Es kriselt in den Syndikaten
  Dem ständig anschwellenden Druck von unten her, die Verschlechterung  der Arbeitsbedingungen aufzuhalten, zeigten sich die Syndikate immer  weniger gewachsen. Schließlich ließ sich doch nicht umgehen, dass  allerorts zur Lage der Arbeiterklasse Stellung genommen wurde. Solange  es sich um den Kampf einer bestimmten Arbeitergruppe gehandelt hatte,  war ein Überwuchern der Kampflust auf andere Gruppen zu verhindern  möglich. Ein großer Teil der Arbeiter kämpft selbst gegen solche  Ansteckungsgefahr, solange er sich noch in halbwegs sicheren  Verhältnissen glaubt. Die Verhältnisse wurden aber immer unsicherer.  Die ungeheure Zusammenballung der Industrie, die vorgenommen wurde, um  eine markttechnisch nicht verwertbare Konkurrenz auszuschalten, die  Betriebsunkosten herabzusetzen und eine Steigerung der Erzeugung  herbeizuführen durch bessere und intensivere Ausnutzung der  Betriebsmittel (nur hierfür war noch Kapital vorhanden), also  gewissermaßen ein Entwicklungsprozess nach innen, verfeinerter und  schneller arbeitend — die Vertrustung verlegte das Schwergewicht jener  Entscheidungskämpfe, die einmal zwischen Kapital und Arbeit,  Unternehmer und Arbeiter, stattgefunden hatten, auf die Industrie  selbst. Die Werke kämpften miteinander, und das nächste, was dabei  zerrieben zu werden schien, war die Arbeiterschaft. Sicherlich lag das  keineswegs im Interesse der kämpfenden Gruppen. Im Gegenteil, ein  möglichst großes Reservoir sofort greifbarer Arbeitskräfte war eine der  wichtigsten Vorbedingungen für die zu gewinnende Überlegenheit, aus der  heraus erst dann dem unterlegenen Betrieb die Übernahmebedingungen  diktiert werden konnten. Es erwies sich gerade jetzt, dass es im Grunde  gar nicht mehr auf die reine Kapitalskraft ankam, sondern auf die  Schnelligkeit, die Massierung des Einsatzes und der organisatorischen  Zusammenfassung der Arbeitskraft. Es bot sich das gleiche wie auf dem  militärischen Kriegsschauplatz. Der Stratege entschied den Sieg, die  Zusammenarbeit der großen Gruppen an einer Durchbruchstelle und die  Überraschung im Angriff. 
    Die Truststäbe haben anfangs die Regelung  der Arbeiterfragen als untergeordnete und zunächst zurückzustellende  Angelegenheit betrachtet. Mochten die Syndikate sehen, wie sie damit  fertig wurden. Sie schlössen mit der Gesamtorganisation dieser  Syndikate einen Vertrag, demzufolge beide Teile sich gewisse  ausschließliche Rechte zugestanden, eine so genannte  Arbeitsgemeinschaft, die nach außen hin sozusagen als Wechselbürge für  beide Partner die Regierung als Grundlage einer Reihe von  Arbeitsverordnungen anerkannte und befestigte. Dadurch wurde aber den  Syndikaten ein Teil ihrer ursprünglichen Wurzelkraft entzogen, insofern  sie nun auch mit der Regierung zusammengekoppelt waren. Der Kampf der  Arbeiter um die politische Macht traf also in seinem Stoß gegen die  Regierung schließlich auf ihre eigenen Syndikate. Es geschah also, dass  die wesentlichste Verteidigungskraft der Arbeiter, ihre wirtschaftliche  Organisation, zugleich auch die Waffe von Industrie und Regierung gegen  die Arbeiter geworden war. Wenn auch schon den Arbeitern an  Schwerfälligkeit viel zuzutrauen ist, aber dieser Zustand konnte auf  die Dauer keinen Bestand haben, obwohl an Ablenkungsmitteln nicht  gespart worden war. 
