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Franz Jung - Die Eroberung der Maschinen (1923)
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Die Elektrikerunion greift ein

Der Herr Müller, der in der Nachbarschaft der noch immer stilliegenden Bergwerksgesellschaft neue Schächte niederbringen ließ, machte sich all dieser Verhältnisse wegen wenig Kopfzerbrechen. Mochte der vergangene Arbeitsminister auch mit der Aktienbeteiligung nicht weitergekommen sein, die chemische Fabrik stand ihm noch immer unerreichbar direkt vor der Nase, der Nachfolger wird eher mit sich reden lassen. Man muss das Eisen schmieden, solange noch nicht andere dabei sind - und er gab seinem Generalstabsmajor entsprechende Anweisungen. Herr Müller war eine Seltenheit. Er war noch ein Kreisel, der sich aus sich selbst bewegte. Er rechnete immer richtig, und er sah voraus, dass sich um seine neuen Schächte die Parteien noch reißen würden. Er habe gar nicht nötig zu spekulieren, welcher von beiden, die alte Gesellschaft, der Elektrotrust, irgendein dritter, der noch hinter der Elektrizitätslieferungsgesellschaft steckte, die Regierung oder sonst wer immer. Nur die Chemischen Werke waren ihm noch im Wege. Denn Herr Müller rechnete so, dort saß, scheint's, der Elektrotrust fest im Sattel. Da konnte er nicht mit, hatte auch gar keine Lust, sich auf Kämpfe einzulassen, er schwebte zwischen den Schlachten. Das war sein Geschäft, und das war ein gutes Geschäft. Herr Müller verstand sich darauf. So legte er denn mit seiner Gruppe sich tüchtig ins Zeug. Die Arbeiterfrage war für ihn Nebensache. Er stellte ein, was er bekam. Mochten die auf ihre Weise selig werden. Und im übrigen waren die meisten froh, überhaupt unterzukommen. Er hatte sie unter Tarif. Wer nicht will, bleibt weg - damit erledigte sich für ihn das Problem. Mit den Syndikaten wollte er nichts zu tun haben. Für die paar Monate, dachte er, wo ich den ganzen Kram halte, werde ich auch mit den Arbeitern allein fertig. Er war sogar, schon um den Eindruck eines mit vollen Segeln nach Großbetrieb steuernden Unternehmens zu erwecken, entgegenkommend. Drohte ernster Konflikt, gab er Order, nachzugeben. Nur die Chemischen Werke waren noch im Wege. Dort baute der Elektrotrust, als ob er die ganze Welt in einem Jahre mit Düngemitteln versehen müsste. Die Werke stellen künstlichen Stickstoff her. Herr Müller war zur Zeit gerade in Kali tätig.
Auch andere Leute begannen den Kopf zu schütteln. Die Landwirtschaft litt unter einem förmlichen Kalihunger. Dabei wurden immer mehr Kaliwerke stillgelegt. Als unrentabel, hieß es. Man weiß, dass ein stillgelegter Kalischacht auch entwertet ist. Er versäuft. Der künstliche Stickstoff war eigentlich seinerzeit ein Notbehelf gewesen für anderweitige, dringliche Aufgaben der Volkswirtschaft. Die Regierung hatte große Zuschüsse leisten müssen. Auch jetzt brachte die Produktion rechnerisch noch enorme Verluste, obwohl der Preis gegenüber ändern Düngemitteln noch um ein Vielfaches höher war. Die Laien schüttelten den Kopf, die guten Leute. Das verstand niemand mehr, worauf das hinaus sollte. Herrn Müller fand man schon verständiger. Er bringt seine Schächte nieder, völlig ungestört - ob die in der Nachbarschaft dann