| Im Suff Dann kam der Teufel über ihn. Wohin sollte er gehen, ins Haus, da  saß die vergrämte und verheulte Frau, zu andern Leuten, vorbeugen, sich  verteidigen, wie sah das aus, sie kamen ihm ja auch nicht entgegen — er  schwankte noch — dann ging er nach der Station zu. Wie einer, der etwas  Drückendes beizeiten hinter sich geworfen hat, heiter und guter Dinge.  Jenseits der Station, über den Bahndamm weg, wo die Sonntagsausflügler  aus der Stadt in den Wald rein zu gehen pflegten, hatte seit einiger  Zeit ein Gastwirt seine Bude aufgeschlagen. Vorläufig waren nur die  Bretter roh aneinander gefügt, es sah noch mehr aus wie ein Schuppen,  innen drin — draußen war der Sommergarten aufgestellt. Im Herbst wollte  der Wirt bauen und ganz hier draußen bleiben. Er hatte daher schon  einige Bekanntschaft mit den Bewohnern in der Umgegend angeknüpft, um  sich besser einzuführen. Das Geschäft entwickelte sich aber nicht  erwartungsgemäß. Die Leute zogen es vor, zu Haus zu bleiben und das,  was sie bei ihm holten, war nicht der Rede wert. Hans war wohl schon im  Vorübergehen mal eingekehrt kannte aber den Wirt nicht, dagegen  begrüßte ihn dieser um so herzlicher, denn der hatte ihn sicher öfter  gesehen, auch wusste er, dass er in der Werkstätte einer der  Hauptmacher war. Er zog ihn gleich an den Schanktisch. Sie wurden bald  wie die vertrautesten Freunde.Merkel hatte sich seit langem nicht  so befreit gefühlt. Er konnte einmal sein ganzes Herz ausschütten. Es  hörte ihm jemand eifrig zu und bekräftigte alles. Sie tranken Kognak,  dänischen Korn und immer dazwischen einen Bittern. Hans packte  gründlich aus. Aber er hätte besser getan, das vor seinen Kollegen zu  tun. Denn es war keine Spur von Hochmut mehr drin, in dem was er sagte.  Er versuchte eher alles zu erklären, warum er mit denen auseinander  gekommen war. Und er setzte dem Wirt eingehend auseinander, was er mit  dem Ausbau der Kolonie beabsichtigt hätte und wie ein Rad ins andere  greifen müsse. Der war ganz begeistert, denn es konnte nicht  ausbleiben, dass, wenn jeder erst hier mal seine Arbeit hatte, auch das  Geschäft besser ging. Er überschlug schon in Gedanken, ob es sich nicht  verlohnen würde, ein Doppelhaus zu bauen, in denen einige Läden Platz  finden könnten. Zweifellos hatte der Ort eine Zukunft. Zwischendurch  verzog sich gelegentlich Merkels Gesicht für einen Augenblick, Schatten  huschten drüber hin, und der Mund kniff sich zusammen. Aber um so  eifriger freundete sich der Wirt an und erwies sich als ein  verständiger sozial denkender Mann, der auch seine Leute leben ließ.  Verschiedene Lagen hatte der Wirt schon ausgegeben. Sie waren in der  Bude allein. Die Dämmerung kroch aus den Winkeln. Der Mensch windet  sich in seinen Fesseln, reißt an den Gittern. Schmerz frisst sich ein  und eine wahnwitzige Wut wird lebendig. Wie Gewittersturm geht es über  das Herz und es nützt nichts, dass es sich zusammenkrampft. Das Blut  kann nicht heraus, es ist eingesperrt und bohrt nur tiefer, wie man  sich auch dreht und wendet. Und Merkel goss noch einen Schnaps drauf.  