Sturz der Regierung
Trotzdem hielten sich die Syndikate noch länger als ihre Hintermänner, die den zweifelhaften Vorzug hatten, die Regierung zu bilden. Es waren eben im Grunde genommen nicht Hintermänner, sondern Vorgeschobene - man übersieht das leicht. Auf einem möglichst weit vorgeschobenen Posten werden Auseinandersetzungen ausgetragen, die dort zunächst lokalisiert und damit auch für die eigentlich Beteiligten neutralisiert bleiben. Es ist die gleiche Technik, mit der das Kapital als eigene, selbständige Kraft- und Bewegungsquelle arbeitet. Diese Technik war auf die Kapitalbesitzer, die zu Kapitalträgern, Verantwortlichen und Angestellten geworden waren, übergegangen. Das oberste Gesetz war: Immer den ändern den Schlag empfangen lassen, um erst die Wirkung zu studieren, und dann nachstoßen.
Eine Regierung hat ihren Namen davon, dass sie regiert, eine Verwaltungsfunktion innerhalb des Staates einnimmt. Da gibt es, sagten sich die Trusts, für so eine Regierung genug zu tun. Da ist die Geschlechtsfrage, die Gebärfrage, Erziehung und Schule, Organisation und Verwaltung im allgemeinen. Da sind die Beamten herauszubilden, zu examinieren, zu beschäftigen und auszusondern. Da ist die große Aufgabe, Ordnung zu halten und jedem seinen Platz anzuweisen. Da ist der wichtige Reklameapparat nach außen wie nach innen, da ist Religion und Vaterlandsliebe wach zu halten und zu stärken und schließlich noch alles das zu tun, was die treibenden Kräfte, die krafterhaltenden Verbände und Einzelpersonen von der Regierung verlangen. War das nicht eine schmeichelhafte Aufgabe? Aber die Regierung kam damit nicht zu Rande. Schon seit geraumer Zeit hatte das keine Regierung mehr fertig gebracht. Es zeigte sich nämlich, dass für jede Einzelaufgabe, was zuerst gar nicht zu übersehen war, jene staatserhaltenden Kräfte im Hintergrund ihre besonderen Interessen und Wünsche hatten. Überall griff das mit hinein, selbst in der allermenschlichsten Frage - bald war Menschenmangel, bald war Menschenüberfluss. So wurde hin und her regiert. Nun beruhte aber die Hauptaufgabe der Regierung, gestützt auf den Beamtenapparat, die große Masse der Untertanen darin zu bestärken, denkfaul zu bleiben. Der Staat ist die große Familie, der Präsident der jeweilige Vater. Früher, als es noch Könige gab, war die Gedankenverbindung leichter. Das ging aber eine Zeitlang, bis die ewig unruhige Industrie mit ihren Sonderinteressen dadurch einen Strich machte. Sie regte die gemütliche Menge geradezu auf. Es wurden eigene Wünsche laut, selbst die Beamten entdeckten plötzlich Interessen, die Krämer, die Großhändler, die kleinen und die großen Bauern, die Schullehrer und die Diener der Kirche, die heiratsfähigen Jungfrauen, die Pensionäre und die Kranken und schließlich auch die Arbeiter. Das war gar nicht so leicht, alle diese vielen Stimmen, die auf einmal laut und immer lauter wurden, unter einen Hut zu bringen. Der Gedanke, für alle zu sorgen, musste fallen gelassen werden. Die Regierung blieb nur noch Verwaltung und Ordnungsinstrument. Sie hatte dafür dazusein, dass alles beim alten blieb. Aber jene Kräfte entwickelten sich doch, sie stürzten alles um, und was dadurch aus dem Gleise geraten war, sollte der Staat wieder einrenken, vorausgesetzt, dass die Kapitalsinteressen nicht geschädigt wurden. Das war ein Kunststück, und man macht sich wirklich eine falsche Vorstellung davon, dass es für die Leute da oben besonders angenehm gewesen wäre zu regieren. Eine besondere Ehre war es nicht, dort als Hampelmann zu sitzen. Beauftragter des Volkes zu sein, die ernste Verantwortung eines Ganzen zu tragen, mag eine herrliche Aufgabe sein - das aber, was solch eine Regierung darstellte, war Bauernfängerei und Humbug. Und den Leuten mag es nie ganz wohl zumute gewesen sein. Viel haben sie nicht davon, denn wenn auch einzelne sich bereichern konnten, für später hochbezahlte Ehrenposten einstreichen, so hatte doch niemand wissen können für wie lange. Alles drehte sich ja fortgesetzt, und morgen konnte wieder alles anders sein. Schließlich war auch das Geld nicht mehr viel wert. Mit Geld allein kam man nicht mehr allzu weit.
