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William Dudley Haywood - Unter Cowboys und Kumpels (1930)
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Viertes Kapitel
Silver City

Die Straße nach Silver City führte durch ödes, graues, unwirtliches Land ohne alle Ansiedlungen, außer einigen zerstreuten, zumeist verlassenen Stationen und hier und da einer Farm. So weit das Auge reichte war kein Baum zu sehen, nichts als krummes, knorriges Salbeigestrüpp, Fettsträucher und weite Strecken von Krummholz. So blieb es bis zum Fluss; dort wurde die Landschaft hügelig, und im Hintergrund erschienen hohe Berge.
Beim Aufstieg zum ersten Gipfel fiel mir eine von Bill Coulter vor Jahren erzählte Geschichte ein, wie er an dieser Stelle mit seiner Postkutsche von Indianern die Straße hinuntergejagt worden war. Ich konnte mir jetzt Bill auf seiner dahinsausenden Postkutsche vorstellen: wie er auf sein Gespann einhieb, eine Bande von keuchenden und schreienden Indianern hinterdrein, von denen keiner nahe genug an die galoppierenden Pferde herankommen konnte, um einen Pfeil nach dem Kutscher abzuschießen.
Im Jordantal ließ ich mein Pferd weiden, hing Sattel und Zaum im Mietsstall auf und nahm die Postkutsche nach Silver City.
Nach einem Imbiss in einem chinesischen Restaurant trieb ich mich eine Stunde in der Stadt auf der Such nach einem Schlafplatz für die Nacht umher. Ein Mann sagte mir: „Du kannst mit mir im alten Potosi-Schacht haus schlafen, aber sieh es dir besser erst an, damit du nicht in den Schacht fällst, wenn du spät nach Haus kommst." Rund um den tiefen, von keinem Geländer geschützten Schacht, der in eine alte Grube führte, lagen die Schlafplätze. Fürs erste quartierte ich mich dort ein und blieb auch noch einige Tage da, als meine Decke bereits eingetroffen waren. Die Rennen besuchte ich nicht, bat aber die Zurückkehrenden, im Jordantal mein Pferd und Sattelzeug mitzunehmen und zur Ranch in Washburn zu bringen.
Vom ersten Morgen nach meiner Ankunft an wandert ich zur Blaine-Grube auf Arbeitsuche; mehrere Vormittage hindurch, manchmal auch nachmittags, wartet ich auf Arbeit, jedoch ohne Erfolg. Als mein ganzes Geld verbraucht war, ging ich zum alten Hutchinson, dem Betriebsleiter, um einen letzten Versuch zu wagen. Auf seine Fragen nach meinen Fähigkeiten, bedeutete ich ihm, dass ich fast alle Arbeiten im Bergbau verstünde. „Kannst du Wagen bedienen?"
„Ich bin Bergarbeiter, aber ich kann auch Wagen bedienen."
„Schön, komm morgen früh."
Am gleichen Tage traf ich in der Stadt Dave O'Neill, einen Bekannten aus Tuscarora. Er steckte mir ein Fünfdollargoldstück zu und meinte: „Vielleicht kannst du das brauchen, Bill." Ich antwortete ihm: „Ich bin zwar pleite, aber morgen fange ich an zu arbeiten." Na schön, dann kannst du es mir am Zahltag zurückgeben."
Ein solcher Pump war unter den Bergarbeitern üblich, und es geschah selten oder eigentlich niemals, dass geliehene Gelder nicht zurückgezahlt wurden. Es sind noch keine drei Jahre her, dass mir zum Beispiel Herman Andrigg, der beste Bohrer, mit dem ich in Silver City zusammen gearbeitet hatte, eine Summe zurückzahlte, die ich ihm vor mehr als einem Vierteljahrhundert geborgt hatte.
