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Alexandr A. Bogdanow - Der rote Planet (1908)
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Teil II

1. Bei Menni

In der ersten Zeit wohnte ich in einem Industriestädtchen bei Menni. Zentrum und Grundlage der Siedlung bildete ein großes chemisches Laboratorium, das tief unter der Erde lag. Der oberirdische Teil des Städtchens lag inmitten eines Parks verstreut; auf einer Fläche von zehn Quadratkilometern befanden sich mehrere hundert Wohnungen von Laborarbeitern, ein großes Gemeinschaftsgebäude, ein Konsumgüterlager — in der Art eines Warenhauses — und eine Verkehrsstation, die den Ort mit der übrigen Welt verband. Menni war der Leiter aller Arbeiten und wohnte gleich neben dem Hauptlift zum Laboratorium.
Das erste, was mich auf dem Mars befremdete und woran ich mich am schwersten gewöhnte, war die rote Farbe der Pflanzen. Ihr Farbstoff erfüllt die gleiche Aufgabe im Stoffwechsel wie bei uns das Chlorophyll: Aus der Sonnenenergie und dem Kohlendioxid der Luft baut er das Pflanzengewebe auf.
Der besorgte Netti empfahl mir eine Schutzbrille, damit meine Augen nicht von dem ungewohnten Anblick gereizt würden. Ich lehnte das Angebot ab. »Rot ist die Farbe unseres sozialistischen Banners«, erwiderte ich. »Ich muss mich an Ihre sozialistische Natur gewöhnen.«
»Wenn Sie das so sehen, müssen Sie zugestehen, dass auch in der irdischen Flora der Sozialismus herrscht, nur in versteckter Form«, bemerkte Menni. »Die Blätter der irdischen Pflanzen haben ebenfalls einen roten Schimmer, der allerdings von dem kräftigeren Grün übertönt wird. Man braucht nur eine Brille aufzusetzen, deren Gläser die grünen Strahlen absorbieren und die roten durchlassen, und Ihre Wälder und Felder werden rot wie die unseren.«
Ich kann nicht Zeit und Raum vergeuden, um die originellen Formen der Pflanzen und Tiere auf dem Mars zu beschreiben. Die Luft ist rein und ziemlich dünn, aber reich an Sauerstoff, der Himmel ist hoch, dunkel und von grünlicher Färbung, mit einer mageren Sonne und zwei winzigen Monden. Es leuchten auch zwei helle Abend- oder Morgensterne — die Venus und die Erde. All das war damals seltsam und fremdartig, und jetzt, in verklärter Erinnerung, erscheint es mir schön und lieb. Die Menschen und ihre Beziehungen — das war das Wichtigste für mich; in dieser märchenhaften Umgebung waren die Menschen am phantastischsten, am rätselhaftesten.
Menni lebte in einem einstöckigen Haus, das sich nicht von den anderen unterschied. Das interessanteste Merkmal seiner Architektur war das durchsichtige Dach aus riesigen blauen Glasscheiben. Unter dem Dach lagen das Schlafzimmer und das Zimmer für Gespräche mit Freunden. Die Marsmenschen erholen sich bei blauem Licht wegen dessen beruhigender Wirkung; den düsteren Schimmer, den diese Beleuchtung dem menschlichen Antlitz verleiht, empfinden sie nicht als unangenehm.
Die Arbeitsräume — das Labor, das Arbeits- und das Kommunikationszimmer — befanden sich in der unteren Etage; große Fenster ließen aufreizendes rotes Light herein, das vom hellen Laub der Parkbäume reflektiert wurde. Dieses Licht, das mich anfänglich beklommen und nervös machte, wirkt auf die Marsbewohner anregend und arbeitsfördernd.
In Mennis Arbeitszimmer waren viele Bücher und verschiedenartige Schreibgeräte, von einfachen Bleistiften bis zu einem Druckphonographen. Dieser Apparat besteht aus einem komplizierten Mechanismus; bei deutlicher Aussprache wird die Aufzeichnung des Phonographen sogleich auf die Hebel einer Schreibmaschine übertragen. Dabei bleibt das Phonogramm vollständig erhalten, so dass man es neben dem gedruckten Text benutzen kann, je nachdem, was gerade bequemer ist.
ü ber Mennis Schreibtisch hing das Porträt eines Mannes in mittleren Jahren. Die Gesichtszüge ähnelten denen Mennis, unterschieden sich jedoch durch strenge Energie, kalte Entschlossenheit und einen fast drohenden Ausdruck, der Menni fremd war. Auf Mennis Antlitz war nur ruhige und feste Willenskraft zu lesen. Menni erzählte mir die Geschichte des Mannes.