Davon krachte auch jede Regierung zusammen.
Das war auch diesmal wieder so gekommen. Sehr einfach ging das. Zum Regieren gehört Geld. Auch begabte Könige in früheren Zeiten vertraten die Meinung, dass der Staat Geld kostet. Nur woher nehmen ~ das war die Frage. Irgendwelche Geschäfte konnte der Staat nicht machen, das wäre den Interessen, auf die er sich überhaupt aufbaute, zuwidergelaufen. Niemand kann den Ast auffressen, auf dem er sitzt. Im Gegenteil, er zahlte drauf, wo er wirklich etwas Selbständiges anfing. Denn das waren Sachen, von denen die ändern die Finger gelassen hatten und die sie dem Staat zuschoben. Niemand wirft sein Geld zum Fenster hinaus. Aber der Apparat wollte erhalten sein, die Beamten wollen gelöhnt und gut gelöhnt werden. Dann heißt es: Steuern eintreiben. Steuer, das ist so ein Zauberwort. Das räumt mit einem Schlage alle Hindernisse hinweg. Die guten Untertanen müssen helfen, das Geld, das der Staat braucht, wird ihnen aus der Tasche gezogen. Aber alles geht eben nur eine Zeitlang. Selbst der Dümmste merkt mit der Zeit, dass er geschröpft werden soll - so stellt man sich das im Staate vor, und er hält die Taschen zu. Er wird genau so findig darin wie der Staat, es ihm doch abzuzwingen. Aber aus dem Kreiselspiel, so unterhaltsam es sein mag, muss doch mal was herauskommen. Hierin liegt die Katastrophe. Vom Großkapital, das die Wirtschaftskräfte in Bewegung setzt, bekommt der Staat einen Fußtritt. Das wäre noch schöner, heißt das, nicht genug, dass ich ihn dulde und vorschiebe, jetzt wird er mich belästigen wollen, und die bescheidene Anfrage verstummt. Aber der kleine Besitzer, der Händler, der Bauer und so weiter ist noch da, aber die haben langst Wind bekommen, sie sind doch im Kreislauf der großen Wirtschaft Anhänger und Schützlinge des Großkapitals, das sie aufgesogen hat und noch mehr und mehr aufsaugt - das ist Schutz genug. Ein Teil kann sich der Staat, wenn er es gerade auf dem Papier stehen haben wird, von seinen Beamten wiedergeben lassen, um es hintenrum wieder mit Zulagen und alles das rauszugeben. Ein Spiel für Kinder. Bleibt nur der Arbeiter. Und der zahlt. Denn der muss zahlen. Weil er nichts hat. Wer nichts hat, kann nichts verbergen. Kann sich auch nicht weigern und das alles, sondern weist nur seine leeren Hände hoch. Die fasst der Staat mit Vergnügen. Er führt sie dem Großkapital vor, Hier, sagt er, wie viel pumpst du mir darauf - und die rechnen und rechnen und knapsen noch so viel für sich als Gewinn dabei ab und geben dann so viel, dass der Staat gerade steht und schon im nächsten Jahre tiefer hineinfassen muss in die Masse der Arbeitenden. So bezahlt allein in Wirklichkeit der Arbeiter den Staat. Und ein ungeheures Rad, das man Volkswirtschaft nennt, dreht sich damit. Die Produkte gleiten vom Arbeiter durch die Hände, die der Staat dafür organisiert, letzten Endes wieder in die Hände des Arbeiters zurück, für den sie bestimmt sind. Ihr Wert hat sich bedeutend verändert. Nur dass die Arbeiter diesen Wert nicht erhalten, was jedem Schuljungen einleuchtet, sondern er stapelt sich auf in einer organisch gewordenen