Jetzt konnte ich in das Schlafhaus der Blaine-Grube übersiedeln. Die Pritsche an der Tür war frei. Das war mir gerade recht, denn die Luft war nicht allzu gut, da der Raum, in dem sechzig Pritschen in zwei Reihen übereinander eingebaut waren, fast nur durch das Öffnen und Schließen der Tür Ventilation erhielt. Wenn wir rund um den Ofen saßen oder uns auf den Pritschen räkelten, wurden mit Vorliebe alte Geschichten aus dem Leben der verschiedenen Grubenorte ausgekramt - eigene Erlebnisse oder auch solche, die angeblich aus erster Quelle stammten. Zu unseren guten Plauderern gehörte auch Bill Pooley, ein „Vetter Jack", wie wir die Comwalliser, deren es viele in Silver City gab, nannten. Einmal erzählte er uns von einem Freund, der die schwarzen Blattern gehabt hatte:
... „Und als er wieder gesund war, hatte er so tiefe Narben, dass er sich mit Winkelband und Bohreisen rasieren musste."
Nichts war den „Vettern Jack" lieber, als wenn sie ein Gedinge bekamen, wo sich gutes Geld verdienen ließ. Sie nannten das „Tributing". So hatte eine Gruppe von ihnen in der Poor-Man-Grube im Gedinge gearbeitet. Simon Harres, der Oberaufseher, hatte aber diese Arbeitsform abgeschafft und bestimmt, dass alle Leute zu festen Löhnen arbeiten sollten. Da saßen nun acht oder zehn von den „Vettern Jack" im Wirtshaus um einen großen runden Tisch herum. Sie schimpften und jammerten über den Verlust ihrer Akkordgewinne. Schließlich ließen sie sogar einen von ihnen, Tussy, ein Gebet sprechen, mit dem der liebe Gott dazu gebracht werden sollte, den Kerl von Oberaufseher in die Hölle zu stecken, ihn dort so lange braten und rösten zu lassen, bis er die „netten kleinen Tributes" wieder gewährte. „Und wenn er das tut, lieber Gott, dann bitten wir dich, ihn wieder aus der Hölle herauszunehmen, ihn ein wenig einzuschmieren und ihn laufen zu lassen. Amen!" Allen gefiel dieses Gebet, und sie kauften Tussy zu Ehren noch eine Gallone Bier. Wie alle Gebete blieb aber auch dieses wirkungslos. Das Akkordsystem wurde abgeschafft und die „Vettern Jack" verloren ihre „Tributes".
Die Wagenschieber, von denen auf der Blaine-Grube sechs oder sieben beschäftigt waren und zu denen auch ich gehörte, begannen schon vor den eigentlichen Bergarbeitern mit dem Tagewerk. Unsere Arbeit bestand darin, die Wagen in den Tunnel zu den Rutschen zu schieben, wo die Leute in den darüber gelegenen Abbaustrecken arbeiteten. Wenn wir den Schieber öffneten füllten sich die Wagen von selbst. Nur am Ende des Tunnels mussten wir das Erz aufschaufeln, solange noch nicht die Verbindung zur anliegenden Black-Jack-Grub hergestellt war. Die beladenen Wagen wurden bis zur
so genannten „Abkürzung" geschoben; dort angelangt, traten wir auf das Trittbrett am hinteren Wagenende, denn nun erhielten die Wagen eine solche Geschwindigkeit, dass wir den ganzen Weg bis zum Abladeplatz mitfahren konnten.
Nach einigen Tagen wurde mir die Arbeit in den Strecken an der „Abkürzung" zugewiesen, wo ich Matt McLain kennen lernte. Als er Vorarbeiter unserer Schicht wurde, arbeitete ich unter ihm. Eines Tages, als ich gerade ein Gerüst aufgerichtet hatte, begann er, die Arme auf das Gerüst gestützt, von den alten Zeiten in Pennsylvanien zu erzählen. „Hast du schon einmal etwas von den Molly Maguires gehört?"
Ich bejahte die Frage; jeder hatte von den Molly Maguires gehört.
