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Franz Jung - Die Eroberung der Maschinen (1923)
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Der Montagsklub

So beschränkt auch die räumliche Ausdehnung des Aufstandes geblieben war, seine Wirkungen begannen sich immer mehr über das Land hin fühlbar zu machen. Die Schwierigkeit, Arbeit zu beschaffen bei einem Lohn, der das Auskommen wenigstens ermöglichte, war für die Regierung eine Aufgabe, der sie nicht gewachsen war. Immer neue Probleme tauchten auf, und schien an einer Stelle der Sturm beschworen und das Loch zugestopft, so riss es am ändern Ende und nur um so größer wieder auf. Das Für und Wider der Aktienbeteiligung der Arbeiterschaft war ins Uferlose ausgewachsen, und je mehr sich Bankiers und Industrielle, Kaufleute und Professoren darüber stritten, um so weniger kümmerte sich die Arbeiterschaft selbst darum. Die Krise für das Kabinett wurde immer bedrohlicher, so dass man allen Grund zu haben glaubte, nach außen geschlossen aufzutreten. Der Entschluss, den Arbeitsminister auszubooten und als Sündenbock hinzustellen, wurde daher hinausgeschoben und geriet in Vergessenheit. Ein Wechsel hatte die Aufmerksamkeit zu, sehr auf die Gesamtregierung gelenkt, was durchaus nicht erwünscht schien. Man muss sich vorstellen, dass der gesamte Beamtenapparat mit allem, was darum war - Polizei, Soldaten, Richter und Parlament -, eigentlich ganz für sich allein stand. Es gab eine große Masse Volk, das, zu dumm oder zu faul, damit schon zufrieden war, dass der Apparat überhaupt da war. Mehr wollten sie nicht wissen, um das Was und Wie kümmerten sie sich nicht. Alles hing immer davon ab, wie sich die eigentlichen Kräfte des Landes, die wirtschaftlichen, die Arbeitskräfte dazu verhielten. Wurde die Regierung von diesen nicht mehr geduldet, so folgte eine andere; natürlich wechselten bloß die Spitzen. Obwohl die Arbeiter die Werte schufen, die Wirtschaftskräfte also nicht nur repräsentierten, sondern allein auch in Gang setzten, hatten sie doch nicht den geringsten Einfluss, im Gegenteil, wie ja jeder an sich selbst erfahren hat, man schlägt sie nieder, um sie erst nicht aufkommen zu lassen. Es besteht nämlich immer diese Gefahr, dass die Arbeiter sich ihrer Macht bewusst werden, daraus Nutzen ziehen, dass sie eigentlich schon sowieso, nur durch ihre Arbeit allein, Träger des Staates und Erhalter des Volksganzen sind und entsprechend auch dann die Organisation des Staates auf sich stellen. So einleuchtend klar das sein mag, so selbstverständlich, so große Angst hat der Beamtenapparat davor. Warum, das wird im Grunde genommen niemand zu sagen wissen. Denn jetzt haben die Macht diejenigen, die die Maschinen in Händen haben, mit denen die Arbeiter arbeiten. Diese Maschinen aber sind nicht vom Himmel runtergefallen, sondern sie haben sie erst dadurch erworben, dass sie die Arbeiter dafür und für sich arbeiten ließen, so dass eigentlich alle diese Maschinen doch den Arbeitern gehören. Weil aber die große Masse Volk immer demjenigen folgt, der gerade die Macht hat, und gegen denjenigen sich wendet, der sie jenem, und sei es mit den besten Rechtstiteln, streitig macht, so wurden die Arbeiter zurückgewiesen, der ganze Staatsapparat mit Gesetzen und Beamten und Soldaten schritt gegen sie ein. Diese Menschen waren Heber der Willkür der wenigen zufälligen Machthaber ausgesetzt, sie kämpften lieber selbst angstschlotternd ums eigene Brot, sie trugen lieber selbst alles mögliche Unglück, wie Krieg, Hunger und Verzweiflung aller Art, als dass sie vorurteilslos über den Machtanspruch der Arbeiter nachgedacht hätten. So war denn die Regierung nichts anderes als ein Popanz, je nach der Situation und für den beliebigen Fall einzuspannen und zu verwenden. Alle Programme und sonstigen Schwindelmanöver waren immer auf dieselbe große Masse der Leute zugeschnitten, die im Grunde genommen überhaupt nicht vorhanden waren; denn griff man einen einzelnen heraus und stellte ihn vor sich hin, so hatte der schon Meinungen und Wünsche und auch Verstand genug, zu begreifen, was vorging - ließ man ihn los, verschwand er im Nebel der Masse.
