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William Dudley Haywood - Unter Cowboys und Kumpels (1930)
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Fünftes Kapitel
Die Bergarbeiterföderation des Westens

Für den Kongress der Bergarbeiterföderation des Westens, der im Jahre 1898 in Salt Lake City stattfand, wurde ich zum Delegierten des Bergarbeiterverbandes von Silver City gewählt.
Die meisten Grubenorte des Westens hatten Delegierte entsandt: Die Kupferbergarbeiter aus Butte, Montana; die Bleibergarbeiter aus Coeur d'Alene, Idaho; die Goldbergarbeiter von den Black Hills in Süd-Dakota und aus Cripple Creek, Colorado; die Silberbergarbeiter aus der Stadt Virginia, Nevada, der „Mutter aller Gruben". Die Bergarbeiterorganisationen der meisten dieser Städte waren früher Gruppen der „Ritter der Arbeit" gewesen. Auch aus anderen Teilen der USA waren Delegierte der Metall- und Kohlenbergarbeiter sowie der Hütten- und Schmelzwerkarbeiter vertreten. Die Föderation repräsentierte zusammen mit den Vereinigten Bergarbeitern, die der AFL angeschlossen waren, das Riesenheer der mit der Hebung der Bodenschätze Nordamerikas beschäftigten Arbeiterschaft.
Gleichzeitig mit dem Kongress tagte in Salt Lake City der Gründungskongress des Arbeiterbundes des Westens (Western Labor Union), einer Dachorganisation, der sich die verschiedenen Organisationen des Westens anschließen sollten. Unter denen, die sofort ihren Beitritt erklärten, war auch die Bergarbeiterföderation des Westens. Von dem früher einmal erwogenen Beitritt zur AFL wurde nicht mehr geredet, nachdem die Delegierten der Bergarbeiterföderation des Westens auf einem Kongress der AFL den Eindruck gewonnen hatten, dass von dem Anschluss an die Gompers-Organisation nichts Gutes zu erwarten sei. Allerdings: die AFL hatte noch nicht alle Hoffnungen aufgegeben. Während die beiden Kongresse in Salt Lake City tagten, erschien plötzlich Samuel Gompers in höchsteigener Person, begleitet von einem ganzen Stab von Mitarbeitern.
Dieses untersetzte Exemplar der Gattung Mensch verkörperte sicherlich nicht die Mitgliedschaft der AFL. Sam war sehr klein und klotzig gebaut, mit einem großen, stellenweise kahlen Kopf, der dem eines an Ringelflechte leidenden Kindes ähnlich sah. Er hatte kleine, unruhige Augen, einen harten, grausamen Mund mit großen, dünnen, abfallenden Lippen, fleischige Wangen und eine knochige Kinnlade. Ein eitler, eingebildeter, eigenwilliger und rachsüchtiger Charakter. Man konnte sich ausmalen, dass er sogar über die Niederlage in einem großen Arbeiterkampf scherzen konnte, wenn dieser vol einer Organisation geführt wurde, die seine Ansichten bekämpfte.
Als Gompers im Jahre 1887 unter dem Druck der Chicagoer Arbeiter vor dem Gouverneur Oglesby erschien, um sich angeblich für die Märtyrer von Chicago einzusetzen, waren seine ersten Worte:
„Ich habe mein ganzes Leben lang die Prinzipien und Methoden der hier Verurteilten abgelehnt."
Die „Ritter der Arbeit" waren damals eine starke, im Wachsen begriffene Organisation mit fast 800 000 Mitgliedern. Ihre rapide Entwicklung zu dieser Zeit zeigte Gompers deutlich, dass die AFL, die Organisation der Berufsverbände, die er gegründet hatte, nicht erfolgreich bestehen konnte, wenn die revolutionären Forderungen der Arbeiter ermutigt wurden. Gompers sagte in seinem an Gouverneur Oglesby gerichteten Gnadengesuch: „Nichts auf Erden würde dieser so genannten revolutionären Bewegung einen größeren Ansporn geben, als die Hinrichtung dieser Leute. Diese Männer würden, und nicht etwa aus Erwägungen der Barmherzigkeit oder Menschlichkeit, als Märtyrer betrachtet werden. Tausende und aber Tausende von Arbeitern auf der ganzen Welt würden glauben, dass diese Männer hingerichtet wurden, weil sie für die Rede- und Pressefreiheit eintraten.
