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William Dudley Haywood - Unter Cowboys und Kumpels (1930)
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Achtzehntes Kapitel
Die Beziehungen zwischen Arbeitern und Unternehmern

Zu der Zeit, über die ich hier schreibe, um das Jahr 1915, waren Tausende von Mitgliedern der IWW wegen ihrer Teilnahme am Klassenkampf im Gefängnis. Eine Anzahl
Männer und Frauen waren in den Kämpfen getötet und mindestens drei, die in der ersten Reihe gestanden hatten, auf Lebenszeit ins Zuchthaus geschickt worden: Cline, Ford und Suhr. Aber trotz dieser ausgezeichneten proletarischen Haltung der IWW fuhr der anmaßende De Leon in seinen Anwürfen gegen sie fort. Er fand keine besseren Ausdrücke als „Pennbruderschaft" oder die „Overall-Brigade", um die Organisation und ihre Mitglieder zu bezeichnen. Während des Kampfes für die Redefreiheit in Spokane schrieb De Leon in einem Brief an Olive M. Johnson, der in Daniel De Leons Buch „A Symposium" zitiert wird:
„Wenn Sie sagen, Sie hoffen, dass die Spokaniten aufhören werden, ,bevor sie ein zweites 1886 machen' (Die Bombentragödie auf dem Haymarket in Chicago. Die Red.), so berühren Sie etwas, das auch mir nicht wenig Sorgen gemacht hat. Ich bin schon immerwährend in Sorge, dass einer dieser Knipperdollings eine Bombe werfen wird... Darum habe ich so hart zugeschlagen. Ich habe versucht, die Sozialistische Arbeiterpartei aus all diesen Dingen herauszuhalten. In der Tat, ich habe mir die schmeichelhafte Gewissheit verschafft, dass zumindest unsere Zeitung ,People' dazu beigetragen hat, eine solche Möglichkeit weniger wahrscheinlich zu machen. Ich bemerke mit Vergnügen, dass einige der kapitalistischen Blätter von Spokane ,People' im Zusammenhang mit Spokane zitieren, sie wissen also, dass es Sozialisten gibt, die gegen den Geist der Pennbruderschaft und alles, was damit zusammenhängt, Stellung nehmen."
Was De Leon veranlasste, zu fürchten, dass Mitglieder der IWW eine Bombe werfen würden, ist bis heute unerfindlich. Dieser Gedanke entsprang der Verwirrung
in seinem eigenen Kopf, einem so verworrenen Kopf, dass er es sich sogar zur Ehre anrechnete, wenn kapitalistische Zeitungen seine Ausfälle gegen den Kampf für die Redefreiheit in Spokane zitierten. Aus dem selben Horn wie De Leon blies der nörgelnde O'Neill, der sein Gift in den Spalten des „Miners' Magazine" verspritzte.
Sogar der verständnisvolle Eugene V. Debs versetzte der kämpfenden Organisation einen kräftigen Schlag. Er erklärte: „Es ist nutzlos, über die IWW zu sprechen. Die Chicagoer Fraktion, das scheint jetzt klar zu sein, vertritt die Anarchie. Möge sie es tun, mögen alle, die gegen politische Aktion und für Sabotage und das Programm des Anarchismus sind, sich dieser Fraktion anschließen." Das geringe Verständnis, das De Leon den Industriegewerkschaften einmal entgegenbrachte, hatte er verloren. O'Neills Aufregung war nichts weiter als Eifersucht über die Fortschritte der IWW. Schwerer war es, die Haltung Debs' zu verstehen, da er uns immer freundschaftlich gegenübergestanden hatte und auch nachher mit den IWW als Organisation sympathisierte.
Eine Wirtschaftskrise war im Anzug, die nur durch den Kriegsausbruch abgewendet wurde. Die Arbeitslosigkeit wuchs in allen Teilen des Landes. In San Francisco hausten Hunderte von Leuten in leeren Gebäuden und schliefen in dichten Reihen auf dem Boden, nur auf Zeitungspapier gebettet. Von San Francisco und anderen Städten aus begannen die Arbeitslosen nach Sacramento zu marschieren, um an die Gesetzgebende Versammlung um Unterstützung zu appellieren. Ihnen zogen mit Knütteln bewaffnete Bürger entgegen, Feuerspritzen wurden gegen sie gerichtet, und so wurden sie aus der Stadt vertrieben. In New York City wurden die Arbeits-
losen von den IWW organisiert. Eine Suppenküche wurde für die Hungernden eingerichtet. Die Arbeitslosen versuchten, in Kirchen zu übernachten, wurden aber von den Geistlichen belehrt, dass Kirchen keine Wohnstätten seien. Viele der Arbeitslosen wurden verhaftet und zu Freiheitsstrafen verurteilt. In Salt Lake City, Utah, war Joe Hill, ein bekannter Liederdichter der IWW, verhaftet und des Mordes angeklagt worden. Ich gab den ersten Aufruf für ihn heraus, in dem ich die in Utah üblichen Exekutionsmethoden beschrieb, die Joe Hill für den Fall seiner Verurteilung zu erwarten hatte.
