Der große Streik
Die Arbeitersyndikate hingen völlig in der Luft. Niemand kümmerte sich darum.
In der Metallindustrie drohte die allgemeine Aussperrung. Zähe Teilstreiks.
Es kriselte unter den Transportarbeitern. Eine gemeinsame Aussprache hatte stattgefunden zwischen Eisenbahnarbeitern und Beamten. Verständigung bereitete sich vor.
Die Elektriker eroberten die Leitung im Maschinistensyndikat. Die Etektrikerunion tritt jetzt auf den Plan. Es war keine Zeit mehr zu verlieren.
Die Elektriker treten in den Streik. Ohne Verhandlung und fast ohne Forderungen. Um organisierte Wirtschaft. Die Heizer und die Maschinisten, alle, die direkt die Hand am Hebel der Kraftmaschine hatten. Von wo immer eine maschinelle Bewegung gespeist wurde, diese Quelle wurde verschlossen.
Der Streik war für alle eine große Überraschung. Im Augenblick der Entscheidung war das Ziel nicht zu übersehen. Alle fühlten, man muss eingreifen. Wir müssen zeigen, welche Mittel wir anzuwenden imstande sind. Die Furcht, noch mitten im ersten Organisationsaufbau überrascht worden zu sein, schwand. So ist das eben, sagte man, ist erst einmal der richtige Weg beschnitten, dann lassen sich die Aufgaben nicht mehr halten. Alles wächst ins Riesengroße - jeder war überzeugt, zu lange hatte die Arbeiterschaft gewartet, jetzt gilt es nachzuholen. Von dieser Stimmung beseelt, traten die Elektriker in den Streik. Ihr erstes und alleiniges Programm war, jeden Verkehr zu unterbinden, jede Kraft abzuschneiden, die die Maschinen und das Wirtschaftsleben in Gang hielt.
Es dauerte einige Tage, bis die Wirkung allgemein wurde. Die Leiter der Bewegung hatten auch nicht anders gerechnet. Die meisten Industriegruppen standen mitten drin in ihren eigenen Kämpfen, die zur Entscheidung drängten. Sie griffen den Gedanken, solider mitzukämpfen, nicht sofort auf, sondern ließen sich von den Ereignissen treiben. Sie warteten, bis auch die Reihe an sie kam. Ganz mathematisch, wie erfasst von einem hierzu konstruierten besonders feinen Räderwerk wurden sie mit hineingezogen. Nicht an einem Tage und zu einer Stunde standen die Maschinen. Es war immer noch irgendwo etwas Kraft frei vorhanden, es gelang den einzelnen Betriebsleitungen noch da und dort, Nothilfe einzusetzen. Auch an einzelnen Punkten waren die Elektriker nicht auf der Höhe. Sie sahen sich erst um, wie es woanders aussah, hatten so viele Erkundigungen einzuziehen, dass man den Eindruck hätte gewinnen können, sie hatten nur allzu gern erfahren, der ganze Streik sei Schwindel, und sie sollten erst abwarten und vor allem Ruhe bewahren, aber niemand tat ihnen diesen Gefallen, und so stellten sie dann auch die Arbeit ein. Die einzelnen Industriegruppen der Arbeiterschaft brauchten ihre Verhandlungen über diesen und jenen Punkt nicht zu Ende zu führen. An einem Tage standen die Maschinen still. Ihre Hände waren überflüssig geworden und wurden nicht gebraucht. Für die Ängstlichen war es weder Streik noch Aussperrung. Die Mutigen aber stellten sich sogleich auf die neue Situation um. Wir bleiben im Betrieb, hieß es, wir gehören hierher, an den Maschinen ist jetzt unser Platz. — Darüber ging ein Diskussionsstreit hin und her. Sie blieben zum allergrößten Teil im Betrieb versammelt, so wie sie als Belegschaft zusammen waren. Die gesamte Metall- und Maschinenindustrie stand still. Der Bergbau schloss sich an. Später noch die Bau- und Holzarbeiter. Dies geschah erst auf Grund der immer weiter um sich greifenden moralischen Wirkung. Zum Teil auch erst, als die Verkehrsarbeiter den Streik beschlossen. Ein Teil des Verkehrs ruhte zwar gleich am ersten Tage, doch wurde ein immer noch sehr erheblicher Prozentsatz mit rasch zusammengeworfenen Mitteln und Elementen aus allen Berufsschichten bewältigt. Es ließ sich aber nicht halten und flaute ab, und die ansteigende Protestbewegung der übrigen Arbeiterschaft der Verkehrsbetriebe machte dem Versuch vollends ein Ende. Es war eine mehr künstliche Sache, schon lange vorher theoretisch berechnet, die einfach jetzt automatisch in Wirksamkeit getreten war. Ihr Sinn war ausschließlich auf Bluff