„Aber", fuhr er fort, „du weißt bestimmt nicht, wie sie gefangen wurden. Da war ein gewisser Franklin B. Gowen, der Direktor einer oder mehrerer Gruben im Shamokin-Tal. Er beschloss, die Molly Maguires zu vernichten, das war so eine Arbeiterorganisation, die sich gegen die Herabsetzung der Löhne wehrte. Gowen wandte sich an die Pinkerton-Detektivagentur, die einen ihrer Spitzel entsandte.
Er kam als James McKenna nach Pottsville, aber sein wirklicher Name war McParlan. Er trug ein kleines Bündel an einem Stock über der Schulter. So wanderte er in die Stadt hinein und erkundigte sich nach einer Herberge, bald fand er auch eine passende Pension. Eines Abends kam er scheinbar zufällig in Barney Hogles Wirtshaus und lud alle Anwesenden zu einem Glas ein. Beim Bezahlen Heß er ein ganzes Päckchen Geldscheine sehen und bemerkte so nebenbei, er hätte eben sein Schiff in Philadelphia verlassen, das Wasser hätte er satt, und er wollte jetzt eine Zeitlang Arbeit auf festem Boden annehmen. Von Hogle wollte er wissen, ob er in dieser Gegend Arbeit bekommen könnte. Hogle gehörte zu den Führern der Molly Maguires. Das war eine in Irland entstandene Organisation, die auch in Amerika Wurzel gefasst hatte und in Pennsylvanien: hauptsächlich aus Bergarbeitern bestand. (Anm.: Eine Organisation der „Molly Maguires" hat es niemals gegeben. Die irischen Bergarbeiter im Kohlenrevier Pennsylvaniens waren in einer freimaurerähnlichen Loge, dem Alten Orden der Hibernier zusammengeschlossen. Um die Gewaltmaßnahmen der Regierung gegen die Führer der Arbeiterorganisationen in der Kohlenindustrie zu rechtfertigen, erfanden die Unternehmer eine geheime Terrororganisation, der sie den Namen „Molly Maguires" gaben. Die Red.) Hogle war aber auch Gastwirt und hatte den Haufen Geld gesehen. Der junge Ire war ein guter Zecher, und Hogle wollte ihn als Gast behalten. Andererseits wollte er aber auch kein zu großes Interesse zeigen und antwortete McKenna, man müsste schon ein tüchtiger Kerl sein, um hier zu arbeiten. McKenna geriet in Hitze. ,Wer sagt dir, dass ich keiner bin?' brauste er auf und bestellte noch ein Glas. ,Soll ich euch ein Lied singen, eine Gigue tanzen oder mit dem erstbesten Kerl hier im Saal um eine Runde Whisky für alle kämpfen?' Er sang ein irisches Lied und tanzte einen irischen Tanz. Als er sich dann umschaute, sah er einen kräftigen Burschen, der ihn mit den Augen maß. Auf diesen jungen Kumpel ging er zu und fragte: ,Also, du willst es mit mir versuchen?' Ja, ich!' war die Antwort. Die ganze Gesellschaft zog sich in das Hinterzimmer zum Handballspiel zurück. McKenna machte ein paar Minuten mit, dann zogen sich beide Burschen zum Kampf aus, der eine ,faire Sache' werden sollte. Das Publikum bestand aus lauter Iren, und nichts machte ihnen mehr Spaß, als ein guter Zweikampf. Aus ihrer Mitte wurde ein Schiedsrichter gewählt, und dann gaben sie einen quadratischen Raum für die Kämpfenden frei.
