Fünfzehntes Kapitel
Der Streik in Lawrence
In New York hatten die IWW alle Vorbereitungen zu einer Versammlung getroffen, in der ich nach der Heimkehr das Wort nehmen sollte. In dem Meeting, das unter dem Vorsitz von Elizabeth Gurley Flynn durchgeführt wurde, gab ich meiner Freude über den Empfang Ausdruck, aber - so betonte ich - ich sei in Wirklichkeit nicht von daheim fortgewesen, denn überall auf meiner Reise durch die verschiedenen Länder sei ich bei der Arbeiterklasse gewesen. Ich berichtete von der Arbeiterbewegung in Frankreich, in England, in den skandinavischen Ländern und in Italien und sprach besonders über die mir wesentlich erscheinenden Unterschiede zwischen der syndikalistischen Bewegung in Frankreich und der Bewegung für Industriegewerkschaften in Amerika. In ihren ersten Jahren hatten die IWW die Geschichte der Bergarbeiterföderation des Westens geteilt; jetzt machten sie ihre eigene Geschichte. Der im Westen begonnene Kampf um die Redefreiheit hatte die Arbeiterklasse im ganzen Lande in Bewegung gebracht. In New York ebenso wie anderwärts war die Organisation im Wachsen. Die Stahlarbeiter im Osten und die Holzfäller und Landarbeiter im Westen wurden von den IWW organisiert. Im New Yorker Osten hatten sich kleine Gruppen von Arbeitern gebildet, die von der Idee der Industriegewerkschaft erfasst worden waren. Arbeiter, die von anderen Organisationen „übersehen" worden waren, fanden bei den IWW Aufnahme. Joseph Ettor, einer der erfolgreichsten Organisatoren der IWW, gründete die meisten Gruppen im Osten, wobei er von Elizabeth Gurley Flynn tüchtig unterstützt wurde. Viele Arbeiter der Schuhfabriken in Brooklyn wurden von den IWW erfasst. Die Vereinigten Schuharbeiter der AFL hatten nur einige wenige Mitglieder in den verschiedenen Betrieben. Sie hatten dort wie anderswo einen Vertrag mit den Fabrikanten abgeschlossen und arbeiteten für geringere Löhne als die IWW oder die unorganisierten Arbeiter. Um zu verhindern, dass auch ihr Lohnniveau auf jenes der AFL-Mitglieder hinabgedrückt wurde, erklärten die IWW einen Streik.
Während dieses Streiks kam es zu einem heiteren Zwischenfall. Ein früheres Mitglied der IWW hatte, noch zur Zeit seiner Mitgliedschaft, durch einen Straßenbahnunfall ein Bein verloren. Die IWW hatten die Krankenhauskosten bezahlt und ihm ein künstliches Bein angeschafft. Als nun aber der Streik begann, arbeitete dieser Mann weiter in der Fabrik. Eines Tages kam eine Gruppe von Streikenden in das Büro der Organisation, einer trug ein künstliches Bein auf der Schulter. „Was hast du da?" wurde er gefragt. „Wir haben hier das Bein, das wir mal für Dan Ritter gekauft haben. Wenn er Streikbrecherarbeit machen will, soll er hinhüpfen, unser Bein geben wir dazu nicht her!" Zu dieser Zeit wurde ich von New York nach Chicago gerufen, wo die Bekleidungsarbeiter in den Streik getreten waren. Die IWW hatten ungefähr achtzehntausend Schneider und Arbeiter verwandter Berufe organisiert, die nun ihre Forderungen aufgestellt hatten. Aber bevor die Forderungen noch den Fabrikanten Hart, Schaffner and Marx, der für diesen Streik ausschlaggebenden Firma, vorgelegt worden waren, hatten diese sogar schon mehr bewilligt, als die Streikenden verlangten; der Streik gegen diese Firma wurde sofort eingestellt. Für eine kurze Zeit hatte es den Anschein, als wollten sich die Schneider endgültig den IWW anschließen, aber sie organisierten dann den Verband der Vereinigten Konfektionsarbeiter, dem später die meisten Arbeiter des Bekleidungsgewerbes beitraten.
Auf einer neuen Tournee erreichte mich in Allentown, Pennsylvanien, ein Telegramm mit der Mitteilung, dass meine Mutter im Sterben liege. Ich sagte alle geplanten Veranstaltungen ab und eilte nach dem Westen - doch zu spät; in der Nacht vor meiner Ankunft war meine Mutter, meine gute Kameradin, verschieden. Nach der Bestattung kehrte ich nach Pennsylvanien zurück. Dort lebte ein Vetter von mir, der als Architekt beim Vandergrift-Stahlwerk gearbeitet hatte. Ihm trug ich den Wunsch vor, einmal das große Stahlwerk besichtigen zu können, und bat ihn, mir eine Erlaubnis dafür zu erwirken. Mein Vetter erklärte sich dazu bereit, erzählte mir aber gleich darauf von einigen Arbeiterführern, die vor kurzem in Vandergrift gewesen waren; man hatte sie zur Stadt hinausgejagt, und sie mussten über den Fluss schwimmen, um dem von den Beamten des Bezirks aufgehetzten Pöbel zu entgehen. Aber ich war unangemeldet nach Vandergrift gekommen, und niemand, außer meinem Vetter, wusste etwas von meiner Anwesenheit.
