II. Die Hand am Hebel
Im Kampf ums Brot
Die Elektrizitätslieferungsgesellschaft hatte alle Maßnahmen getroffen, um einer hereinbrechenden Krise vorzubeugen. Die Gesellschaft war das, was man früher eine Familiengründung nannte. Aus kleinen Anfängen hervorgegangen, wuchs die Gesellschaft aus Gründen der Produktionssicherung über ihren eigentlichen Rahmen hinaus. Die Anteile, die bisher einem Kreis mehr oder weniger zusammengehöriger Personen gehört hatten, wurden um ein Vieltausendfaches allmählich verkleinert und auf den Markt geworfen oder gegen andere Werte, deren Angliederung und Kontrolle wünschenswert schienen, in Tausch gegeben. Anfänglich blieb den Stammanteilen das Vorzugsrecht, im Stimmverhältnis der maßgebende Einfluss erhalten, später bei dem immer größeren Anwachsen des Betriebsumfanges wucherten die neu ausgegebenen Anteile auch darüber hinaus. Die so genannten kleinen Leute, die Rentner, Geschäftsinhaber, Beamten, die sich Geld erworben oder sonst wie zurückgelegt hatten, pflegten dies Geld in diesen Anteilen anzulegen. Es brachte mehr Zinsen als auf der Sparkasse und vor allem den Kitzel des Kursgewinns. Zudem besaßen viele, vor allem Bauern, diese Papiere im Austausch gegen Kuxe an Bergwerksunternehmungen, mit denen sie seinerzeit für die Abtretung ihres Landes abgefunden worden waren. Diese Kuxe waren in die Hände der Elektrizitatslieferungsgesellschaft übergegangen, oder vielmehr die Mehrheit der ausgegebenen Stücke, wodurch automatisch und ohne Einspruchsmöglichkeit sich der Wert und Titel der Papiere in den Händen des einzelnen veränderten. Er hatte nichts weiter zu tun, als auf dem Kurszettel unter anderer Rubrik und Firma nachzusehen. Die meisten verloren dabei einen großen Teil ihres Geldes, denn oft hieß es statt einer erhofften Gewinnauszahlung noch Geld zuzahlen. Dann war nämlich beschlossen worden, das Werk zu vergrößern oder einen neuen Schacht abzuteufen, wofür die Anteilinhaber das Bargeld aufbringen mussten, man nannte das Zubuße. Das Papier war zwar dann entsprechend mehr wert, aber eben nur auf dem Papier. Das bare Geld, was der Bauer oder der städtische Geschäftsmann neu hineingesteckt hatte, sah er meist niemals wieder. So ist das eben bei jedem Geldgeschäft. Die Kunst ist, bares Geld an sich zu bringen, das der andere dann als Geldersatz umsetzen soll. Glückt das, so hat sich für den ersten Ausgeber das seinige verdoppelt. Die alten Bauern, die man sehr verlacht, weil sie ihr Geld im Strumpf hielten und keinen ändern Ehrgeiz hatten, als einen ganzen Kasten voll mit Talern anzusammeln, haben jedenfalls von ihrem Standpunkt aus gesehen, was Sicherheit anbelangt, nicht so unrecht gehabt. Was die Gesellschaft noch im kleinen, das macht der Staat im großen. Aber das führt jetzt zu weit. Jedenfalls konnte man schon für geringes Geld solche Anteile bekommen. Nun stand die Sache so, dass die Hauptkünden der Gesellschaft in Schwierigkeiten waren. Die Bergbaubetriebe standen still; es hieß, dass der eine Teil überhaupt vorläufig nicht wieder in Betrieb gesetzt würde. Auch die Chemischen Werke arbeiteten nur zu einem Viertel. Von dem Elektrotrust wurde im übrigen jetzt der Strom billiger angeboten, so dass wahrscheinlich die Kreisverwaltung den Vertrag nicht erneuern würde. Dazu kam eine Verteuerung der Kohle, die die Gesellschaft in langjährigem Vertrag bezog und die eher eine