Wie eine Genossenschaft verkracht
Der Gegensatz zwischen dem Maschinistensyndikat und den Elektrikern nahm schärfere Formen an. Auf ihrem eigentlichen Organisationsgebiet war es zu einem Zusammenstoß gekommen, aber das Syndikat hatte in einer Zusammenfassung mit anderen Berufssyndikaten allmählich das Übergewicht erlangt, und über diese Zentralstelle hinweg war der Kampf auf ein anderes Gebiet übertragen, wo man gewissermaßen den Geist, der die Elektriker beseelte, von Anfang an zu ersticken hoffte. Die Taktik war, sie nicht aufkommen zu lassen, indem man sie totlaufen ließ. Das war auch schon von der Technik her gelerntes mechanisches Gesetz, das die Syndikatsführer im allgemeinen großartig anzuwenden verstanden. Es würde zu weit führen, jetzt im einzelnen auf solche Kniffe, wie sie die Geschichte der Syndikate immer wieder aufweist, einzugehen. Im Grunde genommen braucht der Arbeiter nicht länger mehr vor der politischen Kunst des Bürgertums, die im Mittelalter zur Blüte gelangte und heute den Schulkindern so überzeugend eingebläut wird, bewundernd stehen oder sie nachzuäffen versuchen. Die Syndikate sind Meister in einer neuen Politik, die an Rücksichtslosigkeit und Perfidie die mittelalterliche weit übertrifft. Nur ist diese Politik nicht gesellschaftsbildend, sondern sie bleibt inmitten der Arbeiterschaft, sie zerreibt deren eigene Kräfte, es ist eine Vorstufe, möchte man beinahe sagen, eine Prüfung und Ausscheidungspolitik für die größere und bevorstehende Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Klasse, ein Training, das die Starken von den Schwachen, die Klugen von den Dummen trennen soll. Nur warten alle und warten schon die längste Zeit, aber es kommt nichts. Es scheint Schwindel, weil der ganze politische Trubel dieser Syndikate Selbstzweck, das ist ein Kampf um die Posten, geworden ist. Wenn man bedenkt, dass dieser raffinierte Betrug inmitten der Arbeiterschaft von Arbeitern in Szene gesetzt wird, so können die Arbeiter doch stolz darauf sein. Sie stehen den Bürgerlichen nicht nach, und diese Politik mal gegen die Unternehmer angewandt statt gegen die eigenen Klassengenossen, sollte Wunder wirken. So ist das eben, das Beste immer an der falschen Stelle.
Also, das Maschinistensyndikat hatte die Führung. Die großen Organisationen der Transportarbeiter, der Bergleute, der Metall- und Holzarbeiter schienen nur berufliche Sondergruppen, mit Sonderinteressen zwar, die aber alle das Maschinistensyndikat mit zu vertreten übernahm und sich anmaßte, wie viele meinten. Aber eine Kraft treibt eben alles, ist erst die Vorbedingung für die andere Arbeit, die hinzukommt, mochte das nun Dampf oder Elektrizität sein — und ihre Arbeit war eben diejenige, die der Maschine, die die Kraft gab, am nächsten war. Das war zwar ein Gedanke, den die Elektriker in den Vordergrund gestellt hatten, wenn auch in anderem Zusammenhange, den die Maschinisten aber aufgriffen und für ihren eigenen Zweck ummünzten. Über diesem Gedanken vertrugen sich die beiden Gegner. Von der Macht, welche die Maschinisten gewährte, war ein Teil, wenn auch nur zunächst bildlich unter den Kameraden, auf sie übergegangen. So dachte sich das unser Maschinistensyndikat. Noch lange vor dem Streit mit den Elektrikern, noch vor dem Aufstand hatten die Holzarbeiter eines nicht eben großen Betriebes die Möbelfabrik in eigene Verwaltung übernommen. Der Inhaber nämlich, ein windiger Kaufmann, der zwar mit