Nachdem der Einlass für mich erwirkt war, wanderte ich zwei Nächte lang durch die großen Anlagen. Ich erfuhr, dass die Walzer, Former und Putzer die bestbezahlten Arbeiter des Werkes waren. Ihnen gehörten die netten Häuser, die eine kleine Musterstadt bildeten. Sie besaßen Automobile, Ponywagen für ihre Kinder, Klaviere und Grammophone für ihre Frauen. Der Verkehr mit den Stadt- und den Geschäftsleuten ließ sie ihre Nasen hoch tragen. Als ich aber untersuchte, wo die Masse der Arbeiter lebte, stellte sich heraus, dass sie in einer kleinen, unten am Flusse gelegenen Stadt, Rising Sun genannt, hauste. In jedem Frühjahr waren ihre Unterkünfte wegen der Überschwemmungen unbewohnbar. Im Laufe der Ermittlung stellte ich fest, dass die gelernten Arbeiter mehr als die Vorarbeiter und Aufseher verdienten; aber die große Masse der Arbeiter erhielt sehr niedrige Löhne. Hier tat die Organisierung der Arbeiter not.
Von Vandergrift fuhr ich. nach McKees Rocks, wo die IWW einen Streik gegen die Pressed Steel Car Company führten. Dieser Streik war so vorzüglich organisiert, dass der Stahltrust zum Nachgeben gezwungen wurde. Es war das erste Mal, dass die niedrig bezahlten Arbeiter einen Streik gegen den Stahltrust gewannen. Die berittene Polizei von Pennsylvanien, von den Streikenden
„Schwarze Kosaken" genannt, hatte während des Kampfes einen der streikenden Arbeiter getötet. Nach dem Mord gaben die Streikenden der Polizei bekannt, dass für jeden getöteten Arbeiter drei Kosaken dran glauben müssten. Zur Zeit meines Besuches befanden sich einige Mitglieder der IWW, darunter Ben Williams, der Herausgeber der IWW-Zeitung „Solidarity", im Gefängnis. Ich suchte sie im Kerker auf und beteiligte mich an den Vorbereitungen zu einer Versammlung in Newcastle, die zum Protest gegen ihre Verhaftung organisiert wurde.
Im weiteren Verlauf der Tournee kam ich durch Tennessee, Kentucky, den Süden von Ohio und Indiana bis nach Chicago. In Chicago traf ich Abmachungen für eine Fahrt in den Süden, nach Louisiana, Arkansas und Texas, um mich dort mit den Holzfällern zu unterhalten. Der Holzarbeiterverband hatte eine Konferenz nach Alexandria, Louisiana, einberufen, der ich beiwohnen sollte.
Ich wusste, dass unter den Holzfällern und Sägewerkarbeitern in diesem Teil des Landes sowohl Weiße als auch Schwarze waren, und war daher sehr erstaunt, als ich beim Eintritt in den Sitzungssaal des Kongresses in Alexandria keine Neger unter den Anwesenden sah. Als ich mich nach dem Grund erkundigte, wurde mir mitgeteilt, dass es gegen das Gesetz in Louisiana sei, wenn Weiße und Schwarze zusammen in einer Versammlung säßen. Die Farbigen hielten ihre Versammlung in einem anderen Saal ab. Diese Feststellungen veranlassten mich zu einer Ansprache an die Versammlung: „Ihr arbeitet zusammen auf denselben Holzplätzen, in denselben Sägemühlen. Nicht selten fällen ein weißer und ein schwarzer Mann gemeinsam einen Baum. Jetzt haltet ihr eine Konferenz ab, um die Bedingungen zu erörtern, unter denen ihr arbeitet. Es kann nichts Vernünftiges dabei herauskommen, wenn ihr hier Resolutionen annehmt und sie dann in einen anderen Saal schickt, damit die schwarzen Arbeiter sie besprechen. Warum wollen wir nicht vernünftig vorgehen und die Neger zu dieser Konferenz einladen? Wenn dies gegen das Gesetz verstößt, so ist hier sicher ein Fall gegeben, in dem das Gesetz verletzt werden muss." Ohne einen Laut des Widerspruches von irgendeiner Seite wurden die Neger zur Sitzung eingeladen. Die gemischte Konferenz führte ihre Arbeit in geordneter Weise durch, und als es zur Wahl von Delegierten für den nächsten Kongress der IWW kam, wurden sowohl schwarze wie weiße Arbeiter gewählt. Während der Vorbereitungen für eine Massenversammlung in der Oper in Alexandria, auf der ich sprechen sollte, bat ich, für diese Versammlung ebenso wie für die vorangegangene Konferenz bekannt zu geben, dass die Neger unter den gleichen Bedingungen wie die Weißen an dem Meeting teilnehmen und sich hinsetzen könnten, wo es ihnen gefiele. Die Neger sollten nicht auf die obere Galerie gesperrt werden, wie es das Gesetz vorschrieb. Es war das erste Mal, dass eine Versammlung in solcher Weise in Alexandria veranstaltet werden sollte. Die Mitglieder wussten nicht, was möglicherweise geschehen würde, aber sie waren entschlossen, die Versammlung so, wie wir es festgesetzt hatten, durchzuführen. Die Oper war vom Parterre bis unters Dach überfüllt. Viele Neger waren zwar auf der Galerie, wahrscheinlich aus alter Gewohnheit, viele aber saßen auch unten zwischen den weißen Arbeitern. Es kam zu keiner Störung durch die Direktion oder die Polizei, und die Versammlung war von ungeheurer Wirkung auf die Arbeiter, die erkannten, dass sie Versammlungen ebenso gemeinsam durchführen konnten, wie sie gemeinsam arbeiteten.