gestellt. Als das versagte, war der Nothilfe bereits das Urteil gefällt. Sie schlief von selbst ein. Als eine der letzten Gruppen wurde die Eisen- und Stahlindustrie stillgelegt, die sich trotz der großen Arbeitermasse am längsten behauptet hatte, zum Teil weil sie sich am ausgeprägtesten eine Sonderstellung zu wahren gewusst hatte. Wesentlich war auch, dass sie vielfach die Kraft aus eigenen Vorräten an Kohle deckte und daher bei der Arbeiterschaft im weitesten Umfange erst die Solidaritätsprobe durchgedrückt und entschieden werden musste. Die viele Spezialindustrie und insbesondere die Luxusindustrie wurden schon am ersten Tage in Mitleidenschaft gezogen, denn diese waren fast durchweg ausschließlich von den großen Kraftzentralen abhängig. Man kann sagen, dass gegen Mitte der Woche die Wirkung des Elektrikerstreiks entschieden war. Er ging vorwärts, er hatte den Anschluss zur Großindustrie gewonnen, die gesamte Wirtschaft musste er mit hereinreiten. Nirgends war im Ganzen gesehen, in der technischen Anlage sozusagen, eine Unsicherheit zu bemerken. Und als aus Strommangel auch die Zeitungen den Druck einstellten, Telefon und Telegraph ruhten, da rauschte es wie ein gewaltiges Frühlingsahnen durch die gesamte Arbeiterschaft, ohne Unterschied der Berufsgruppen, des Tarifs und des Beschäftigungsortes. Das sind wir, hieß es, die Arbeiterschaft. Das ist unsere Kraft, und unsere Macht. Und sie hatten eine große technische Freude daran. Sie wurden wie die Kinder, die sich in ihrem Spielapparat alle Einzelheiten immer wieder begucken und auseinander nehmen und mit wichtigtuender Miene beurteilen und so recht zufrieden sind, noch nicht allzu erwachsen zu sein. So ist das Leben noch zu ertragen. Die Brust atmete Morgenluft.
Dieser Streik war gleich von Beginn an der Bürgerschaft mächtig in die Knochen gefahren. Obwohl noch viele maßgebende Persönlichkeiten anfangs der Meinung gewesen waren, dem einen oder ändern Trust dafür die Schuld zuzuschieben, schienen doch die offiziellen Stellen den Umfang der Gefahr besser zu übersehen als die einzelnen Betriebsleitungen oder letzten Endes die Großbanken der Trustverbände selbst. Das Einsetzen der technischen Nothilfe war auf Veranlassung der Regierung allein zurückzuführen. Die Bürgerwehr wurde einberufen. Die Konferenzen mit allen für diesen Zweck geschaffenen Instanzen jagten einander. Aber man fand nirgends einen Anhaltspunkt, wo man hatte eingreifen können. Die Arbeiterschaft bewahrte größtenteils eine mustergültige Ruhe. Es wäre Wahnsinn gewesen, sie jetzt zu reizen, zu Gewalttaten zu provozieren. Konnte doch niemand erkennen, was dahinter eigentlich stand, zu Provokationen gehören vor allem ein Zweck und ein Ziel, das man fest in der Hand behält. Es konnte auch nicht verborgen bleiben, dass große Teile der Arbeiterschaft selbst überrascht gewesen waren, nur wie von einer höheren Gewalt mit hereingerissen, zum Teil noch apathisch der Bewegung gegenüberstanden. Was wogen dagegen die Betriebsbesetzungen auf. Es schien eher natürlich. Man würde den Besetzungen erst den Kampfcharakter geben - das entschied, um die Truppen nicht eingreifen zu lassen. Eigentlich wurde die Ordnung nirgends gestört. Die Truppen selbst fühlten sich dadurch überflüssig. Von Stunde zu Stunde schien alles umgekehrt. Die Truppen begannen zu murren. Die Henker sahen sich preisgegeben. Schon fingen einige an, sich auf sich selbst zu besinnen. Sie waren auch nichts anderes als Arbeiter. Sobald das Bluthandwerk ruht, kommt der Mensch zum Vorschein. Es waren nur zwei, drei Tage Zögern, die das Schicksal der Regierung zu entscheiden schienen. Sie war jetzt von der Bildfläche verschwunden. Schon hörte man nichts mehr davon. Große Apparate zur Knechtung des Volkes waren unbrauchbar, ganze Organisationen schienen wie von einer Explosion im Innern zerschmettert. Am vierten Tage erlosch auf den Straßen, in den Häusern das Licht, die Wasserwerke stellten die Arbeit ein. Ein gewaltiges Raunen begann, von fern kam ein Aufschrei und schwoll und schwoll. Was geschah — |
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