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Franz Jung - Arbeitsfriede (1922)
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Ein missglückter Ausflug

Beim Gastwirt hatte sich hoher Besuch eingefunden. Ein Feldwebel mit seiner Frau hatte den Weg aus der Stadt nicht gescheut, sich die Gegend draußen mal anzusehen und zugleich den Quartiermeister zu spielen. Er war mit bei dem Kommando und wollte der Frau zeigen, wie sie in der Lage waren, sich die beste Wohnung auszusuchen. Die älteren Militärbeamten haben immer den leisen Verdacht, sie werden von ihren Frauen verachtet. Sie sind das Befehlen gewohnt, von der Kaserne und dem Depot her, und zu Hause, hört das meist sehr schnell auf. So einfach lassen sich die Frauen nicht befehlen, besonders wenn sie an ihren Männern sehen, dass deren Macht auf sehr tönernen Füßen steht. So entsteht für diese leicht die Gefahr, sich lächerlich zu machen, und meist werden sie dann auch als aufgeblasene Scharlatane und Maulhelden entlarvt und sind froh, wenn die Frau nicht allzu schwatzhaft ist. Es ist dies ein in der Entstehungsgeschichte der früheren Militäranwärter notwendiges Missgeschick, das man bei der Mehrzahl unserer Beamten heute noch verfolgen kann. Solcher lässt natürlich keine Gelegenheit vorübergehen, seine Machtbefugnisse ins rechte Licht zu setzen. Zudem bekam die sozusagen Dienstreise den Charakter eines angenehmen Ausflugs. Der Frau gefiel die Gegend schon aus dem fahrenden Zug heraus. Der Gastwirt war auch gerade der richtige Mann für die Einholung von Erkundigungen. Nicht nur hatte er sehr bald begriffen, worum es sich handelte, sondern er behandelte die beiden als liebwerten Besuch aus der Stadt, und nicht so sehr als Gäste, wodurch der Feldwebel manches sparte und dabei doch auf seine Kosten kam. Denn jeder Polizeisoldat trinkt und insbesondere der Wachtmeister. Und wenn es nur seiner Uniform zu Ehren und für den guten Ruf ist. Niemand will Spaßverderber sein, und wer einen ausgeben will, dem sagt kein ehemaliger Feldwebel nein, sondern er sorgt lieber dafür, dass der andere dafür das rechte Verständnis bekommt. Lassen wir das es gehört schließlich nicht hierher. Jedes Volk hat die Büttel, die es sich selber bestellt. Der Wirt war mit der Entwicklung der Dinge sehr zufrieden. Er beschrieb alles, so gut er es wusste und allzu viel war das nicht und dachte bei sich, die Hauptsache ist, dass Ruhe und Frieden bleibt, und er nahm sich selbst vor, wo es ginge den Vermittler zu spielen. Sein Lokal wäre dafür der geeignete Ort. Er vergaß auch nicht darauf hinzuweisen, was dem Feldwebel auch einleuchtete. Nach einigen weiteren Schnäpsen waren sie soweit, dass der Feldwebel ein paar Prozente erhandelt hatte von dem, was die Mannschaften beim Wirt vertranken. Er wollte besondere Abende veranstalteten, denn der Wirt machte einige Schwierigkeiten. Er wusste genau, dass sich die Mannschaften nicht mehr so am Gängelbande führen lassen, wie früher. Dafür sind es jetzt aber ganz junge vom Lande, sagte der andere, und dann haben sie auch Geld genug. Wenn Sie nicht wollen, machen wir selber eine Kantine auf. Das zog schließlich. Und sie wurden wieder ein Herz und eine Seele. Die Frau hatte sich unterdessen im Hause umgesehen und war auf die Wirtin gestoßen, mit der sie sich des langen und breiten unterhielt.
Vieh unterhielten die Wirtsleute zwar nicht, auf Milch und Butter und so etwas war nicht zu rechnen; dafür hatten sie andere Quellen, und Versprechungen nach dieser Richtung wurden viele gemacht. Wenn wir Gäste genug haben, dass sich auch warme Küche lohnt, denn wissen Sie, hier draußen kann man daran etwas verdienen, denn schließlich müssen wir doch andere Preise nehmen wie in der Stadt, dann fällt schon etwas ab, verlassen Sie sich darauf — und sie schieden in bestem Einvernehmen. Ein gut Teil der Zeit, die sie zur Verfügung hatten, war schon vergangen, aber gut angebracht. Soweit war alles klar. Sie wanderten jetzt behäbig und einträchtig, gut genährt und getränkt, zufrieden mit sich und dem Herrn, der sie auf die Welt gesetzt und ihnen einen wichtigen Posten gegeben hatte, Arm in Arm die Straße entlang und der Kolonie zu. Die ersten Häuser traten ihm entgegen, die Kiefern oben am Berg verneigten sich, die Wiese lächelte ihnen freundlich zu, und ein Zicklein meckerte zum Willkommen. Das war die Welt, die ihnen offen stand.