Wir bitten Sie, Sir, Ihre große Macht in die Waagschale zu werfen, um ein so grässliches Unheil zu verhindern." (Anm.: Samuel Gompers: Seventy Years of Life and Labor, Bd. II, New Wk, S 180/181.) In Gompers' Warnung an den Gouverneur kam deutlich das Streben seines ganzen Lebens zum Ausdruck: die Entwicklung der revolutionären Bewegung der Arbeiterklasse zu verhindern.
„Ich erinnere mich, dass ich kühl und ruhig sprach, dass ich vor dem Gouverneur um Gnade plädierte, so stark ich es vermochte, und ihn bat, den Männern zum mindesten für längere Zeit eine Gnadenfrist einzuräumen, um ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre Unschuld zu beweisen, falls sie unschuldig wären."
Das einschränkende Wörtchen „falls" kennzeichnete Sam Gompers' Loyalität gegenüber der revolutionären Arbeiterbewegung Amerikas. Und diese Sätze schrieb Gompers dreißig Jahre, nachdem Gouverneur John P. Altgeld in einer Beurteilung dieses Prozesses eindeutig festgestellt hatte:
„Keiner der Angeklagten konnte irgendwie mit dem Fall in Verbindung gebracht werden. Die Geschworenen waren parteiisch ausgewählt. Man nahm Zuflucht zu großzügigen Bestechungen und Einschüchterungen der Zeugen. Die Angeklagten wurden nicht des Verbrechens überführt, dessen sie angeklagt waren."
Dieses schurkische Verhalten hatte Gompers bereits den Hass aller klassenbewussten Arbeiter eingetragen. Die Erbitterung gegen ihn steigerte sich noch, als seine Rolle bei der Abwürgung des Streiks des Amerikanischen Eisenbahnerverbandes im Jahre 1894 bekannt wurde. Der vom Amerikanischen Eisenbahnerverband unternommene Kampf schien Gompers die geeignete Gelegenheit zu geben, diesen der AFL nicht angeschlossenen Verband zu vernichten. Schon als er in Indianapolis in den Zug nach Chicago stieg, bemerkte er zynisch:
„Ich fahre zum Begräbnis des Eisenbahnerverbandes." Seinen Anstrengungen verdankten denn auch die amerikanischen Eisenbahner und die Arbeiter der Pullmann-Schlafwagenfabriken ihre Niederlage, den Zusammenbruch des Amerikanischen Eisenbahnerverbandes und die Einkerkerung von Eugene V. Debs und einer ganzen Anzahl weiterer Kameraden.