würden arbeiten können, schien zweifelhaft. Aber die Müllerschen Schächte waren dann eben in Betrieb - die Sache leuchtete schon eher ein. Dabei verfolgte der Trust das Müllersche Prinzip, er nahm an Arbeitern, was er nur bekommen konnte. Seine sonst im Trust Festgefügte Organisation zur Niederhaltung und Aussiebung der Arbeiterschaft blieb dort außer Kraft. Dagegen ging die »Elege« mehr und mehr zurück. Nachdem der Trust die Majorität der Stammaktien in den Händen hatte, wurde die Stromerzeugung noch weiter eingeschränkt. Nicht dass sich alte Abnehmer an den Preisen stießen, es wurden auch von der Gesellschaft selbst Verträge gekündigt. Dazu wurden die Kohlenpreise weiter hinaufgeschraubt und eine Krise im Braunkohlenbergbau kündigte sich an. Wollte man wieder jemanden ausräuchern - es hieß jedenfalls schon vorahnend in der Presse, dass der Tarif mit den Braunkohlenarbeitern nicht erneuert werden würde. Im Hintergrunde standen die kohle- und stromverbrauchenden Gesellschaften, die gesamten Verkehrsbetriebe, die Maschinen- und Metallfabriken, die der Elektrotrust mit seinem Stahlkonzern wie mit einer Zange in fürchterlicher Schwebe hielt - was bereitet sich vor? Das war die bange Frage, die den gemütlichen Zeitungsleser manchmal hochfahren ließ. In der »Elege« arbeiteten nur noch die alten Knochen. Alles, was noch Mut und Unternehmungsgeist in den Knochen hatte, war zum Trust in die Chemischen Werke oder in die neue Zentrale, die Herr Müller gerade zu bauen begann, gegangen. Er wollte auch sein eigener Stromversorger sein. Er hatte über eine Zwischenfirma einen günstigen Kontrakt mit dem Elektrotrust auf Ausnutzung eines diesem gehörigen Kohlenfeldes abgeschlossen. Auf diese Weise sparte auch der Trust die Aufschließungskosten.
In dieser Luft konnte sich die Elektrikerunion kräftig entwickeln. Wozu die Syndikate Jahre und Jahrzehnte gebraucht hatten, sich in der Arbeiterschaft auch wirklich durchzusetzen, das ging fast in Monaten jetzt vor sich. Man sieht eine neue Erkenntnis. Mochte der äußere Eindruck noch so schwerfällig und bewegungslos sein. Etwas marschiert in der Arbeiterschaft immer. Etwas geht trotz alledem immer vorwärts. Es dringt oft viel später erst durch. Aber es ist eben schon da. Man braucht es nur besser freizulegen. So war das mit der Elektrikerunion.
Der Kampf der Trusts untereinander schuf etwas, was die Syndikate nicht vermocht, später allerdings auch nicht mehr angestrebt hatten, er schuf Arbeiterarmeen. Gleich Armeen im Kriege wurden die tausend Hände im Kampf um die Fabrikationszweige da und dort eingesetzt, die Rohstoffe waren die Munition und die Maschinen die Geschütze. Ihre ständige Abwanderung brachte das zuwege, was man am wenigsten erwartet hätte, es festigte sie, es hielt sie enger zusammen, es brachte endlich, wenigstens ein wenig, Solidarität. Gerade weil sie fortwährend wechselten, weil sie an sich körperlich sozusagen weniger zusammenblieben, um so mehr kam das Große, das Ganze heraus: die Arbeit. Die Arbeit schweißte sie zusammen, die Arbeit als lebendiges Ganzes, losgelöst von den überkommenen Schwerfälligkeiten mangelnden Wissens und der Sorge um die Existenz. Es ging jetzt allen so, und das Hirn tat sich auf. Der Verstand zog ein.
