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Franz Jung - Die Eroberung der Maschinen (1923)
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Börsensturm

Seit einigen Tagen standen an der Börse die Bergwerksanteile der durch den Aufstand zum Teil zerstörten Gesellschaft im Vordergrund des Interesses. Es war schon aufgefallen, dass schon Tage vorher und mitten in der Kampfzeit, als die Meldungen von Sprengungen, Brandstiftungen und versoffenen Schächten einliefen, Schlag auf Schlag der Kurs eine ständig aufwärtssteigende Richtung genommen hatte. Die Anteilbesitzer ließen sich also nicht schrecken, oder es mussten noch sonst Leute vorhanden sein, die das Vertrauen in die Gesellschaft erst recht festigten. Sicherlich hatte das Unternehmen großen Schaden erlitten. Dabei stand so gut wie fest, dass der Staat etwa in Form eines Zuschusses oder längeren zinsfreien Darlehns sich an den Wiederaufbauarbeiten nicht beteiligen würde. An eine sofortige Aufnahme der Förderung war nicht zu denken, ein Teil der Schächte sollte überhaupt stillgelegt werden. Die Aussichten für das Unternehmen sahen trübe aus. Die Reserven würden aufgezehrt werden, und an Dividendenzahlung sei für die nächsten Jahre nicht zu denken. Trotzdem stiegen die Anteile unaufhörlich. Es schien für die kleinen Besitzer ein Fingerzeig: jetzt kannst du noch gut verkaufen, eile dich. Ähnlich lag es bei den Aktien der Chemischen Werke. Zwar lagen die Verhältnisse dort ein klein wenig anders, die Gesellschaft fabrizierte seit einiger Zeit hochwertige Düngemittel und hatte sich in gewissem Sinne Monopolstellung errungen. Man wusste zudem, hinter der Gesellschaft steht das Großkapital, es sind wenig Aktien kleiner Leute, die große Industrie ist daran beteiligt und solches mehr. Immerhin waren erhebliche Produktionsstörungen zu erwarten. Die Arbeiterfrage war ungelöst, das Werk stand noch still, der Termin der Wiederaufnahme des Betriebes war noch nicht abzusehen. Das Werk bekam nicht so schnell die Massen gelernter und auf die Besonderheit der Produktion eingestellter Arbeiter, die es benötigte. Also es war wenig Grund vorhanden, dass die Börse auch diesem Papier ihre besondere Aufmerksamkeit zuwandte. In beiden Werten wurden täglich, wie der Börsenbericht meldete, große Posten zu anziehenden Kursen umgesetzt. Berichte in der Presse, die die Aussichten manchmal direkt schwarz färbten, blieben scheint's unbeachtet.
Ein paar Tage hintereinander hatte allerdings die Bewegung ausgesetzt. Das war die letzte Aufforderung an die kleinen Besitzer, zu verkaufen, zugleich der Höhepunkt des Pessimismus in der Handelspresse. Dann ging es plötzlich sprunghaft aufwärts. Die Börse hatte Wind bekommen, die Leute drängten sich um die Makler, um noch Stücke zu bekommen. Jedermann an der Börse handelte in den Papieren. Das ist immer so, wenn plötzlich ein Papier das allgemeine Interesse auf sich zieht. Man konnte jetzt deutlich einige Bankfirmen unterscheiden, die alles, was davon auf den Markt kam, ankauften. Es waren bekannte Firmen, die für die hinter ihnen stehenden industriellen Gruppen Börsengeschäfte auszuführen pflegten. Das war kein Spekulationsgeschäft mehr, ob es der Gesellschaft gut geht oder nicht, ob die Produktion abgesetzt wurde oder liegen blieb, ob Gewinn oder Verlust zu erwarten war - hier lag ein bestimmter Auftrag eines Größeren vor. Sicher sollte die Gesellschaft angekauft werden, man sicherte sich unter der Hand bereits einen größeren Posten Anteile. Und so begann dann die wahre Spekulation, das eigentliche Geschäft der Börse. Der Aufstand brachte den Bankiers große Umsätze und für einen Hellhörigen Millionengewinne.