Für Gompers schlugen also in unseren Reihen keine Herzen. Mit diesem Verräter an der Sache der klassenbewussten Arbeiter wollten wir nichts zu tun haben und lehnten deshalb jede Verbindung mit der AFL ab. Zum Präsidenten des Arbeiterbundes des Westens wurde Daniel MacDonald aus Butte gewählt; ich selbst wurde Mitglied der Exekutive. Die Bergarbeiterföderation des Westens war nun eine dem Arbeiterbund des Westens angeschlossene Organisation. Diese Kongresse waren für mein ganzes Leben entscheidende Ereignisse. Ich erkannte die Bedeutung der revolutionären Arbeiterbewegung und verstand nun viel besser den Kampf, den die Arbeiter geführt hatten, und die Opfer, die in ihrem Ringen um die Befreiung aus der Lohnsklaverei von ihnen gefordert wurden. Ich wusste nun, dass der Kampf weitergehen musste, und war entschlossen, aktiv daran teilzunehmen. Nach Silver City zurückgekehrt, nahm ich gleich wieder meine Arbeit in der Blaine-Grube auf. Doch außerhalb der Arbeitszeit widmete ich meine ganze Kraft dem Aufbau der Organisation. Ich war Vorsitzender des Ortsverbandes und berichtete auf der nächsten Versammlung über den Kongress. Zu dieser Zeit begann ich auch an der von der Bergarbeiterföderation des Westens herausgegebenen Monatsschrift „Miners' Magazine" mitzuarbeiten. Die Ortsgruppe machte große Fortschritte, und sehr bald konnten wir in Silver City feststellen, dass jeder Arbeiter gewerkschaftlich organisiert war. Als uns die Aufforderung zur Teilnahme an dem nächsten Kongress der Bergarbeiterföderation des Westens erreichte, wurde ich wieder zum Delegierten gewählt. Kurz vor der Abfahrt nach Salt Lake City, wo der Kongress auch diesmal wieder stattfand, erhielten wir durch die Zeitungen und durch ein Telegramm der Zentrale der Bergarbeiterföderation die Nachricht von einer Explosion in Coeur d'Alene, die einen der erbittertsten Arbeitskämpfe in der Geschichte der amerikanischen Arbeiterbewegung einleitete.
Die Bunker Hill and Sullivan Company und die Last-Chance-Grube zahlten fünfzig Cent am Tag weniger als alle anderen Zechen in Coeur d'Alene. Nun hatten die
anderen Gesellschaften, die bisher dreieinhalb Dollar am Tag zahlten, eine Bekanntmachung angeschlagen, dass auch sie die Löhne herabsetzen würden. Die Bergarbeiter beschlossen, Widerstand bis zum Äußersten zu leisten, und versuchten mit aller Energie, einen höheren Lohn auch für die Kumpels zu erkämpfen, die bislang niedriger bezahlt worden waren.
Die Einführung von Bohrern mit maschinellem Antrieb trug zur Verschärfung des Konfliktes bei. Die Bevölkerung in den furchtbaren Bleigrubenorten war vom Fieber der Revolte gepackt. Verhandlungen waren von vornherein aussichtslos; Streik war ihre einzige Waffe. Am 29. April 1899 wurde in Wardner eine große Demonstration abgehalten, an der alle Mitglieder sämtlicher Gewerkschaften des Bezirkes teilnahmen. Die letzte Warnung war verklungen. Die Lunten wurden angezündet. Dreitausend Pfund Dynamit explodierten und sprengten die Bunker-Hill-and-Sullivan-Hutte in die Luft. Eine wirre Masse von zerbrochenem Stahl, Eisen und zersplittertem Holz war alles, was übrig blieb. Die Bergarbeiter hatten ihrem angesammelten Groll Luft gemacht. Einige von ihnen bedauerten vielleicht die Zerstörung dessen, was Arbeiterhände aufgebaut hatten, aber der Alp, der auf der ganzen Bevölkerung gelastet hatte, war wenigstens vorläufig von ihr genommen. Die Leiter und Grubenbeamten, die kein Wort der Ermutigung für die verzweifelten Bergarbeiter gefunden hatten, wurden jetzt äußerst rührig und forderten ein Eingreifen des Staates. Sie hatten ohne Zögern die gesamte Bevölkerung zugrunde richten wollen, jetzt aber erhoben sie ein Klagegeschrei um ein zerstörtes Hüttenwerk. Der Gouverneur Frank Steunenberg, ein richtiger Scharfmacher, wandte sich an den Präsidenten McKinley um Entsendung von Bundessoldaten, die auch sofort
