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Wilhelm Nitschke – Der neue Glaube (1929)
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Das Ende des Kampfes.

Heut stand viel auf dem Spiel. Schon lange vor Beginn der Versammlung traten die Meister in hellen Scharen in den Saal. Nichts Gutes ahnend, steckten sie rasch die Köpfe noch ein wenig zusammen und fragten flüsternd, was wohl für ein Ergebnis zutage gefördert sei. Manchem fiel es schwer, das Gefühl zu unterdrücken, dass der Holzarbeiterverband sich nun als der Stärkere erweisen würde. Und sie griffen zum Bierglas, um die innere Erregung abzukühlen.
Endlich begann Obermeister Hartmann in seiner ruhigen Art, von der Bühne aus zu reden. Die Zugeständnisse an die Gesellen webte er geschickt Faden um Faden in seinen Vortrag. Bald rückten die Meister unruhig auf ihren Plätzen hin und her und begannen zu murren.
„Es nützt nichts, meine Herren!" rief der Redner mit verstärkter Stimme. „Eine halbe Million Mark haben die Arbeiter Groß-Berlins für die ausgesperrten Holzarbeiter aufgebracht! Ein Weihnachten ist diesen bereitet worden, wie es manch einer von Ihnen gewiss nicht hatte. Hunger hieß unsere Waffe! Und, wir müssen es uns leider eingestehen, die Arbeiter haben sie uns aus der Hand geschlagen! Auch die Bürger stehen auf Seiten der Ausgesperrten; die öffentliche Meinung spricht gegen uns! Und was nicht übersehen werden darf: Hunderte, ja viele Hunderte der tüchtigsten Gesellen schickt die Verbandsleitung
jede Woche hinaus ins Reich!"
„Gott sei Dank!  Lasst sie laufen, die roten Wühler!"
schrieen die Meister durcheinander.   Ihre Geduld war zu Ende, der Zweck der Rede lag offen zutage.
Kurzsichtig nannte der Obermeister die Ansicht der
Rufer und sprach weiter in die bewegte Versammlung hinein.
„Bedenken Sie, meine Herren, die Konkurrenz!   Täuschen Sie sich nicht mit Kraftworten über die Tatsachen hinweg!
Die „roten Wühler" sind jetzt draußen in der Provinz sehr
willkommen, und es sind nicht die Ungeschicktesten, die hinausgehen; diese werden unsere Fabrikationsmethoden auf die Provinzmeister übertragen, und Sie haben das Nachsehen! Und darum empfehle ich Ihnen einen Vertrag--"
„Wie sieht der aus? — Unter was für Bedingungen?" riefen die Meister wild dazwischen.
Hartmann breitete seine leeren Arme ratlos aus, ehe er den Mund auftat. Ein Ohnmachtsschatten flog über das Gesicht der Versammlung. Und als der Redner kleinlaut sagte, die Gesellen hätten allerdings eine bedeutende Arbeitszeitverkürzung und eine entsprechende Lohnerhöhung in den Vertrag hineingebracht, platzte die Empörung wie ein Gewitterschlag aus aller Munde. „Unsinn! — Blödsinn! — Verrat!" Es raste und tobte aus allen Ecken. Fäuste schlugen auf die Tischplatten, dass die Gläser hochsprangen, mit erhobenen Stühlen drangen die wütenden Meister auf den Vorstand ein. „Raus! — Runter mit den Verrätern!" Hartmann versuchte, mehr durch Bewegungen als durch Sprechen die Tobenden zu beruhigen; jedoch immer ärger ward der Tumult.
Da stieg ein hageres, grauköpfiges Männchen mühsam die Bühnentreppe hinauf. Ruhe trat ein, als es mit dünner, vibrierender Stimme zu reden begann. „Meine Herren Kollegen!" rief es, sich vor Aufregung überschreiend. „Der schwere Kampf wird geführt, um unser Handwerk vor dem Untergange zu retten und es von dem Vampyr — dem Gesellenverbande — für immer zu erlösen! Die Meister sollen wieder stolzerhobenen Hauptes in ihren Werkstellen schalten und walten, wie einst zur Zeit unserer Väter!" Brausender Beifall unterbrach den Alten. „Verstehen Sie mich nur recht, meine Herren! Dieses sagte unser Vorstand von dieser Stelle aus — freilich — vor vier Monaten! Und heut, heut will er uns mit Haut und Haaren dem roten Verbande ausliefern! Vertrag nennt er es, das Todesurteil für uns Kleinmeister —."
