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Alexandr A. Bogdanow - Der rote Planet (1908)
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9. Menni

»Ich habe aufmerksam die Anwesenden beobachtet und sehe, dass die überwiegende Mehrheit auf Nettis Seite steht. Darüber bin ich sehr froh, weil ich ebenso denke. Ich ergänze ihren Vortrag lediglich durch eine praktische Erwägung, die mir sehr wichtig erscheint. Es besteht nämlich die ernste Gefahr, dass gegenwärtig unsere technischen Mittel gar nicht ausreichen würden, um in großem Maßstab andere Planeten zu besiedeln.
Wir können zehntausend große Sternschiffe bauen, aber womit wollen wir sie antreiben? Dazu brauchten wir ungeheure Mengen von radioaktivem Material als Treibstoff. Alle uns bekannten Lagerstätten sind jedoch bald erschöpft, und neue werden immer seltener entdeckt.
Wir dürfen nicht vergessen, dass wir das radioaktive Material nicht nur dazu benötigen, den Sternschiffen ihre riesige Geschwindigkeit zu verleihen. Vielmehr beruht unsere gesamte Chemietechnik jetzt auf diesen Stoffen. Wir verbrauchen sie bei der Produktion der Minus-Materie, ohne die unsere Sternschiffe und unsere zahllosen Flugzeuge zu untauglichen schweren Kästen würden. Auf die Anwendung radioaktiven Materials kann also nicht verzichtet werden.
Am schlimmsten ist jedoch, dass die einzig mögliche Alternative zur Kolonisation — die Eiweißsynthese — unrealisierbar wird, wenn radioaktives Material fehlt. Eine technisch einfache und industriell bequem anwendbare Methode zur Herstellung von künstlichem Eiweiß ist bisher unbekannt. Auf dem Wege einer allmählichen Anreicherung von Molekülen ist es schon vor einigen Jahren gelungen, Eiweiß herzustellen, allerdings in winzigen Mengen und mit großem Energie- und Zeitaufwand, so dass das nur theoretische Bedeutung hat. Die Massenproduktion von Eiweiß aus anorganischen Stoffen ist nur möglich, wenn die chemische Zusammensetzung der Moleküle schnell und markant verändert wird, was durch die Einwirkung instabiler Elemente auf gewöhnliche, stabile Materie erreicht werden könnte. Um in dieser Richtung voranzukommen, müssen sich Zehntausende Wissenschaftler mit der Erforschung der Eiweißsynthese befassen und Millionen von Experimenten durchführen. Für diese Forschungen und für die spätere Massenproduktion von Eiweiß brauchen wir wiederum gewaltige Mengen an radioaktivem Material, das uns jetzt nicht zur Verfügung steht.
Wie wir es auch betrachten, wir können das Problem nur dann lösen, wenn wir neue Radiumlager finden. Aber wo wollen wir sie suchen? Offensichtlich auf anderen Planeten, das heißt auf der Erde oder auf der Venus. Für mich steht aber fest, dass wir den ersten Versuch auf der Venus machen müssen.
Es ist anzunehmen, dass es auf der Erde reiche Vorräte an radioaktiven Erzen gibt. Bei der Venus ist das sicher. Die irdischen Lagerstätten sind uns unbekannt, und die bisher von dortigen Wissenschaftlern entdeckten Funde reichen nicht aus. Die Radiumlager auf der Venus wurden von uns schon beim Betreten dieses Planeten entdeckt. Auf der Erde lagern die radioaktiven Erze offenbar wie bei uns in tieferen Schichten. Auf der Venus befinden sich einige Lager dicht unter der Oberfläche, so dass ihre Strahlung sogar durch Photographieren entdeckt wurde. Wenn wir Radium auf der Erde suchten, müssten wir das Festland so umwühlen, wie wir das auf unserem Planeten getan haben. Jahrzehnte könnten vergehen, und es bestände noch das Risiko, dass wir uns in den Erwartungen getäuscht hätten. Auf der Venus brauchten wir nur das abzubauen, was wir schon gefunden haben, und das könnten wir unverzüglich tun.
Ganz gleich, wie wir später über die Kolonisation anderer Planeten entscheiden werden, jetzt müssen wir erst einmal Sternschiffe auf die Venus entsenden, um radioaktives Material zu gewinnen. Damit schaffen wir die Voraussetzung für weitere Schritte.
Die Venus bietet zwar große natürliche Hindernisse, aber wir brauchten sie vorläufig nicht völlig zu überwinden. Es genügt, wenn wir ein kleines Stück des Planeten beherrschen. Eigentlich handelt es sich um eine einzige große Expedition. Wir werden uns dort nicht mehrere Monate aufhalten wie bei unseren früheren Expeditionen, sondern mehrere Jahre, um möglichst viel Radium zu gewinnen. Dabei müssen wir uns vor den unbekannten Krankheiten, dem schädlichen Klima und anderen Gefahren schützen. Das wird viele Opfer kosten, möglicherweise kehren von dieser Expedition nur wenige zurück. Aber der Versuch muss unbedingt gewagt werden.
Der geeignetste Ort für eine Landung ist die Insel der heißen Stürme. Ich habe sie gründlich erforscht und einen genauen Aktionsplan ausgearbeitet. Wenn Sie jetzt darüber beraten möchten, kann ich ihn sogleich darlegen.«
(Niemand sprach sich dagegen aus, und Menni erläuterte seinen Plan, wobei er ausführlich auf alle technischen Einzelheiten einging. Nach ihm meldeten sich andere Redner, aber alle sprachen ausschließlich zu seinem Plan und erörterten Details. Einige zweifelten am Erfolg der Expedition, doch alle stimmten darin überein, dass man sie entsenden müsse. Am Schluss wurde die Entschließung angenommen, die Menni unterbreitet hatte.)

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