So lag die eigentliche Macht, die das ganze Theater, das man Staat und Gesellschaft nennt, leitete, ganz woanders als dort, wo die Beamten sich wichtig taten. Einen besonderen Mittelpunkt solcher Macht bildete der Montagsklub. Dorthin kamen montags abends zu einem Diner gewöhnlich einige, nicht sehr viele führende Persönlichkeiten aus den großen Industriezusammenfassungen, wie sie sich aus einer Mischung von Großgrundbesitzer, Finanzmann und Fabrikant gebildet hatten, zusammen in Gesellschaft von Wissenschaftlern, die sie besoldeten oder erzogen, und von gelegentlich sonst wie geladenen Gästen, denen dann an solch einem Abend sozusagen die Befehle übermittelt wurden. Diese Leute wussten auch Ehre und Bedeutung zu schätzen. Mochten sie auch weit blendendere Titel tragen als diese Herren, so hielten sie sich doch bescheiden im Hintergrunde, und man konnte in jedem Augenblick deutlich jene drei Gruppen voneinander unterscheiden. Man versammelte sich montags, weil alle diese Herren eine ganz bestimmte Arbeitsweise sich angewöhnt hatten, die jeder Tagesstunde beinahe ihren besonderen Platz anwies. Man arbeitete eigentlich nur Dienstag bis Freitag mittag im eigentlichen Bureau, Samstag und Sonntag blieb für die Familie vorbehalten, die meist außerhalb der Stadt wohnte, Freitag nachmittag und Montag früh war der Fahrt gewidmet, den Montagnachmittag suchte man langsam ins Geschäftstempo hinüberzugleiten, indem man Besprechungen abhielt, Versammlungen besuchte und abends bei einem der Kohlenbarone sich zum Diner zusammenfand. Das war der Montagsklub. Man kann nicht sagen, dass dort sehr dumme Leute zusammen waren. Es ist sehr leichtfertig, solche Leute zu unterschätzen. Der Typ des Herrn Fabrikanten, der in seinem Betrieb unumschränkt wirtschaftet, der Herr, dessen Bedeutung, Arroganz und Minderwertigkeit man am Glanz seines Zylinders und der weißbelederten Lackschuhe erkannte, ist verschwunden. Er ist von Großen und Kräftigeren längst aufgefressen, und wo noch Reste sind, führen sie ein Schattendasein. Solche Leute sind museumsreif, ebenso wie jene so genannten reichen Leute, die nach allgemeiner Vorstellung nichts weiter zu tun haben, als auf ihrem Geldsack zu sitzen. Man kann wohl sagen, Geld in dieser einfachen Form existiert nicht mehr. Das Kapital ist selbst eine lebendige Kraft, es ist eine vom Menschen unabhängige Macht, die ihn treibt und versklavt und deren Träger und Agent zu sein inzwischen alles andere als ein Genuss sein mag. Man erlebt es ja, es saugt das Menschliche auf, es frisst das Leben und es schlägt längst in seiner Akkumulation ein Tempo ein, an dem die Menschen über kurz oder lang zerbrechen müssen.
Darüber waren sich die Herrn vorn Montagsklub allerdings klar, und sie fühlten sich in ihrer ganzen Machtfülle alles andere als glücklich. Sie hatten zu arbeiten wie vom Teufel gehetzt, und wenn auch unter ihren Händen die Millionen sich verdoppelten, so lag darin für das nächste auch schon wieder die doppelte Arbeit, und jeder von ihnen hatte das zutiefst schon erfahren, jene furchtbare Krankheit, nie ruhen und nie zufrieden sein zu können. Diese Herren sahen auch durchaus nicht behäbig aus, nicht wie Leute, die die Nacht durchzusaufen pflegen - alles das blieb den Beamten und den sonstigen Stützen des Staates überlassen, und man kann sich gut vorstellen, wie sie diese Leute verachteten. Der Gastgeber hatte einen besonderen Sport darin gefunden, in der Entwicklung der Arbeiterbewegung bis ins Einzelne auf dem laufenden zu sein. Er unterhielt nicht nur die regsten Beziehungen zu den Syndikaten, das taten die ändern auch, sondern er griff auch selbst in die Diskussion zwischen den Arbeiterparteien ein. Er mühte sich selbst um die Form eines Ausgleichs zwischen der Arbeit und ihren Fragen auf der einen und dem Kapital, das die Maschinen hatte und als deren Verantwortliche sie selbst sich empfanden, auf der anderen Seite. Und wie dieser waren viele. Nur eins begriffen diese Herren eben nicht, mochten sie noch so viel gelernt haben, mochten sie für den großen Gesamtorganisationsapparat noch so unentbehrlich und nützlich sein, dass sie ihre Arbeit leisteten, das sprach ihnen ja keiner ab - sie begriffen nicht, dass die anschwellende Krise, die Volksnot, die Arbeitslosigkeit als Ganzes gesehen, darauf zurückzuführen war, dass sie jene Kräfte leiteten oder zu leiten noch immer den Anspruch nicht aufgegeben hatten, obwohl diese über ihre eigene Kraft längst hinausgewachsen waren. Die Kraft, die die Maschinen treibt, die hinwiederum erst die Hände bedienten, unterlag, das zeigte sich ja mit jedem Tag deutlicher, ändern Gesetzen als denen von ihnen ausgeklügelten, die sie ja selbst nur als Großväterweisheit übernommen hatten. Sie gründete sich auf menschlich-technischen Zusammenhängen. Es war der Ausfluss eines lebendigen Organismus, der bestimmt war, die Organisation der Menschen zu erweitern und ökonomisch und in Glück zu sichern. Sie waren im Wege, ihr Machtanspruch war das Hindernis. Darum konnten sie auch trotz mancher Einsicht über eine müde Skepsis nicht hinauskommen. Sie begnügten sich damit, Preise zu stiften und Zeitschriften herauszugeben.