Pfuirufe und Drohungen gegen den Vorstand unterbrachen den Alten.
Hartmann suchte noch einmal die Versammelten zu beruhigen, aber der erregte Widerspruch drückte ihn nieder auf seinen Sitz.
Der Alte begann wieder: „Unterstützung versprachen uns der Vorstand und die großen Herren! Jedoch nur der erhalte sie, der bis zum Ende mitmacht, hieß es. Und wie rechnete man uns alles vor: der Hauswirt stundet die Miete, die Lieferanten verlängern die Wechsel — ja, meine Herren, glauben Sie mir!" rief der Alte, durch den Beifall der andern bestärkt, „ich und die Meinen haben auch unsere Magen um Stundung gebeten!  Ich glaubte fest an unsern Sieg, an die Auferstehung des Handwerks!  Heut sind mir die Augen geöffnet, jetzt sehe ich klar, wo der Weg hingeht! Die Holzjuden und Großfabrikanten haben ihre Absicht erreicht: Zur Schlachtbank führte man uns kleinen Meister, um uns  als lästige  Konkurrenten  loszuwerden!  Wie Schmetterlinge nach dem Sommer fallen Hunderte, die das Gewerbe einst großmachten, flügellahm in den Staub! Dennoch, ich will es ehrlich gestehen: als eine Genugtuung— ja, ich sag es frei heraus — als gerechte Vergeltung empfinde ich das mächtige Gedeihen des Holzarbeiterverbandes, der euch große Herren wie ein Strafgericht in Schach halten wird!  Und nicht nur das — nein: ich sehe schon, wie eines Tages die roten Fahnen auch auf Euren Fabriken flattern werden!"
Unter brausendem Beifall erhoben sich die Versammelten und bewegten sich dem Saalausgange zu, ohne auf die Ermahnungen des Vorstandes zu achten.

*

Schweigsam, wie eine stille Anklage wälzte sich ein grauer Menschenzug zu einer anderen Versammlung zwischen den üppigen Schaufensterauslagen der Straßen hin. Die frierenden Hände in den Hosentaschen blickten die Ausgesperrten nach den ausgestellten Reichtümern. Die Not hatte den meisten den schützenden Überzieher von den Schultern gezogen. Rau und grau lag der Himmel schwer über den Dächern. Nicht einmal das Kirchengeläute nahm er in sich auf, platt drückte er es auf die Straßen, wo es schrill erstarb.
Hoch oben im Zirkus fanden Emil und Albert noch ein Plätzchen. Die Glocke ertönte. Aller Blicke wendeten sich nach der Richtung, von der aus sonst die Musik das Zirkusspiel in der Arena begleitete. Tiefernste Worte des Vorsitzenden durchzitterten die Stille des großen Raumes. „Bedenkt", rief er mit erhobener Stimme, „die ganze Arbeiterschaft des Landes — ja die gesamte arbeitende Welt schaut auf uns! Sie wird Euch danken für Euer zähes Ringen; denn Euer Sieg gibt auch jenen Mut und Kraft zum Vorwärtsschreiten auf dem Wege zu freiem Menschentum!" Von innerem Stolz erfüllt, lehnten sich die Versammelten in ihren Sitzen zurück. Dann sprach der Redner von dem Erreichten.
„Ihr wisst es, Kollegen, die Fabrikanten wollten unsern Verband zertrümmern. Sie hielten uns für feig, unwissend und treulos. Sie kannten den Geist nicht, der uns mit der übrigen arbeitenden Welt wie Brüder und Schwestern verbündet. Rauben wollten sie uns die wenigen Stunden des Freiseins, der Erholung, die für uns das Licht bedeuten, das uns herausleuchten soll aus dem dunklen Sumpf der Unwissenheit. Anstatt uns aber sechs Stunden länger in ihren Dienst zu spannen, rangen wir ihnen noch zwei Stunden ab und verstärkten somit den Glanz unseres Lichtes. So bewahrheitet sich auch hier das Dichterwort: Es war ein Teil der Kraft, die nur das Böse will und doch das Gute schafft."