Nach dem Prozess, der mit einem Todesurteil endete, erhielt ich einen Brief von Joe, in dem er erklärte, dass ihm keine Gerechtigkeit widerfahren sei und dass das Leben eines jeden Mannes, nicht nur das seine, einen gerechten Prozess wert sei. Ich entsandte den Juristen Hilton aus Denver nach Salt Lake City, um ein Wiederaufnahmeverfahren zu betreiben. Präsident Wilson ersuchte den Gouverneur Spry um Aufschub der Urteilsvollstreckung, auch die schwedische Regierung protestierte gegen die Hinrichtung Joe Hills. Zu den bekanntesten der von Joe Hill verfassten Lieder gehören: „Was wir wollen", „Nehmt mir nicht meinen Vater weg", „Der weiße Sklave", „Im Verband liegt Macht", „Casey Jones - der Gelbe", „Hallelujah, ich bin ein Penner", „Mr. Block" und „Sollte ich jemals Soldat sein".
Der Kriegsausbruch brachte mich vollkommen außer Fassung. Wochenlang konnte ich kaum sprechen. Meine Zeit verbrachte ich in Bibliotheken, im Schachklub und in Udells kleinem Buchladen in der North Clark Street in Chicago. Ich konnte meine Gedanken nicht auf das
Schachspiel konzentrieren, aber ich brauchte wenigstens nicht zu sprechen, während ich auf das Spiel sah. Und auch das Lesen fiel mir schwer, da meine Gedanken immer mit dem Krieg beschäftigt waren, in den - daran zweifelte ich nicht einen Augenblick - die Vereinigten Staaten mit hineingezogen werden würden. Ich setzte kein Vertrauen in Woodrow Wilson, den Mann, der ein zweites Mal zum Präsidenten gewählt wurde, weil er „uns vor dem Krieg bewahrte".
Wir hatten beschlossen, die Landarbeiter zu organisieren und wollten auch mit der Arbeit in anderen wichtigen Industrien, besonders dem Erzbergbau, der Holzindustrie, der Erdölindustrie und der Konservenindustrie in Chicago und an anderen Orten beginnen. Der Landarbeiterverband wurde in Kansas City ins Leben gerufen, und wir begannen ein System von Arbeiterdelegierten am Arbeitsplatz zu organisieren. Zum Sekretär wurde Walter T. Nef und als Sitz des Hauptbüros Minneapolis bestimmt. Der Verband wuchs sehr schnell. Meine nächste Aufgabe war die Organisierung der Erzbergarbeiter. Zu diesem Zwecke entsandte ich Grover H. Perry als Sekretär der Industriegewerkschaft der Erzbergarbeiter nach Phoenix, Arizona. Mit dem Büro der IWW übersiedelten wir in ein dreistöckiges Gebäude, 1001 West Madison Street. Die Druckerei wurde in das Erdgeschoss des nebenstehenden Gebäudes verlegt, neue Maschinen wurden aufgestellt, und die Redaktion der „Solidarity" übersiedelte aus Cleveland nach Chicago. In der Druckerei wanden dann auch andere Zeitungen in verschiedenen Sprachen hergestellt, unter anderem in tschechischer, bulgarischer, kroatischer, finnischer, deutscher, ungarischer, italienischer, jiddischer, litauischer, russischer, slowakischer, spanischer und schwedischer Sprache.
Die Monatsschriften „One Big Union Monthly" und „Tie Vapauteen", ein finnisches Organ, wurden ebenfalls in Chicago herausgegeben. Auch in verschiedenen anderen Städten wurden englische und fremdsprachige Zeitungen veröffentlicht. Darunter der „Industrial Worker", das englische offizielle Organ der Organisation in Seattle, Washington, und eine finnische Tageszeitung in Duluth. Auch die IWW-Arbeiterschule, in der ein gründlicher Unterricht in Marxismus erteilt wurde, befand sich in Duluth. Außerdem fanden ausgezeichnete Rednerkurse in englischer Sprache für ausländische sowie für amerikanische Arbeiter statt; ferner Kurse in Buchführung und Organisationsfragen. Die IWW hatte allen Grund, auf ihre Schule stolz zu sein, aus der viele tüchtige Organisatoren hervorgegangen sind. Im Staate Colorado, dem alten Kampfplatz der Bergarbeiterföderation des Westens, wurde 1914 ein furchtbares Gemetzel unter den streikenden Kohlenbergarbeitern in Ludlow angerichtet. Die Streikenden waren aus ihren Wohnungen exmittiert worden und hatten eine Zeltkolonie errichtet. Eines Tages, die Männer standen zum größten Teil auf Streikposten vor den Gruben, ritt eine Kompanie der Miliz an der Kolonie vorbei. Einem jungen Bergarbeiter, der sich der Miliz mit einer weißen Parlamentärfahne näherte, wurde von einem Leutnant der Schädel mit dem Gewehrkolben zerschmettert. Dann feuerten die Bestien wie wild in die Zeltkolonie hinein, töteten Frauen und Kinder, steckten die Siedlung in Brand und ließen die Leichen zu Asche verbrennen.
