4. Die Erklärung 
  Als ich erwachte und das Licht einschaltete, zeigte die Uhr zehn.  Nach meiner Morgentoilette drückte ich den Klingelknopf, und kurz  darauf erschien Menni. 
    »Fliegen wir bald?« fragte ich. 
    »In einer Stunde«, antwortete er. 
    »Waren Sie heute Nacht bei mir, oder habe ich das nur geträumt?« 
    »Nein, das war kein Traum, aber nicht ich war bei Ihnen, sondern unser  junger Doktor Netti. Sie haben unruhig geschlafen, er musste Sie mit  Hypnose und blauem Licht einschläfern.« 
    »Ist Doktor Netti Ihr Bruder?« 
    »Nein«, entgegnete Menni lächelnd. 
    »Sie haben mir bisher nicht gesagt, aus welchem Lande Sie stammen.  Gehören Ihre Kameraden zum selben Typ wie Sie?« 
    »Ja.« 
    »Sie haben mich also belogen«, erwiderte ich scharf. »Das ist gar  keine wissenschaftliche Gesellschaft. Was ist es dann?« 
    »Wir sind Bewohner eines anderen Planeten«, erwiderte Menni ruhig,  »Vertreter einer anderen Menschheit. Wir sind Marsmenschen.« 
    »Warum haben Sie mich belogen?« 
    »Hätten Sie mich angehört, wenn ich Ihnen gleich die ganze Wahrheit  gesagt hätte? Ich hatte zu wenig Zeit, um Sie zu überzeugen. Also  musste ich die Wahrheit um der Wahrscheinlichkeit willen verbiegen.  Ohne diese übergangsstufe wäre Ihr Geist zu sehr erschüttert worden. Im  wesentlichen habe ich Ihnen die Wahrheit gesagt — was die bevorstehende  Reise betrifft.« 
    »Das heißt, ich bin trotzdem Ihr Gefangener?« 
    »Nein, Sie sind auch jetzt frei. Bis zum Abflug in einer Stunde können  Sie sich noch anders entscheiden. Wenn Sie unser Angebot ausschlagen,  bringen wir Sie zurück und verschieben unsere Reise, weil es keinen  Sinn hätte, ohne einen Erdenmenschen heimzufliegen.« 
    »Wozu brauchen Sie mich?« 
    »Sie sollen als lebendes Verbindungsglied zwischen unserer Gesellschaft  und der irdischen Menschheit dienen, sollen unsere Lebensweise kennen  lernen und die Marsmenschen näher über das Leben auf der Erde  informieren, Sie sollen der Vertreter Ihres Planeten auf dem Mars sein  — solange Sie das wünschen.« 
    »Ist das schon die ganze Wahrheit?« 
    »Ja, die ganze Wahrheit. Fühlen Sie sich imstande, diese Rolle zu übernehmen?« 
    »Ich werde es versuchen.« 
    »Und ist das Ihre endgültige Entscheidung?« fragte Menni. 
    »Ja, wenn Ihre letzte Erklärung nicht wieder eine...  übergangsstufe           darstellt.« 
    »Also fliegen wir«, sagte Menni, ohne meine ironische Bemerkung zu  beachten. »Ich gebe dem Maschinisten die letzten Anweisungen, dann  kehre ich zu Ihnen zurück, und wir werden gemeinsam den Abflug unseres  Sternschiffs beobachten.« 
    Ich gab mich meinen Gedanken hin. Unser Gespräch war eigentlich nicht  beendet. Eine ernste Frage war geblieben, aber ich wagte nicht, sie  Menni zu stellen. Hatte er bewusst Anna Nikolajewna in ihrem Entschluss  bestärkt? Es schien so gewesen zu sein. Wahrscheinlich hatte er in ihr  ein Hindernis für sein Ziel gesehen. Vielleicht hatte er Recht.  Jedenfalls hatte er den Bruch nur beschleunigt, ihn aber nicht  herbeigeführt. Natürlich war das eine freche Einmischung in meine  Privatangelegenheiten. Aber nun war ich Menni ausgeliefert und musste  meine Feindseligkeit ihm gegenüber unterdrücken. Es war also sinnlos,  an die Vergangenheit zu rühren, am besten, ich dachte nicht daran. 
    Die neue Wendung der Dinge hatte mich nicht allzu sehr schockiert. Ich  fühlte mich vom Schlaf gestärkt, und nach dem, was ich am Vortag erlebt  hatte, wäre es ziemlich schwierig gewesen, mich mit etwas zu  verblüffen. Ich musste nur überlegen, wie ich weiter vorgehen würde. 
    Zuerst musste ich mich möglichst schnell und vollständig in meiner  neuen Lage zurechtfinden. Am besten war es, beim Nächstliegenden zu  beginnen und mich Schritt für Schritt zu entfernteren Dingen  vorzutasten. Das Nächstliegende war das Sternschiff, seine Besatzung  und die bevorstehende Reise. Der Mars war noch weit, mindestens zwei  Monate entfernt, wie ich aus Mennis gestrigen Worten schloss. 
    Die äußere Form des Sternschiffs hatte ich schon am Abend betrachten  können. Es war eine unten abgeflachte Kugel, in seiner Art ein Ei des  Kolumbus — diese Form bietet das größte Fassungsvermögen bei kleinster  Oberfläche, das heißt bei geringstem Materialverbrauch und  Wärmeverlust. Als Material überwogen offenbar Aluminium und Glas. Die  Inneneinrichtung musste Menni mir zeigen und erklären, er musste mich  auch mit all den anderen »Wundertieren« bekannt machen, wie ich meine  Reisegefährten im stillen nannte. 
    Menni kam zurück und führte mich zu seinen Kameraden. Alle hatten sich  in einem Raum versammelt, dessen eine Wandhälfte ein riesiges  Kristallfenster einnahm. Nach dem gespenstischen Licht der elektrischen  Lampen empfand ich das Sonnenlicht als sehr angenehm. An Bord waren  zwanzig Marsmenschen, und alle hatten das gleiche Gesicht, wie mir  damals schien. Der fehlende Bartwuchs und die faltenlose Haut ließen  beinahe keinen Altersunterschied erkennen. Unwillkürlich verfolgte ich  Menni, um ihn inmitten dieser fremdartigen Wesen nicht aus den Augen zu  verlieren. Bald konnte ich jedoch meinen nächtlichen Besucher Netti  entdecken, der durch seine Jugend und Lebhaftigkeit auffiel, und von  den anderen unterschied sich der breitschultrige Sterni, der mich durch  seinen seltsam kalten, fast bösartigen Gesichtsausdruck befremdete.  Außer Menni unterhielt sich nur Netti russisch mit mir, weitere vier  Männer sprachen französisch, die anderen englisch und deutsch,  untereinander redeten sie in ihrer Muttersprache. Diese Sprache war  klangvoll und schön, und die Aussprache bereitete keine  Schwierigkeiten, wie ich mit Befriedigung feststellte.  | 
  
    
    Hinweis:      Für die Korrektheit der Angaben in diesen Versionen und die Identität              der Texte mit dem angegebenen Original wird keine Verantwortung übernommen.              Eine Vervielfältigung der Dokumente zum Zwecke des Vertriebs ist              nicht gestattet. 
     
    |   |