| Ein guter Anfang, wenngleich  auf UmwegenSie waren beide müde, denn sie  hatten sich gezankt. Eine plötzliche Schläfrigkeit kommt über einen. Ah, mags  gehen wie's will.Da stand er noch am Ofen gelehnt. Der Mann, wie nun ein Mann in solchen  Lagen steht - die Hände in den Taschen, Kinn runtergezogen, dass die  Backenknochen spitzer vortreten, und den ganzen Oberkörper etwas  vornüberhängenlassend. Groß und kräftig sah er beileibe nicht aus, Hans  Merkel, Konstruktionszeichner war er jetzt.
 Die Frau dagegen saß an der gegenüberliegenden Seite der Stube am  Fenster, auf der Bank. Eine breite Fensterbank, die sich in jeder  Bauernstube hätte sehen lassen können. Die Frau hatte die Hände über  einander gelegt auf dem Schoß, saß ganz in sich versunken, den Kopf  gesenkt. Es war eine nicht eben große blasse schmale Frau. Sie hatte  schwarzbraune Haare. Wenn man ihr gesagt hätte, jetzt kommt jemand und  trägt hier alles raus, oder wird sie beide als Sklaven nach Amerika  verkaufen, es hätte sie nicht wundergenommen. Sie war vollkommen  ermattet und wie ausgebrannt. Der Kopf war leer, und das Herz bebte.
 So ist das, wenn zwei sich  zanken und nicht mehr wissen, wohin.
 Es ergibt sich nämlich, dass der Grund des eigentlichen Streites  fortwährend wechselt. Er verschiebt sich ständig nach der Seite, die in  der letzten Antwort unterlegen scheint und nun den neuen Faden zu  spinnen beginnt. Man zieht ständig alle Register, um den immer wieder  neuen Unterton von vornherein einzufangen. Das strengt an. So handelt  es sich dann bald nicht mehr um die Äußerungen, die aufzunehmen sind  und die der Verstand sprechen braucht, sondern die das Gefühl  nachmisst, die die Miene oder die Handbewegung spricht; die Steigerung  des Gesichts wird wichtiger als das Wort und die eigene Stimme, die  unaufhaltsam spricht. Man hört sich laut antworten, lauscht indessen  auf das eilende Flüstern, das ungehört und nur geahnt zwischen den  Worten gleitet, glüht und blutet, stöhnt, faucht und in einer  wahnsinnigen Angst um Antwort bettelt, um Frieden, um Liebe, um Glück.  Gerade diejenigen, die wunder wie glauben gut mit einander zu stehen,  trumpfen
 dann erst recht auf. Sie beschuldigen sich gegenseitig einander in  Harnisch gebracht zu haben. Man findet so schwer zurück. Es ist auch  unwichtig, denn sie haben sich doch beide etwas gefragt, die Frage  bleibt bestehen. Sie wird schärfer, sie drückt. Es ist nicht gerade  Hass, was bleibt — obwohl es sich dahin noch entwickelt, sondern das  Gefühl, wir verstehen uns letzten Endes doch nicht. Man wird sich  unbequem und — sieht sich daraufhin an. Dieser Blick ist nicht gut,  auch wenn er freundlich, nachgebend scheint. Es gibt nichts zu handeln,  wenn zwei Menschen miteinander um ihr Lebensglück ringen. Denn das ist  das Seltsame: Zanke Dich, um was Du willst, es mag noch so geringfügig  sein, im Nu wirst Du alles im Mittelpunkt sehen, das Leben sozusagen  schlechthin. Mancher hat schon den Kram dabei hingeschmissen. Verflucht  hinterher. So standen die beiden sich jetzt gegenüber. Dicke Wehmut  quillt auf: verkannt, verleumdet, verschmäht und verstoßen, dazwischen  Wut über die Dummheit des andern, der Trotz: er wird niemals nachgeben,  nie hört er, nie tut er, nie denkt er daran und das und jenes und die  gemeinsame Angst, was soll werden, was wird noch kommen. Und tiefe  Müdigkeit. Es ist alles so leer, das Blut wie abgezapft. Und die  Erkenntnis: Es brauchte nicht zu sein. Die quält, und das tut weh. Der  Schmerz macht die Menschen böse. Wenn sie noch weiter streiten, dann  lieber ein Schluss mit Donnerknall. Man belauert sich. Sie passen jetzt  aufeinander. Wer sagt das erste Wort. Denn jeder spitzt sich noch mit  der letzten Kraft, darauf die Antwort nicht schuldig zu bleiben, den  Schluss. Und dann mag gleich alles gleich sein. —
 Die dummen blonden Haare stehen in einzelnen Büschen dem Hans über die  Stirn. Die Gesichtsmuskeln zucken. Die Frau sitzt still, ergeben in ihr  Los. Wer sich da täuschen ließe. Es brodelt und kocht, und die Seele  windet sich. Die Gedanken und Bilder darin splittern hoch. Aber auch  Hans denkt an vielerlei, ganz zusammengedrängt in wenige Sekunden, und  dass die Anna vor ihm da scheint’s sehr unglücklich ist. Wie immer die  Frauen, wenn genug gestritten ist. Und die Anna denkt zuletzt, wenn ich  nur wüsste, worauf er überhaupt hinaus will, was das in Wirklichkeit zu  bedeuten hat. Verdammt bockig ist die, stellt Hans bei sich fest. Anna  aber fühlt, der hat einen Schädel wie Eisen, etwas Trotz mag ganz gut  sein, gerade
 für so einen Mann, aber so gleich, nur brutal und rücksichtslos, mit  Füßen wird er mich noch treten wollen. Aber Hans hat schon einen toten  Punkt überwunden. Der Spuk ist im Verschwinden. Es wird ihm schon etwas  warm ums Herz. Eigentlich Blödsinn, sich deswegen so in den Haaren zu  liegen. Aber die Beine sind ihm so schwer. Es sind Klumpen dran. Etwas  könnte sie schließlich auch dazu tun — da muss er noch die ganze Länge  des Tisches und noch ein Stück, die Fenster im Zimmer sind noch da, und  zwei Stühle und — na, die Sonne bricht durch — er geht, er schreitet.  Anna zuckt noch ein klein wenig, klingt es nicht so drohend und zittert  etwas, den Kopf tiefer gebeugt. Zittert noch mehr, aber schon nicht  mehr so in Angst. Dann presst sich eine dicke heiße Träne los und  zerspritzt auf dem Knie, man hört es deutlich, und es ist wie ein sehr  willkommener Ruf. Denn Hans hat seine Hand auf die schwarzen  Haarsträhnen gelegt und streichelt sie, noch unsicher. Vergibt er sich  nichts, werden sie nicht brennen — Und dann hat er noch mehr Zutrauen  und drückt einen Kuss drauf. Na also. Sie hebt den Kopf, noch  widerstrebend, wird gehoben unterm Kinn und dann sieht sie den Hans an,  wie der gerade eine neue dicke Träne in ihrem Lauf einhalten will. Hans  sieht, wie die grauen und grünen Augen groß werden und schwimmen und  schillern und glänzen und dann leuchten - den ganzen Menschen bringen  sie dar: Nimm ihn in Menschlichkeit, und Hans fühlt sich sehr klein.  Und das Gleichgewicht kehrt wieder, indem man findet, dass es nicht  geschwunden war. Dann setzen sie sich wieder zusammen auf die Bank und  besprechen sich, Freude im Herzen, und die Worte sind gleichgültig.
 
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