| Wie eine und dieselbe Sache  verschieden beurteilt werden kannAn einem der nächsten Sonntage stapften fünf Arbeitsfrieder durch  die Heide nach dem Gutshofe zu. Der Sand, in den sie mit jedem Schritt  bis an die Knöchel versanken, war schon in den Vormittagsstunden  glühend heiß. Eine flammende Wolke von Staub und Sonne lag über den  weiten Äckern jenseits der Chaussee. Das Korn stand spärlich, es schien  kaum hochzukommen und wies große weiße Flocken auf. Wie ein Teppich,  den die Motten zerfressen haben. Der Kaufmann streckte die Hand aus,  die er ein paar Mal in der Schwebe rumdrehte und rief: Es wird wieder  heiß. Die andern sagten ja. Sie keuchten sich vorwärts. Es wird  verdammt heiß. Von dem alten Weißbach hatten sie noch nicht viel Gutes  gehört. In welchem Zustande bloß die Äcker waren. Genau genommen hörte  man überhaupt nichts von ihm, er ließ sich nirgends sehen und seine  Leute schienen nicht viel anders. Die Arbeiter waren mehr neugierig  einmal zu sehen, was da auf dem Hof los war. Sie kamen ja nicht als  Bettler. Wollten auch keine Arbeit, obwohl sie sich vorgenommen hatten,  auch die Werkstätte in Empfehlung zu bringen. Man konnte ja nie wissen,  vielleicht war der da gar nicht so schlimm, wie man sagte. Der Kaufmann  war noch am ängstlichsten, denn er hatte wohl schon mit ihm zu tun  gehabt. Und von dem guten Willen des Alten hing jetzt viel ab. Etwas  ängstlich waren selbstverständlich die andern auch. Sie hatten nämlich  keine Ruhe gegeben, diesen Gang zu beschleunigen. Andere hatten  vorgeschlagen, erst mal hintenrum zu hören, vielleicht erst einen  vorzuschieben, der noch nichts Bestimmtes sagt. Aber das „gleich aufs  Ganze" hatte schließlich gesiegt. Besser war es schon, gleich zu  wissen, woran man ist. Sie berieten zum so und so vielten Male, wie sie  sich verhalten wollten. Das Beste wäre, sagten sie anschließend, dem  Mann nicht zu sehr zu widersprechen, und ihn ruhig reden zu lassen. Wir  besprechen uns dann nachher unter uns, was wir daraus machen können.  Und nicht mit der Tür ins Haus fallen. So einer ist im Stande und  schmeißt uns schon raus aus Eigensinn und schlechter Laune. Viel wird  er sowieso von uns nicht wissen wollen, dachten sie. Der Kaufmann muss  den Sprecher machen und wenn Fragen gestellt werden, werden sie selbst  schon antworten. Ob er wohl weiß, dass so eine Gewerkschaft über  größere Gelder verfügt, als dieses ganze Land hier wert ist, meinte  einer, wir wollen ja auch nichts geschenkt haben, bekräftigten sie. Der  Kaufmann aber hieß sie davon stille sein. Sie mussten damit operieren,  dass sie pachten wollten oder überhaupt nur die Erlaubnis ein paar  Morgen Heide zu bebauen. Der kann doch froh sein, wenn das Land  kultiviert wird. Und hat man ihn soweit, dann können wir schon ein  anderes Mal weiter zufassen. Wir werden ja sehen, sagten sie, und damit  bogen sie in den Gutshof ein.Der alte Weißbach sah recht  verdrießlich aus, wie er sie empfing. Er blieb in seinem Sorgenstuhl am  Fenster sitzen, die Füße hatte er mit Tüchern umwickelt, und wie er die  Eintretenden dann aufforderte Platz zu nehmen, wussten die erst nicht  recht, sollten sie sich setzen oder nicht. In der Mitte dieses dunklen  Zimmers, ein Baum dicht vorm Fenster nahm ihm jedes Licht, stand ein  breiter Tisch, ein schweres protziges Stück Möbel. Um den setzten sie  sich. Hier muss es ziemlich feucht sein, dachten sie, es riecht auch so  muffig, und dabei scheint der noch die Gicht zu haben. Und ihre hellen  luftigen Wohnungen, in denen die Sonne war, erschienen wieder vor  ihnen. Der Kaufmann hatte in den allgemeinsten Worten das, was sie  zunächst wollten, gerade auseinandergesetzt und der Alte hörte  bedächtig zu. Jetzt hieß es aufpassen. Sie hatten keine Zeit mehr  nachzudenken über die alte Frau, die ihnen die Tür geöffnet hatte, ob  sie wohl überhaupt noch zur Arbeit zu gebrauchen war, so krumm und  klapprig hatte die ausgesehen — auch nicht über den Zustand der  Baulichkeiten, die sie gerade mit dem ersten Blick überflogen hatten.  