Der Bergarbeiter traf McKenna an der Backe, aber Mac führte mit der Linken einen Konterschlag gegen die Kinnlade und stieß seinem Gegner die Rechte in die Rippen. ,Gib ihm Saures!' rief eine Stimme. Aber schon trieb der junge Kumpel McKenna mit einer geraden Linken unter das Kinn gegen die Rückwand. Wieder wechselte das Glück: McKenna erholte sich rasch, bearbeitete den Rumpf des Bergarbeiters mit beiden Fäusten und ließ ihn nicht mehr aus der Umklammerung. In der nächsten Runde machte der Bergarbeiter mit der Linken eine Finte und gab Mac einen Hieb auf die Nase. Das Blut schoss hervor, aber Mac drehte sich herum, versetzte dem jungen Burschen einen Faustschlag ins Gesicht und warf ihn so auf den Rücken. Der Kampf war zu Ende. Jedermann war höchst befriedigt. McKenna wusch sich seine blutende Nase: sein rechtes Auge war fast zugeschwollen. Dem jungen Kumpel schüttelte er die Hand: ,Du kannst mehr, als ich dachte.' Im Schankzimmer wurde weiter getrunken und getanzt. Alle waren sich einig, dass es ein feiner Abend war. McKenna kam nun häufig in das Lokal, und Hogle verschaffte ihm Arbeit. Alle seine Kollegen waren Molly Maguires. Das war es gerade, was er wollte. Bald darauf wurde er aufgefordert, selbst ein Molly Maguire zu werden. Er war natürlich sofort einverstanden, sagte aber, um ein guter Molly Maguire zu sein, hätte er wohl doch noch nicht genug Erfahrung. Schon kurze Zeit nach seinem Eintritt bekam er irgendeine Funktion in der Organisation.
Jetzt hatte er, was er wollte. Durch die Intrigen dieses Spitzels wurden ein paar junge Kumpels in eine Mordaffäre verwickelt; das heißt, das Ding wurde so gedreht, dass sie als Mörder angeklagt wurden. Als die jungen Arbeiter vor Gericht standen, erschien
McKenna als Hauptbelastungszeuge, nannte sich James McParlan und entpuppte sich als Pinkertondetektiv. Der Preis, den die Molly Maguires dafür zahlen mussten, dass sie ihre Angelegenheiten einem Gastwirt anvertraut hatten, war das Leben von zehn ihrer Mitglieder, die hingerichtet wurden, und zwei bis sieben Jahre Zuchthaus für eine Anzahl weiterer Mitglieder. Dem schmierigen McParlan wäre es wahrscheinlich ohne Hogles Hilfe nicht möglich gewesen, sich in die Organisation einzuschleichen."
McLains Bericht machte einen tiefen Eindruck auf mich; es war das erste Mal, dass ich etwas von einem Agent provocateur hörte. Später erfuhr ich, dass die Verfolgung der Molly Maguires der erste Fall in Amerika war, in dem Pinkertonmethoden gegen die Arbeiterklasse angewandt worden waren.
Am 19. Juni 1896 erlitt ich einen Betriebsunfall und zwar eine so starke Quetschung meiner rechten Hand, dass der Arzt einen Teil amputieren wollte. Dagegen wehrte ich mich: ich wollte nicht als zweifacher Krüppel durchs Leben gehen, da ich schon durch den Verlust eines Auges schlimm genug daran war. Wenn irgend möglich, sollte der Arzt versuchen, die Hand zu retten. „Wir wollen sehen", erwiderte er und verband die Hand. Jede Narkose wies ich zurück, trotz der Schmerzen, weil ich fürchtete, dass er mir während der Bewusstlosigkeit die Finger abnehmen würde. Nach einigen Tagen zeigte es sich, dass die Hand heilen würde. Gerade zu dieser Zeit war auch meine Frau mit unserem kleinen Mädchen nach Silver City gekommen. Da ich infolge der verletzten Hand arbeitsunfähig war, veranstalteten Kameraden eine Sammlung und schenkten mir eine Börse mit Geld; damit kamen wir sehr gut über diese schwierige Zeit hinweg. Einem Kumpel, der die Stadt verlassen wollte, kaufte ich ein Haus mit zwei Zimmern ab, zahlte ihm einen Teil sofort und den Rest in Raten. Von dem Idaho Hotel, in dem wir vorläufig Wohnung genommen hatten, übersiedelten wir in unser neues Heim.