John D. Rockefeller jr. schrieb in einem Artikel im „Atlantic Monthly": „Ein Zustand, gleichgültig welches seine Ursache, der so viel Bitterkeit entstehen lassen konnte, bedurfte zweifellos der Besserung", und fügte noch die verächtliche Lüge hinzu: „Es war immer der Wunsch und das Streben der Direktion der Colorado Fuel and Iron Co., ihre Beschäftigten verständnisvoll und anständig zu behandeln."
In späteren Reden im Staate Colorado wiederholte er den Unsinn, dass Kapital und Arbeit Partner seien, und sprach mit der Lüge auf den Lippen über den Schutz, den die Arbeiterschaft gegen Unterdrückung und Ausbeutung erhalten habe, während er gleichzeitig einen Industrieplan vorlegte, durch den die Arbeiter der Colorado Fuel and Iron Co. wehrlos ausgeliefert werden sollten.
Dieser Industrieplan wurde von Mackenzie King entworfen, dem späteren Premierminister von Kanada, der, wie es heißt, einmal sagte, „der Lebensstandard der Arbeiterschaft in Kanada müsse gesenkt und näher an das Niveau des chinesischen Arbeiters herangeführt" werden. Rockefeiler erklärte: „Die Aktionäre haben vierunddreißig Millionen Dollar in dieser Gesellschaft angelegt, um sie in Betrieb zu setzen, damit ihr Arbeiter eure Löhne, ihr Angestellten eure Gehälter und die Direktoren ihre Tantiemen erhalten. Aber nicht ein Cent davon ist in diesen vierzehn Jahren an die Aktionäre zurückgelangt."
Dieser hartgesottene Parasit muss die Leser für ausgemachte Dummköpfe gehalten haben, wenn er ihnen weismachen wollte, die Aktionäre einer Industrie legten ihr Geld nur an, um den Arbeitern Löhne zu zahlen. Schließlich weiß jedes Kind, dass die gesamte Industrie nur für den Profit betrieben wird.
Ich wurde nach Washington berufen, um vor dem Ausschuss für Industriebeziehungen als Zeuge aufzutreten. Dieser Ausschuss war durch einen Beschluß des Kongresses unter der Regierung Theodore Roosevelt ins
Leben gerufen worden, nahm aber seine Arbeit erst auf, nachdem Woodrow Wilson zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt worden war und die Mitglieder des Ausschusses Frank P. Walsh, einen Rechtsanwalt aus Kansas City, zu ihrem Vorsitzenden ernannt hatten. Den Anlass zur Bildung dieses Ausschusses gaben die Wirtschaftskämpfe, die überall mit großer Erbitterung ausgefochten wurden: der Woll- und Baumwollarbeiterstreik in Lawrence, der Seidenarbeiterstreik in Paterson, der Textilarbeiterstreik in Little Falls, der Kautschuk- und Gummiarbeiterstreik in Akron, die Streiks in Colorado, die Holzarbeiterstreiks im Nordwesten und im Süden, der Streik der Hopfenpflücker in Wheatland und andere Kämpfe in Kalifornien, der Streik der Kupferbergarbeiter in Michigan, die Kämpfe für die Redefreiheit und bessere Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiterschaft im Süden.
Der Ausschuss stellte ausführliche Untersuchungen an, aber nichts oder doch nur wenig geschah vom Kongress aus, als das Ergebnis seiner Tätigkeit in einem Bericht, der elf dicke Bände umfasste, vorlag. Der Walsh-Ausschuss hatte für die Untersuchung ausgedehnte Vollmachten erhalten. Die Industriemagnaten wurden zu Zeugenaussagen gezwungen und mussten sich dem strengsten Kreuzverhör unterwerfen. Unter ihnen befand sich auch John D. Rockefeller jr., von dem einer der Ausschussmitglieder behauptete, er sei „von innen nach außen gekehrt worden".
Ich stand fast zwei volle Tage in der Zeugenbank und berichtete, vom Vorsitzenden Walsh befragt, über die Zustände, von denen ich auch in diesem Buch erzählt habe. Zum Schluss meiner Ausführungen erklärte ich, dass es keine Übereinstimmung der Interessen zwischen Arbeitern und Unternehmern geben könne.

 

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