Aber man macht sich von der Börsenspekulation vielfach einen falschen Begriff. Die Bankiers dort, die Beamten, die Geldkaufleute, die Makler, Kommissionäre, Privatmänner und wie die Leute sich immer nennen mögen, alle diese Menschen, denen das Geschäft auf dem Gesicht geschrieben stand, hatten durchaus nicht den mühelosen Gewinn, den man sich manchmal vorstellt. Man muss diese Menschen vor sich sehen, wie sie vor Gier, mit einem richtigen Kurs zu schwimmen, zittern - wie sie stieren Blicks in den Trubel um sich starren, um das Gefühl herauszufinden, was man kauft und verkauft, denn es ist eine allerfeinste Nervensache, das richtig zu tippen, Wissen braucht man dazu nicht. Dazu braucht man keine Kenntnisse von den Gesellschaften, noch viel weniger etwa von der Produktion im besonderen oder einem allgemeinen Produktionsgesetz. Von der Arbeit, die den Menschen ausmacht und vom Menschen ausgeht, hatten diese Leute keine Ahnung; das ging sie auch gar nichts an und interessierte sie nicht. Sie Hefen hinter der Arbeit her, die das Kapital leistet. Etwas grundsätzlich anderes. Das Kapital ist wie ein Mensch, ja, es ist weit mehr. Der Mensch kommt dagegen nicht mehr auf. Leicht hatten sie es wirklich nicht, diese Börsenjobber. Sie sind wie die Fliegen um den Sirup. Was interessierte sie im Grunde, was vorgeht? Das wichtigste, welche Bankfirma die Papiere kauft. Dann kauft man mit, vielleicht hält es an, sie drängen sich zwischen - gewiss, sie verdienen manchmal viel Geld, verlieren aber auch wieder. Es ist im Grunde genommen gerade, dass sie davon leben. Das ist die Börsenspekulation. Nichts weiter spielt sich an der Börse ab. Es ist wie im Bienenkorb, aber man meint doch mehr Irrsinnige vor sich zu sehen. Nur den Leuten im Lande, die sich als Besitzer von Wertpapieren fühlen, die jetzt ihrerseits mitspekulieren wollen, und wer kennt solche Narren nicht, denen wird mit Sicherheit das Geld aus der Tasche gezogen. Die Leute an der Börse leben ja davon. Zu ihrem Gewinn muss der Inhaber der Papiere den Verlust hergeben. Und dass das nicht die Großbanken und die Banken, die Kommissionsfirmen und die Jobber und Makler sind, kann man sich denken. Es ist der Mann außerhalb des Kreises, der gerade kaufen oder verkaufen lässt, das Publikum schlechthin, das die Zeche deckt. Man soll den Leuten ihren Spaß lassen. Sie suchen sich gegenseitig zu betrügen, der Aufsaugungsprozess des Großkapitals.
So wurden die Anteile der Bergbaubetriebe wie der Chemischen Werke im Kurse heraufgesetzt. Durch die Pressenachrichten geschreckt, angelockt durch kleine Gewinne, war genügend Material an den Markt gekommen. Die Spekulation hatte sich eingedeckt, und das Spiel begann. Die Banken kauften indessen unentwegt weiter, binnen kurzem hatten die Papiere den doppelten Wert. Es war offensichtlich, dass hinter den Kulissen etwas vorging. Man riet, aber man erriet es nicht. Dann kam der Sturm. Es war auch aufgefallen, den Schlauen, den Leuten, die an der Börse überall herumhorchen, ausspionieren und die Chance wittern, dass die Elege-Aktien von der Bewegung nicht mitgerissen wurden. Sie lagen völlig still, der Kurs war ziemlich unverändert geblieben. Die Ganzschlauen begannen zu kaufen. Die Elege hatte große Posten von Anteilen dieser beiden Unternehmungen in Besitz. Sie musste also im Werte steigen. Das gleiche Verhältnis musste sich doch übertragen, und die Elege hatte davon den Nutzen und vielleicht noch mehr, wer konnte das wissen. Sicherlich, rechneten die Vorsichtigsten, ist das alles nur ein Vorspiel. Gerade die Elege ist gut fundiert, viele kleine Anteile, ein Welthaus — man begann in größerem Maße Elege zu kaufen. Der Kurs hob sich langsam und unwillig, man merkte, es waren genügend Abgeber am Markt, Leute, die Verkaufsorders gegeben hatten. Aber die Jobber waren ihrer Sache sicher, sie wollten diesmal mit am vollen Topf sitzen, nicht erst hinterherkommen. Dann kam der Sturm. Der Kurs