Anfang August desselben Jahres kam August Edward Boyce, Präsident der Bergarbeiterföderation des Westens, nach Silver City, um die Bergarbeiter zu organisieren. Zwei Versammlungen, eine am 8. und eine am 10. August, wurden abgehalten. Ich ging zu beiden, obwohl ich damals noch nicht wusste, ob ich jemals wieder imstande sein würde, zur Arbeit im Bergwerk zurückzukehren, da ich meinen Arm noch immer in der Schlinge trug. Aber mich interessierte sehr, was Boyce uns zu sagen hatte, der am Streik in Coeur d'Alene im Jahre 1892 teilgenommen hatte. Er war groß, schlank und hatte einen feinen Kopf mit dünnem Haar. Seine sympathischen Züge wurden nur durch hervorstehende Zähne gestört, eine Folge des Speichelflusses, einer Berufskrankheit der Hüttenarbeiter, die er sich durch die Arbeit mit Quecksilber in einem Quarzhüttenwerk zugezogen hätte.
Mit seinen Berichten über die in Coeur d'Alene mit ungeheurer Erbitterung ausgefochtenen Kämpfe packte er die Zuhörer. War er doch selbst zusammen mit über tausend anderen Bergarbeitern von Bundessoldaten verhaftet und über sechs Monate hinter Stacheldrahtverhauen eingesperrt worden.
Sehr großen Eindruck machte auch die Schilderung von der Geburt der Bergarbeiterföderation des Westens im Bezirksgefängnis Ada in Boise, Idaho. Boyce und dreizehn andere Gefangene arbeiteten im Kerker zusammen mit ihrem Verteidiger Jim Hawley, selbst ein ehemaliger Kumpel, die Pläne für die neue Organisation aus, die nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis in einer zum 15. Mai 1893 nach Butte, Montana, einberufenen Versammlung gegründet wurde.
Mit diesen Versammlungen, in denen er über seine eigenen Erlebnisse und über die Kämpfe der Bergarbeiter berichtete, warb Boyce mehrere hundert Mitglieder für den Ortsverband 66 (Silver City) der Bergarbeiterföderation des Westens.
Der Gerichtssaal, in dem die Versammlungen abgehalten wurden, war überfüllt. Berg- und Hüttenarbeiter von der Black-Jack-Grube, vom Hüttenwerk Florida, von der Trade-Dollar-, der Blaine-, der Poor-Man-Grube und anderen kleineren Gruben, die zu unserem Ort gehörten, waren anwesend. Jeder Sitz- und Stehplatz war besetzt. Die Mitgliederliste wurde eine Zeitlang ausgelegt, um möglichst vielen Gelegenheit zum Eintritt in die Organisation zu geben. Ich selbst wurde zum Mitglied des Finanzkomitees gewählt und übernahm später verschiedene andere Funktionen im Verband. Solange ich in Silver City war, nahm ich stets aktiv an der Arbeit der Organisation teil und versäumte niemals eine Versammlung des Bergarbeiterverbandes, außer wenn ich Nachtschicht hatte.
In Silver City waren fast tausend Leute beschäftigt. Er war ein fortwährendes Kommen und Gehen. Alle, die in den Gruben wie in und bei den Hütten arbeiteten, die Gelernten ebenso wie die Ungelernten, waren Mitglieder der Organisation. Der Unterschied im Lohn der gelernten und ungelernten Arbeiter war nur gering. Je mehr sich die Bergarbeiterföderation des Westens entwickelte, um so stärker konzentrierte sich ihr Kampf auf die Verbesserung der Lebensbedingungen der niedrig bezahlten Arbeiter.
Die Arbeiter in den Gruben und der Umgebung arbeiteten alle Tage, einschließlich der Sonntage, und auch die Hütten waren niemals geschlossen, nicht einmal an Feiertagen.
