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Franz Jung - Arbeitsfriede (1922)
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Ein Sommertag — die Kinder spielen auf der Wiese

Die Häuser flimmern in lichten Farben. Darüber blaut Dunst. Noch oben sind weiße Tupfen geblieben. Wie von der Hand, die in der Eile das alles aufgebaut. Auf der Straße nach der Station rollt eine Staubwolke hinter einem Wägelchen her. Grillen.
Auf der Wiese jagten die Kinder. Es gibt Wiesen, die sind so grün wie die Spielsachen und Bäume, die in den Warenhäusern der großen Städte für die Kinder der Reichen gekauft werden, damit diese sie in die Salons herumstellen. Es gibt auch Wiesen, die haben nur noch hier und da einen grünen Fleck, Grasbüschel denn die müssen sein, sonst wäre es keine Wiese, sonst ist aber alles sehr schmutzig und gelb. Wo die grünen Flecke waren, da spielen die Kinder und auf dem anderen Teil weiden die Ziegen. Sie sind angepflockt. Und wenn die Kinder mal plötzlich lärmen, aufschreien, da zerren die Ziegen an ihren Stricken. Sie verfangen sich und stolpern und steigen dann hoch, als wären sie wieder auf den Bergen. Aber die kleinen Ziegen gehen aufeinander los, stoßen die Köpfe aneinander und die hohen Stirnbögen, denn es ist Zeit, dass die Hörner bald kommen. Dann schielen sie nach den grünen Grasbüscheln, die noch weit sind und die Schnur so kurz. Doch die Kinder stehen dort, alle auf einem Haufen. Ein dicker Knäuel und wenn die Kinder einmal zusammenstehen und beraten, ist's immer still. Da spricht nur einer und schlägt was vor und erzählt was und alle lauschen. Da sind die ganz Kleinen dabei, die noch kaum richtig gerade über die Wiese laufen können und ordentlich schaukeln wie so ein Kielboot. Schuhe brauchen sie alle nicht und wenn sie spielen, laufen sie bald zusammen, bald wieder auseinander — und dann bilden sich Gruppen, die ganz für sich alleine weiter machen. Man kennt sich nicht aus. Aber es ist so, sie freuen sich überhaupt nur, dass sie beieinander sind. So wird es auch mit den Alten noch werden.
Reigen, wo die geputzten Kinder der Reichen, die wie die Pudel aussehen, sich geziert im Kreise drehen, kennt man nicht. Und ein solches Kind würde verlegen abseits stehen, denn Mama hat strenge verboten mit den Arbeiterkindern zu spielen. Die sind roh und ungezogen und schmutzig, sagt sie. Da steht das Kind abseits, es möchte mitspielen, es weiß nur nicht, wie anfangen. Man holt es nicht. Es kennt auch nicht, was die da spielen, und fängt an zu weinen, bis Mama die Zuckertüte zieht.
Auf der Wiese die haben aber gerade ein großes Johlen angefangen. Ein kleines Mädchen zieht einen viel größeren Jungen im Kreise herum. Und alle lachen und am meisten freut sich der Bengel, der wie eine Ziege hüpft. Aber welche wollen ihn puffen. Die kommen mit andern ins Gedränge, die ihn schützen wollen. Und dann lassen die den Jungen laufen, schreien und dann alle hinter ihm her. Die Jagd tollt um den Platz, zwischen den Ziegen durch, die Kleinsten stolpern und werden umgerannt. Mit Halloh und Heidi, mit Heulen zwischendurch — die sich weh getan haben — dann haben sie ihn wieder und eine andere führt ihn im Kreise herum.
Der Junge war viel älter als die meisten der Kinder. Er hätte schon müssen ein paar Jahre in die Schule gehen. Aber er lernt so schwer. Und er ist immer gerade bei den Kleinsten. Mit denen freundet er sich an und läuft mit herum. Und allmählich entwachsen sie ihm. Er hat schon mit den Großen damals gespielt, die jetzt abseits für sich stehen und etwas ins Werk setzen werden wo man die ganz Kleinen nicht gebrauchen kann. Sind doch auch schon welche darunter die Vaters Zigaretten rauchen. Denen ist er zu dumm. Er versteht gar nicht, was die wollen und sie lassen ihn fallen, schütteln ihn ab, wenn er mal mit drunter ist. So bleibt er bei den Kleinen und spielt Ziege und freut sich dabei. Er versteht noch nicht, dass er ausgeschaltet werden soll. Noch ist Sommertag auf der Wiese. Dann geht die Sonne im großen Bogen und wird breit und blechern und sinkt tiefer und tiefer. Sie rutscht von oben runter und wird über und über rot. Die Mutter hat schon ein paar Mal gerufen. Die Ziegen zerren und laufen unruhiger hin und her. Dann kommt die Mutter aber selbst und ihre lauten Rufe schneiden über die Wiese. Sie scheuchen die Schar auseinander. Aber sie fasst schnell zu, die Frau, und sie hat die ihrigen jetzt fest an der Hand. Marsch ins Haus, Vater schimpft schon. Aber die Kinder wissen, dass es nicht wahr ist und wollen sich noch wehren. Da gibt’s manchmal noch was ab. Allmählich wird’s still, draußen auf der Wiese. Die Dämmerung zieht. Der Wald rückt näher. Und der erste Stern guckt vor und glitzert vorwitzig. Dann schiebt sich der Vorhang zu. Die Nebel steigen.


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