Dass er die Stellung aufgegeben hat, fühlte er, war ja ganz gut. Wenn  er sich Mühe gibt, wird er eine andere finden, und das wird er  bestimmt. Er konnte schließlich überall anfangen. So einer ist nicht  auf den Kopf gefallen, sagte er zu sich selbst. Mochten die anderen  dann in der Partei arbeiten. Ich kann das nicht mehr mitmachen. Es geht  alles so schrecklich langsam, es ist noch genau wie vor einem Jahr.  Nichts hat sich geändert, wenn man die Leute sieht, verliert man alle  Hoffnung, am liebsten möchten sie einander selber auffressen. Und er  goss noch einen Schnaps drauf. Am besten ist es, einfach loszugehen,  den ganzen Kram liegen zu lassen. Hat er denn Glück gehabt mit der Frau  — die Kinder sind krank, sie sieht ihn immer an, als wolle er sie  umbringen, dass sie um ihr Leben bitten muss. Und dann zum Teufel,  sicher hat sie noch immer den andern Kerl im Kopf, der so dämlich war,  sich erschießen zu lassen. An ihm hängt sie nicht, denkt er. Und er  goss wieder einen Schnaps drauf. Dann ist das auch so eine Sache   überhaupt,   mit Menschen so nahe beieinander zu leben. Immer stehen  sie sich im Wege und fängt der eine gerade an zu pfeifen, heult der  andere, und das soll auch der Teufel
 fertig bringen, sich nach der Decke zu strecken, wenn schon die Wände  auf einen fallen. Und er musste an seinen Vater denken, wie der die  ganze Familie fest in Ordnung hielt und manchmal war es dort so still,  dass man den Atem hörte. Mochte es gewesen sein wie es wolle, eine  verdammte Feldwebelnatur, er hatte sich nicht unterkriegen lassen, und  es schien Hans jetzt, als hätte dort allein Ordnung geherrscht. Von der  Mutter konnte er sich keine rechte Vorstellung mehr machen. Sicher hat  sie mit den andern Weibern gejammert und geklatscht, aber sonst hatte  sie in der Wirtschaft gearbeitet, dass er noch heute Lärm und Hast  davon in den Ohren hatte, die Kinder aufgezogen und alles getan, was  der Vater angeordnet hatte. Die brauchten nicht daran zu denken, wie  sie miteinander auskommen, grübelte Hans. Dann schämte er sich wieder,  denn das war ja eben das Elend in einer solchen Familie. Daraus konnte  ja ein vernünftiger Mensch sich nicht entwickeln. Das war so klar, da  braucht man erst keine Bücher darüber zu lesen. Seine Geschwister  kannte er gar nicht mehr, wusste nicht, wo sie hingekommen waren. Und  er goss einen neuen Schnaps drauf. Die See rauschte, die Welt tat sich  auf. Die Städte und Menschen, in die man sich hineinstürzen,  verschwinden konnte, taten ihm nichts. Sie ließen ihn frei und die  Sehnsucht kam, wieder zur See zu gehen. Schmeiß alles hinter dich, hier  ist nicht dein Platz, raunte es. Die Leute wollen dich nicht, und du  hast mit den Leuten nichts zu schaffen, du bist weder Packesel, noch  hast du Lust, hier den Schulmeister zu spielen und dir die Galle an den  Hals zu ärgern. Und er sprach sich tapfer Mut zu und vergaß das Trinken  nicht. Das besorgte zwar schon der Wirt, doch hatte der nicht die Lust,  das gleiche Tempo, in dem sie angefangen hatten, fortzusetzen. Er goss  mehr wie einen, den Hans für ihn ausgegeben hatte, in das Wasserbecken,  in dem die Gläser gespült wurden, und Hans, der eifersüchtig darauf  wachte, dass der Wirt sich auch mit einschenkte, musste mehr als einmal  mahnen. Der Wirt hatte schon einen roten Kopf und wusste nicht mehr  viel auf die Freundschafts- und Kameradschaftsbeteuerungen zu sagen.  Und zur Politik schwieg er grundsätzlich, auch wenn er noch so sehr  angezapft wurde.