nach Coeur d'Alene in Marsch gesetzt wurden. Nach
Ankunft der Soldaten wurde der Ausnahmezustand verkündet. Mehr als zwölfhundert Mann wurden ohne Haftbefehl festgenommen und für Monate ins Gefängnis geworfen, ohne dass Anklage gegen sie erhoben wurde. Man steckte sie in den „Bullenstall", eine von hohem Stacheldrahtzaun eingeschlossene Baracke, die nicht einmal zur Unterbringung von Vieh taugte. Im ganzen Westen waren die Bergarbeiter über die niederträchtige Behandlung erbittert, die ihren Brüdern in den Bleigruben von Idaho zuteil wurde. Auf jeder Zeche, in jedem Hüttenort und an vielen anderen Orten wurde Geld gesammelt und den Not leidenden Frauen und Kindern zugeschickt. Protestresolutionen, in denen die Gewaltmaßregeln verurteilt und die Verantwortung der Bergbaugesellschaften nachgewiesen wurden, liefen in Massen beim amerikanischen Kongress ein. Die Ereignisse von Coeur d'Alene warfen naturgemäß auch ihre Schatten auf den Gewerkschaftskongress in Salt Lake City. Die Delegierten konnten kaum an etwas anderes denken oder von etwas anderem reden. Zwölfhundert Mitglieder waren im Gefängnis, darunter neun des Mordes Angeklagte. Frauen und Kinder lebten unter dem furchtbaren Druck des Ausnahmezustandes. Der Bundeskongress, die Gerichtshöfe und die Armee waren gegen uns. Jeder von uns fragte sich: Wie lange wird es dauern, bis so etwas in meinem Grubenort geschieht? Wie kann man es abwenden? Ich wusste nur eine Antwort: organisieren, unsere Kräfte vermehren. Solange wir zersplittert waren, konnten die Unternehmer nach Belieben mit uns umspringen.
Im Herbst wurde eine Sitzung der Exekutive, in die ich hineingewählt worden war, in Butte, Montana, dem Sitz der Bergarbeiterföderation, abgehalten.
Auf der Fahrt dorthin fiel mir die Öde der Gegend ringsum auf. Kein Grün, alles war durch die Dämpfe und den Rauch der Haufen brennenden Erzes getötet worden. Die giftigen Gase wurden von dem Schwefel entwickelt, den man aus dem Erz herausbrannte, bevor dieses verhüttet wurde. Die Schwefeldämpfe waren so giftig, dass sie nicht nur Bäume, Büsche, Gras und Blumen töteten, auch Katzen und Hunde konnten in Butte nicht leben, und die Hausfrauen beklagten sich, dass diese Dämpfe die Kleider verdarben. Die Stadt mit der Kupferseele war rings um die Gruben von Butte erbaut. Ihre Bewohner atmeten Kupfer, aßen Kupfer, trugen Kupfer an den Kleidern und waren vollkommen mit Kupfer durchsättigt. Der Rauch, die Dämpfe und der Staub drangen überall hin und hafteten allen Dingen an. Viele Bergarbeiter litten an eiterigen, durch das verpestete Wasser verursachten Kupfervergiftungen. Die Sterblichkeit in Butte war enorm. Die an die Mitglieder des Bergarbeiterverbandes von Butte ausgezahlten Krankenunterstützungsgelder gingen in die Hunderttausende von Dollar. Die Ausgaben für Leichenbestattungen waren erschreckend groß. Die Zahl der Toten, meist jung gestorbene Bergarbeiter, reichte fast an die der lebenden Bevölkerung heran, obwohl die Stadt noch sehr jung war. Das menschliche Leben war das billigste Abfallprodukt dieses großen Kupferlagers. Der Bergarbeiterverband von Butte, Verband Nr. 1 der Bergarbeiterföderation des Westens, war damals der größte gewerkschaftliche Ortsverband in Amerika; er zählte zeitweilig fünftausend Mitglieder. In Butte existierten außerdem noch ein Maschinistenverband und eine Gruppe der Gewerkschaft der Hüttenarbeiter, die beide der Föderation angeschlossen waren. Die Sitzung der Exekutive beschloss, John C. Williams,