Erhöhung des Strompreises statt eine Herabsetzung bedingt hätte. Der Trust konnte sich das allerdings leisten, da ihm der größte Teil der Braunkohle gehörte, entweder direkt oder durch Einflussnahme auf die Braunkohlenbergbaugesellschaften, worin er der Elektrizitätslieferungsgesellschaft zuvorgekommen war, da er mit größerer Kapitalsanlage operieren konnte, nachdem die Schwerindustrie ihm die Verwaltung ihrer Rücklagen und Reserven anvertraut hatte. Was der Trust mehr bezahlte an Kohlen und für die Stammgesellschaft an Verlust hatte, holte er über die Braunkohle selbst wieder doppelt herein. Damit umging er auch die Steuer, die die Regierung aus der Elektrizitätserzeugung zu ziehen gedachte. Denn ehe der Staat auf die Braunkohle übergriff, war das Schwergewicht des reinen Kapitalverdienstes längst wieder auf eine neue Produktion abgeschoben. Es wanderte fortgesetzt und zog immer mehr Macht an sich, ohne dass das Kapital selbst hatte erfasst werden können. Dies zur allgemeinen Übersicht.
Die Vertrauensleute der Arbeiterschaft, die bei der Gesellschaft nach vielen Tausenden zählte, war doch der Kreis der Hilfsindustrien und der Nebenbetriebe, die sich angegliedert hatten, trotz allem ziemlich umfangreich, hatten sich versammelt. Auch die Vertreter des Maschinensyndikates waren anwesend. Eine Entscheidung von grundsätzlicher Bedeutung bereitete sich vor. Die Elege - Elektrizitätslieferungsgesellschaft - hatte der Belegschaft eine lange und umständliche Tabelle vorgelegt und dahinter eine nicht weniger umfangreiche Statistik drangesetzt, aus der dies und das hervorging, zum Schluss aber die ganz eindeutige Forderung aufgestellt war, dass die Löhne um ein Drittel heruntergesetzt werden müssten, und zwar unabhängig vom Tariftermin. Die Direktion ließ keinen Zweifel darüber, dass sie sonst entschlossen sei, den Betrieb stillzulegen. Deswegen waren die Vertrauensleute jetzt zusammen.
Die Leute unterschieden sich wesentlich von den Bergarbeitern. Weder dass sie noch etwas von dem Typ des Landbewohners und ehemaligen Bauern an sich hatten, das Gedrückte und Verwitterte im Gesicht war nirgends mehr zu finden. Aber auch die Vorstellung der Kleinbürger vom Arbeiter wäre hier nicht mehr zutreffend gewesen. Gewiss, an vielen Einzelzügen in der Haltung, im Gang, in manchen Bewegungen, weil sie typisch gemeinsame sind. Menschen, die sich einander anpassen, die ein großes Ganzes sind - an diesem Gemeinschaftlichen erkannte man, dass es Arbeiter sind. Etwa wie man den Soldaten noch am Tage, an dem er den Waffenrock schon ausgezogen hat, trotzdem als Soldaten erkennt. Aber im Grund hätte man sich Leute von verschiedenstem Beruf und Stellung darunter vorstellen können. Viel Arger auf den Gesichtern, wenig offene Freude, keine Sonne der Sorglosigkeit - aber das findet man überall und woanders noch mehr. Denn trotz alledem war die Haltung sicher, ja sogar unbekümmert. Es hieß, wir werden darüber entscheiden, prüfen wir mal die Sache. So traten sie an die Behandlung der Forderung heran,
