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Wilhelm Nitschke – Der neue Glaube (1929)
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Ohne Obdach.

Agnes reckte sich den schmerzenden Rücken gerade und fuhr mit dem Schürzenzipfel über das schwitzende Gesicht.  Aber es war keine Zeit zu verlieren; der Frost hatte zu lange in der Erde gesessen. Sie trat gleich wieder das Grabscheit tief in den verwucherten Boden und bog und wippte mit aller Kraft, ehe sich endlich die harte Scholle wenden ließ.   Lieschen zerschlug und zerhackte die Erde und zog die vielen Quecken heraus, die dem Boden die beste Kraft entzogen.   An den Rändern wucherte wildes Strauchwerk, dem sollte Albert kommenden Sonntag zu Leibe gehen.   Kein möglicher Spatenstich durfte unterlassen werden, denn jede Schrittlänge gab ein Gericht Kartoffeln.
Die schlechte Meinung der anderen Laubenkolonisten schwand von Tag zu Tag, als sie sahen, wie Agnes sich von früh bis spät abmühte, um Ordnung in das verwilderte Anwesen zu bringen. Erst steckten die Nachbarn die Köpfe zusammen und zeigten verstohlen hinüber zu der verfallenen Bretterbude, in welche die ganze Familie gleich mit Sack und Pack einzog. „So ein Gesindel lockt uns am Ende noch die Polizei auf den Hals!" sagten sie verächtlich.
Dabei war Agnes Tag für Tag gelaufen.--Überall
kamen ihr die Wirte mit denselben Fragen entgegen: „Wie viel Kinder?... „Was ist Ihr Mann?... Tischler — so so — ausgesperrt... Nein nein! — Das tut uns leid, wir haben zu empfindliche Mieter, die können Kinderlärm nicht vertragen." Dazu peinigte Agnes die von Tag zu Tag steigende Gewissheit, dass in ihr schon wieder neues Leben zu seinem Rechte gelangte. Sie mochte es diesmal Albert gar nicht anvertrauen. Bei der Geldknappheit hatten sie die Verhinderungsmittel wieder außer acht gelassen.
Da kam eines Tages ein Brief von Wieland aus Amerika, der vor ungefähr einem Jahr hinübergereist war, um bei seinem wohlhabenden Sohne die alten Tage zu verleben.
Er hatte von der großen Holzarbeiteraussperrung gelesen; und da er nichts weiter für die Ausgesperrten tun konnte, vermachte er ihnen sein Pachtland mit dem Holzhäuschen drauf, für das er den Pachtzins auf etliche Jahre im voraus bezahlt hatte.
Albert übergab diese Angelegenheit dem Verbandsvorstand. Dieser berief nun die ärmsten und zugleich kinderreichsten Familienväter zusammen, um Wielands Vermächtnis auszulosen. Als aber die Männer hörten, wie es Albert erging, überließen sie ihm das Häuschen als Notwohnung und den Acker dazu.
Still für sich hingeweint hatte Agnes in den ersten Nächten, wenn der raue Aprilwind durch die Ritzen der dünnen Bretterwände heulte und zuweilen auch den kalten Regen hindurchpeitschte.
Sie fand es nun aber doch schöner mit jedem Tag. Wenn sie auch manchmal noch ein eisiger Hagelschauer in die Hütte trieb, so lockte die heitere Sonne sie doch bald wieder heraus. Und gar bei den Kindern schien es ihr, als ob sie mit jedem Tage fester hineinwüchsen in die freie Natur. Ais Albert endlich durch den neuen Arbeitsnachweis eine Stelle erhielt, überkam Agnes ein Lebensmut und ein Gefühl der Zufriedenheit, dass sie hätte laut singen mögen bei der Gartenarbeit.
Eines Tages kam die Nachbarin herüber an den Gartenzaun und sah Agnes zu. „Ja ja, da gehören tüchtig Kräfte dazu," begann sie. „Und diese Menge Geld, die man erst hineinstecken muss, ehe etwas herauskommt."
„Wenn mein Mann seine Arbeit behält, wird es schon gehen,", sagte Agnes, indem sie sich aufrichtete und den schmalen Laubenweg hinuntersah.