Mitglied der Exekutive aus Grass Valley, Kalifornien, und mich nach Coeur d'Alene zu entsenden, um den Streikenden die Grüße der Bergarbeiterföderation des Westens zu überbringen und um über die Lage in dem Streikbezirk, über den der Ausnahmezustand verhängt war, Informationen zu sammeln und zu berichten. Wir verließen Butte und nahmen in Missoula an der Great Northern den Zug nach Burke, unserer ersten Station. Der Teil der Rocky Mountains, in dem das Grubengebiet von Coeur d'Alene liegt, ist von Bergschluchten und tiefen Canyons zerfurcht und zerklüftet. Die Bergabhänge sind rau und felsig. Überall stößt man auf alte, verfaulte Stümpfe von Bäumen, die zur Verwendung als Bauholz in den Gruben, als Eisenbahnschwellen und als Feuerholz gefällt worden waren; überall Sträucher und Gebüsch, wilde Himbeeren und andere Waldfrüchte in Unmengen. Wo die Wälder noch nicht durch die Axt gefällt oder durch Feuer vernichtet sind, gibt es Bären, Hirsche und anderes Wild. In den kalten, klaren Bächen tummeln sich Bergforellen. Der Coeur d'Alene-See liegt wie ein durchsichtiger Edelstein inmitten der rauen Umgebung der Berge. Es ist eine wundervolle Gegend für eine Sommerreise, aber ein schrecklicher Aufenthalt während des langen Winters mit seinen Lawinen, mit dem Ausgraben von eingeschneiten Häusern und den beschwerlichen Wegen von und zur Arbeit, wenn der Schnee bis an die Hüften reicht. Die Eisenbahn läuft zwischen den Bergen durch Tunnels, auf Stahlbrücken über tiefe Klüfte, enge Schluchten hinauf und hinunter, wo nur gerade genug Raum für die Bahnstrecke ist. Bevor es eine Eisenbahnlinie gab, war der Esel das einzige Transportmittel; Jäger, Siedler und Indianer waren die einzigen Bewohner dieser Gegend. In Burke, unserer ersten Station im Kampfgebiet, suchten
wir die Frau Paul Corcorans, des Sekretärs unserer dortigen Ortsorganisation, auf. Paul Corcoran selbst war kurz nach der Explosion ins Gefängnis geworfen und des Mordes an einem gewissen Bartlett Sinclair angeklagt worden. Auf diese schon nicht mehr ungewöhnliche Weise sollte in der Person ihres Führers die Organisation getroffen werden. Die Bleigrubenunternehmer erreichten, dass Paul Corcoran zu siebzehn Jahren Zuchthaus in Boise, Idaho, verurteilt wurde. Als Staatsanwalt fungierte der spätere Senator der Vereinigten Staaten für den Staat Idaho, William A. Borah. Paul Corcorans Frau versprachen wir, alles zu tun, um die Entlassung unseres Kameraden aus dem Zuchthaus durchzusetzen.
Die einzige Straße in Burke war so eng, dass gerade genug Raum für die Eisenbahnlinie blieb. Wenn der Zug eingefahren war, konnte weder auf der einen, noch auf der anderen Seite ein Wagen passieren. Der Canyon war so tief, dass die Sonne nur in die Stadt hineinschien, wenn sie schon fast im Zenit stand.
In Mullen begegneten wir Paddy Burke und einigen anderen Mitgliedern des Verbandes. Unsere Arbeit musste wegen des immer noch herrschenden Ausnahmezustandes illegal durchgeführt werden; aus diesem Grunde mieden wir auch die Lokale der Soldaten. Wir wollten den Kameraden im Gefängnis einige Worte der Ermutigung zukommen lassen; sie sollten wissen, dass ihnen die Sympathie und solidarische Unterstützung der Organisation, für die sie die Haft in dem verpesteten, von Ungeziefer wimmelnden Loch erduldeten, sicher waren. Die Leiden der Haft im „Bullenstall" hatten die Bergarbeiter nicht gebeugt. Von ihrem Trotz zeugte ein aus Holzleisten, Planken und Leinwand gefertigtes Schild, das - durch ein abgehobenes Stück des Daches
hindurchgeschoben - in weithin leuchtender Inschrift verkündete: Die Amerikanische Bastille. Das ging General Merriam sehr gegen den Strich, da er anscheinend der Meinung war, sein moderner „Bullenstall" werde nicht genügend respektiert.