Dort sah man den Aufstand mit ändern Augen an. Man hielt ihn für ein gefährliches Spiel des Elektrotrusts, ja offen sogar als verfehlte Maßnahme. An der sozialen Frage mag sich die Regierung die Zähne ausbeißen, urteilte man, aber man darf ihr keine Machtmittel in die Hand geben. Es ist gefährlich, dass sich einmal die andere Seite der Machtmittel bemächtigt. - Aber der Präsident des Trusts, der gleichfalls anwesend war, gab die bündige Erklärung, dass er sowohl wie die übrigen Herren davon völlig überrascht worden waren. Es wäre zweifellos ein ernstes Zeichen. Niemand könne ihm aber verwehren, auch aus dieser Situation den Nutzen zu ziehen, der sich daraus ergibt. »Gewiss nicht«, sagte der Kohlenbaron, »nur sollten wir mehr als bisher die Möglichkeiten prüfen, uns die Arbeiterschaft als Bundesgenossen zu gewinnen. Es dürfte sehr bald an der Zeit sein« - die Zuhörer nahmen das für eine versteckte Absage an die Regierung. Deren Schicksal schien besiegelt. Die Professoren horchten auf. Es entspann sich ein Gespräch über die Aktienbeteiligung als Lohnbeihilfe. In diesem Kreise lächelte man darüber. Dagegen schlug jemand vor, in größerem Umfang technische Kurse einzurichten, sozusagen als Prämien für die Tüchtigsten im Betrieb, um sie unentgeltlich weiterzubilden. Die Chancen für solche Bevorzugten lagen offen auf der Hand. Die Hochschule bereitet eine neue Spaltung unter der Arbeiterschaft vor. Die brauchbaren und intelligentesten werden von der Masse getrennt, diese ihrer Führer beraubt. Das Interesse wird verschieden - so dachte man darüber. Es gab auch Warner. »So etwas war früher ganz gut«, sagte einer, »heute ist das Klassenbewusstsein zu sehr entwickelt.« »Aber auch das Misstrauen und der Neid aufeinander«, warf ein anderer ein. Die Kurse wurden beschlossen. Der Trustpräsident war nicht damit einverstanden. »Wir müssen den Arbeitern etwas bieten, das ist sicher, aber ich bitte Sie, meine Herren, winken wir mit der Amnestie, Regierungswechsel und so etwas, das hat noch immer seine Wirkung gehabt. Ich sehe auch eine schwere Krise voraus, es lässt sich wenig abwenden und herauslocken, wir müssen die Kleinarbeit leisten, Syndikat gegen Syndikat, Führer gegen Führer, den einen gegen den ändern. Ich kenne die Frage genau, und es ist doch nur wie in der Welt auch, jeder kämpft um seinen Platz - das war und ist noch immer das beste. Ich fürchte, Sie gehen zu weit. Bleiben Sie bei der Theorie, nicht wahr, Herr Professor« - und die drei Professoren, der eine ein Geologe und Geograph, der andere für Nationalökonomie und der dritte für technische Wissenschaften und berühmter Physiker, nickten Beifall. »Die Technik«, schloss der Präsident begeistert, »bietet der Phantasie alle ungeheuren Möglichkeiten, sie ist eine Religion.« Darüber war man einig.

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