| Auch die Flauen sind  zukunftsfrohUnterdessen hatten sich wirklich viele Menschen auf der Wiese  eingefunden. Sie stürmten von allen Seiten herbei, doch die meisten  kamen aus dem Verwaltungsgebäude, wo so eine Art Vorversammlung  anscheinend schon abgehalten worden war. Man unterschied auch deutlich  die einzelnen Gruppen nach den Kolonien, nach den Freunden, die aus der  Stadt gekommen waren, und welche, die nur zufällig mit darunter waren.  Der Septembertag war wundervoll mild und klar. Der leichte Wind wehte  nach dem Wald zu und zog jedes Wort des Redners in die Länge, wodurch  die Worte nur noch präziser wurden. Der Redner hatte an der Straße  Aufstellung genommen. Man hatte aus ein paar Tonnen und Brettern  darüber eine kleine Tribüne gemacht.Die Partei hatte einen Mann  geschickt, dem in solchen Fällen ein besonderer Ruf voranging. Es war  ein kleiner rundlicher Mann, der alles andere als ein Volksaufrührer  schien und sein volles Gesicht lächelte die Zuhörer freundlich an, wenn  er zu sprechen begann. Man fühlte sich gleich wohl und war wie zu  Hause. Er fing davon an, wie die Wohnungs- und Siedlungsfrage jetzt  aufgerollt sei und welche Forderungen die Arbeiterschaft sich erzwingen  müsste. Er sprach breit darüber, was ja im übrigen alle schon wussten,  wie der Aufruhr vor dem Obdachlosen-Asyl die Dringlichkeit dieser Frage  gezeigt und der Partei die Möglichkeit geboten hatte, einzugreifen und  wie die Regierung gezwungen gewesen wäre, ihre Verordnungen  zurückzuziehen und wie daher vorläufig auch Arbeitsfriede nichts mehr  zu fürchten habe. Das hatten sie ja schon erfahren. Dann sprach der  Redner über die Siedlungsfragen im besonderen, lobte den Weg, den sie  da schon beschritten hatten, redete der Vereinigung das Wort und  schwärmte für den Heroismus der freien gemeinschaftlichen Arbeiten, die  sie übernommen hatten. Den Zuhörern wurde ordentlich warm dabei, denn  alles was er da so rausstrich, das waren sie selbst, die Arbeitsfrieder  und Waldheimer und Freudenthaler und sie kamen sich schon fast wie  berühmte Leute vor. Die Wiese war voll Menschen, Frauen und Kinder mit  drunter. Es war, als würde ihnen allen noch einmal ihre Heimat  geschenkt mit dieser schönen Ansprache und sie sagten sich im stillen,  der Mann spricht schön, und er hat recht, und so soll es auch weiter  sein. Alle die Versuche, die bereits angefangen waren, werden gedeihen  und auch die Übernahme des Gutshofes wird ins Reine kommen. Und wenn  sie nur einen großen Stall mit allerhand Vieh daraus machen.
 Dann aber, und dafür gerade hatte der Redner eine gewisse Berühmtheit,  warf er den Schafspelz ab und schlug gang andere Töne an. Ihr  Schafsköpfe, ihr Idioten, redete er sie an, glaubt ihr denn, damit sei  was getan? Und er entwickelte nun die soziale Revolution, zeigte die  Machtstellung der bürgerlichen Gesellschaft und dieses Staates,  zeichnete ihnen scharf das Endziel vor und kam so zu den Forderungen,  die eine revolutionäre Partei jeweils über den nächsten Tag aufstellt.  Und er schlug die Worte ihnen wie mit einem eisernen Hammer in den  Kopf. Er wies ihnen gerade an ihrem Beispiel nach, wie notwendig es  sei, alle Kräfte zusammenzuschließen zu einer Partei und die ganze  Energie einzusetzen für das eine Ziel, den Sturz der bürgerlichen  Regierung und des kapitalistischen Staates, für die Eroberung der  politischen Macht durch die Arbeiterklasse. Nur diesen einen Gedanken  dürfen wir jetzt haben, schrie er, keinen Schritt vom Wege abgehen,  denn der führt uns vom Ziel ab, und der gerade Weg führt über den  politischen Kampf um die Eroberung der Macht. Schließt euch fester an  die Partei an, sorgt für Aufklärung in euren Reihen, kämpft mit in  diesem Kampf, der schwer ist und über Niederlagen geht, dann fällt auch  das andere von selbst euch