Der Sturm
Die Menge schwoll ganz bedenklich an. Es waren schon viele Hundert Leute draußen vorm Revier. Viele wussten schon gar nicht mehr, worum es sich handelte. Gerüchte gingen, die von ganz anderen Dingen wissen wollten. Es zeigte sich auch von drinnen nichts. Kein Lebenszeichen kam als das Glotzen der Soldaten, die Schimpfereien der Posten, die die Leute vom Bürgersteig trieben. Der Versuch, die Straße ruhig frei zu bekommen, war misslungen. Der Aufforderung, auseinander zu gehen, war niemand nachgekommen. Sie hätten schon schießen müssen. Dazu traute sich der Offizier noch nicht. Vielleicht wurde die Aufregung nur noch größer. Er hatte auch keinen direkten Befehl. So verging noch einige Zeit.
In nächster Nachbarschaft war eine große Lampenfabrik, eine Belegschaft von mehr als 1000 Mann. Das Gerücht war schon nach oben gedrungen, dass auf der Straße was im Gange sei. Noch dachte man, es handelt sich um eine der üblichen Razzien. Es sind soviel Lumpen bei dem Auflauf, hatte man berichtet. Der Arbeiter verachtet noch diejenigen, die ohne Obdach sind. Das muss der Mensch sich doch wenigstens schaffen können, sagen sie; eine billige Lösung.
Unten die Menge schwoll an. Einige fingen schon an zu drängen. Einzelne Pfiffe. Wie Sirenen. Die Fenster wurden zugemacht.
Was geschieht denn mit den Leuten, schrieen welche. Sie sind doch in ihrem Recht. Lasst sie nur mich fragen. Die anderen Kollegen traten jetzt schon unruhig hin und her. Der Spaß wurde ernst, was soll das. Niemand zeigte sich. Die Fenster sind dicht. Kein Laut.
Am Bürgersteig kommen einige ins Puffen. Das kommt durch das Drängen. Man wird vorgeschoben und schlägt nach hinten aus. Gelächter. Die Soldaten wurden nicht minder aufgeregt. Sie waren auf verlorenen Posten, wenn es ernst wurde. Sie wussten auch nicht, worum es sich handelte. Sie mussten doch bald abgelöst werden. Sie standen da mit Furchterweckenden Mienen, aber das Zittern war ihnen näher. Johlen, Pfiffe, schrille. Laute Rufe. Gegen die Soldaten. Sie schlagen sie drin, sie sind in den Arrestzellen hinten, dort prügeln sie sie mit Gummischläuchen, schrie jemand. Von neuem stieg das Brausen hoch.
Gehen Sie weiter hier, schnauzte wieder ein Soldat. Dann: Lassen Sie los — jemand hatte ihn am Arm gepackt, hielt das Koppel, fasst nach dem Gewehr — die Menge drängt wie nach langem Ruck auf den Steigen vor — der Posten umringt. Zurück schreit er wieder. Dann knallen die Fenster. Die Fenster werden eingeworfen. Johlen. Die Posten sind in einem Knäuel verschwunden. Drängen und Schieben und Lärm, niemand kann mehr recht etwas sehen — da schießt das Maschinengewehr. Die Schüsse gehen noch hoch über die Menge weg. Wie in einem Strudel dreht sich alles durcheinander. Straße frei! Aus den Fenstern wird geschossen. Schüsse mehrere hintereinander. Noch ist alles ein schwarzer wirrer Knäuel. Da springt ein großer schlanker Mensch, noch ein junger Kerl, auf den Offizier zu und fasst ihn an die Gurgel. Es ist nur eine Sekunde. Aber jeder sieht es, wie es sich langsam entwickelt. Die Spannung steigt und fällt dann. Er hält ihn an der Gurgel und drückt die Faust zu, hebt den Körper hoch — der zappelt, schlägt um sich, zieht die Schultern mit einem Ruck hoch und hängt dann — und dann schmeißt er ihn im Bogen zur Seite. Inzwischen schießen sie, wahnsinnig vor Angst, wildgeworden in den Haufen hinein. Der stiebt auseinander, aber immer auf neue