Wir trafen einen von den acht des Mordes beschuldigten Männern, denen es gelungen war, aus dem „Bullenstall" zu entkommen. Ich bat ihn, mir zu erzählen, wie ihm und seinen Genossen die Flucht gelungen sei. „Nun", sagte er, „es war weiter nichts dabei. Was zu tun war, machten die Burschen draußen. Eines Nachts kam Sergeant Crawford in den Raum, in dem wir gefangen gehalten wurden. Er sagte, ,Kleidet euch an, Leute, ihr sollt ins Spital!' Wir waren bald bereit und marschierten mit einer kleinen Bedeckung von zwei oder drei Soldaten los. Als wir an das Tor in dem Stacheldrahtzaun kamen, ging Crawford voran und antwortete auf die Frage der Wache ,Halt, wer da?', ,Sergeant Crawford mit einer Abteilung für das Spital'. Als wir draußen waren, sagte er uns, wir sollten uns davonmachen. Alle, bis auf zwei von uns, haben den Bezirk verlassen." Sergeant Crawford wurde wegen der Beihilfe zu dieser Flucht auf die Zuchthausinsel Alcatraz, Kalifornien, verschickt. Außer seiner Verurteilung zu neun Jahren wurde er unter Aberkennung aller militärischen Ehren aus der Armee entlassen.
Paddy Burke erzählte uns auch von dem Versuch der Eingekerkerten, durch einen unterirdischen Gang zu entkommen. Die für eine solche Arbeit geeigneten Bergarbeiter hatten unter einer der Pritschen ein Loch in den Boden gegraben, tief genug, um über dem Tunnel eine Decke zu lassen, die auch nicht einbrechen würde, wenn ein Wagen darüber fuhr. Als der Tunnel länger wurde, schaffte man den Schutt in einer Holzkiste hinaus. Sie
mussten ihn in den Schlafkästen oder darunter verstecken und ihn, so gut es ging, zusammen mit der Asche hinaustragen. Der Bau machte gute Fortschritte. Es fehlte nicht viel, und Hunderte von Gefangenen wären durch diesen kleinen Tunnel in die Freiheit der Berge geflohen. Aber eines Tages bemerkte der Mann, der gerade an der Arbeit war, dass die Luft stickig und giftig wurde. Er nahm den Feuerhaken, mit dem er mangels einer Picke grub, und begann an der Decke ein Loch zu bohren, damit die schlechte Luft aus dem Tunnel abziehen könne. Dabei stach er mit der Ofengabel ausgerechnet in das Hinterteil eines faulenzenden Soldaten, der oben am Boden ausgestreckt lag. Der Muschkote sprang auf und schrie, er sei von einer Schlange gebissen worden. Andere Soldaten kamen hinzugelaufen, aber sie konnten keine Schlange finden. Statt dessen wurden sie auf ein kleines Loch am Boden aufmerksam, und bei näherer Untersuchung entdeckten sie den Tunnel. Als die Bergarbeiter erfuhren, dass ihr Tunnel entdeckt worden war, verfluchten sie ihr Missgeschick und den Soldaten, aber sie mussten gute Miene zum bösen Spiel machen. Eine der Soldatenkompanien bestand aus Farbigen aus Brownsville, Texas. Wir hatten alle Ursache, anzunehmen, dass die Regierungsbeamten mit der Einsetzung schwarzer Soldaten als Wächter über die weißen Gefangenen die Bergarbeiter noch stärker herausfordern wollten. Sie rief auch einen Sturm der Entrüstung hervor, aber nicht so sehr gegen die schwarzen Soldaten, wie gegen diejenigen, die überhaupt für die Abkommandierung von Soldaten in den Bergwerksbezirk verantwortlich waren. Einer der Offiziere, ein dreckiger weißer Schurke, sandte Briefe an die Frauen und Schwestern der im „Bullenstall" eingekerkerten Männer, in denen sie aufgefordert wurden, die Soldaten gut zu behandeln und zu unterhalten, mit der Bemerkung, dass sie „dementsprechend berücksichtigt würden". Der Schurke war nicht besorgt um die ihm unterstellten Leute, sondern sein Vorgehen hatte nur den Zweck, den ohnehin schon hilflosen Gefangenen noch eine weitere Kränkung zuzufügen. Es war jedenfalls eine Beleidigung, die Familien der Bergarbeiter aufzufordern, sich irgendwie um die Soldaten zu kümmern, und es war ein bewusster Versuch, auch noch Rassenvorurteile in die Atmosphäre hineinzutragen.  