Hier und da im mächtigen Raum begann ein Säuseln. Wie aus der Tiefe kams, nach Worten ringend, als der Redner geendet hatte.
Bartlos, hager schoss ein Mensch hinter dem Rednerpult hervor. „Hier Kollegen!" schrie Fellert, den alle kannten, das Vertragsformular von sich streckend, das sind die Früchte unseres sechzehnwöchigen Kampfes! Und damit uns nicht der Übermut packt, sollen wir sie teelöffelweise erhalten! Mit Paragraphen will uns der Vorstand füttern! Kommissionen und Schiedsgerichte sollen uns in Zukunft zum Rechte verhelfen! Ich sage Euch: Ehe diese Wege alle durchlaufen sind, seid Ihr verhungert! Verschachert, verkauft hat uns der Vorstand an die Fabrikanten. Weg mit dem Mist, der uns das Streikrecht nehmen soll!" schrie er, riss den Vertrag in Stücken und warf sie zum Vorstandstisch hin.
„Der pommersche Karl!" ging es tuschelnd durch die Reihen. Karl warf seinen großen Schlapphut auf den Tisch. Es ward ruhig. Er strich seinen dunkeln Vollbart, ließ seinen Blick über die Versammlung gleiten und begann fest und sicher zu reden.
„Der", er wies auf Fellert, „der treibt ein ganz gewissenloses Spiel mit euch, Kollegen! Während ihr euch bei Wind und Wetter mit Polizei und Streikbrechern herumschlagen musstet, stand Fellert in warmer Werkstatt. Und während Ihr mit euren Familien vor lauter Not nicht aus noch ein wusstet, verdiente er seinen vollen Lohn." „Hört, hört!" kam es verwundert aus allen Ecken. „Ich gönne ihm das Glück; es nimmt ihm aber das Recht, eine solche Sprache gegen den Vertrag zu führen, den ihr mit so schweren Opfern erkämpft habt!"
„Sehr richtig! — Frechheit! — Gemeinheit!" riefen mehrere Stimmen.
„Auch noch etwas andres gebietet uns, für den Frieden einzutreten!" sprach Karl lebhaft weiter. „Viele von euch wissen es, welches Unheil die Aussperrung über manche Familien brachte! Von Woche zu Woche vermehrten sich die Opfer. An den Zahltagen standen sie vor unsern Geschäftsstellen, viele Frauen mit ihren Kindern, und baten flehentlich, einen Teil vom Unterstützungsgelde an sie zu zahlen; denn pflichtvergessen hätten ihre Männer in den letzten Wochen alles Geld für sich allein verbraucht. Andere Kollegen verließen die Stadt, gingen hinaus ins Land, nahmen Arbeit, aber wo? Niemand weiß es! Und die Frauen und Kinder sitzen hier im Elend. Kein Wunder, wenn das unehrliche Gewerbe mächtig um sich greift. Schande und Verderben zeugt der aufgezwungene Müßiggang! Lehnen wir den Frieden ab, machen wir uns mitschuldig vor aller Welt!"
„Wo ist unser Streikrecht?" brauste Fellert noch einmal auf.
„Das? Das können wir nach wie vor ausnützen!"
„Gelogen! — Unsinn! Eingetauscht hat es der Vorstand für ein Stück Papier!"
„Nichtswürdiger Maulheld, du! Zeihst mich der Lüge?" brauste Karl auf. „Weißt du, was es heißt, mit einer Frau und fünf Kindern sechzehn Wochen lang vom Streikgeld leben? Und meinst du etwa, der Verband sei nur ein Streikverein? — Nein, Kollegen! und abermals nein! Der Streik ist ein notwendiges Übel, er ist ein Zeichen unserer Schwäche!