Im Anschluss an die Tagung besuchte ich mehrere der im Süden gelegenen Holzfällerlager. In einem derselben, in Graybow, waren die Büros, die Warenhäuser und die Post von einem hohen Holzzaun eingeschlossen. Der Laden der Holzgesellschaft, der die Arbeiter mit allen Waren versorgte, arbeitete mit Gutscheinen. Das heißt, die Gesellschaft gab ihr eigenes Papier- und Messinggeld heraus. Diese Scheine und Geldstücke, von den Arbeitern „Fledermausflügel" und „Kirschkerne" genannt, wurden nirgendwo sonst in Zahlung genommen. Trotz aller Überwachung wurde in Graybow gegen die Long Bell Lumber Company ein Streik erklärt, der sich rapide auch auf andere Sägemühlen- und Holzfällerorte ausbreitete. In Graybow wurden einige Wächter und Angestellte der Gesellschaft sowie einige streikende Arbeiter getötet. Sieben weiße und fünf schwarze Streikende wurden ins Gefängnis geworfen und sieben Monate lang festgehalten, aber keiner von ihnen wurde verurteilt.
Man hatte mir von fast unglaublichen Verhältnissen in den Terpentinlagern erzählt, wo sich unter den Arbeitern einige zu kurzen Gefängnisstrafen verurteilte Männer befanden, die die Unternehmer im wahren Sinne des Wortes von den Bezirken, in denen sie verurteilt worden waren, als Arbeitskräfte gekauft hatten. Diese Leute waren einer unmenschlichen Behandlung unterworfen; oft wurden sie fürchterlich geschlagen. In einem solchen Lager ist erst vor wenigen Jahren der siebzehnjährige Martin Tabert zu Tode geprügelt worden.
Die Terpentin- und Holzverwertungsgesellschaften verstanden es, viele Arbeiter, sowohl schwarze wie weiße, in stärkere Fesseln zu schlagen, als sie es durch die Stahlketten der Sklaverei vermocht hätten. Sie züchteten bewusst die Gewohnheit des Genusses narkotischer Drogen unter den Arbeitern. In jedem Laden der Gesellschaft wurden Kokain, Morphium und Heroin verkauft. Sobald sie einmal dem Laster des Giftgenusses verfallen waren, konnten die Arbeiter nicht mehr daran denken, sich von ihrer sicheren Bezugsquelle zu entfernen, selbst wenn es ihnen gelang, genug Geld für die Reisekosten aufzutreiben. Solche Arbeiter wandern wohl von Lager zu Lager, aber verlassen niemals mehr diese Gegend. Die Gesellschaften hatten Frauen in die Lager geholt und in kleinen Blockhäusern untergebracht. Die Männer wechselten von Ort zu Ort, blieben in einem vielleicht einige Monate, vielleicht ein oder zwei Jahre, die Frauen aber blieben in ihren Hütten und nahmen die Neuankömmlinge für die Dauer ihres Aufenthaltes in dem betreffenden Lager als „Gatten" auf. Ich war oftmals in den Wohnungen der auf diese Weise verheirateten Arbeiter; es waren rohe Blockhäuser, aber so sauber gehalten, wie es nur weibliche Aufmerksamkeit vermag. Nachdem ich noch in Texas vor der Farmer-Bildungsliga, ebenfalls einer gemischtrassigen Organisation, gesprochen hatte, kehrte ich nach Chicago zurück. Dort vereinbarte ich mit der Kerr Cooperative Publishing Company eine Propagandatournee für die in diesem Verlag erscheinende „International Socialist Review". In jeder Ortsgruppe wurden zu den Versammlungen Eintrittskarten verkauft, die zugleich den Preis für ein Abonnement der Zeitschrift einschlossen. Ich berührte Duluth, Minneapolis und St. Paul und hatte eine ausgezeichnete Versammlung in Butte, Montana. In Anaconda, einer Hüttenstadt, herrschte überall eine so gedrückte Atmosphäre, dass ich sie „die Stadt des Gewispers" taufte. Die Arbeiter schienen es aus Angst vor Entlassung nicht zu wagen, ihren Mund aufzutun. In Spokane fand eine ausgezeichnete Versammlung statt. Die Arbeiterschaft war hier noch immer erfüllt von der Begeisterung des Kampfes um die Redefreiheit, den die IWW 1909/1910 geführt hatten. Die Behörden von Spokane hatten versucht, die Organisation der IWW zu vernichten und die Kampfentschlossenheit ihrer Mitglieder zu brechen, indem sie die Arbeiter in das Bezirksgefängnis steckten. Eine Zeitlang war das Gefängnis so überfüllt, dass die Insassen keinen Platz fanden, auf dem sie sich ausstrecken konnten; der Reihe nach legten sich immer nur einige auf einen dafür reservierten Platz, um ein paar Minuten zu ruhen. Die Fenster des Korridors, in den sie gesperrt wurden, waren geschlossen und die Dampfheizung war in Betrieb, um den Aufenthalt in diesem Loch vollends unerträglich zu machen. Schließlich wurde die Hitze so groß, dass die Gefangenen dachten, sie sollten in dieser Hölle ersticken.