Außer denen, die das Misstrauen wachriefen, von einem Betrugsmanöver der Verwaltung sprachen, sich dann immer mehr über den niedergeschlagenen Aufstand verbreiteten und alle die Gräueltaten der Soldateska wieder lebendig ins Gedächtnis riefen, man nahm das ruhig hin, wie etwas, das als selbstverständlich dazugehörte, ein klares Für und Wider kam ja nicht dabei heraus -, waren einige, die für eine entschlossene Ablehnung eintraten und einer Wiederaufnahme der Aktion das Wort redeten. Das sei der erste Vorstoß, von ihrem Beispiel aus würden dann die ändern Betriebe folgen. Also hätten diese von vornherein dasselbe Interesse wie sie. Würden sie geschlossen auftreten, so ist die Direktion in der Luft, da gibt es noch Machtmittel und so. Es war ziemlich einleuchtend, aber eine allgemeine Zustimmung wollte nicht aufkommen. Auch das Syndikat vermochte keine sichere Unterstützung in Aussicht zu stellen. Niemand war der Solidarität der ändern sicher. Möglich ja, aber für sie stand eben die nackte Existenz zunächst mal allein auf dem Spiel. So sprachen die meisten untereinander. Vielleicht sucht man auch nur den Anlass, den Betrieb zu schließen. Die meisten verstanden eben noch nicht, an welcher Stelle sie arbeiteten, welche Wirkung ihre Arbeit hatte, den wahren Wert ihrer Produktion kannten sie nicht, das sagte ihnen auch einer. Fanden sich auch noch welche zu diesem, und man konnte auf einmal doch wieder den Unterschied zwischen zwei Gruppen unter ihnen wahrnehmen, einen ganz scharfen Trennungsstrich. Das waren jüngere Leute, mit offenem Blick, die um das tägliche Brot sich noch nicht allzu viel Kopfschmerzen gemacht hatten, sicher nicht -dachten die ändern. Mit dem Kopf kann man nicht durch die Wand, und zu Hause sitzt die Familie. Das waren Menschen, die, schon wie sie sich zu geben wussten, in freier Luft aufgewachsen, den Körper noch zu was anderem in der Gewalt hatten, als ihre Stunden an der Maschine runterzustehen. Mochten sie auch noch so recht haben, etwas Bösartiges, ein hässlicher Zug ließ schon die ändern nicht darauf hören. Immer müssen sie das Maul gleich weit aufreißen, wir wissen selber, was wir zu tun haben - Eigensinn und ein gut Teil Misstrauen und Schwerfälligkeit. So kam es soweit, dass einer, der sie recht packen wollte, mit der Zunge ausglitt und davon sprach, wenn es eben nicht anders ginge, dann müssten sie sich opfern. Dieser Heißsporn bekam die Stimmung offen gegen sich. Damit wurde auch das Grundsätzliche entschieden, nämlich die Ablehnung einer sofortigen Aktion. Vielleicht wäre es gut gewesen, voll Mut und Zutrauen unmittelbar sich an die Kameraden zu wenden, einen wuchtigen Schritt zu tun als Gesamtheit an alle, aber da muss man selbst anders aussehen. Sicher fühlten sie das, wenn man so etwas auch nicht aussprechen kann. Die Kritik des Aufstandes, der politischen Leitungen überwucherte. der sachlichen Diskussion wuchsen die Beschimpfungen, die Anklagen. Deutlich trennten sich die beiden Gruppen mehr und mehr. Ihr reißt bloß die Arbeiter ins Unglück - ihr hemmt, weil ihr nichts verstehen wollt. Ihr seid schuld, dass die Unternehmer vorgehen, ihr leistet dem Vorschub. — Nein, ihr, denn ihr seid zu selbstsüchtig und eigensinnig, und beide: mit euch zusammen werden wir niemals weiterkommen. Es entschied sich immer mehr. Überwiegend dachten die Leute: Vorsicht, du Hegst schnell auf der Straße, jeder muss jetzt für sich selbst sorgen, das Elend ist groß genug, niemand gibt dir was, wenn du in Not bist. Das lächerliche Verantwortungsgefühl eines abgerackerten Lohnsklaven, der dann wenigstens etwas von Selbständigkeit und Freiheit empfindet, kommt dann auf. Er hat für wen zu sorgen, er muss in Arbeit bleiben - der Staat halt sich darauf.