Ja, einer festen, ordnenden Macht gleich muss der Verband allein durch sein Dasein wirken. Nur, wenn auf der Gegenseite alle Vernunft versagt, darf er den Streik entfesseln!"
„Ja, darin liegt Sinn!" — „Das ist wohl die Hauptsache!" — „Das Recht zum Streiken kann uns niemand nehmen", so ging es durch die Versammelten, während Fellert mit seinem Anhang lärmend hinausging.
Nach Schluss der Versammlung pflanzte sich die Siegesnachricht durch die Straßen, und in Gastwirtschaften hörte man triumphieren: „Drei Jahre Ruhe. Na, dann sollen es die Herren nicht noch einmal wagen; nicht zwei Wochen, dann sind wir in den Betrieben und die Herren sind draußen — aber für immer!"

*

„Gellfert? — Ists möglich, auch du hier?" fragte Emil, die Hand zum Gruße reichend, als die beiden Freunde in ein Bierlokal eintraten. „Lotterie gewonnen? —'ne reiche Heirat, was?" Er wies auf Gellferts Trauring.
„Setzt euch." Und all der Fragen nicht achtend, legte Gellfert einen Taler vor Albert hin: „Wirst es jetzt brauchen."
„Mensch, wie manierlich, wie nobel — sieh einer an! Wer hätte das geglaubt! — Gar nicht wieder zu erkennen", scherzte Emil weiter.
„Red nicht soviel", wehrte Gellfert ab, rief den Kellner und bestellte ein gutes Frühstück für sich und die Freunde. Nun ging das Vermuten und Raten über Gellferts Wohlstand hin und her. „Esst und trinkt!" sagte der überlegen. „Nachher kommt ihr mit in meine Wohnung."
Sie folgten ihm. In eine enge Seitengasse bogen die drei ein. Gellfert stemmte sich gegen ein knarrendes Tor, das schief in den Angeln hing. Dann ging es über einen engen Hof, eine wacklige, dunkle Treppe hinauf.
„An die Dunkelheit gewöhnt man sich bald" sagte Gellfert, als er seine Gäste durch den finsteren Korridor in ein geräumiges Zimmer führte, dessen Fenster, trotz des trüben Hoflichtes, verhangen waren. Über der gediegenen Ausstattung schien eine ordnungsliebende Hand zu walten; nur das eine Bett lag da, als sei ihm eben jemand entstiegen.
Auf dem Korridor bewegten sich schwere Tritte, denen ein sachtes Insschlossdrücken der Wohnungstür folgte. Gellfert machte ein verlegenes Gesicht. Bald trat eine frischdreinschauende Dreißigerin ein, die er als seine Frau vorstellte.   Sie begrüßte die Männer freundlich.
„Etwas spät aufgestanden", sagte sie leichthin und
ordnete das Bett.
„Ja, Manne, willst du den Herren nichts auftragen?" sagte sie mehr befehlend als fragend.
Mit dem Geschick eines Lebemannes schlug sie ein Bein über das andere und brannte sich eine Zigarette an. Währenddem trug Gellfert Gläser herbei und schenkte ein. Sie lobte den milden Geschmack des Kognaks und trank immer wieder eine neue Runde an. Gellfert saß lässig in der Sofaecke und überließ ihr die Unterhaltung der Gäste. Bald ward sie zärtlicher, rückte dichter an Albert und sah ihm nachdenklich ins Gesicht. „Ich glaube, wir kennen uns. Man kann sich zwar irren, aber Ihre Sprache und alles — waren Sie öfter im Cafe zur kleinen Fischerin?" „Noch nie."
„Oder wohnen Sie hier in der Nähe?" „Auch nicht."
„Hm — dann weiß ich wirklich nicht — und doch muss ich Sie kennen! — wo — woher bloß? — Ach — Ihr Name rollt mir ja auf der Zunge!"
„Sie haben recht, wir kennen uns", kam ihr Albert entgegen.
„Ja? Wirklich?"
„Weigert ist mein Name."