Dieser Kampf in Spokane war nur eine der vielen Auseinandersetzungen für die Redefreiheit, die von den IWW im ganzen Lande geführt wurden. Aber jeder Kampf nahm eine besondere Entwicklung und wies immer neue eigenartige Züge auf; so kam es, dass die Tätigkeit der IWW in der Presse viel besprochen wurde und sich bei den jungen Wanderarbeitern das Gefühl von der Wichtigkeit und Stärke der Organisation entwickelte. Sie ließen sich nicht länger von der Polizei von einem Ort zum anderen hetzen, und wenn sie verhaftet wurden, kam ihnen die Gruppe, in der sie organisiert waren, stets zu Hilfe.
Wenn ein Kampf um die Redefreiheit begann, machte sich jeder beschäftigungslose Wanderarbeiter, der davon hörte, auf den Weg in die Stadt, wo der Kampf im Gange war, ließ sich mit in die überfüllten Gefängnisse stecken und machte es den Beamten auf jede Weise so ungemütlich, dass sich das Recht auf Redefreiheit schließlich durchsetzte. So waren zum Beispiel die Gefängnisse in Sioux City von IWW-Mitgliedern überfüllt. Die Behörden hatten einige Wagenladungen Granit kommen lassen und verlangten, dass die IWW-Anhänger ihn zu Schotter für Landstraßen zerkleinerten. Aber anstatt zur Arbeit zu gehen, traten die IWW in den Hungerstreik. Als sie vor das Gericht geführt wurden, fragte der Richter einen jungen Burschen: „Du bist doch ein Arbeiter, wie? Lass mich die Schwielen an deinen Händen sehen." „Ziehen Sie mal Ihre Hosen 'runter, Richter", erwiderte der junge Bursche, „damit ich sehen kann, wo Sie Ihre Schwielen haben!"
Nach einer Versammlung in Portland nahm ich den Dampfer nach Seattle. An Bord befand sich auch Fred Moore, ein Rechtsanwalt, der für die IWW arbeitete. Er kam als Bote von Clarence Darrow, dem Hauptverteidiger für die Brüder MacNamara, die in Zusammenhang mit der Explosion in der „Los Angeles Times" in Kalifornien, bei der mehrere Streikbrecher getötet worden waren, des Mordes angeklagt waren. Meinen Abmachungen gemäß sollte ich durch Kalifornien reisen; Moore überbrachte mir aber von Darrow die Weisung, nicht vor Beendigung des MacNamara-Prozesses nach Kalifornien zu kommen. Darrow war besorgt, meine Vorträge in Kalifornien würden von schlechter Wirkung auf den Ausgang des Prozesses sein. Ich hatte überall für die Genossen gesprochen, und die IWW arbeiteten für sie. Die gesamte organisierte Arbeiterschaft war empört über die Art ihrer Verschleppung. Es war eine Wiederholung dessen, was man mit Moyer, Pettibone und mir getan hatte, als wir von Colorado nach Idaho entführt wurden. Ich wollte nichts tun, was den Brüdern MacNamara schaden könnte, und beschloss nach sorgfältiger Überlegung, alle meine Abmachungen in Kalifornien rückgängig zu machen, änderte meine Reiseroute und fuhr nach Kanada.
Beim Übertritt über die Grenze fragte mich der Zollbeamte, ob ich das Land nur für einen kurzen Ausflug beträte. „Nur für ein paar Tage", erwiderte ich und verschwieg ihm, dass ich beabsichtigte, eine Tournee durch das ganze Land zu machen. Auf dieser Reise kam ich von Vancouver bis nach Cape Breton, von Küste zu Küste, und sprach unterwegs in allen großen Städten. Auf einer dieser Fahrten durch das an Naturschönheiten reiche Kanada passierte der Zug die Ruinen der Stadt Frank, die durch einen Bergrutsch begraben worden war. Frank war ein Grubenort gewesen, in dem Hunderte von Mitgliedern der Bergarbeiterföderation des Westens gelebt und gearbeitet hatten, die ihr Leben bei dem Unglück verloren. Kein Stein war in dem ganzen Ort auf dem andern geblieben; wir fuhren durch ein verlassenes Trümmerfeld, unter dem eine ganze Stadt begraben lag.
Auf dieser Reise hatte ich viel Material für meine Vorträge: meine kürzliche Fahrt durch Europa, den Mac-Namara-Prozess und die Bewegung für die Industriegewerkschaften, für die sich die Arbeiter überall lebhaft interessierten.
Kurze Zeit nach meiner Rückkehr nach New York trat ich in einem öffentlichen Disput über das Thema: „Die Sozialistische Partei und die IWW" gegen den Rechtssozialisten Morris Hillquit auf. Die Sozialistische Partei war von ihrem Programm von 1908 abgekommen und hatte eine eindeutige opportunistische Plattform bezogen.