Rassenvorurteile waren aber bisher unter den Bergarbeitern unbekannt gewesen: weder bei der Arbeit, noch in der Organisation gab es irgendeinen Unterschied in Bezug auf Rasse oder Farbe. Während der langen Monate, in denen die Bergarbeiter im Gefängnis lagen, beschäftigten sich die Gesellschaften mit allerlei Plänen zur Abwürgung der Gewerkschaften. Sie brachten Schläger, die auch gut mit dem Revolver umzugehen wussten, in den Bezirk. Aber die Karte, auf die sie am meisten setzten, war das „Allgemeine Arbeitsvermittlungsbüro". das sie in Wallace einrichteten. Mit der Leitung desselben wurde ein früherer Detektiv betraut. Es war eine Art Agentur zur Führung von schwarzen Listen. Um in einer Grube im Bezirk Arbeit zu bekommen, konnte sich ein Mann nicht wie früher direkt in der Grube melden, sondern er musste erst zum Arbeitsvermittlungsbüro in Wallace gehen, um sich dort einer kritischen Untersuchung über seine Mitgliedschaft in der Gewerkschaft, seine früheren Arbeitsstellen usw. zu unterwerfen. Eine genaue Personalbeschreibung jedes Bewerbers wurde aufgenommen. Jeder, der die Untersuchung passiert hatte, erhielt eine „Bewerberkarte" und eine Anweisung für die Stelle, wo Leute gesucht wurden. So wurden Hunderte von gewerkschaftlich nicht organisierten Leuten und Streikbrechern aus Sudbury, einem
Kupferort in Kanada, aus Joplin, Missouri, und anderen Orten untergebracht. Es war vollkommen klar, dass den Gewerkschaften eine schwere Zeit bevorstand. Bevor ich nach Silver City zurückkehrte, fuhr ich noch nach Rocky Bar und organisierte dort die Bergarbeiter und andere für die Mitgliedschaft in Betracht kommende Arbeiter in einer Ortsgruppe der Bergarbeiterföderation des Westens.
Die Lage in Silver City war unverändert. Ich arbeitete im Florida-Tunnel. Eines Tages, als ich die Lage noch einmal überdachte, nahm ich eine leere Kiste und schrieb auf ein Seitenbrett eine Resolution, in der Gouverneur Steunenberg wegen Einkerkerung der Bergarbeiter im „Bullenstall", wegen der Anwesenheit der Soldaten und der Verhängung des Ausnahmezustandes in Coeur d'Alene verurteilt wurde. Am gleichen Abend schrieb ich die Resolution zu Hause nochmals nieder und legte sie auf der nächsten Versammlung dem Verband vor. Sie wurde angenommen und im „Miners' Magazine" ver­öffentlicht.
Als in der Blaine-Grube Maschinenbohrer eingeführt wurden, arbeitete ich zusammen mit Big Harry Palmer in einem langen Querstollen, der zu der Banner-Grub hinübergetrieben wurde.
In diesem Stollen, viertausend Fuß unter der Erdoberfläche, legte ich den Bohrer zum letzen Mal aus der Hand. Es war 3 Uhr morgens, als ich mich zum Kongress aufmachte, der am selben Morgen um 6 Uhr früh in Denver, Colorado, mit einer Tagung der Exekutive beginnen sollte. Wallace Johnson und Billy Williams waren als Delegierte des Verbandes gewählt worden. Ich selbst war damals nicht Delegierter, sondern Mitglied der Exekutive und fuhr schon eine Woche früher.

 

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