schwankte einige Tage und fiel dann rapid. Bisher hatte die Presse geschwiegen. Jetzt setzte ein schreckliches Klagelied ein. Den Tag vorher fiel schon der Kurs um viele Prozente. An diesem Tage war aber ein Riesenangebot vorhanden. Man konnte sich gar nicht vorstellen, woher das kam. Der Makler, der den Kurs zu machen hatte, wurde derart umdrängt, dass die Aufsicht einschreiten musste. Die geprellten Jobber merkten zu spät, dass wiederum ein Mächtiger auch hinter dem Kurssturz der Elege stand. In diesem Falle werden die Menschen hysterisch. Alle Eigenschaften des wilden Tieres, die sie sonst so gut zu verstecken verstehen, werden lebendig. Sie schrieen aufeinander ein, traten sich mit Füßen, um nach vorn zu kommen. Flüche und Püffe, und alle die Leute, die noch am Vormittag darauf angewiesen waren, für ihre Barnkkundschaft, die sie sich durch Prospekte und wer weiß was für Schwindelmanöver und Versprechen von goldenen Bergen eingefangen hatten, große Kaufaufträge in Elege unterzubringen, machten das bei sich im Kontor ab. Zur Börse und zum Makler kamen sie damit nicht. Dort schlössen sie sich dem Großen an, und das, was sie an Stücken davon hatten, verkauften sie, und noch viele darüber hinaus, die sie noch nicht besaßen, die sie aber zu billigerem Kurs im Laufe der nächsten Tage zu decken, das heißt zurückzukaufen hofften, wodurch die dann erzielte Differenz für sie zum baren Gewinn wurde. Ihre Kundschaft war allerdings das angelegte Geld los, aber dazu war sie da. So ist das Bankgeschäft, ein Spiel für die Dummen. So kamen die Jobber wenigstens dazu, ihren ersten Verlust durch den zweiten Gewinn wieder auszugleichen. Es versteht sich, dass sie nun nach Kräften den Sturz mit beschleunigen halfen. Jetzt hatten sie den richtigen Wind heraus. Und der Kurs fiel und fiel. Je höher die Berganteile stiegen, desto tiefer sank die Elege-Aktie. Um diese Zeit reisten Agenten im Lande herum, besonders in den Gegenden, in denen die einzelnen Werkanlagen waren, die das Gerücht von dem baldigen Zusammenbruch der Gesellschaft in sehr vornehmer Form verbreiteten. Sie erließen große Inserate, in denen zur Bildung einer Schutzvereinigung der Aktionäre aufgefordert wurde. Sie selbst seien bereit, Interessenten zu der und der Zeit im betreffenden Ort Auskunft zu geben. Es versteht sich von selbst, dass das Interesse all der kleinen Kapitalspekulanten, der Bäcker- und Schlächtermeister, die reich geworden waren und damit den großen Mann spielten in ihrem Nest, als Leute, die mit der Börse und mit Aktien zu tun haben - dass diese Leute in Scharen kamen und mit Vergnügen ihre Papiere zu einem weit unter dem letzten Tageskurs liegenden Preis losschlugen, denn über kurz oder lang war das Papier überhaupt nichts mehr wert. Die Schutzvereinigung aber, die mit Strohmännern auf die Beine gestellt worden war, wetterte in großen Protesten gegen die Aktienbeteiligung der Arbeiter, die das Unternehmen dem Ruin nahe gebracht habe. Alles, was in dieser Sache geschrieben oder getan wurde, war Bluff und Schwindel. Nur zwei Tatsachen wurden erreicht: das Papier wurde so gut wie unverkäuflich und zweitens, den größten Teil des in kleinen Händen befindlichen Stückmaterials hatte der Elektrotrust an sich gebracht. Dann wurde noch inmitten dieser ganzen Operationen die Aktienbeteiligung der Arbeiter durchgeführt. Die Pressepolemik der Schutzvereinigung, die im Parlament aufgegriffen wurde, erhielt der Arbeitsminister als Material überwiesen. Die Arbeiter hatten von allen diesen Vorgängen so gut wie nichts bemerkt. Das war eine Sache, die die bürgerlichen Kreise anging und die sie daher weniger interessierte. Von der Ortsverwaltung des Maschinistensyndikates wurde als besserer Ersatz ein erbitterter Kampf um die Anbringung einer neuen Garderobe geführt. Und wie immer, wenn das Syndikat ernstlich eingreift, die Betriebsleitung gab nach.

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