Die Wahl eines sozialistischen Kongressmitgliedes war nach Meinung der führenden Sozialisten eine der größten Errungenschaften der Partei. In dieser Debatte verlas ich auch die Präambel zum Statut der IWW in ihrer neuen korrigierten Form. Die Stellen über die politische Aktion waren gestrichen und auch andere Veränderungen vorgenommen worden. Die IWW traten jetzt als eine revolutionäre wirtschaftliche Organisation auf. In der Einleitung hieß es jetzt nach der Abänderung: „Die Arbeiterklasse und die Unternehmerklasse haben nichts miteinander gemein. Es kann keinen Frieden geben, solange Millionen Arbeiter Hunger und Not leiden und die wenigen, die die Unternehmerklasse bilden, alle Güter des Lebens besitzen. Zwischen diesen beiden Klassen muss der Kampf weitergehen, bis die Arbeiter der ganzen Welt sich als eine Klasse organisieren, vom Boden und von den Produktionsmitteln Besitz ergreifen und das Lohnsystem abschaffen.
Wir sehen, dass die Konzentration der Leitung der Industrien in immer weniger Händen die Fachgewerkschaften unfähig macht, es mit der ständig wachsenden Macht der Unternehmerklasse aufzunehmen... Um diese Bedingungen zu verändern und die Interessen der Arbeiterklasse zu verteidigen, bedarf es einer Organisation, die so beschaffen ist, dass alle ihre Mitglieder in jeder beliebigen Industrie oder, wenn nötig, in allen Industrien die Arbeit niederlegen, wann immer ein Streik oder eine Aussperrung in irgendeinem Zweig im Gange ist, und so ein Unrecht an einem zu einem Unrecht an allen erklären.
Statt der konservativen Losung ,Einen anständigen Tageslohn für eine anständige Tagesarbeit' müssen wir auf unser Banner die revolutionäre Parole ,Abschaffung des Lohnsystems schreiben. Es ist die historische Aufgabe der Arbeiterklasse, den Kapitalismus abzuschaffen. Die Armee der Arbeit muss organisiert werden, nicht nur zum täglichen Kampfe gegen die Kapitalisten, sondern auch, um die Produktion weiterzuführen, wenn der Kapitalismus gestürzt ist. Durch Organisierung nach Industrien schaffen wir die Struktur der neuen Gesellschaft in der Schale der alten... " (Anm.: Obwohl die IWW den parlamentarischen Kampf entschieden ablehnten, anerkannten sie auf ihrem Gründungskongress die Notwendigkeit von politischen Aktionen und stimmten einem dementsprechenden Passus in der Präambel zum Statut zu. Diese so genannte „politische Klausel" wurde unter dem Einfluss einer anarchistischen Strömung, die besonders unter den Wanderarbeitern des Westens vorherrschte, auf dem Kongress von 1908 gestrichen. Von diesem Augenblick an haben die IWW in der Praxis gegen jede politische Aktion gekämpft. Die Red.)
Ich verwies darauf, dass die Ablehnung der IWW, sich einer politischen Partei anzuschließen, nicht bedeute, dass sie antipolitisch seien, und dass ich persönlich ebenso gut Sozialist sei, wie jedes andere Mitglied der Sozialistischen Partei.
Dieser Versammlung wohnten viele führende Mitglieder der IWW bei, darunter Ettor, Giovannitti, Elizabeth Gurley Flynn und Jim Thompson. Ettor hatte eben ein Telegramm von den italienischen Arbeitern in Lawrence, Massachusetts, erhalten, mit dem er aufgefordert wurde, hinzukommen, da ein Streik der Textilarbeiter in Sicht sei. Ettor fuhr unverzüglich nach Lawrence ab, und einige Tage später bat er mich telegrafisch, nachzukommen und ihm bei dem Streik zu helfen. Bei meiner Ankunft in Lawrence empfingen mich zehn- bis fünfzehntausend Streikende. Wir bildeten einen Demonstrationszug und marschierten zum „Anger", wie in Neuengland in jeder Stadt der öffentliche Park genannt wird. Dies war, wie die „Tribüne" von Lawrence schrieb,
die größte Demonstration, die jemals zum Empfang eines Besuchers in Lawrence stattgefunden hatte. Bei der Ankunft in Lawrence fand ich, dass Ettor die Lage gut in der Hand hatte. Dem Streikkomitee gehörten je ein oder mehrere Mitglieder aus jeder im Streik befindlichen Fabrik oder großen Werkabteilung an. Dem Streik war folgendes vorausgegangen: Das Parlament von Massachusetts hatte ein Gesetz über die Herabsetzung der Arbeitszeit in der Textilindustrie von sechsundfünfzig auf vierundfünfzig Stunden die Woche angenommen. Die Woll- und Baumwoll-Industriellen kündigten an, dass bei der Durchführung dieses Gesetzes die Löhne entsprechend herabgesetzt werden würden. Die Arbeiter erklärten dagegen, dass die Löhne ohnehin schon untragbar niedrig seien. Der durchschnittliche Wochenlohn betrug acht Dollar und sechsundvierzig Cent, für die Frauen gar nur sieben Dollar und zweiundvierzig Cent. Das war der Durchschnitt für alle Arbeiter, einschließlich der gelernten. Der Durchschnittslohn für jene Arbeiterschichten, die im Streik standen, betrug sechs Dollar wöchentlich. Diese Löhne galten nur für die tatsächlich geleistete Arbeitszeit; es gab keinen Urlaub, und alle Feiertage wurden vom Wochenlohn abgezogen. Bei solchen Löhnen war es unmöglich, Familien zu unterhalten; die Arbeiter mussten in den Streik treten. Alle Textilfabriken wurden bestreikt, und alle Arbeiter, mit Ausnahme einiger der höchstqualifizierten, nahmen an dem Kampf teil. Die Streikenden verlangten eine Vierundfünfzigstundenwoche, eine fünfzehnprozentige Lohnerhöhung, doppelte Entlohnung für Überstunden, Abschaffung jedes Prämiensystems und Unterlassung aller Maßregelungen von Arbeitern wegen ihrer Tätigkeit während des Streiks.