Das Wohnhaus, so schmutzig und baufällig es auch von außen erscheinen  mochte, war doch das protzige Herrenhaus, wie solche auf dem Lande noch  stehen. Efeu und Wein rankten dran empor und haben die Fassade unter  sich längst begraben. Mit dem Haus hätten sie nichts anzufangen  gewusst. Der ganze Hof war so unheimlich still. Hatten denn die kein  Vieh, na man wird ja hören, trösteten sie sich. Die Stille schärft das  Misstrauen. Sie hörten sehr aufmerksam zu. Ein Teil hielt den Kopf  vorgebeugt, als dürfe ihm auch kein Wort entgehen, als warteten sie nur  auf das Zeichen loszulegen. Der andere Teil saß in sich versunken,  bedächtig und weise, als ließen sie das, was der Kaufmann vorbrachte,  noch einmal prüfend genau vor ihrem geistigen Auge vorüberziehen. Und  sie wogen dabei fortwährend den Stand ihrer Aussichten und gaben sich  auch verstohlen manchmal einen Blick.
 Aber der Alte schien seltsamerweise gar nichts dagegen zu haben. Er  ließ sich erklären, wie sie das Land bebauen wollten und fragte nach  Einzelheiten aus der Siedlung und sagte schließlich, man könne ja über  die Benutzung des Geländes einen Vertrag ausarbeiten, verdienen wolle  er daran nichts. Das ging alles besser wie man erwarten konnte. Der  Alte machte sich sehr verständig. Und es trat eine kleine Pause in der  Unterhaltung ein. Der Kaufmann hatte bisher bis auf wenige  Zwischenbemerkungen verschiedentlich nach einem schicklichen Abgang  gesucht. Der Alte kaute an seinem Schnurrbart. Man sah ordentlich, wie  der Mann von Tag zu Tag verfiel und eintrocknete. Der Kaufmann sah sich  nach den andern um. Er hätte vielleicht gern gesehen, die wären  aufgestanden. Aber sie blieben sitzen und schienen gar nicht daran zu  denken, das Feld zu räumen. So musste er das Gespräch noch einmal  wieder aufnehmen. Und allmählich, man fühlte deutlich, mit welcher  Unlust, nur getrieben durch die hinter ihm Sitzenden tastete er sich zu  ihren eigentlichen Absichten durch. Er kam darauf, dass man den  Gedanken aufnehmen könne, wieder neu zu bauen, und dass man dann  vielleicht auf jene Grundstücke rechnen könne, wenn man zu einer  entsprechenden Erweiterung ihres ersten Vertrags käme. Warum denn  nicht, sagte der Alte, schließlich kommen Sie gerade noch zur rechten  Zeit, denn ich bin die längste Zeit hier gewesen. Da erst horchten die  andern auf, und sie begannen mit dreinzusprechen vom Bau und der  Zusammenfassung der Kolonien, und der Kaufmann rückte mehr und mehr in  den Hintergrund. Weißbach war vielleicht überhaupt froh, von seinen  Dingen sprechen zu können. Er wurde jetzt ganz gesprächig. Er fing  davon an, dass er noch gar nicht wisse, ob er nicht selbst bald  rausgesetzt würde. Es sei schon Zwangsverwaltung beantragt, aber noch  einmal abgewiesen worden. Er gäbe mehr aus für Rechtsanwälte als für  die ganze Wirtschaft. Die ist auch nichts mehr wert. Ich habe es satt.  Das waren immer wiederkehrende Redensarten. Und er sähe das jetzt  selbst ein, das beste wäre, das ganze zu bebauen. Das Land ist durch  die Stadt verpestet, sagte er, es gedeiht da nichts mehr. Aber er bekam  auch andere Antworten darauf zu hören. Die Verabredung war vergessen,  und sie stritten ihm ziemlich so alles ab. Der Alte nahm es aber nicht  weiter übel. Jetzt erst erinnerte sich der Kaufmann.