Es war ein Vorfahre Mennis, ein großer Ingenieur. Er lebte zu der Zeit, als die großen Kanäle gebaut wurden, lange vor der sozialen Revolution. Die grandiosen Arbeiten wurden nach seinem Plan organisiert und unter seiner Leitung verrichtet. Sein Gehilfe, der ihm Ruhm und Macht neidete, intrigierte gegen ihn. Ein Hauptkanal, bei dem Hunderttausende arbeiteten, begann in einem sumpfigen, ungesunden Gelände. Tausende starben an Krankheiten, und unter den Arbeitern schwelte Unmut. Während der Chefingenieur mit der Marsregierung über Pensionen für die Hinterbliebenen und die Invaliden verhandelte, agitierte der Gehilfe unter den Unzufriedenen. Er stachelte die Arbeiter zu einem Streik auf. Sie forderten, den Kanal in einer anderen Gegend zu bauen, was den ganzen Arbeitsplan zunichte gemacht hätte, und den Chefingenieur abzusetzen, was durchaus möglich gewesen wäre. Als der Chefingenieur alles erfuhr, bat er seinen Gehilfen zu sich und tötete ihn auf der Stelle. Vor Gericht verzichtete er auf jede Verteidigung, sondern erklärte lediglich, er habe richtig gehandelt. Er wurde zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt.
Bald erwies sich, dass keiner von seinen Nachfolgern imstande war, die gigantischen Arbeiten zu leiten; es gab falsche Entscheidungen, Gelder wurden unterschlagen, überall herrschte Unordnung, der ganze Mechanismus des Werkes drohte auseinander zufallen, die Kosten wuchsen ins Unermessliche. Unter den Arbeitern drohte die Unzufriedenheit in einen Aufstand zu münden. Die Regierung wandte sich eiligst an den früheren Chefingenieur und bot ihm an, ihn zu begnadigen und in seine alten Rechte einzusetzen. Der Ingenieur lehnte die Begnadigung entschieden ab, erklärte sich aber bereit, die Arbeiten aus dem Gefängnis zu leiten.
Von ihm bestellte Revisoren klärten schnell alles an Ort und Stelle auf, Tausende von Ingenieuren und Lieferanten wurden entlassen oder vor Gericht gebracht. Die Arbeiter wurden besser entlohnt und besser mit Nahrung, Kleidung und anderen notwendigen Dingen versorgt, die Arbeitspläne wurden überprüft und berichtigt. Bald war die Ordnung wieder hergestellt, und der gewaltige Mechanismus funktionierte präzise wie ein gehorsames Werkzeug in den Händen eines wahren Meisters.
Dieser Meister leitete nicht nur das gesamte Werk, sondern entwarf auch einen Plan für die künftigen Jahre. Gleichzeitig bildete er einen Stellvertreter aus, einen energischen und talentierten Mann, der sich vom Arbeiter zum Ingenieur emporgearbeitet hatte. An dem Tage, an dem die Haftstrafe ablief, war alles so weit vorbereitet, dass der Meister ohne Befürchtungen das Werk in andere Hände legen konnte, und als der Premierminister im Gefängnis erschien, um den Gefangenen freizulassen, war der Chefingenieur aus dem Leben geschieden.
Während mir Menni diese Geschichte erzählte, zeigte sein Gesicht einen Ausdruck unerbittlicher Härte. Menni war ein Ebenbild seines Ahnen. Ich spürte, wie sehr er diesen Mann, der vor mehreren hundert Jahren gestorben war, achtete und verstand. Das Kommunikationszimmer war der mittlere Raum der unteren Etage. Dort befanden sich Telefone und optische Apparate, die auf jede beliebige Entfernung das Bild dessen übermittelten, was sie beobachteten. Ein Gerät verband Mennis Wohnung mit der Zentrale und über sie mit allen Häusern der Stadt und allen Städten des Planeten. Andere Apparate dienten als Verbindung zum unterirdischen Laboratorium, das von Menni geleitet wurde. Sie waren ständig eingeschaltet: Auf feingegitterten Scheiben waren die beleuchteten Säle sichtbar, wo sich große metallene Maschinen und gläserne Apparaturen befanden, davor Dutzende und Hunderte von Arbeitern. Ich bat Menni, mich in das Laboratorium mitzunehmen.
»Das darf ich nicht«, erwiderte er. »Dort arbeiten wir mit Materie in instabilem Zustand, und obwohl unsere Vorsichtsmaßnahmen eine Vergiftung mit unsichtbaren Strahlen oder eine Explosion fast ausschließen, besteht diese Gefahr immer. Sie dürfen sich ihr nicht aussetzen, denn Sie sind hier der einzige Erdenmensch und könnten von niemandem ersetzt werden.«
In Mennis Hauslaboratorium befanden sich nur die Geräte und Materialien, die er gerade für seine Forschungen benötigte.
Im Korridor des Erdgeschosses hing eine Luftgondel, in die man sich jederzeit setzen konnte, um in beliebiger Richtung davonzufliegen.
Ich fragte Menni, wo Netti wohne.
»In einer großen Stadt zwei Stunden Luftweg von hier entfernt. Dort ist eine Maschinenfabrik mit mehreren zehntausend Arbeitern, für Netti genug Patienten für seine medizinischen Forschungen. Hier haben wir einen anderen Arzt.«
»Und diese Maschinenfabrik darf ich bei Gelegenheit besichtigen?«
»Natürlich, dort drohen keine besonderen Gefahren. Wenn Sie möchten, fliegen wir morgen hin.«

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