Der Streik von Lawrence breitete sich immer stärker aus,
bis gegen Ende Januar 1912 insgesamt fünfundzwanzigtausend Arbeiter daran teilnahmen. Sie gehörten ungefähr fünfundzwanzig Nationalitäten an und sprachen fünfundvierzig verschiedene Sprachen und Dialekte. Die gesamten Textilbetriebe von Lawrence und Umgebung standen still.
In vielen Streikversammlungen nahm ich das Wort und verließ dann Lawrence, um Gelder zu sammeln und die Solidaritätsbewegung für die Streikenden zu unterstützen. Ende Januar 1912 wurden Ettor und Giovannitti auf Grund einer Spitzelmache wegen Mordverdachts verhaftet. Ein streikendes italienisches Mädchen, Anna LaPizza, war von einem Polizisten getötet worden; doch der Mord wurde, wie üblich, den Streikführern zur Last gelegt. Nach Erhalt der alarmierenden Nachrichten aus dem Kampfgebiet kehrte ich sofort nach Lawrence zurück und wurde zum Vorsitzenden des Streikkomitees gewählt, das aus sechsundfünfzig Mitgliedern bestand und ebenso vielen Ersatzmännern, die bereit waren, an die Stelle von Verhafteten zu treten. Ein Journalist, der im „Outlook", einer konservativen Wochenschrift, über den Streik berichtete, schrieb damals:
„Haywood will keine Verbände der Weber, der Spinner, der Webstuhlzurichter, der Wollsortierer, sondern er will einen allumfassenden Verband aller Textilarbeiter, der später die Textilfabriken übernehmen soll, ebenso wie die Stahlarbeiter die Stahlwerke und die Eisenbahner die Eisenbahnen übernehmen sollen... Haywood vertraut nicht den Tarifverträgen, die nach seiner Theorie nur zum sozialen Frieden führen und ,die Arbeiter in den Schlaf lullen'. Lasst den Unternehmer seine Arbeiter aussperren, wenn es ihm gefällt, und lasst die Arbeiter streiken, wenn es ihnen gefällt. Er ist gegen
Schiedsgerichte, Versöhnung, Kompromiss; er ist gegen die gleitende Lohnskala, Gewinnbeteiligung, Wohlfahrtsarbeit; kurz, gegen alles, was die revolutionäre Kraft der Arbeiter schwächt. Er verlangt nicht den geschlossenen Betrieb (Anm.: Ein Betrieb, in dem nur gewerkschaftlich organisierte Arbeiter eingestellt werden. Die Red.) oder die offizielle Anerkennung des Verbandes, denn er denkt nicht daran, den Unternehmer anzuerkennen. Was er wünscht, ist nicht ein industrieller Friedensvertrag zwischen den zwei großen vertragsschließenden Parteien, sondern lediglich die Schaffung einer proletarischen Macht, die schließlich die Gesellschaft revolutionieren wird..."
Einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss, der nach Lawrence kam, zeigte ich Lohntüten der Arbeiter, darunter eine für fünf Dollar fünfundvierzig Cent mit dem aufgedruckten Bat, Geld zu sparen, und mit der Annonce der Bank am Orte. Fünf Dollar fünfundvierzig Cent für die Arbeit einer Woche - und unentgeltliche Ratschläge zum Sparen! Das hieß in der Tat, zum Unrecht noch den Hohn hinzufügen! Der Mann, der mir diese spezielle Lohntüte gegeben hatte, war ein alter Arbeiter, der schon längst nach einem arbeitsreichen Leben in der betreffenden Fabrik hätte pensioniert werden müssen. Statt dessen war mit seiner nachlassenden Arbeitskraft auch sein Lohn immer tiefer gesunken, bis er sich nun schließlich als Wollsortierer für etwas über fünf Dollar die Woche abplagen musste! Ich wusste, dass die Untersuchung zu nichts führen würde, aber sie gab gute Propagandamöglichkeiten.
