche Beamte, treu in der Stupidität, unzugänglich in der Vernunft und gewissenlos gegen das menschliche Leben, denn der Dienst steht ihm höher. Darauf beruhte dieser Staat. So ging es auch bei den drei Arbeitsfriedern, die sich nach ihrer Sache erkundigen wollten, um persönlich der Behörde die Beschlüsse der Vollversammlung mitzuteilen. Sie hofften, damit wenigstens einen Aufschub zu gewinnen. Aber sie kamen nicht mal bis zum Vorzimmer. Schon der Sekretär empfing sie nicht. Das übrige besorgte der Diener. Den Leuten riss die Geduld. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie hätten sich gewaltsam Einlass erzwungen. Aber sie wussten ja nicht bei der Unmenge der gleichen Büros, an wen sie sich wenden sollten, und außerdem waren sie da, um noch im guten Zeit zu gewinnen. Aber dieser letztere Gedanke verlor allmählich an Durchschlagskraft. Sie begannen laut zu schimpfen, dass es in den Korridoren nur so schallte, und manche typische Beamtenbeleidigung, für die in Deutschland der Strafrichter zuständig ist, war dabei. Aber niemand rührte sich, keine Tür tat sich auf. So gingen sie schließlich wieder. Unbefriedigt, dass sie einen von diesen Kerlen nicht unter die Finger bekommen hatten. Den meisten drinnen indessen war höchst friedlich zu Mute. Das kam jetzt alle Tage vor, dass Leute von dem aufgehetzten Volk kamen und draußen Krach schlugen. Das gab sich wieder. Sich mit solchen noch hinstellen und reden, das wäre unter ihrer Würde gewesen. Und sie zogen ein neues Aktenbündel aus dem Schrank, blätterten sorgsam und vertieften sich dann in die letzte Verordnung.
Der Sekretär, der die Sache bearbeitete, war als einziger vielleicht etwas in Aufregung. Er hatte vergessen, seinem Chef, der die erledigten Fälle unterschrieb, davon Mitteilung zu machen, dass eine Antwort von der Vereinsleitung noch nicht eingegangen war, obwohl bereits am Tage vorher die Anweisung an die Militärbehörde für die Einquartierung herausgegangen war. Er hätte doch jetzt wissen mögen, was die Leute vorzutragen beabsichtigt hatten, denn er brauchte diese Antwort in seinen Akten. Er nahm jetzt ziemlich missmutig, was sein Gegenüber lächelnd bemerkte, die Akten, und ging dann durch die Zimmer einen langen Weg von einem ins andere, um persönlich seinem Chef von dem Stand der Dinge und dem Vorgefallenen Mitteilung zu machen. Er hatte ein gewisses beklommenes Gefühl. Und nachdem er geraume Zeit gewartet hatte, wurde er vorgelassen. Er kam sehr bald mit einem roten Kopf wieder heraus. Es gelang ihm nicht, diese Röte ganz zu verbergen, als er an seinen Platz zurückkam. Der Kollege ließ sich das natürlich nicht entgehen und fing vorsichtig davon an, wie sich die Zeiten doch geändert hätten. Damit lockt man einen am besten raus, dem etwas Unangenehmes passiert ist Und der andere fing auch sogleich an, dass der Beamte heute nur eine geringe Unterstützung noch an der Regierung hätte. Die Regierung zeige nicht mehr genügend festen Willen gegen den Pöbel, der damit immer frecher werde. Die Anweisung an die Militärbehörde soll zurückgezogen werden und er hat sich wunders wie dabei angestellt und ist noch grob geworden, als ich ihm sagte, er habe sie doch gestern selber unterschrieben. Man soll sich nicht in die Sachen dieser Narren mischen, das ist mein Grundsatz jetzt, mögen sie damit selber zurechtkommen. So sprach der, und er musste einen gehässigen Anschnauzer gegeben haben. Diesmal aber verständigten sich die beiden Kollegen bald. Sie hatten zu wenig Grund, sich gegenseitig die Wut der Vorgesetzten zu gönnen. Der Fall lag ernster und solche Sachen häuften sich jetzt. Es war notwendig, auch nach außen mehr zusammenzuhalten. Die Narren von der Regierung waren nur noch eine geringe Stütze. Sie entschieden bald so, bald so, und wurden sie angegriffen in der Öffentlichkeit, die auf einmal so gehätschelt wurde wie nie zuvor, so schoben sie es auf die nächste Dienststelle ab und diese ebenfalls weiter, bis es auf dem Sekretär hängen blieb. Der bekam dann die ganze Wut zu kosten. Es war wirklich besser zusammenzuhalten, und als solcher Block die Regierung selbst erst wieder zu stützen. In diesem Sinne war eine Bewegung unter ihnen im Gange. Im Grunde genommen, war es unerhört, nie hatten sich bisher die Beamten mit Politik beschäftigt, außer dass sie gelernt hatten zu dienen und den Chef in der dritten Person anzureden. Aber die wirtschaftliche Not räumte schlimm unter ihnen auf. Man sah ordentlich, wie die Altgedienten abstarben. Als Vorläufer des Staatszusammenbruchs. Eine schwere Prüfungszeit war über die Sekretäre gekommen. Und dabei wollten sie sich nicht eingestehen, dass die Familien längst verelendet sind, dass sie selbst Volk und Pöbel geworden sind — das verlangt Treue, Diensteifer und heilige Einfalt. Und so sprachen die beiden und schüttelten sich die sorgenschweren Köpfe zu. Ja, ja sagte der eine, es sind dunkle Kräfte am Werk.
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