Ich habe Silver City noch nicht beschrieben. Die Stadt lag in einer Schlucht zwischen zwei hohen Berggipfeln, dem War Eagle und den Florida-Bergen. Die Sohle der Bergschlucht lag voller Geröll und Felsblöcke, die von den Goldgräbern in früheren Tagen aufgeschüttet worden waren. Die Stadt bestand nur aus zwei Straßen, von denen die hintere von schwarzen, weißen und chinesischen Prostituierten bewohnt wurde. Neben verschiedenen Geschäftshäusern gab es nicht weniger als siebzehn Wirtshäuser in der Stadt, die sich wenig voneinander unterschieden. In einer solchen Kneipe setzte ich mich eines Abends zu den Farospielern, setzte einen Dollar und gewann die Runde. Vom Bankhalter forderte ich Silber und lud die Burschen, die herumstanden, zu einem Glas ein. In diesem Augenblick fiel mir ein Mann in der Ecke auf, der den Hut über das Gesicht gezogen hatte. Auf meine Frage antwortete Ben Hastings, der Wirt:
„Das ist der alte McCann; er trinkt nicht viel, aber für eine Dosis Morphium würde er seine Seele verkaufen." Ich rief McCann zu: „He, Kollege, nimm 'nen Schluck." Der stand auf, schob seinen Hut etwas zurück und redete mich an:
„Halle, Bill, du erkennst mich wohl nicht mehr. Wir waren in Tuscarora zusammen."
Ich starrte in ein abgezehrtes Gesicht und erkannte die Züge wieder, eingefallen und gealtert, zerstört durch den Genuss des Giftes, dem er verfallen war. Beim Fortgehen sah ich McCann noch mit einem der Burschen sprechen, die in der Trade-Dollar-Grube arbeiteten. Am Abend des nächsten Tages erfuhr ich, dass
McCann im Gefängnis saß. Er hatte zeitig am Morgen eine Kiste in einem Handschlitten zum Postamt hinuntergeschleppt, um sie dort aufzugeben. Dort erwartete ihn bereits der Sheriff, der McCann mitsamt der Fuhre auf sein Amt mitnahm. Beider Öffnung der Kiste stellte sich heraus, dass sie eine Menge wertvollen Erzes enthielt. McCann wurde verhaftet und des Diebstahls angeklagt. Nachdem er mehrere Stunden in der Zelle verbracht hatte, erwachte seine Begierde. Er ließ den Sheriff kommen. „Crocheron, du weißt, dass ich wegen meiner Nerven Morphium nehmen muss; ich bin so weit, dass ich unbedingt etwas brauche. Willst du es mir im Drogengeschäft beim Postamt besorgen? Wenn du ihnen dort sagst, dass es für mich ist, wissen sie schon, wie viel ich brauche." „Nun, warum nicht, Mac. Ich werde es besorgen", antwortete der Sheriff, ging fort, und Mac begann, die Zelle auf und ab zu wandern. Seine Schläfen hämmerten, sein Körper war feucht von kaltem Schweiß. Auf und ab ging er, von Minute zu Minute ruheloser und gequälter. Die Stunden dehnten sich, aber der Sheriff kam nicht zurück. In der Nacht glaubte Mac, er müsse sterben. Seine gepeinigten Nerven schienen zu zerreißen, und als der Morgen kam, sehnte er sich nach dem Tode. Er rief mit bebender Stimme den Wächter:
„Ich muss etwas Morphium bekommen. Du kannst es mir verschaffen!"
„Ich kann hier ebenso wenig fortgehen wie du. Du musst warten, bis der Sheriff kommt." Es war schon spät, als Crocheron, der Sheriff, sich blicken ließ. Mac stand an der Tür der Zelle. Er streckte seinen von den Stichen der Injektionsnadeln mit Narben bedeckten Arm durch die Stäbe der Zelle und jammerte verzweifelt: „Gib es mir, Sheriff, um Himmelswillen, gib es mir! Ich sterbe."
Crocheron zog ein kleines, blaues Fläschchen aus seiner Tasche.
„Du kannst es haben, Mac, aber sag mir die Namen der Leute, die dir das Erz zum Verscheuern gegeben haben." Mac taumelte zurück, geriet mit dem Fuß in den Spucknapf und fiel zu Boden. Am Gitter zog er sich wieder hoch, sah dem Sheriff in die Augen und stöhnte: „Ich kann dir's nicht sagen."
