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Franz Jung - Die Eroberung der Maschinen (1923)
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Alle gegen alle

Die Braunkohlenarbeiter traten in den Streik. Das Unternehmersyndikat ließ gar keinen ändern Ausweg offen. Die Leute wohnen in den Dörfern um den Gruben. Es war eine bodenständige Bevölkerung, die in der Gegend verwurzelt war. Auch große Güter mit einer zahlreichen Landarbeiterschaft fanden sich in der Gegend. Man konnte nicht eigentlich von Revier sprechen. Die Gruben lagen in weiten Zwischenräumen voneinander auf einem Gebiet von sehr erheblichem Umfange. Die Braunkohle wurde zumeist im Tagebau gewonnen. In Braunkohle erfolgte zwischen den beiden stärksten Trusts ein kräftiger Zusammenstoß. Der Chemische Trust, dessen Weltmonopolstellung Riesenkapitalien angesammelt hatte, wurde zur Kohle hingedrängt, deren Verkohlungsnebenprodukte die Grundlage der chemischen Industrie überhaupt geworden waren. War der Widerstand bei der Steinkohle im Laufe der Entwicklung durch Einfluss starker Konzerne der Schwerindustrie, der Verkehrsgesellschaften und des Handels, der als Zwischengesellschaft beide vorgenannten Gruppen vereinigte, zu stark geworden, lockte der Versuch in Braunkohle mehr, weil er ein ganz neues Produktionsgebiet erschloss - jedenfalls schwenkte der Trust sichtbar in die Braunkohlenindustrie ab. Damit erschloss er sich zugleich neue Elektrizitätsquellen, die zu einem Übergreifen des Geschäftsgebietes auf die Düngemittelfabrikation führte. Hier war die Linie erreicht, wo sich die Interessen mit denen des Elektrotrusts kreuzten, der ausgehend von Eisenbahnen über die Metallindustrie zu Eisen und Kohle und schließlich bis zur Braunkohle vorstieß, um in einer Seitenschwenkung nun auch in der Chemischen Industrie Fuß zu fassen. Ein neues beweglicheres Arbeiterheer sollte in der Braunkohlenindustrie eingesetzt werden. Ein Stützpunkt des Chemischen Trusts schien damit bedroht.
Die Braunkohlenarbeiter kämpften gegen Arbeitszeitverlängerung und Lohnabzüge. Ihr Recht stand ihnen klar vor Augen. Erst als die Verhältnisse geradezu zum Streik drängten, waren sie hineingegangen. Der Streik schien durchaus ruhig verlaufen zu wollen. Die Parteien hatten ihre Erklärungen abgegeben und standen sich nun abwartend gegenüber. Die übrigen Industriegruppen, die entweder in dem sehr ausgedehnten Bezirk mit lagen oder sonst wie mit der Braunkohlenindustrie verknüpft waren, blieben unbeteiligt. Das Syndikat der Braunkohlenarbeiter dachte gar nicht daran, irgendwen zur Unterstützung herbeizurufen. Da erschienen schon in den ersten Tagen starke Truppenaufgebote. Vorbeugen, hieß es; dann folgten Arbeitskolonnen. Im ganzen Lande wurden die Arbeitslosen mobilisiert für den Braunkohlenbergbau. Was man nur bekam, wurde da runtergeschickt. Die Überraschung war groß, noch mehr die Erbitterung. Aber der Bezirk starrte geradezu vor Waffen. Lasst euch nicht in die Maschinengewehre treiben. Der letzte Aufstand ihrer Kameraden war noch in aller Erinnerung — Ruhe, wurde ausgegeben. Die Streikbrecher fingen die Arbeit an. Es wurde nach Solidarität geschrieen. Die Metallarbeiter im Bezirk begannen sich zu rühren. Es kriselte in der Metallindustrie. Da bewilligte im letzten Augenblick der Elektrotrust die Bedingungen der streikenden Braunkohlenarbeiter. Die Streikbrecher arbeiteten als Gruppe für sich aber weiter. Es kam zu neuen Konflikten. Nach einiger Zeit flackerte der Streik von neuem auf.
Da war der erste Schlag bereits in der Metallindustrie gefallen. Der Streik, der mit Wucht eingesetzt hatte und erste Wellen bereits über das Land trug, brach schon in den ersten Tagen zusammen. Er erstickte sozusagen im Mangel an Widerstand. Eine große Anzahl Arbeiter aber blieb ausgesperrt.
Dagegen gewann die Bewegung in der Maschinenindustrie von neuem insoweit Boden, als sie auf die Werften übergriff. Die Werftarbeiter traten in den Streik. Sie kämpften um den Achtstundentag, während in der Braunkohlenindustrie die Auseinandersetzungen um die Weiterbeschäftigung der Streikbrecher im Gange waren.