Nach der Verhaftung Ettors und Giovannittis wurde die Forderung gestellt, sie gegen Kaution freizulassen. Sie waren der Ermordung Anna LaPizzas angeklagt, obwohl neunzehn Zeugen gesehen hatten, dass der Polizist Beloit
das Mädchen ermordet hatte. Die Freilassung der beiden Streikleiter wurde jedoch verweigert, sie blieben sieben Monate lang in Haft. Später wurde unter derselben Mordanklage auch noch der Italiener Caruso verhaftet. Elizabeth Gurley Flynn, die führende Frauenorganisatorin der IWW, leistete in Lawrence ausgezeichnete Arbeit, sprach vor den Streikenden, hielt auch außerhalb des Streikbezirks Versammlungen ab und sammelte Gelder für den Unterstützungsfonds und für die Verteidigung der Gefangenen. Die Kinder der Streikenden schickten wir in andere Städte zu Sympathisierenden, die während der Dauer des Streiks für sie sorgten. Diese Kindergruppen waren oft ziemlich groß und wurden überall mit Fürsorge und Sympathie aufgenommen. Als eines Tages wieder eine Gruppe abfahren sollte, bildete die Miliz einen Kordon um den Bahnhof, und die Polizei versuchte, die Kinder am Besteigen des Zuges zu hindern. Sobald einer dieser großen Kerle ein Kind anrühren wollte, begann es natürlich zu schreien, und die Mutter lief zur Rettung ihres gefangenen Kükens herbei. Es kam auf dem Bahnhof zu einem Zusammenstoß zwischen den Polizisten und den kämpfenden Frauen. An diesem Tage hinderten die Unternehmerknechte die Kinder zwar an der Abreise, aber sie versuchten es kein zweites Mal mehr.
Als die ersten einhundertneunzehn Kinder in New York ankamen, wurden sie in das Büro der Sozialistischen Partei geführt und nach einem Imbiss von Ärzten genau untersucht. Die Untersuchung ergab, dass jedes dieser einhundertneunzehn Kinder unterernährt war, das heißt, dass es Hunger litt. Das war nicht etwa die Folge von drei oder vier Tagen Hunger, sondern es war ein chronischer Zustand. Diese Kinder hatten von der Geburt an Hunger gelitten. Sie hatten schon im Mutterleibe gehungert, und ihre Mütter hatten gehungert, bevor sie diese Kinder empfingen.
Eines Morgens wurde ein syrischer Junge, der zum Pfeifer- und Trommlerkorps der Streikenden gehörte, hinterrücks mit einem Bajonett erstochen, als er auf Streikposten stand. Er starb kurz nach der Einlieferung ins Krankenhaus.
Nicht nur die Polizeikräfte von Lawrence wurden gegen die Streikenden verwandt, sondern auch Polizei aus anderen Städten sowie Polizei und Miliz des Staates waren aufgeboten worden. Sie schlugen in den Fabriken ihr Lager auf.
Die streikenden Frauen waren ebenso aktiv und tüchtig wie die Männer und kämpften ausgezeichnet. An einem kalten Morgen hatte man Feuerspritzen aus den Fabriken herangeschleppt und sie gegen die Streikenden auf einer Brücke gerichtet. Darauf fingen die Frauen auf der Mitte der Brücke einen Polizisten ein, rissen ihm Uniform, Unterhosen und alles vom Leib und wollten ihn gerade in den vereisten Fluss werfen, als andere Polizisten herbeieilten und ihn im letzten Augenblick vor dem kalten Tauchbad bewahrten.
Wir richteten einen Appell an den Kongressabgeordneten Victor Berger, er solle eine Untersuchung über den Streik von Lawrence verlangen. Dank den Bemühungen dieses sozialistischen Kongressmitgliedes kam es in der Tat zu einer Untersuchung vor einem Kongressausschuss in Washington. Als wir davon erfuhren, beschloss das Streikkomitee, sechzehn Zeugen nach Washington abzuordnen, alles Jungen und Mädchen unter sechzehn Jahren. Eine der Delegierten war ein kleines Mädchen, dessen Haare sich in einer Maschine verfangen hatten, so dass ihm die Haut vom Kopfe gerissen worden war. Diese Arbeiterkinder aus den Fabriken konnten ihre Arbeitsbedingungen und ihr Leben zu Hause anschaulich beschreiben, und wir waren überzeugt, sie würden fähig sein, zu erklären, warum sie und fünfundzwanzigtausend andere im Textilzentrum von Lawrence und den umliegenden Städten im Streik standen. Margaret Sanger, die später durch ihre Propaganda für Geburtenkontrolle bekannt wurde, fuhr mit den Kindern nach Washington. Schon am Tage ihrer Ankunft erschienen die Mädchen und Burschen vor dem Ausschuss des Kongresses. Samuel Gompers war anwesend, angeblich als Vertreter der AFL. Er wurde als Zeuge aufgerufen und sprach sich gegen den Streik und seine Führer aus. Plötzlich ertönte eine kindliche Stimme:
„Du alter Hundesohn! Erzählst ja gottverdammte Lügen!"
Es war ein polnischer Junge, der Gompers unterbrochen hatte. Der Vorsitzende des Ausschusses schlug heftig mit seinem Hammer auf den Tisch, sah den Jungen streng an und sagte:
„Junger Mann, eine solche Sprache wird hier nicht geduldet, versuche so etwas nicht noch einmal!" „Das ist die einzige Sprache, die ich kenne!" antwortete der Junge, „und ich lasse mir einfach nicht gefallen, dass dieser Kerl über uns lügt, und keiner sagt was!" Von diesem Zwischenfall steht nichts in Gompers' Memoiren „Siebzig Jahre Leben und Arbeit". Ein Zeitungsreporter äußerte über den Vorfall, den er mit angehört hatte, dass „hier das alte und das neue Element in der Arbeiterbewegung einander gegenüberstanden".