Man muss sagen, dass es ihnen ausnehmend gut gefiel. Die Häuser schienen zwar ein wenig zu klein, doch sahen sie anders aus als ihre Baracke, in der sie zwei Zimmer hatten, Gott sei Dank haben sie keine Kinder. Die Gärten waren auch dürftig. Die Obstbäume sahen ja noch aus wie die reinen Ziersträucher. Und die Erdbeeren überall so verwildert der Boden war wohl nicht gut. Man muss halt sehen, zu tun wird es genug geben, und solcher Seufzer mehr. Die Luft war rein und frisch. Es ließ sich aushalten. Nur nicht zu viele von den Kameraden hier. Du musst sehen, dass Du die möglichst in die weitere Umgebung legst, sagte die Frau. Da gibt es ja noch mehr solche Siedlungen. Selbstverständlich, er wird sich seine Leute nicht zu nahe auf den Hals laden.
Im Verwaltungsgebäude, das ihnen genau beschrieben war, und auf das sie jetzt zuschritten, war Totenstille. Die Glocke schrillte zwar und nicht zu knapp, denn mit der Zeit lernt man wie man auftreten muss, wenn man sich gleich von Anfang an gut einführen will — aber es öffnete niemand; unter Brummen über die Lotterwirtschaft machten sie sich selbst auf. Sie blieben im Flur stehen, aber es zeigte sich keine Seele. Denn es war niemand da. Sie warteten und traten dann zur rechten Hand in den Büroraum; es sah alles sauber und aufgeräumt aus, machte einen freundlichen anheimelnden Eindruck, aber von Arbeit schienen die hier wenig zu halten — wird anders werden, brummte der Gewaltige. Und sie standen noch eine Zeit, die Frau hatte sich schon gesetzt und warteten, sprachen erst leise, dann lauter und heftig über die Art der Leute, das Haus ohne Aufsicht zu lassen. Schließlich war kein offenkundiger Grund vorhanden, jemanden besonders dafür verantwortlich zu machen. Wenn ich das gewusst hätte, würde man sich haben anmelden lassen und sie warteten noch wieder eine Zeit, denn wenn man schon einmal da ist, soll man es auch ausnützen. Vielleicht kamen ihnen andere zuvor, durchs Haus zu gehen trauten sie sich nicht. Endlich sagte die Frau, sie wird mal in die Nachbarschaft gehen und sich erkundigen, jemanden wird sie doch finden. Der Mann blieb. Es war in den frühen Nachmittagsstunden. Es konnte noch mehrere Stunden dauern, bis die Männer aus der Arbeit kamen. Das war ein verwünschtes Hindernis. Er lief missmutig auf und ab. Abends hatte er wieder Dienst, und wer weiß, ob er noch mal rauskommen konnte bis zur Übersiedlung. Ab und zu stampfte er auf, er war doch dazu hier, sich sein Haus anzusehn und Angaben für die antsprechende Herrichtung zu machen. Pech. Da kam seine Alte wie eine wütende Sau angeschossen. Sie schrie schon von weitem, sie war noch gar nicht im Hause: Friedrich, Friedrich — das sind ja hier nette Leute. So ein Pöbelvolk, um Gotteswillen, Friedrich — willst Du denn nicht herauskommen, und die Töne schraubten sich wie bei der Klarinette immer weiter nach oben. Und Friedrich stürzte aus dem Haus. Was war, was war, wer hat et cetera. Das eine Weib hatte die Tür vor ihr zugeschmissen, und eine andere, der sie sagen konnte, warum sie überhaupt hergekommen wären, hätte furchtbar angefangen zu toben und diese Ausdrücke, Friedrich — mir zittern noch die Knie, jammerte sie. Und aus dem Nachbarhaus, die hat gleich rausgeschrieen, sie wird mir einen Topf kochendes Wasser auf den Kopf gießen, und dann der Haufe Kinder, der gleich da war. — Und Friedrich, um zunächst Umschau zu halten, sich zu zeigen, trat mitten auf die Straße und sah nach den Häusern. Aber er sah noch nicht richtig, da traf ihn schon ein Ballen Pferdemist mitten ins Gesicht. Dann hagelte es nur so, auch Steine darunter und lautes Johlen. Die Frau schien zu denken, jetzt greift er ein. Ja, wie soll er das.
Er fluchte zwar und schrie wilde Drohungen, aber soll er gegen das ganze Dorf, er allein jedes Haus stürmen, wie sieht das aus. Nun, Friedrich, schrie die Frau. Friedrich aber stieß sie in die Seite, nicht zu sanft. Nu mach, dass Du weg kommst. Du siehst doch, wir können doch jetzt nichts machen. Und als sie noch den Mund vor Staunen offen hielt, vielleicht noch was sagen wollte, da hätte er sie beinahe in die Fresse gehauen. Je mehr er gegen die Jungens und den Ort, desto lauter schrieen die. Alle Morgen kam der Milchfuhrmann. Es war genug Mist da. Und im Garten Steine. Die Frau kreischte hoch auf, als ihr einer direkt an den Schädel flog. Es nutzte nichts, dass der Mann fortwährend seinen Säbel in der Hand hielt, das sah lächerlich aus. Und sie schimpften sich und stießen sich und drängten einander, bis sie außer Wurfweite waren.


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