in den Schoß, als Frucht des Sieges. Und  immer wieder kam er darauf zurück und er nannte sie Feiglinge und  Abtrünnige, dass sie sich eingebildet hätten, für sich allein hier eine  Welt außerhalb der Gesamtauseinandersetzung mit der Unternehmerklasse  aufbauen zu können. Je eifernder er sprach, um so mehr duckten sich die  Köpfe, schuldbewusst. Sie sahen das ein, dass der Mann recht hatte. Es  ist manchmal, dass man sich vor der großen Aufgabe drückt, indem man  die kleinere zunächstliegende anfasst. Aber es lag auch etwas darin,  das sie mit hoffnungsloser Traurigkeit erfüllte. Die Lippen stimmten  ihm schließlich zu, sie sahen sich gegenseitig untereinander an, um das  zu bekräftigen, was der Redner verlangt hatte, aber das Herz ging doch  einen anderen Weg. In dem, was sie hier vor Augen sahen, darin fanden  sie sich zurecht. Sie hatten es doch noch geschafft, ihre Forderung  durchgesetzt, alles konnte jetzt in neuem großen Maße weitergehen —  wenn auch alles mit Hilfe der andern, wer aber fragt danach, wenn man  sich nur einmal freuen will. Einmal den ewigen Druck los sein und was  anderes vor sich sehen als Not und Wut, Verzweiflung und Hass. Etwas  das sich von selbst zu bewegen begann, und worin sie mit allen ihren  Gedanken, mit ihrem Leben und ihrer Arbeit mit drin waren. Das Herz tut  weh, sich dabei sagen zu sollen: Vielleicht sind wir doch nur solche  Schwächlinge, Verräter an dem großen Werk, Flüchtlinge und Feiglinge —  vielleicht, es leuchtet ein. Es ist so, dass jeder ordentlich die Faust  krampft, um sich zusammenzureißen, bei der Stange zu bleiben, mehr zu  tun als bisher, nichts mehr zu versäumen, immer und für alle bereit  sein. Aber noch unter der Hand zerflattert wieder vieles, es löst sich  gewissermaßen von selbst auf — denn die Sehnsucht nach ein klein wenig  Freude, nach einem Zipfelchen Freiheit, die man schon fest in den  Händen zu haben glaubt, lässt sich nicht vollends unterdrücken, sie  schlüpft aus allen Ecken wieder hervor. Und sie sind bereit alle
 Demütigungen dafür zu tragen, die doppelte Arbeit, die vielfache  Schwere dieser kleinen und fortgesetzten Zusammenbrüche, mit ihrer  tausendfältigen Not und zersplitternden Verzweiflung. Wenn die Sonne  nur ein bisschen wieder scheint, ist alles vergessen und eine leise  Hoffnung lächelt verstohlen. So ist es, als ob der Redner einen Gegner  zu Boden wirft und den Kopf auf die Erde presst und etwas herauszwingt,  presst und zwingt, aber der Unglückliche kann nur noch stöhnen: Ich  will ja alles tun, was Du willst. Und er wird dann aufstehen und  weitergehen, als wenn nichts gewesen wäre. Und eine neue Wunde wird er  im Herzen tragen, die blutet. Er wird mit den Lippen bekennen und mit  dem Herzen träumen und demütig sein, wo er das Herrschen lernen soll.  Und er wird sich verwundern, warum denn der andere gar nicht begreift,  dass er gar nichts tun kann. Ich will leben, fühlt er, ich will ja nur  ein ganz klein wenig Glück, eine Abzahlung auf das große allgemeine  Wohlergehen, das einmal sein wird. Lass mich leben -und der andere  steht ohnmächtig, wie er wieder dahingeht. So standen sie sich  gegenüber, und die Menschen auf der Wiese hielten den Kopf tief  gesenkt. Und der Redner donnerte und fluchte, und wie schon so oft bei  diesen Reden, saß ihm das Grauen an der Kehle. Er fühlte sich  verzweifelt und er sah sich wirr und verstört um nach einem  menschlichen Gesicht, das mit ihm fühlte und das ihn im Blut verstand.  Der Schweiß rann ihm von der Stirn. —
 
 | 
  
    
    Hinweis:      Für die Korrektheit der Angaben in diesen Versionen und die Identität              der Texte mit dem angegebenen Original wird keine Verantwortung übernommen.              Eine Vervielfältigung der Dokumente zum Zwecke des Vertriebs ist              nicht gestattet.
 |  |