 Er hatte auch diesmal Glück. Wer weiß, wie sie noch auseinander  gekommen wären, wenn nicht zwei Arbeitsfrieder mit hinzugekommen wären,  die im Vorbeigehen einen trinken wollten. Die zog nun Hans mit einer  lärmenden Geschäftigkeit mit an den Tisch. Es wurde Licht gemacht, denn  es war schon spät, und die Arbeitsfrieder wären gern bald wieder nach  Haus gegangen. Aber Hans ließ das nicht zu. Er suchte alle möglichen  Punkte, sie zu fesseln, von der Kolonie, von der Partei, von der  nächsten Zukunft und wie genau er voraussagen könne, wie sich alles  entwickeln würde. Er tat sich mächtig groß. Die waren das von ihm gar  nicht gewöhnt, auch dass er so kameradschaftlich und lustig war und  taten ihm mit ein paar Lagen Bescheid. Auch der Wirt war wieder  aufgetaut und sorgte für die Unterhaltung. So verging noch eine Weile,  dann wurden aber die beiden merklich unruhig, und Hans hatte etwas auf  der Zunge, das alles zwischen ihm und Arbeitsfriede wieder gut machen  sollte. Aber er bekam es nicht heraus. Und wenn er recht ansetzte wurde  es so lächerlich und klang so demütig winselnd, dass er bald wieder  stoppte. Die anderen konnten sich keinen Begriff davon machen, sie  sahen nur, dass Merkel inzwischen ziemlich betrunken war, Merkel aber  fühlte immer brennender, wie wichtig es war, dass er alles gutmache und  hier die Kolonie in Fahrt brachte und seinen alten Platz wieder  einnahm, denn hier musste er Wurzel fassen oder nirgends. Er bekam  plötzlich eine schreckliche Angst, dass etwas vorgefallen sein könnte,  etwas Unwiderrufliches. Er überfiel die beiden mit  Freundschaftsbeteuerungen und strich die Arbeitsfrieder ordentlich  heraus und beschwor sie, bei ihm zu bleiben und das mit bekräftigen zu  helfen. Die aber fanden das albern und widerwärtig und drückten sich.  Wie man sagt ohne Abschied. Hans war mal rausgegangen und als er  wiederkam, waren die andern fort. Er sagte erst gar nichts. Denn seine  wirren Gedanken brauchten geraume Zeit sich zu ordnen. Dann aber wollte  er eine Wut aufbringen. Es gelang nicht. Dazu fehlte es bereits an  innerer Kraft. Schließlich hätte er weinen mögen wie ein kleines Kind,  hilflos und unaufhörlich und immer stärker. Wenn ihn der Wirt nicht  gestört hätte, der auf ihn einsprach, mit der Absicht Schluss zu  machen. Davon aber wollte Hans nichts wissen, und sie tranken noch  verschiedene, bis der Wirt immer einsilbiger und schließlich sogar grob  wurde. Ob er denn noch Geld genug habe. Und wirklich Merkel hatte nicht  genug, denn es war eine ganz anständige Zeche aufgelaufen. Sie kamen  noch in einen heftigen Wortwechsel, der damit endete, dass der Wirt  Merkel an die Luft setzte und hinter ihm die Tür abschloss. Er  verrechnete sich aber, Merkel machte draußen keinen Skandal, zerschlug  auch nicht die Scheiben, wie er gedroht hatte, sondern torkelte die  Straße nach der Kolonie zu, den Kopf tief auf die Brust hängen lassend.  Er ging und ging und er hatte nicht viel andre Gedanken, als dass er  bald nach Haus müsse, denn dort wäre Ruhe. Dann war die letzte Kraft am  Ende. Er stolperte über einen Stein und blieb liegen. Leute kamen noch  von der Station. Die sahen ihn liegen und wandten sich voller  Verachtung weg. So also sah der aus. Da erkannten sie, man konnte nicht  vorsichtig genug sein, bald hätten sie sich den ganz aufgeladen. Und  einer aus der Werkstätte nahm sich vor, dafür zu sorgen, dass dieser  Kerl ihre Bude nicht mehr betritt. Mit dem musste man beizeiten Schluss  machen. Sich so vollzusaufen wie ein Schwein, sagte eine Frau. Wo er  nur das Geld dazu her hat, vom Arbeiten doch sicher nicht. Und alle  verachteten ihn. Die Frau des Klinger kam noch spät nachts rum zur  Merkein mit der Botschaft, dass Hans unten am Wege liegt. Er hatte sich  schon ein Stück weiter gearbeitet. Und die beiden Frauen gingen und  holten den Mann rein. Es war ein schweres Stück Arbeit. Er drückte sie  beide mit seiner Last, die sich wie ein Klotz an sie hing, nieder. Sie  mussten ihn schleifen. Die Nacht war still. Der Frühling war da. Die  Gärten blühten und das Glück lag in der Luft. Das letzte Stück Weg  begann Hans zu singen. Er grölte und gurgelte und kotzte dann  erbärmlich.
 
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