Der Sheriff ging fort und ließ Mac in Agonie zurück. Bald darauf fand die Gerichtsverhandlung statt, und Mac, mehr tot als lebendig, wurde verhört. Vom Staatsanwalt wurde ihm eröffnet:
„McCann, die Bergwerksgesellschaft besteht nicht auf
Ihrer Verurteilung, aber sie will die Namen der Leute
wissen, die Ihnen das Erz gaben."
Mac hob sein abgezehrtes, erschöpftes Antlitz:
„Ich kann sie Ihnen nicht nennen."
Er wurde für schuldig erklärt und zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt; er starb aber kurz danach. Ben Hastings hatte von ihm gesagt, er würde seine Seele für eine Dosis Morphium verkaufen. Und doch hatte McCann lieber unsägliche Pein erlitten, als dass er zu einem Verräter an seinen Freunden wurde.
Im Juni 1897 wurde unsere jüngste Tochter geboren. Meine Frau konnte sich monatelang nicht erholen. Sie war bettlägerig, und der Haushalt lastete vollkommen auf meinen Schultern, da es keine Frauen oder Mädchen im Ort gab, die außerhalb ihres Hauses arbeiten wollten. Sie kamen wohl des Abends, wenn ihre eigene Arbeit getan war, und halfen uns in nachbarlicher Weise, aber die Hauptarbeit musste ich doch selbst tun. Das Baby schlief von seiner Geburt an bei mir. Ich konnte es nicht in einer Wiege schlafen lassen, denn dann hätte ich in
meinem stets festen Schlaf sein Weinen nicht gehört, wenn es hungrig war. Da ich fürchtete, es im Schlaf zu erdrücken, wenn ich es neben mich legte, hielt ich das Kind jede Nacht an der Brust.
Obwohl ich während dieser Zeit nicht auf Arbeit ging, quälten mich weder der Schlächter noch die anderen Kaufleute, bei denen ich einzukaufen hatte:
„Mach dir keine Sorgen, Bill, alles wird bald wieder gut werden. Vergiss nicht, du kannst jederzeit alles von uns haben."
Manchmal nahm ich meine Frau mit auf Besuch zu den Nachbarn, das Baby auf einem Arm und sie auf dem anderen. Ich erinnere mich noch an einen Abend, an dem wir zu Mrs. Morris zum Fuße des Hügels hinuntergegangen waren. Als wir uns auf den Heimweg machten, war Schnee gefallen; ohne viel Besinnen trug ich meine Frau auf dem einen Arm, das Baby auf dem anderen und das größere Mädchen auf dem Rücken. Ich brachte sie alle drei heil den Hügel hinauf.
Zu dieser Zeit begann die Frage des Achtstundentaggesetzes die Bergarbeiter von Idaho zu beschäftigen. Sie wollten in der kommenden Legislaturperiode versuchen einen Gesetzentwurf durchzubringen, der den Achtstundentag für die in Bergwerken, Hütten und Schmelzereien beschäftigten Arbeiter festlegte. Daraufhin wurde Joseph Hutchinson, von der Trade Dollar Company mit reichen Geldmitteln versehen, ausgesandt, um die Abgeordneten zu bestechen und den Gesetzentwurf zu hintertreiben. Von den Bergwerksbesitzern war eine solche Aktion wohl zu erwarten gewesen. Der Gesetzesantrag würde in dieser Gesetzgebungsperiode abgelehnt, später aber dennoch von den Bergarbeitern durchgesetzt. Die Bergarbeiterföderation des Westens war es, die durch ihren Rechtsanwalt, John H. Murphy, das erste Acht-
Stundengesetz in den Vereinigten Staaten, das so genannte Utah-Gesetz, bis vor den Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten brachte, von dem es als verfassungsmäßig erklärt wurde. Aber auch dann noch mussten die Bergleute und Hüttenarbeiter von Utah um seine Durchsetzung kämpfen.

 

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