Ü berall blieben große Massen Arbeiter draußen. Überall wurden große Massen vorübergehend neu beschäftigt. Überall sanken die Löhne. Die Lebensmittelpreise stiegen. Die Polizeitruppen wurden vermahnt. Man ging daran, diese Truppen für industrielle Arbeiten im Notfall zu verwenden. Der Soldat hatte technischen Kurs durchzumachen. Er wurde eine Zeitlang praktisch angelernt.
Da drohten die Beamten mit dem Streik. Sie verlangten die schärfere Abgrenzung ihrer Sonderstellung. Der Streik, der das Gesicht gegen den Finanzminister trug, ging in Wirklichkeit gegen die Trusts. Wer zahlt das Geld, hieß es. Der Finanzminister blieb gleichmütig. Die Handelskreise wurden unruhig. Ein Beamtenstreik erschüttert den Staat. Sie sahen sich nach Hilfe um. Man einigte sich auf neue Steuern. Der Handel schoss etwas vor. Die Arbeiter werden zahlen.
Die Regierung wankte und festigte sich wieder. Minister kamen und gingen.
Die Bankbeamten setzten den Trusts das Messer an die Gurgel. Es war ein kritischer Moment, der Geldverkehr geriet ins Stocken. Dann war das Gleichgewicht gefunden. Man würde mit eigenem Geld zahlen, mit Trustgeld. Die Regierung sank in die Knie. Der Streik wurde von Staats wegen hintenherum abgewürgt. Die Arbeiter hatten aufgehorcht.
In den Industriezentren folgt ein Streik dem ändern. Die Technik der Zuverlässigkeitsauslese wollte das so. Der eben Zusammenbrechende trug bereits den Keim des neuen in sich, aber zunächst an anderer Stelle. Immer noch schössen Neugründungen hervor. Aber auch die Stilllegungen nahmen größeren Umfang an. Einen großen Umschwung nahm die Luxusindustrie. Dort wurde das ständig anwachsende Heer der Frauenhände untergebracht. Auch dort wechselten die Arbeiterinnen schnell den Platz.
Nur in den Verkehrsbetrieben hielt sich der Zustand noch ziemlich im Gleichgewicht. Die Arbeiterschaft war stark mit Beamten durchsetzt. Die Gruppen, die sich gerade einheitlich für sich herausgeschält hatten, wurden sofort wieder auseinander gerissen. Die Ausbildung zur technischen Nothilfe wurde beschleunigt. Die Bauern sonderten sich völlig von der Gesamtwirtschaft ab.
Und doch sah man niemanden mehr, der hinter dem allen stand. Alles drehte sich fortgesetzt um sich selbst. Die Interessen wechselten von Stunde zu Stunde. Es war nirgends ein Ziel mehr. Eine Zufallsgruppierung entschied, und nur für den Augenblick, später war die Gruppierung wieder eine andere.
Die Beamten kämpften erbitterter um ihre Existenz. Je weniger er repräsentativ zu wirken hatte, desto mehr Freiheiten ließ man ihm durch. Der Beamte war ein Händler geworden. Staatsanwälte empfingen Honorar, und Anwälte teilten mit den Richtern. Mit Einfluss wurde gezahlt, nicht mehr mit Geld. Münze deinen Einfluss um - das ließen sich die Minister nicht zweimal sagen. Nur die Trustmaschinen liefen immer schneller und schneller. Es war kein Überblick mehr, die Produktivkraft unterzubringen, einzuspannen. Die Leiter verloren den Kopf. Sie waren bis zur Neige ausgepumpt und verkalkt. Sie wurden matt und kraftlos. Und verloren zum ersten Mal die Ruhe. Jeder Mensch im Lande begann zu merken, es klappt nicht mehr. Da rissen die Offiziere erst recht die Fresse auf.
Einen Weg wies noch das Hinausschieben des Zusammenbruchs. Sonst hätten die Trustleitungen in Augenblicken der Anspannung alles am liebsten stehen und liegen gelassen und wären auf und davon gerannt. Das Ausland. Über die Grenze. Im Krieg oder im Frieden. Das Ausland gibt den Kredit. Das Ausland nimmt die Produktion auf, die in dieser Atempause sich organisiert. Das Ausland stabilisiert die sozialen Verhältnisse, es dislokiert die Arbeiter. Arbeiterkolonien. Das Ausland schafft neue Beamte. Man schlug sich ordentlich vor den Kopf. Die Regierung wurde neu angestrichen. Da brach der große Streik aus.

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