 Der Alte lebte in Unfrieden mit seinem Bruder und der war jetzt  gestorben. Der Alte hatte das Gut vom Vater übernommen, und sich  verpflichten müssen dem Bruder Nießbrauch zu bezahlen. Die Brüder  hatten sich auch immer gut verstanden. Sie lebten zusammen auf der  Wirtschaft viele Jahre lang. Der eine als gelernter Landmann arbeitete,  der andere, der irgend etwas studiert hatte, aber anscheinend nicht  fertig geworden war, denn er tat nichts, saß so herum. Das ging so  lange, bis dieser Bruder auch noch heiratete und sich immer mehr auf  dem Gut häuslich einrichtete. Der ältere blieb unverheiratet. Was Geld  ausgeben hieß, da hatten sich schließlich beide nichts vorzuwerfen,  denn auch der Alte hatte seine Maitressen in der Stadt und sich eine  Zeit mal in den Kopf gesetzt, Pferde zu züchten. In Sportkreisen hatte  er aber, wie noch das Gerücht ging, keinen guten Eingang gefunden, denn  man hielt ihn für einen Bauer. Er war weder Offizier, noch hatte er  studiert. Er hatte wohl nicht mal gedient aus irgend einem Grunde. So  steckte er die Zuchtversuche bald auf, da sie zudem noch riesige Summen  verschlangen. Da war der Bruder glücklicher gewesen. Der hatte großen  Verkehr in der Stadt, und bald kamen auch die ersten Wechsel, die der  ältere einlösen musste. So ging das weiter und schnell bergab. Es kam  Zank und Streit und schließlich zog der Bruder mit Frau und Kindern ab  nachdem er noch eine größere Abfindung erpresst hatte. Das war noch  alles vor der Zeit, ehe Arbeitsfriede gegründet wurde. Das Gut verfiel  immer mehr, der Alte ging nur noch selten aus dem Haus. Der größte Teil  der Äcker war verpachtet, und der Pächter wohnte mit im Haus und  besorgte die Wirtschaft mit. Alles verfiel. Der Pächter verlor auch die  Lust, er war gleichfalls schon alt. Leute zum Arbeiten wurden immer  weniger angenommen. Es wurde nur noch das Allernotwendigste gemacht. Da  war jetzt der Bruder gestorben, der Kaufmann hatte es irgendwo gelesen.  Und die Erben machten Schwierigkeiten, erzählte der Alte seinen  Besuchern. Sie möchten ihn am liebsten entmündigen lassen. Der Antrag  war schon gestellt. Dabei hat der Bruder Hunderttausende geschluckt,  weit mehr als ihm überhaupt zukam. Sie spionieren mir auf Schritt und  Tritt nach. Stecken sich hinter meine Leute. Sie passen auf, ob ich mir  mit weißem oder gelbem Papier den Arsch wische und was ich auch mache,  alles wird aufgeschrieben und spricht für irgend etwas, wie's gerade  sein soll. Ich hab’s ihnen noch mal heimgezahlt, aber wer weiß, wie  lange. So erzählte der Alte in einem fort. Und die Arbeiter freuten  sich darüber. Sie sahen nur ihren Vorteil darin. Das Alte wurde morsch  und machte den neuen Ideen Platz. Da war kein Raum für Mitleid, wenn  sie auch mit ernster etwas ehrfürchtiger Miene zuhörten. Sie hätten  viel lieber laut losgelacht, nicht über den Alten, aber aus Freude  darüber, wie gut die Sachen standen. Auch der Kaufmann hatte jetzt  wieder den Faden in der Hand. Er fand sich geschickt in die neue Lage.  Er verstand sich darauf, dem Alten Mut zu machen. Er solle doch in die  Stadt gehen und seinen Lebensabend in Ruhe verbringen. Die Sorgen  reiben ihn auf und so weiter. Weißbach sagte darauf, daran hätte er  schon lange gedacht. Es fände sich nur kein Pächter mehr. Vom Verkaufen  wolle er nichts wissen, viel käme zudem nicht heraus, aber von so einer  Pacht könne er vielleicht auskömmlich leben. Da antworteten die andern  nicht darauf. Das Wort erstarb ihnen ordentlich im Munde. Daran hatte  überhaupt niemand zu denken gewagt, und was sie jetzt bewegte, das  behielten sie still für sich. Der Alte war so aufgekratzt, dass er  aufstand, um ihnen die Gebäude und den Garten zu zeigen. Damit Sie  sehn, dass ich nicht übertreibe, sagte er, es ist alles am Ende, nichts  mehr wert. Damit humpelte er voran.