    Der Sturm, der innerhalb der Syndikate sich ankündigte, war dabei der  noch am wenigsten gefährliche. Die Syndikatsbeamten sind aus der Mitte  der Arbeiterschaft selbst hervorgegangen, sind meist nicht die  schlechtesten Leute mit guten verwaltungs-technischen Kenntnissen, die  sich im Laufe ihrer Tätigkeit zudem einen weiten Blick über die  Arbeitsfrage und man möchte beinahe sagen über die Maschine der  Gütererzeugung anzueignen Gelegenheit haben. Es gibt auch Hohlköpfe  darunter, die sich nur vordrängen und es einem besonderen Glücksumstand  zuzuschreiben haben, dass sie die Stufenleiter nach oben, ohne zu  straucheln, hinaufgekommen sind. Im allgemeinen entscheidet aber doch  eine gewisse Tüchtigkeit. Das Ziel ist, in eine solche  Verwaltungsstelle hineinzurutschen, die keine direkte Verbindung mehr  mit den Kollegen unten hat. Von dem Zeitpunkt an wird dieser Arbeiter  ein anderer Mensch, er wird Behörde und Beamter und ist, um ein  Scherzwort anzuwenden, regierungsreif. Es ist wirklich seltsam, sehr  oft ist es uns selbst nicht klar, alles, was er tut, tut er gegen seine  Klassengenossen, obwohl er doch selbst aus ihnen heraus und durch  Arbeit für sie sich emporgebracht hat. Manchmal kam es dann zu heftigen  Auftritten. Man beschimpft solchen Kerl, möchte ihm am liebsten an die  Gurgel. Aber der zuckt gleichmütig die Achseln. Entweder versteht er  nicht oder wenn ja, so scheint er zu sagen, das geht eben nicht anders,  das verstehst du nicht. Es liegt eine sehr interessante Überlegenheit  darin, die den anderen entwaffnet. Wenn man so einem dann zuschreit:  Lump, Verräter und solch Ähnliches mehr, dann zuckt der mit keiner  Miene, er wischt sich nicht mal das Gesicht, obwohl doch der Angreifer  meint, er hat ihm in die Fresse gespuckt. Ein Arbeiter würde sich das  nie sagen lassen. Und doch fühlt der andere irgendwie, das gehört zu  seinem Amt, dafür ist er da, leistet seine Arbeit und bezieht ein  Gehalt. Du wirst es ihm in den meisten Fällen gar nicht klarmachen  können, dass er wirklich wie ein Lump und Verräter handelt. Er begreift  das nicht. Er leistet wie der ehemalige Kollege an der Drehbank doch  auch seine Arbeit. Jede Arbeit hat eben ihre besonderen Bedingungen,  sie lassen sich nicht über einen Leisten schlagen - damit wäre er  fertig, und der andere kann nicht anders, als ihm etwas davon zu  glauben. So ist es. Der Sturm in den Syndikaten selbst hätte, wenn er  allein darübergegangen wäre, beschwichtigt werden können. Die  unangenehmsten Schreier werden rausgeschmissen, oder man hängt ihnen  hintenherum etwas an, was kein Mensch mehr genau weiß oder  kontrollieren kann, und solche Leute sind vorerst mal erledigt. Sperren  sie noch das Maul auf, so schreit ihm der eine oder andere, der kräftig  mit aufgehetzt worden ist, alles mögliche entgegen, was nicht zum Thema  gehört, aber dennoch nie seinen Eindruck verfehlt. Da drängt sich der  nur nach einem Posten, da ist er als Provokateur vom Unternehmer  angestellt, da hat er gerade vor einer Woche noch im ändern Betrieb das  Gegenteil behauptet, da hat er einer Kasse mal Gelder unterschlagen,  Arbeitergroschen heißt es dann - und alle werden für einen Augenblick  gerührt, dann kommt ein Sündenregister, alle möglichen Straftaten  werden aufgezählt und weiß Gott was noch alles, wobei es sich darum  handelt, ob in dem oder jenem Fall das Syndikat die Interessen der  Belegschaft nicht wahrgenommen hat. So wird der unbequeme Kritiker  erledigt. Das gelingt immer. Ist der Mann dumm genug, sich mit  Wahrheitsbeweisen dagegen zu wehren - später, so wird er obendrein noch  ausgelacht. Die Syndikatsleitung hat aber inzwischen die Krise  überwunden. Auch die Verleumdungstechnik gehört zum Machtkampf. Nur  nicht sentimental sein, das fühlt bald jeder, sondern sich durchboxen.  Die Arbeiter sind gern Zuschauer. Wer dabei gewinnt, hat auch die Kasse. 