„Was — Sie — Weigert aus Britz?" schrie sie förmlich heraus. Ihre glühenden Wangen erbleichten; sie ergriff Alberts Hand, drückte und schüttelte sie bewegt: „Ihnen, o Ihnen, hab ich ja so unendlich viel zu danken! Was führt Sie hierher? — Was macht Ihre liebe, gute Frau? — Ach, die gute, wahrhaft gute Seele." In lautes Weinen brach sie aus, als sie ihrer Kinder gedachte und schluchzend lief sie hinaus.
Schweigend saßen die Männer ein Weilchen, dann machte sich Albert und Emil zum Gehen bereit.
Frau Gellfert kauerte auf dem Ruhebett in der Küche und vergrub ihr Gesicht in die Kissen. „Nein, Sie bleiben
noch!". Sie richtete sich auf. „Reden muss ich mit Ihnen, Herr Weigert!" Sie gewann ihre Fassung wieder. „Männe, beeile dich!" rief sie. „Wir gehen zum Mittagtisch! Sträuben Sie sich nicht, meine Herren, Sie sind heut meine Gäste."
Gehorsam legte ihr Gellfert Mantel und Hut zurecht. Sie trat vor den Spiegel. Der geschlossene Mantel, vereint mit der gefälligen Haartracht und dem buntgeschmückten Frühlingshut, verjüngten sie mädchenhaft.
In einer Speisewirtschaft in der inneren Stadt ließ Emmi — wie Gellfert seine Frau nannte — tüchtig auftragen. Dann beim Kaffee und einer guten Zigarette erzählte die ehemalige Frau Manske von ihrem Schicksal.
Als sie damals inmitten der Nacht zu ihrer Schwester flüchten wollte, fand sie das Haus verschlossen. Lange stand sie in schneestürmender Nacht, kein Wächter kam. Straßenmädchen liefen in dauernder Runde an ihr vorbei. Eines trat zu ihr und fragte teilnehmend. Noch ein zweites blieb stehen. „Rausgeschmissen hat se der Olle, weiter is nischt, det siehste doch," sagte diese sachkundig. „Wenn d' keene Bleibe hast, denn komm man zu uns mit. Det Haus hier, wo du rein willst, schließt keen Wächter, hier wohnt bloß 'ne Herrschaft mit ihrem Kutscher."
Da mochten die Mädchen recht haben: der Kutscher? war ja ihr Schwager.
„Komm, komm, nötigte nun auch die andere, „bei uns. kannste fein schlafen, da is heut 'n Platz freigeworden."
Die Teilnahme an ihrem Schicksal tat ihr wohl, sie folgte den Weibern. Und nach einigen Tagen stand sie hinter der Gardine eines kleinen Vorstadtcafés und wartete klopfenden Herzens auf die ersten Gäste.
Vor einem Jahr hatte sie nun den Kellnerinnenberuf aufgegeben. Ein gutzahlender Kundenkreis war ihr treugeblieben. Nur mit der selbständigen Wohnung hatte sie ihre liebe Not, und so heiratete sie Gellfert. Dem armen Kerl sei damit auch geholfen, meinte sie. Nur noch ein paar Jahre, dann gedenke sie in der inneren Stadt ein Logierhaus einzurichten. Dann seien auch ihre beiden Mädel soweit; die wolle sie dann zu sich nehmen.
„Also sehen Sie, Herr Weigert, ich bin auf dem besten Wege, wieder eine anständige Frau zu werden. Übrigens habe ich Gewissensqualen noch nicht ausgestanden. Denn was war meine Ehe anderes als die gesetzlich erlaubte Unzucht mit diesem vertierten Menschen. Ja, ja, nichts weiter wars, Herr Weigert!" beteuerte sie, als die Männer sie groß ansahen. „Heut dagegen bin ich frei, heut hab' ich die Wahl. Und gefällt mir das Treiben nicht mehr, geb' ichs auf. Und gefällt es meinem Männe nicht mehr, mag er gehen. — Aber der geht ja nicht!" Sie strich Gellfert zärtlich über seine dünnen Haare. „Was, Männe, wir verstehen uns schon?" Gellfert nickte lächelnd und hielt ihre Hand
in der seinen.
Die beiden Freunde gingen nachdenklich von dannen.

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