allen Hunden gehetzt war, aber auch einen Steckbrief hinter sich laufen hatte, war eines Tages von der Bildfläche verschwunden und hatte alles stehen und liegen lassen, ohne sich die geringsten Kopfschmerzen darüber zu machen, was nun werden sollte. Da waren aber unter den Arbeitern ein paar helle Jungen, die die Belegschaft, die in ihrer großen Mehrzahl gerade wieder fluchend und mit betrübten Gesichtern nach Hause ziehen wollte und sich schon damit abgefunden hatte, den Lohn in den Rauchfang zu schreiben, mit eiserner Faust zusammengehalten hatten. Die Vorstellung allein und das gute Zureden genügt nicht, das muss man immer wieder von neuem einhämmern, damit erst ein klein wenig Selbstvertrauen hochkommt - hatten also darauf hingewiesen, dass sie den Anspruch auf den Arbeitsplatz hätten, ihre Lohnforderungen und alles das, Tarifvertrag, Kündigung und so weiter, alles gesetzliche Sachen, ferner dass Material noch vorhanden sei für ein paar Wochen, Maschinen und Strom, vorausgesetzt, dass die Belegschaft vollzählig beisammen bleibe, so sollten sie einfach weiterarbeiten und den Betrieb glatt übernehmen und mit dem dann in Verhandlung treten, der mit Forderungen und Ansprüchen und dem allen kommen wird. So ein Mann wird sich schon von selbst melden, und die Aufträge, die ja auf lange Dauer waren, blieben ihnen doch. Also wäre keine Not. So übernahmen denn auch die Arbeiter den Betrieb und blieben da. Niemand hatte was dagegen einzuwenden. Man muss eben nur anfangen. Die Gläubiger waren sogar mit der Regelung der Sache sehr zufrieden, und der Holzhändler, der das Material geliefert hatte, erklärte, auf Kredit und nach bestimmten Zahlungsbedingungen auch noch weiteres zu liefern. Das Holzarbeitersyndikat nahm sich jetzt in diesem Stadium der Sache an; aber weil in ihren Kreisen noch wenig allgemeines Interesse dafür vorhanden war, hatte doch jeder mit seinen eigenen Betriebsangelegenheiten den Kopf voll, so griff das Maschinistensyndikat ein, und da es an und für sich am zahlungskräftigsten war, so übernahm es die finanzielle Regelung. Das heißt, es stellte den Plan auf, wandelte das Unternehmen in eine Genossenschaft um, indem jeder Arbeiter mit einem bestimmten Anteil und Haftsumme für Verluste als Mitglied eintrat, übernahm für die laufenden Verbindlichkeiten an Gläubiger die Garantie, die sich das Syndikat ohne Arbeitsministerium später durch die Regierung rückdecken ließ. Entsprechend dem Taxwert der Betriebsanlagen einschließlich der darauf lastenden Grundschulden würde die Höhe und die Zahl der Genossenschaftsanteile festgesetzt. Das ging die ersten Wochen ganz gut. Die Arbeiter kamen sich vor, als hätten sie wie beim Ei des Kolumbus in so einfacher Weise eine weltbewegende Frage gelöst. Das war also die ganze soziale Frage, die Sache war sehr einfach. Jetzt waren sie Besitzer, das Gesetz hatte nichts dagegen, von der Regierung werden sie Aufträge bekommen - denn das versteht sich von selbst, das Metallarbeitersyndikat hatte erst den letzten Arbeitsminister gestellt, und sie stellten auch neuerdings Metallbeschläge her, hatten Metallarbeiter zugenommen - es fehlte ihnen also nichts, dass sie gemachte Leute waren. Das änderte sich auch nicht, als sie, um die Anteilzahlung leisten zu können - denn die mussten, wenn auch allmählich, geleistet werden, das war Gesetz -, gewaltige Reduktionen an barem Lohn vornehmen, um es sich abschreiben zu lassen am Anteilschuldkonto. Das