    Aber es kamen doch jetzt andere Sachen. Der Kampf in der Industrie  hatte eine neue Form angenommen. Man kennt das Katze- und Mausspiel,  die eine Gruppe duckt sich, hält still, wollte den Gegner täuschen. Die  Werke wurden stillgelegt, die Hochöfen ausgeblasen. Schächte ließ man  ersaufen. Dort war es vorteilhaft, die Arbeiterschaft zu reizen. Wenn  nötig, ließ man auch die Regierung eingreifen. Mochten die Arbeiter auf  den Barrikaden kämpfen - das lenkt den Gegner ab. Dagegen waren die  Syndikate machtlos. Sie wurden geradezu überflüssig. Hier brauchte man  keinen Mittler mehr. Nicht dass, wie die politischen Parteien meinten,  sich solche Provokationen direkt gegen die Arbeiterschaft gerichtet  hätten. Dies allein hatte keinen Sinn gehabt; denn im Grunde genommen  war die Arbeiterschaft wichtiger und kostbarer als früher. Die  politischen Parteien bekamen diesen ihren Fehler auch am eigenen Leibe  zu spüren. Große Teile der Arbeiterschaft wollten von ihnen nichts mehr  wissen, sie glaubten ihnen nichts mehr, das Misstrauen hatte sich  eingenistet. Es war doch auch klar, warum sollten gerade sie, die  Arbeiter - denen noch eben gesagt worden war, dass sie als Klasse  bereits die alleinige Macht repräsentieren, wenn sie sich dessen  bewusst würden, und danach handelten, jetzt auf einmal vernichtet  werden - da lag ein falscher Gedankenschluss vor. Aber es ging dennoch  auf ihre Vernichtung, weil sie in dem Kampf zwischen den Trusts als  Mittel benutzt werden sollten, man befeuerte sich sozusagen damit. Wie  im Kriege: niemand brennt eine Stadt nieder gerade aus Lust an  Feuerbränden, sondern um den Gegner damit zu treffen, ihm gewisse  Möglichkeiten abzuschneiden, ihn niederzuringen. Überall gewinnt, wer  den längsten Atem hat. Die Arbeiter sollten endlich aufhören,  sentimental zu sein - und alle moralischen Gedankenvorgänge wirken  rührselig. Technisch nach Wirkung und Ausnutzung soll man denken  lernen. Der Trust, dessen Arbeiterschaft in den Kampf geworfen,  aufgebraucht und vernichtet wurde, verlor an Tempo. Es ist, wie wenn  man beim Schach eine Figur verliert. Der Gegner reißt eine Fabrikation  hoch, Tausende finden im Nu Arbeit — morgen schließt er wieder die  Bude. Irgendein Zweck, eine Beunruhigung, eine Ablenkung ist erfolgt,  der Gegner hat vielleicht in einem Fabrikationszweig erschöpft die  Waffen gestreckt, er hat sich bluffen lassen. Dann, in diesen Kämpfen  wurden auch mit den Arbeitermassen die Syndikate zerrieben. Ihre Form  hatte sich überlebt. Der Beamtenapparat hing zu sehr in der Luft, ihm  fehlte auch die eigentliche Beschäftigung. Arbeit konnte er nicht  beschaffen. Das hing von wichtigeren Faktoren für den Trust ab. Der  ließ die Syndikate als ausgequetscht und abgenutzt fallen. Er überließ  sie ihrem Schicksal und der Regierung. Dem Stoß von unten waren sie  jetzt nicht mehr gewachsen. Sie verbröckelten, sie gerieten  auseinander, ihr Einfluss begann sichtbar und rapid zu schwinden.  | 
  
    
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