Die Elektrikerunion schien berufen zur Führung. Aus den weitblickendsten und entschlossensten Kämpfernaturen hatte sich ein fester Kern herausgeschält. Sie hielt sozusagen die Hand am Hebel jener Riesenmaschine Wirtschaft. Ein Ruck - und alle Räder stehen still. Sie war zwar hervorgegangen aus dem Maschinistensyndikat, aber eine feste, eigene Organisation hatte sich bislang noch nicht gebildet. Es hielt sie vor allem noch ein starkes geistiges Band zusammen, und dieses ihnen allen Gemeinsame ging über ihren speziellen Berufskreis hinaus und übertrug sich auf alle Kollegen im Betrieb. Sie fühlten sich als Ganzes, wie sie dort zusammen arbeiteten, mochten auch verschiedene Berufszweige vertreten sein. Diese Belegschaft war ein Ganzes, sie war der Teil einer Armee, die wiederum für sich ein Ganzes bildete, bis schließlich die Arbeiterschaft, die produktiv-menschlichen Kräfte, gleichfalls als ein Ganzes erschien. Von da war der Schritt zum Einsatz dieser Kraft, zum In-Marsch-Setzen der Arbeitsarmee, sich die Arme frei zu machen, nicht mehr weit. Die Eroberung der Maschinen war in greifbare Nähe gerückt. Wer wollte sie im Ernstfall noch hindern, die Gütererzeugung aus dem Chaos wieder in eine der Menschheit zum Zwecke der ihr angeborenen Gemeinschaft und Gemeinsamkeit entsprechende Ordnung zu bringen?
So schien es. Die Elektrikerunion gerade dadurch, dass sie völlig im Hintergrunde noch arbeitete, machte Riesenfortschritte. Die ersten größeren Plänkeleien im Maschinistensyndikat, das sich die Ausrodung dieses Geistes in allererster Reihe zum Ziel gesetzt hatte, weniger weil sie der Geist als die sichtbar kommende Konkurrenz einer neuen Organisation beschäftigte, endeten mit einer Niederlage der Maschinisten. So leicht waren die Elektriker nicht zu fassen. Sie erhielten sogar in anderen Syndikaten Unterstützung. Dort fürchtete man naturgemäß weniger für den Bestand des eigenen Syndikats. Es schien auch in dieser Situation unzweckmäßig, einen erbitterten Organisationskampf zu entfesseln. Zu viele Schwächen wurden da offengelegt. - Ruhe vorläufig, hieß es. Und die Elektrikerunion bekam dadurch das Feld frei, sich fester im Herzen des Syndikats zu verankern. Die Eroberung des Maschinistensyndikats bereitete sich vor. Damit drohte insgesamt eine entscheidende Wendung.
Aber die Union stürmte darüber hinaus gleich aufs Ganze, sie griff nicht mehr in die Arbeiterfrage allein, sie griff in die Gesamtwirtschaft ein. Von ihren Hauptstützpunkten aus rollte sie die Düngemittelfrage auf. Beide Betriebsgruppen, die viele tausend Arbeiter vertraten, richteten eine Aufforderung an die Landarbeiter, um in gemeinsamer Konferenz die Produktions- und Verteilungsfrage zu besprechen. Die Arbeiterschaft erklärte, die Landwirtschaft in ihrem Kampf um die Übernahme der großen Güter in Gemeinwirtschaft unterstützen zu wollen, indem sie die Hand auf die Produktion der notwendigen Düngestoffe zu legen bereit sei, wenn es die Kampfnotwendigkeit erheische. Des weiteren beschäftigte sich eine Vertreterversammlung mit der Aufstellung eines Planes zur Übernahme und Widerinbetriebsetzung der Kalibetriebe. Für die große Zahl der Metall- und Maschinenbetriebe wurde ein täglich erscheinendes Bulletin herausgegeben, worin die Lage in jeder einzelnen Arbeitsgruppe dadurch übersichtlich gemacht wurde, dass die Kampflage um die Arbeitsbedingungen, Kurzarbeit, Lohnreduktion und Stilllegung gleichsam in Form eines Frontberichtes dieser und jener Arbeitergruppe veröffentlicht wurde. Dies wurde bald auf den Kohlen- und Erzbergbau, die Eisenindustrie und den Transport ausgedehnt. Bald schloss sich Bau- und Holzindustrie an. Der Kampf um die Gesamtwirtschaft stand jeden Tag dem Arbeiter vor Augen. Der Angriff begann.

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