 Die Ställe waren leer und wollten bald zusammenstürzen. Die  Steinpflasterung wies große Löcher auf. Nun, wissen Sie, krähte  Weißbach, Vieh zu halten ist jetzt unlohnend geworden. Für wen denn,  ja, hält man so was — da kommen die mit ihren Verordnungen und nehmen  einem alles weg. Man ist nicht mehr Herr im Hause. Dass die andern auch  Fleisch wollen und Butter, Eier und Milch, daran dachte der Alte nicht.  Das wäre ihm auch nie in den Sinn gekommen. Dagegen verbreitete er sich  über die Landwirtschaft, die nur im Großen betrieben werden könne. Der  Landwirt muss aus dem Vollen schöpfen können, meinte er. Da darf nicht  alles berechnet werden, wie viel das und jenes tragen muss. Heute, wo  alles abgeliefert werden soll, kommt der Landwirt nicht mehr vorwärts.  Wie die Jahre sind, man kann nicht alle Jahre gleich arbeiten. Es  verdirbt viel, es wächst aber auch zu. Der Landwirt muss freie Hand  behalten und den Überschuss selbst verwirtschaften können. Sonst geht  alles zu Grunde. Sie sehen ja. Aber die Arbeiter schwiegen dazu. Nur  einer, dessen Vater noch ein kleiner Bauer gewesen war und der noch von  der Landwirtschaft eine dunkle Ahnung hatte, gab hin und wieder  eintönige Antworten, dass er nur merkte, sie hörten zu. Weißbach  schaffte schon seit Jahren nichts mehr an. Das Ackergerät war in einem  schlimmen Zustande. Die Pferde für die Frühjahrs- und Herbstbestellung  lieh er aus der Stadt. Die Stadt frisst uns noch alle auf, seufzte er.  Und er führte sie im Garten herum, dessen zahlreiche Obstbäume  vernachlässigt waren und kaum Früchte tragen würden. Er habe keine Lust  mehr, sich drum zu kümmern. Weite Reihen Gemüsebeete lagen brach. Den  andern kam ordentlich die Wut. Sie mussten sich auf ihren schmalen  Streifen wer weiß wie quälen und hier lag alles nutzlos und verkam.  Dann verabschiedeten sie sich und gingen voneinander im besten  Einvernehmen.
 Kaum hatten sie den Hof indessen im Rücken, sprachen alle auf einmal.  Jeder hatte schon was Bestimmtes gesehen, was in Angriff genommen  werden könnte. Es war allzu klar, dass ihr erster Plan das Gut  gemeinschaftlich zu bewirtschaften, der Verwirklichung nahe war. Mit  einer geregelten Viehzucht könnte man jetzt anfangen, die Äcker noch in  Pacht lassen, aber zu anderen Bedingungen und gegen Naturallieferung.  Man sollte keinen Tag damit warten. Es kam allen vor, als hätten sie  großes Glück gehabt. Wir sind noch gerade zurecht gekommen — und sie  lachten über das ganze Gesicht. Das ist, was uns noch gefehlt hat. Und  sie spürten die Hitze gar nicht. Sie hatten es mächtig eilig in den Ort  zu kommen, denn die glückliche Botschaft, wenn sie auch nur eine  Aussicht war, brannte allen auf der Zunge.
 
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