Massen. Viele geraten direkt unter die Soldaten. Und von oben runter aus den Nachbarhäusern kommen sie gestürzt. Und auch die Metallarbeiter kommen in Trupps auf die Straße, im Lauf auf das Büro zu. Das Tor heult laut auf und kreischt und gibt dann nach. Aber Berittene sind schon in den Straßen. Es ist noch alles durcheinander. Ein paar Grüne liegen wie tot im Rinnstein. Die Masse flutet in das Haus und stopft sich drinnen fest. Vor den entgegengehaltenen Revolvern. Und es kommt allmählich etwas Ordnung in den Strom. Sie schreien sich noch an. Bald wird ringsum alles von Militär starren. Aber auch die Arbeiter erhalten Zuzug. Drinnen schreit man noch gegeneinander. Da gelingt es einem höheren Polizeibeamten, der sich von draußen durchgeschlagen hat, Gehör zu finden. Man verhandelt. Die Tatsachen hellen sich auf. Es wird klar, was vorgeht. Vertrauensleute der Metallarbeiter treten auf den Plan. Die Organisationen beginnen zu arbeiten. Das Telefon ---, und die Regierung wird eingreifen. Noch sind die Parteien in einander verbissen. Aber es soll nicht weiter angegriffen werden. Versammlungen. Die Straße wimmelt von Menschen. Unaufhörlich wird neues Militär im Viertel zusammengezogen. Aber auch Betriebe der Nachbarschaft gehen auf die Straße. Die Wahrheit sickert durch. Man sieht Verwundete, Blutlachen, hört Zahlen flüstern.
Es vergeht lange Zeit. Dann marschieren die Wanderarbeiter in geschlossenem Zuge ab, die gefangen genommenen Kollegen wieder mit drunter. Man scheint sich geeinigt zu haben. Die Menge strömt allmählich aus dem Haus. Dann wird abgeschlossen. Gruppen lösen sich auf. Polizei, noch höflich, fordert zum Auseinandergehen auf. Langsam zerstreut sich alles. Doch es dauert noch viele Stunden. Immer neue kommen und gehen. Das Gerücht fließt durch die Stadt. Es hat Tote und Verwundete gegeben, heißt es.
Die Toten liegen drinnen im Hof. Eine Kommission wird erwartet, ehe man sie fortschaffen wird. Ein Soldat und ein paar Zivilisten. Darunter auch der junge Mann, der eigentlich erst alles in Fluss gebracht hatte. Er ist der Polizei als Zuhälter bekannt. Wird aber auch nicht nein gesagt haben, wenn es ein anderes dunkles Geschäft galt. Er liegt gleich voran. Wie ein Wahnsinniger hat sich der gebärdet, sagt jemand, der eine Soldat hat seinen ganzen Browning an ihn verschossen, ein zähes Aas. Das Gesicht ist noch streng gezogen, scharf durchfurcht. Noch ist das Gesicht alabasterweiß, eine schwarze Locke hängt über die Stirn, die feucht schimmert. Er hat die Lage für die Arbeiter gerettet, der Tapfere. Man wird ihn vergessen. Ein Bürger hätte gesagt, der Mann wollte sterben, denn es war Selbstmord. So fiel er, der Tapfere, als ein Opfer der allgemeinen, der großen Revolution - inmitten eines kläglichen Straßenauflaufs. Ein ungeheurer Hass hatte ihn getrieben, ungehemmt — und er ist erlöst, sagt man. Als Überlebender. Viele wollen nicht erlöst sein, sie verkriechen sich. Sie sterben im Bett. Sie schämen sich nicht, auf Krankheit zu warten, auf das Verfaulen, während draußen die Revolution der Menschheit ist. Sie furchten sich angeschossen zu werden, eingefangen und in Gefängnissen zu Tode gequält. Kameraden, dabei ist nur dieses die Form unseres Lebens, wenn es zu Ende gehen soll. Noch ist es feig und bürgerlich, an Altersschwäche zu sterben, wir Menschen, die im Zusammenprall der Zeitalter leben.
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