Kraftquelle, die die Maschinen treibt, weil die Arbeiter glauben, dass diesem Wesenlosen die Maschinen gehören und sich, nur um es leichter ausdenken zu können, dafür einzelne Besitzer vorstellen, die Fleisch und Blut sind wie sie: Kapitalisten. Alle Menschen aber, die nicht Arbeiter sind, leben von diesem Glauben der Arbeiter, denn der bringt ihnen Geld ein, den Lohn der Beamten, den Gewinn der Händler und den Zins des Kapitalbesitzes. Es sind noble Leute eigentlich, die Arbeiter. Sie haben von ihrer Arbeit nichts. Sie würden noch nicht mal das Fressen haben, wenn das nicht nötig wäre, damit sie weiter in dieser segensreichen Weise für den übrigen Teil der Menschheit tätig sein könnten. So ist das.
Und diesen schönen Glauben brachten die Trusts mit ihrer Art, wie sie aufeinander losfuhren, um sich zu vernichten, in gewaltige Erschütterung. Ein unbeteiligter Zuschauer hätte den Eindruck gehabt, als rauften sich die Wachhunde, wodurch der bisher schlummernde Gefangene aufwacht und sich zum ersten Male umsieht. Wird er sich erheben und davongehen - die Regierung zittert. Sie ist unruhig, macht Fehler über Fehler. Wenn man jemanden betrügen will, muss man zuallererst kaltblütig sein. Auch das laute Schreien ist vom Übel. Man denkt gleich, was hat denn der - und wird misstrauisch. Die Trusts merkten das zu spät. Als der Knochen endlich geteilt war, lief der Gefangene schon ziemlich weit ab. Und jetzt dahinter her, mit aller Kraft. Auf die Regierung sauste das Donnerwetter. Die Hampelmänner wurden zu Sündenböcken. Sie flogen an einem Tage. Es war gewissermaßen eine Revolution. Die Industrie sperrte den Kredit. Darin war sie einig. Die Geldnoten, die die Regierung druckte, sanken und sanken. Die Preise stiegen, heißt das. Der Notenbedarf wurde daher immer größer. Denn der Apparat muss doch was erhalten. Und die Arbeiter brachten nichts mehr ein. Denn die hatten die Trusts auf die Straße geworfen. Man kämpfte noch darum. Der Staat musste sogar die Arbeitslosen unterstützen; denn sie waren ja seine einzige Geldquelle. Man muss sie über Wasser halten, wenn auch ein Teil dabei krepiert. Aber ein Teil bleibt doch wenigstens. Es verhungern doch nicht gleich alle auf einmal.
Die Trusts zwangen die Regierung, darin Stange zu halten. Der eine mehr, der andere weniger. Je länger der Staat das Reservoir der Arbeitslosen hielt, um so weniger Risiko für den Trust, um so aussichtsreicher der Kampf mit dem Gegner. Das glitt auch über auf die Beamten. Denn es bröckelt alles, die Kritik beißt sich ein, der Rest flüchtet in direkte Abhängigkeit zu einer der kämpfenden Gruppen. Man nennt das Regierungswechsel. Aus dem Schutt zieht man noch wieder den und jenen hervor. Die zuckende, eiternde Masse, die noch nicht ganz tot ist, treibt Blasen. Die Industrie lässt das kalt. Sie weiß, zu groß können sie nicht werden. Noch jede Blase ist zerplatzt, wenn sie sich über ihre eigene Kraft aufbläht. Aber es ist wenigstens Zeit gewonnen.
Denn, um die Wahrheit zu sagen, die Trustleiter haben gleichfalls das Heft aus der Hand verloren. |
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