Eines Abends sprach ich gerade in einer Versammlung, die fast ausschließlich aus polnischen Arbeitern bestand, als zwei Italienerinnen den Saal betraten und auf die Rednertribüne geführt wurden. Die Jüngere von beiden
sagte zu mir: „Morgen früh keine Männer Streikposten stehen. Alle Männer, Burschen zu Hause bleiben, schlafen. Nur Frauen, Mädchen morgen früh Streikposten stehen. Soldaten und Polizisten nicht schlagen Frauen, I Mädchen. Seht mal", fuhr sie, auf ihre Begleiterin deutend, fort, „ich habe großen Bauch, sie auch hat großen I Bauch. Polizei uns nicht schlagen. Ich möchte zu allen Frauen hier sprechen."
Am nächsten Morgen waren die Frauen in vollem Aufgebot angetreten, unter ihnen auch viele Schwangere. Gerade diese kleine italienische Frau, die das Frauenaufgebot organisiert hatte, und mit ihr eine andere Frau, Bertha Crouse, wurden so schrecklich von der Polizei geschlagen, dass sie Frühgeburten zur Welt brachten und selbst beinahe daran starben. Im weiteren Verlauf des Kampfes wurde eine Bande von Revolverhelden in die Stadt gebracht.
Die Fabrikbesitzer verzweifelten schließlich und kamen auf den Einfall, Dynamit an irgendeine Stelle legen zu lassen, wo es gefunden werden musste; dass der Fund den Streikenden zur Last gelegt wurde, dafür wollten sie schon Sorge tragen, wenn nicht - ja, wenn nicht die Arbeiter auf der Hut gewesen wären und entdeckt hätten, dass das Dynamit vom Leichenbeschauer des Bezirkes gelegt worden war! Dieser Leichenbeschauer, ein Werkzeug des Textiltrusts, wurde verhaftet, für schuldig erklärt und zu einer Geldstrafe von fünfhundert Dollar verurteilt. Später beging ein hoher Angestellter von der American Woolen Company Selbstmord. Es lief das Gerücht um, dass auch er etwas mit dem Dynamit zu tun gehabt habe.
Die Vereinigten Textilarbeiter, die der AFL angeschlossen waren, und die Webstuhlzurichter, von denen die meisten infolge des Streiks arbeitslos waren, beschlossen,
ebenfalls in den Streik zu treten. Sie richteten einen Unterstützungsfonds ein und verschickten Aufrufe. Diese qualifizierten Arbeiter erhielten bei dem später getroffenen Lohnabkommen proportional dieselbe Lohnerhöhung wie die anderen, obwohl sie zu Anfang des Streiks Streikbrecherdienste geleistet hatten. Die IWW waren aktiv in jedem Textilzentrum, das wir erreichen konnten. Die Glut hatte sich über Lawrence hinaus ausgebreitet, und als der Streik beigelegt wurde, erhielten auch einhundertfünfzigtausend andere Textilarbeiter eine kleine Lohnerhöhung. Nach der Rückkehr des Unterkomitees, das nach Boston gefahren war und ein Abkommen mit William Wood von der American Woolen Company getroffen hatte, fand die letzte Sitzung des Streikkomitees statt. Der Bericht des Unterkomitees wurde mit lang anhaltendem Beifall begrüßt. Der Streik konnte beendet werden, falls das Abkommen von der Mehrheit der Arbeiter in allen beteiligten Fabriken gebilligt wurde, und es gab keinen Grund zu der Annahme, dass sie nicht einverstanden sein würden. Ich forderte das Komitee und die im Saal anwesenden Streikenden auf, ihren Verband fest zusammenzuhalten, da der Zeitpunkt kommen werde, wo sie wieder streiken müssten, falls Ettor und Giovannitti nicht aus dem Gefängnis freigelassen werden sollten. Dann half ich dreiundzwanzig Mitgliedern des Streikkomitees auf die Rednertribüne. Jeder gehörte einer anderen Nationalität an, und gemeinsam sangen wir die „Internationale" in ebensoviel Sprachen wie Mitglieder im Streikkomitee vertreten waren.
Der Abschluss des Streiks Anfang März war ein glänzender Sieg für die Arbeiter. Die Arbeitszeit wurde herabgesetzt, die Löhne wurden um fünf bis zwanzig Prozent erhöht, höhere Zuschläge für Überstunden gewährt, und es sollten keine Maßregelungen der Streikteilnehmer stattfinden. Der Streik war ein ausgezeichnetes Beispiel der Solidarität und ein Beispiel dafür, was die Solidarität für die Arbeiter leisten kann.
Wir alle, Jim Thompson, Grover Perry, Elizabeth Gurley Flynn, Bill Trautmann und weitere Organisatoren der IWW, darunter auch ich, machten uns nun auf, um für die Verteidigung Ettors, Giovannittis und Carusos im bevorstehenden Mordprozess Geld zu sammeln. |
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