kam ihnen doch anderwärts wieder zugute, hieß es allgemein, und sie arbeiteten und schränkten sich ein und waren bald tief unter dem Normaltarif. Später kommen die Gewinne, sagte man. Das ging so eine Zeitlang, bis eines Tages die Syndikatsleitung dazwischenfuhr und sich hineinmischte und alles schnell sein Ende nahm. Die Sache kam so. Der Geist der Elektriker geht um, hieß es, mit eisernem Besen auskehren. Es waren da Leute in den Vordergrund gerückt, die als ganz selbstverständlich sich auch der ändern Klassengenossen annahmen. Wer wegen politischer Agitation in ändern Betrieben gemaßregelt wurde, konnte dort glatt Arbeit finden. Immer neue Arbeitsquellen wurden erschlossen, der Betrieb wuchs, neue verwandte Fabrikationszweige wurden aufgenommen. Noch klappte alles wie am Schnürchen. Es war eine Lust, dort zu arbeiten. Flüchtlinge untergebracht und überhaupt ein wichtiger Teil einer bestimmten politischen Agitationsarbeit dort geleistet. Stand in der Betriebsversammlung oder im kleineren Kreis in der Betriebsleitung, der ja dann der gesetzlich vorgeschriebene Aufsichtsrat der Genossenschaft zur Seite stand, eine solche Unterstützungsfrage zur Besprechung, so wurden erst nicht lange Worte darüber verloren. Das war allen selbstverständlich, dass, wenn es ohne große Mühe und Kosten ging, den Kollegen und Kameraden geholfen wurde. Und meist hatten sie nicht etwa Nachteile, sondern Vorteile davon. Der Zusammenhalt unter ihnen selbst wurde zusehends brüderlicher. Da griff das Syndikat ein, waren doch gerade selbst unbequeme Leute dort untergekrochen. Es wollte diese Solidarität unterbinden. Der Vertreter, der ihnen das vorzustellen hatte, verlangte Aufsichtsrecht, die Betriebsleitung sollte abgesetzt und erneuert werden. An diesem Tage noch gab sie dem Syndikat eine unzweideutige Antwort, sie schmissen den Vertreter aus dem Betrieb und hatten darüber keine sehr lange Debatte. Dann aber ging es um so schneller bergab. Und ohne sichtlichen Grund, es war, als ob sie mit einem Schlage untereinander das Vertrauen verloren hätten. Parteien wuchsen auf und bekämpften sich aufs heftigste. An einheitliche gemeinsame Leitung war nicht mehr zu denken. Dazu war mit einemmal auch die Angst um das bereits Eingezahlte vorhanden. Die Kritik überwucherte alles. Der eine zog dahin, der andere dorthin - bis der Strick riss. Überstürzte Kalkulationen, Unkenntnis der Marktlage, Schwierigkeiten, die Geldein- und -ausgänge so zu legen, dass Unkosten vermieden wurden - es schien allen plötzlich, dass das alles, was ganz einfach und glatt verlaufen war, einen Berg von Spezialkenntnissen erfordere, sie verloren das Zutrauen, und dann krachte die Sache zusammen, noch ehe sie eigentlich dazu reif war. Man lief eben auseinander. Viele nahmen andere Arbeit, als der eigene Betrieb noch lief. Die Leute fluchten und drückten sich.
Aber das Gesetz lässt sich davon nicht irremachen. Es erschien bald wie ein Raubtier, das immer nur wie zum Sprunge darauf gewartet hatte. Da gab es Tausende Vorschriften, die so eine Genossenschaft zu beachten hat. Es war klar, dass davon welche nicht beachtet, falsch angewandt, vergessen worden waren. Je größer die Unkenntnis, desto schwerer die Strafe, so will es das Grundgesetz des Kapitals, das Handelsund hier das Genossenschaftsgesetz. Und es dauerte nicht lange, so waren Betriebsleitung und Aufsichtsrat eingesperrt. |
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