„Ihr Häufel Kinder ißt was weg, da muss der Mann schon tüchtig arbeiten."
„Herrgott, es ist doch nicht etwa schon wieder alle!" stieß Agnes, die Frau unterbrechend, ängstlich hervor, als sie Albert erkannte, der, mit dem blauen Bündel unterm Arm, den Steg heraufkam. Sie klinkte das Gartentürchen auf und nickte stumm auf seinen leisen Gruß.
„Gräm dich nur nicht schon wieder," sagte er, sich sorglos stellend, „so schlimm, wie es war, kann es nicht mehr werden; der Verband steht ja doch hinter mir."
Er erzählte, wie sehr die meisten seiner Kollegen durch den langen Kampf entnervt waren. Wie unmündige Kinder mussten sie zum Teil bewacht werden. Und da sei er für ihre Sache eingesprungen und habe dem Vertrage Geltung verschafft. So verlor er wieder mal sein Brot, während er für das der anderen eintrat.
„Wenn wir nur halbwegs zu essen haben, alles andere muss dann eben noch zurückstehen," sagte Agnes befriedigt.
Er wandte sich dem Häuschen zu und warf sein Bündel zur offenen Tür hinein. „Bloß mit Dung und Aussaat wird es Zeit."
„Zeit wird es, ja. Aber vorläufig haben wir erst noch ein böses Stück Arbeit zu bewältigen. Langeweile soll dich nicht plagen." Agnes lächelte und wies ihm die mit Blasen bedeckten Hände.
Als Albert eines Tages an der letzten Ecke herumrodete und Agnes alle Unkrautwurzeln auszog, winkte und rief die Nachbarin herüber: Vorn am Wege liege ein Haufen Kuhstalldung, Weigert möge ihn sofort abholen. Da sich Albert und Agnes verwundert ansahen, drängte die Frau zur Eile. Auch hielt ein Bauerwagen vor dem Laubensteg, und zwei Männer setzten strammgefüllte Säcke vor den einzelnen Lauben ab.  Agnes trat den Männern entgegen.
„'s ist doch Laube fünfzehn?" fragten diese.
„Das schon, aber wir haben nichts bestellt."
„'s ist uns egal," und zwei runde Säcke lagen auf dem weichen Acker.
Agnes stand da und betrachtete wohlgefällig die ovalen Knollen. „Mach und binde den Sack zu," mahnte Albert. „Wer weiß, für wen die bestimmt sind."
„Na, für Ihr Feld!" sagte die Nachbarin, die zum Türchen hereintrat und aus ihrer Schürze Tüten mit allerhand Sämereien auf eine Bank legte. „So, — nun wünsch ich, dass alles recht gut gedeihen möge." Sie wollte davoneilen. Albert vertrat ihr den Weg, er wolle wissen, woher all die nützlichen Dinge gekommen seien. „Na — Gott," begann die Frau zögernd, „im Pächterverein sprachen die Männer neulich von Ihnen; einzelne waren erst recht aufgebracht darüber, dass Sie ständig hier wohnen und in den kalten Nächten hier schlafen — na, Sie wissen ja, was alles so zusammengeredet wird. Und da mein Mann auch organisierter Metallarbeiter ist und genau weiß, wie es den Holzarbeitern erging während der langen Aussperrung, trug er den Leuten alles vor und sagte, niemand solle Ihnen das Leben schwer machen. Na — und zu guter Letzt waren alle damit einverstanden, Geld zu Saatkartoffeln und Dung für Ihr Feld aus der Vereinskasse zu bewilligen. Heute kamen die Frauen und gaben ihre Samenreste bei mir ab; sie lassen Ihnen nun alle eine recht gute Ernte wünschen."
In tiefer Dankbarkeit schüttelte Albert der Frau die Hand. Desgleichen tat Agnes, deren Augen in freudiger Erregung feucht glänzten. „Wie sollen wir das wieder gutmachen?" sagte sie mit zitternder Stimme.
„Da ist nichts gutzumachen, liebe Frau. Sie und Ihr Mann haben's verdient. Ich weiß Bescheid. Heut packt es den, morgen einen anderen, und da muss eben einer für alle und alle für einen stehen."

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