Aber damit war noch nichts direkt entschieden. Die Herabsetzung, die eine nüchterne Zahl lastete doch zu schwer, als dass man sie so ruhig hätte aussprechen und hinnehmen können. Schließlich konnte es jeder an seinen Fingern herzählen, dass er einfach damit für seine Existenz nicht auskam. Jeder hatte doch so viel gelernt, sich wenigstens so viel ausrechnen zu können, was er die Woche braucht. Das erlebte er ja jeden Lohntag immer von neuem. Er kam gerade und knapp aus. Ja, das war die Schwierigkeit.
Aber die Syndikatsvertreter wussten Rat. Jetzt war ihre Zeit gekommen. So lange hatten sie vorsichtig nur im Hintergrunde laviert. Also man wird verhandeln. Das Syndikat wird verhandeln. Man wird das und jenes vorstellen, man kann auch Drohungen unterfließen lassen. Das Syndikat ist doch immerhin eine Macht und alles das. Dann wird man sehen und noch immer entscheiden können. So gingen sie auseinander, die meisten froh, noch einmal um eine Entscheidung herumgekommen zu sein. Es war Zeit gewonnen - sagten die einen. Man hat euch verraten, die ändern, das heißt ihr selbst euch am allermeisten.
Das Syndikat verhandelte. Die Bedingungen hatten sie allerdings schon vorher in der Tasche. Die Vertreter waren aus dem Privatkontor in die Versammlung gekommen. Ein großes Syndikat gehört zur Produktion hinzu, und es hängt mit dem Unternehmer zusammen. Man kennt gegenseitig seine Bedingungen schon vorher. Die erste Fühlungnahme der Parteien findet schon Wochen vor der Krise und dem Ausbruch des ersten Konfliktes statt. Beide haben doch das Interesse, in den Schwankungen der Arbeits- und Produktionskrise das Gleichgewicht zu halten. Aber dieses Gleichgewicht stärkt die einen, und gleichzeitig verelendet es die ändern, das ist der kleine Unterschied. Weil sich die Syndikate nicht weiterentwickeln, während das Kapital in ungeheurer Anspannung sein Arbeitstempo forciert und sich wandelt. Es lohnt sich nicht, weiter darüber zu streiten.
Dann kam das Syndikat mit den neuen Bedingungen.
An diesem Tag verweigerte eine Minderheit dem Syndikat seine Gefolgschaft. Eine Elektrikerunion wurde gegründet. Die Elektrikerunion hatte das Ziel, das Syndikat zu erobern, es beweglicher zu machen, es mit ihrem Geiste zu durchsetzen.
Die Verwaltung hatte das Nichtauskommen können wohl zugeben müssen. Das staatliche Arbeitsamt hatte auch ein Wort mitgeredet. Für den Eingeweihten stand allerdings schon lange alles fest. Die Regierung machte gute Haltung im Lande, wie sie eingriff. Zum Lachen. Dann wurde bestimmt, dass der Lohnausfall in neuen Anteilen der Gesellschaft gedeckt würde. Die Arbeiter sollten eine besondere Art Anteil erhalten und darauf dann Gewinnauszahlungen in entsprechender Zinshöhe am Ende des Jahres. Auf dem Papier hatten sie also keinen Verlust, sogar einen unerheblichen Zinsgewinn. Es stand ja zudem die Geldsumme, die ihnen dann fehlen würde, auf dem Schein. Und außerdem: sie wurden Anteilhaber am Werk selbst, Mitbesitzer - zu sagen hatten sie zwar nach wie vor nichts, wesentliche Rechte gab ihr Anteil nicht, als das allein, sich darüber zu freuen, mehr Interesse zu haben als früher. Ihr Arbeitsverhältnis blieb das gleiche. Nun, reden konnte man darüber lange, auszumalen war auch mancherlei, immerhin war es etwas Neues, hielt sie scheint's stärker an den Betrieb gebunden - die Mehrheit stimmte zu. Die Regierung beglückwünschte sich. |
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