Ein Gewerkschaftsführer, wie er von nahem aussah
Als einer der ersten, die das bohrender gewordene Interesse aller zu spüren bekamen, war der eine von Merkels Nachbarn, ein gewisser Hoffmann. Dieser, von Beruf Metallarbeiter, hatte es verstanden, durch seine Fähigkeit sich überall an erster Stelle zur Geltung zu bringen und war sehr bald Vertrauensmann der Gewerkschaft im Betriebe, schließlich Gewerkschaftsbeamter geworden und nahm dann eine führende Stellung im Metallarbeiterverband ein. Die Drehbank hatte er schon lange mit dem bequemen Schreibtisch vertauscht. Die Hoffnungen der Arbeiterschaft auf die Entwicklung der Gewerkschaftsbewegung sahen sich schnell enttäuscht, als die Zusammenfassung nicht mehr Kampfmittel war, als was sie zuerst auftrat, sondern eine neue Zwangsjacke, die ein williges Werkzeug in der Hand der Gewerkschaftsführer geworden war. Die Beamten verstanden es ausgezeichnet, den Willen der tausende Von Einzelmitgliedern zu ihren Gunsten und zu ihrer eigenen Befestigung in ihrer Vorzugsstellung umzubiegen. Dieses Gewerkschaftshausbeamtentum hatte sich zu einem neuen und psychologisch sehr interessanten Beruf ausgebildet, dessen Kunst und Befähigung darin bestand, Misstrauen, Wut über die Unbeweglichkeit der sozialen Lage und Verzweiflung über die Misserfolge der Revolution unter den Mitgliedern aufzufangen, auszugleichen und auf andere Bahnen zu lenken, die Kunst, sich oben zu halten und jeden Stoß gegen die Führung umzubiegen zur Befestigung derselben. Es ist einleuchtend, dass solche Leute in dem alten widerwärtigen Sinne wirklich gute Regierer waren und mit Vorliebe daher auch von der Staatsregierung zur Mitarbeit herangezogen wurden. Das einzige Missliche für sie war, dass sie von ihren Kollegen gehasst und wie als Abtrünnige empfunden wurden. Es mag dies seltsam erscheinen, da diese sie ja meistens auch gewählt haben. Der Arbeiter begriff eben, dass er solche Leute noch brauchte, er hätte sie anders gewünscht, dachte er, es ist immer noch besser, er bestimmt sie selbst, als der Staat setzt ihm direkt seine Polizeibüttel auf den Hals. Solange auch das Beamtentum die Stütze desjenigen Staates ist, der ihn ausbeutet, ist der Hass des Arbeiters gegen den Beamten so erklärlich. Die Entwicklung brachte es eben mit sich, dass auch die Arbeiterbeamten sich in keiner Weise mehr von den Staatsbeamten unterschieden. Daher der Hass. Dieser Hass äußerte sich darin, dass diese Gewerkschaftsführer von ihrer nächsten Umgebung beobachtet wurden, wie mit hundert Spiegeln. Wer da nicht ganz sicher stand, kam dabei an seinem Privatleben schließlich doch zu Fall. Er mochte noch so geschickt sein in der Leitung seiner Geschäfte, das Familienleben brach ihm oft das Genick. Da redeten die Kollegen mit hinein, denn, er beteuerte es ja auch oft genug, er blieb schließlich einer der ihrigen, er hätte unter ihnen zu leben, und man möchte sagen, sich dort zur Kritik zu stellen. Diese Kritik versöhnte auch in vielem mit den sonstigen Auswüchsen des Gewerkschaftsbeamtentums.
Der nach dem Zusammenbruch der Bewegung in Arbeitsfriede einsetzenden Kritik war als erster Hoffmann nicht gewachsen. Er hatte im Lauf der Ereignisse den Zeitpunkt verpasst, sich rechtzeitig zu den anderen zurückzufinden. Er schwebte mit seinen Machtgelüsten allein noch oben und bekam daher die volle Breitseite der Wut. Er redete zwar große Worte, warf mit Kameradschaftsbeteuerungen nur so um sich, aber in dem Augenblick sind die andern hellhörig, der Arbeiter hat überhaupt ein feines Empfinden wie manche hysterische Geheimratstochter, es erwies sich, dass Hoffmann August nur leere Redensarten hatte und alles verdammt hohl war. Und man merkte, er hat Angst, es geht ihm um den Kragen. Das gab erst recht einen neuen Stoff. Auf ihn! und so wurde Hoffmann zu Fall gebracht. Das was er sich aufgebaut hatte, stürzte zusammen wie ein Kartenhaus. Die Meute über ihn her. Der Mann wirtschaftete zu Hause wie ein Pascha. Die Frau war ängstlich und verschüchtert, arbeitete von früh bis spät, im Garten und im Haushalt, und machte nichts recht. An der Frau ließ der Hoffmann besonders seine schlechte Laune aus. Es kam auch vor, dass die Eheleute sich schlugen. Der Mann zog die Frau an den Haaren durch die Stube und verprügelte sie. Die Kinder standen zitternd und stramm. Sie waren militärisch erzogen. Drei Mädchen waren da, von denen das eine schon erwachsen und in der Stadt in Stellung war und ein Junge, der irgendwo das Gymnasium besuchte. Er soll was lernen, hatte der Alte damals gesagt, wenn ihn jemand fragte. Jetzt bekam das alles plötzlich ein anderes Gesicht. Der Hoffmann ist ein besonders feiner Mann, sagten sie, der Sohn wird Staatsbeamter. Die Frau, die sich bisher kaum aus dem Hause getraut hatte und niemanden weiter kannte, wurde von allen bemitleidet. Die Frauen kamen und besuchten sie. Meist noch aus Neugierde, man wollte sehen, wie es da aussieht, was dort vorgeht. Der Alte wagte nichts dagegen zu sagen. Auch die Kinder wurden Gegenstand der Aufmerksamkeit, die Kaninchen, die Hühner, die Ziegen. Hoffmann hatte zwei Ziegen, und Hoffmann hatte überdies noch ein Schwein, obwohl das im Mietskontrakt verboten war. Der Hoffmann hatte das Schwein schon seit Monaten, aber jetzt interessierte es. Man wusste auch, dass ein Schwein schon krepiert war, die Leute verstanden sich nicht darauf und es gedieh nicht. Na ja, hieß es, die Frau muss sich zu Tode quälen für den großen Herrn. Und richtig, wie der so genannte Zufall es will, der ja immer die Lösung bringt, die alle erwarten und dann lange vorausgesehen hatten, die Frau legte sich hin und starb. Gerade zu dieser Zeit starb die Frau. Das war Pech für Hoffmann. Jetzt ging’s los. Jetzt zeigte sich, dass Hoffmann irgendwo Verwandte hatte, die angesehene Bürgersleute waren, bei denen der Junge erzogen wurde und auf die Schule ging. Jetzt erfuhr man, dass zwischen den Eheleuten ein ständiger Streit war über die Erziehung
der Kinder. Denn Hoffmann hatte sich in den Kopf gesetzt, die Kinder katholisch erziehen zu lassen. Niemand wusste bis dahin, dass August überhaupt kirchliche Anwandlungen harte. Man sah ihn nicht in die Kirche gehen. Er hatte auch sonst kein katholisches Aussehen. Er konnte gut fluchen, wenn dies gerade am Platze war. Es hätte sich für einen Gewerkschaftsbeamten auch nicht geschickt mit einem Gebetbuch vor der Versammlung zu erscheinen. Und jetzt hieß es gar, er wollte den Jungen katholischen Geistlichen werden lassen. Darüber hätte die Mutter sich zu Tode gegrämt. Und die mittelste Tochter wollte er in ein Kloster stecken. Die Mutter wollte sie nicht fortlassen, sie brauchte sie im Haushalt, hat sie noch gejammert. In den letzten Tagen ihrer Krankheit war sie zu den Nachbarn gesprächig geworden und hatte über die Rohheit ihres Mannes geklagt, er hört nur auf die Verwandten. Die setzen ihm den Kopf voll. Nur die Älteste war Vaters Liebling. Die konnte machen, was sie wollte. Die trieb sich in der Stadt rum und machte Schulden auf Vaters Namen. Jeden Sonntag kam sie mit einem andern Liebhaber an und immer Militärs, Polizeisergeanten und solche. Vater sagt aber nichts und lässt alles gehen. Den Garten plündert sie vollkommen aus, nimmt immer noch ein großes Paket mit in die Stadt, Fleisch und was sie sonst haben. Es ist dem Alten ordentlich nichts genug, was er ihr nicht zustecken kann. Die Mutter schied von der Ältesten in bitterstem Hass. Die Jüngste war gerade schulpflichtig und sehr kränklich. Die war von der Mutter verzogen, und der Alte durfte sie nicht anrühren. So enthüllten sich die Familienverhältnisse. Es kam auch raus, dass Herr Hoffmann ein paar tausend Mark auf der Sparkasse hatte, die er gern noch vermehrt hätte. Er wird sich in Spekulationen eingelassen haben, er macht Geldgeschäfte. Das alles war das Netz, in dem sich Hoffmann fing und zappelte. Wenn er dagegen auftrat, merkte man, wie großschnäuzig er war. Wenn er fluchte, man soll ihn mit seinen Privatsachen in Ruh lassen, gestand er ein und vergrößerte noch seine Schuld. Ein Lump ist der, hieß es, den die Arbeiterschaft schon längst hätte herausschmeißen müssen. Es war nahe daran, dass es anlässlich des Begräbnisses, bei dem die ganze Kolonie anwesend war, zu stürmischen Auftritten und Tätlichkeiten kam. Hoffmanns Verwandtschaft war erschienen, und alle nahmen für die Frau, um die sich doch früher niemand gekümmert hatte, laut Partei.
Der Hass entlud sich. Vielleicht lagen die wirklichen Verhältnisse, auch mit der Verwandtschaft anders. Das wollte jetzt niemand wissen. Es waren welche, die wollten die älteste Tochter wenn sie sich noch einmal im Ort blicken ließ, mit Steinen hinausjagen. Dem Alten wurde eine Untersuchung seiner Gewerkschaftskasse angedroht, das Sparguthaben spielte eine große Rolle dabei. Blitzschnell zog der Vorfall weitere Kreise auf unter den Gewerkschaftsmitgliedern seines Verwaltungsbezirks. Ankläger traten auf, strengste Untersuchung wurde gefordert, das Privatleben übermäßig breitgetreten. Die Bürokratie hält nicht fest zusammen, solange der Gesamtbestand, an dem sie mitinteressiert ist, nicht gefährdet wird. Man glaubte sogar, es ist besser, um die einsetzende Beunruhigung im Keime zu ersticken, Hoffmann zu opfern. Und sie ließen ihn fallen. Sie drängten ihn, zurückzutreten. Er wusste zu gut, wie leicht es in einem solchen Falle ist, jemanden zu zwingen. Also ging er freiwillig. Er hatte nirgends Unterstützung gefunden. Er verzog nach einer andern Gegend und wird wieder heiraten, hieß es. Ein paar Wochen später war er vergessen.
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